Käßmann über Luther & die Frauen

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Na klar, ich weiß: Die Kirchen und die Frauen, das ist ein ganz eigenes Thema. In den Religionen herrschen oft patriarchale Zustände. Und auch Martin Luther kann kritisch angefragt werden.

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Da ist zum Beispiel diese Predigt von 1526, in der Luther zu dem Schluss kommt: „Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen.“ Hier lässt Luther sich hinreißen vom Hexenwahn und der Hexenverfolgung seiner Zeit. Doch auch der Hinweis auf den Zeitgeist kann nicht im Nachhinein kleinreden, was er sagte.

Und stammt nicht auch so mancher abfällige Satz über Frauen von Luther her? Ja, gerade in seinen „Tischreden“ findet sich manches, was Männer bis heute an (Stamm)Tischen so reden. Einmal sagt Luther: „Es ist kein Rock, der einer Frau oder Jungfrau so übel ansteht, als wenn sie klug sein will“. Aber er sagt auch: „Wenn das weibliche Geschlecht anfängt, die christliche Lehre aufzunehmen, dann ist es viel eifriger in Glaubensdingen als Männer. Das erweist sich bei der Auferstehung (Joh 20, 1ff.), Magdalena war viel beherzter als Petrus.“

Doch ja, die Reformatoren haben insgesamt an einer Unterordnung der Frau unter den Mann festgehalten. Und trotzdem ist bemerkenswert, dass Luther Kritik daran übt, dass die Alltagspflichten schlicht den Frauen überlassen werden.

Aber was ist eigentlich mit den bedeutenden Reformatorinnen? Wenn über das Reformationsjubiläum 2017 geschrieben wird, stehen die Theologie Martin Luthers oder Ulrich Zwinglis, die geschichtliche Bedeutung von Friedrich dem Weisen oder Philip von Marburg, Martin Bucer, Philip Melanchthon, Thomas Müntzer, Johannes Calvin im Mittelpunkt. Doch wer verbindet mit der Reformation Wibrandis Rosenblatt, Elisabeth Bucer, Katharina Jonas oder Caritas Pirckheimer? Allenfalls Katharina von Bora, Luthers Ehefrau, ist einem breiteren Publikum ein Begriff.

Ich habe mich deshalb besonders über die Ausstellung 2014 auf Schloss Rochlitz gefreut mit dem Titel „Frauen und Weiblichkeit in der Reformation“. Sie hat an Elisabeth von Rochlitz erinnert, die sich klar zum reformatorischen Aufbruch bekannte. Und das, obwohl ihr Schwiegervater Georg der Bärtige, Herzog von Sachsen, ein erbitterter Gegner der Reformation war. Im Schmalkaldischen Bund spielte sie eine entscheidende Rolle. Aus ihrer Korrespondenz sind rund 2000 (!) Briefe erhalten.

Innerkirchlich haben sich in den letzten Jahren „Frauenmahle“ entwickelt, die an diese Reformatorinnen erinnern. Am Vorabend des Reformationstages, dem 30. Oktober, kommen Frauen zu einem gemeinsamen Essen in einer Kirche oder einem Gemeinderaum zusammen und erfreuen sich gegenseitig mit „Tischreden“. Von Berlin bis Leipzig, von Hannover bis Osnabrück hat sich damit in den Jahren vor dem Reformationsjubiläum eine interessante neue Form der Begegnung etabliert, zu der auch Frauen aus dem nichtkirchlichen Umfeld eingeladen sind und gern teilnehmen.

Ich bin überzeugt, die Beteiligung der Frauen ist kein Seitenthema der Reformation, sondern sie steht zentral für die reformatorischen Inhalte. Das hat vier Gründe:

Erstens die Tauftheologie Martin Luthers. Wenn jeder Mensch, der aus der Taufe gekrochen ist, Priester, Bischof und Papst werden kann, dann kann das auch jede getaufte Frau werden. Hier liegt der Schlüssel zum Respekt vor Frauen und in der Konsequenz auch die Zulassung von Frauen zu allen Ämtern der Kirche. Auch wenn die Reformatoren selbst sich diesen Schritt zunächst gewiss nicht denken konnten, so ist er doch in ihrer Theologie angelegt. Das Priestertum aller Getauften schließt das Priestertum der Frauen mit ein.

Zweitens wird mit dem Schritt zur Ehe das „Leben in der Welt“ aufgewertet. Die Eheschließung vormals zölibatär lebender Priester und Nonnen übersetzt die Grundüberzeugung, dass Leben in Kloster und Zölibat kein vor Gott in irgendeiner Weise „besseres“ Leben ist. Christsein bewährt sich mitten im Alltag der Welt, im Beruf, in der Familie, beim Regieren wie beim Erziehen der Kinder. Und das gilt für Männer wie für Frauen. Für Frauen war die Befreiung, die sich durch die Aufwertung von Ehe, Sexualität und Kindererziehung ergab umso größer, als zuvor die Überzeugung bestand, dass Frauen eines „besonderen Zuganges zur Gnade bedürfen“, den mit Gewissheit „nur die reine Jungfräulichkeit“ eröffnen konnte.

Drittens beschränkt sich der reformatorische Bildungsimpuls nicht auf Jungen und Männer, sondern schließt Mädchen und Frauen mit ein. Die Volksschule sollte von Anbeginn an in der Tat Schule für alle sein; alle sollen lesen lernen, damit sie individuell ihr Gewissen an der Schrift schärfen können. All das bedeutet eine ungeheure Aufwertung von Frauen und Frauenleben. Bildungsteilhabe und Bildungsgerechtigkeit waren reformatorische Themen und schlossen explizit Frauen mit ein.

Viertens hat all dies aktuell zur Konsequenz, dass die Beteiligung von Frauen geradezu zu einem Kennzeichen der reformatorischen Kirche geworden ist. So zeigt auch die jüngst veröffentlichte fünfte „Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung“:„Mit der ‚evangelischen Kirche‘ verbinden nicht wenige Befragte, dass diese Kirche nicht katholisch ist – etwa, weil hier auch Frauen Pfarrerinnen sein können …“.

Kehren wir zu den Frauen in der Reformationszeit zurück. Viele Namen sind bekannt, auch wenn es insgesamt nur wenige authentische Zeugnisse gibt und eine recht begrenzte Literatur zum Thema. Exemplarisch möchte ich sieben nennen in drei Kategorien.

Zum einen sind da die Pfarrfrauen. Für sie war die Heirat mit einem Pfarrer, in der Regel also mit einem ehemaligen Mönch, kein leichter Schritt. Sie wurden von den Altgläubigen verachtet. Es hieß, Kinder, die von einem ehemaligen Mönch und einer ehemaligen Nonne gezeugt wurden, werden mit Fehlbildungen zur Welt kommen. Sie waren also mutige Frauen, die inhaltlich hinter ihren Männern stehen mussten, um den Anfeindungen ihrer Umwelt gegenüber standzuhalten.

Das gilt zuallererst für Katharina von Bora (1599-1552). Sie war gebildet und hat Luther Briefe geschrieben (die leider nicht im Original erhalten sind). Aus seinen Briefen, in denen er auch auf sie eingeht, lassen sich Rückschlüsse ziehen. Selbst ehemalige Nonne, war sie von ihm wertgeschätzt als Gesprächspartnerin, Mutter und Geschäftsfrau, ja unentbehrlich, um das Leben im Schwarzen Kloster in Gang zu halten. Sie hat ihm den Rücken freigehalten und „den ganzen Laden gewuppt“.

Ebenfalls in Wittenberg spielt Katharina Melanchthon (1497–1557) eine bedeutende Rolle. Sie kam nicht aus dem Kloster, sondern war Tochter des Wittenberger Bürgermeisters. Luther selbst hatte 1520 ihre Trauung mit Philipp Melanchthon vollzogen. Ihre Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft in ihrem Haus werden immer wieder erwähnt.

Auch die beiden großen oberdeutschen Reformatoren waren verheiratet. Anna Zwingli (um 1484–1538) war eine adlige Witwe mit drei Kindern, als sie Ulrich Zwingli 1522 heiratete. Das war mutig, galt doch eine Priesterehe als Skandal.

Idelette Calvin (1509–1549) stammte aus dem Kreis der französischen Flüchtlinge in Genf. Sie war gebildet, tat sich durch Krankenbesuche hervor und zeigte Sympathien für die Täuferbewegung.

Zu dieser Gruppe der Pfarrfrauen gehören auch Wibrandis Rosenblatt, Elisabeth Bucer, Katharina Jonas. Viel ist nicht bekannt über diese Frauen, keine Details, keine Biografien. Meist lassen sich lediglich über das Leben ihrer Ehemänner und deren Äußerungen über sie Rückschlüsse auf ihr Leben ziehen.

Eine andere Kategorie sind die wenigen Frauen, die wie Elisabeth von Rochlitz eigene schriftliche Zeugnisse hinterlassen haben. Herausragend unter ihnen ist Argula von Grumbach (1492–1568). Sie widersprach öffentlich dem Rektor der Ingolstädter Fakultät, als dieser reformatorisches Schrifttum verbieten wollte. Sie schrieb Flugschriften und diskutierte mit Luther persönlich, als er anlässlich des Reichstages zu Worms Zeit auf der Veste Coburg verbrachte. Neben den Briefen von Elisabeth von Rochlitz sind die meisten Schriften von Frauen der Reformationszeit von ihr erhalten und öffentlich zugänglich.

Auch Katharina Zell (um 1497–1562) hat Schriftliches hinterlassen. Aus einem Straßburger Patrizierhaus stammend wurde sie von Martin Bucer 1523 mit dem Priester Matthäus Zell verheiratet. Nach Kritik an ihrer Eheschließung schrieb sie einen Verteidigungsbrief an den Bischof und ein Flugblatt an die  Bürger von Straßburg. Auch ein kleines  Liederbuch gab sie heraus.

Elisabeth Cruciger (um 1504–1535), in Wittenberg mit dem Theologen Caspar Cruciger verheiratet, dichtete Kirchenlieder, eines ist bis heute im Evangelischen Gesangbuch erhalten: „Herr Christ, der einig Gotts Sohn“.

Nicht zuletzt sind die Fürstinnen zu nennen, die die Reformation entscheidend, auch politisch unterstützten. Besonders nennen möchte ich an dieser Stelle Elisabeth von Calenberg. Durch ihre Mutter war sie mit dem reformatorischen Glauben in Berührung gekommen und führte nach dem Tod ihres Mannes die Reformation in Südniedersachsen ein. Dabei hielt sie eine schützende Hand über die Frauenklöster und Damenstifte und ließ deren Vermögen sichern. Das hat Auswirkungen bis heute: In der hannoverschen Landeskirche gibt es aktuell noch 13 Frauenklöster und Damenstifte, deren Vermögen in der staatlich geführten Klosterkammer unabhängig gesichert ist.

Dies alles zeigt, wie viele Frauen die Reformation geprägt haben. Das Priestertum aller Getauften zeigt sich gerade auch in der Beteiligung von Frauen – das ist zum Kennzeichen reformatorischer Kirchen geworden. Deshalb bin ich gern evangelisch.

Als Reformations-Botschafterin halte ich seit geraumer Zeit nicht nur in Deutschland an unterschiedlichsten Orten Vorträge und Gottesdienste zum Thema. Und ich besuche unsere Partnerkirchen in Europa und Übersee. In Indien war beim letzten Besuch beispielsweise sehr deutlich, wie sich der Impuls einer Bildung für alle in den Schulen für Mädchen umsetzt. In Hongkong sagte eine Frau, ihr sei es sehr wichtig, dass dieser Leistungsdruck ihrer Gesellschaft durch lutherische Theologie durchbrochen wird. Deinen Lebenssinn musst du dir nicht erarbeiten, er ist dir schon geschenkt.

Ich bin auch Vorsitzende der Projektleitung für die Weltausstellung Reformation, die unter dem Thema „Tore der Freiheit“ 2017 in Wittenberg stattfindet. 16 Wochen haben wir gefragt, wo wir heute Reform und Reformation brauchen in Kirche und Gesellschaft. Da ging es nicht um den historischen Rückblick, sondern um einen aktuellen Aufbruch. Eine der Themenwochen hat sich übrigens auch mit Gender-Fragen, mit Frauen und Männern befasst.

Margot Käßmann

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