Gekaperte Slutwalks
Herzlich Willkommen auf dem Slutwalk 2017 in Toronto. In der Geburtsstadt der „Schlampenmärsche“ finden sie immer noch statt. Wenn auch bescheidener als bei der Premiere im Jahr 2011. Damals gingen tausende Kanadierinnen auf die Straße, nachdem der Polizist Michael Sanguinetti bei einem Vortrag in der Osgoode Hall Law School der York University in Toronto erklärt hatte, dass "Frauen es doch einfach vermeiden sollten, sich wie Schlampen anzuziehen, wenn sie nicht zu Opfern werden wollen." Wenig später fanden weltweit Slutwalks statt, von Berlin bis Melbourne. Die "rape culture" ist ja auch kein rein kanadisches Problem. "It's a dress, not a yes!" stand da auf den Plakaten, sprich: Das ist ein Kleid, keine Einladung! Oder einfach nur: "Nein heißt Nein!“
An diesem Tag im Barbara Hall Park an der berühmten Church Street, mitten im Schwulen- und Lesbenviertel der Stadt, klingt das ganz anders. "Sexwork is real work!" brüllen die etwa hundert DemonstrantInnen im Chor, wieder und wieder. Der Slutwalk in Toronto kooperiert in diesem Jahr offiziell mit der Initiative "Silence is Violence" von der University of Toronto, sowie mit Maggie's, einer Pro-Prostitutions-Organisation vergleichbar mit Hydra in Berlin.
Denke über "Sexarbeit" : aus Nordamerika nach Europa geschwappt.
Berlin ist rund 6.500 Kilometer weit weg, aber an diesem regnerischen Nachmittag im August fühlt es sich an, als läge Berlin gleich nebenan. Auch die Berliner Szene macht mit Kampfbegriffen wie "Sexarbeiter*Innenfeindlichkeit" oder "Rassismus" jede feministische Initiative platt, die sich nicht ihren Denkverboten unterwerfen will. Wie in Kanada, genau genommen ist diese Denke aus Nordamerika nach Europa rübergeschwappt. Die "Slutwalks" galten als ihr wesentlicher Erweckungsmoment. Und ganz wie in Deutschland hat die Pro-Prostitutionslobby bei dieser Erweckung eine zentrale Rolle gespielt.
Denn auch, wenn Maggie's in diesem Jahr erstmals offizielle Partnerin des Slutwalks ist, ist die enge Zusammenarbeit der „Sexarbeiterinnen“ mit den Slutwalk-Macherinnen nichts Neues. "Vorstands-Mitglieder von Maggie's saßen von Anfang an im Organisationsteam", sagt Monica Forrester, Ex-Prostituierte. Die hochgewachsene Transfrau aus dem Curve Lake Reservat wird an diesem Tag als Heldin gefeiert, als eine, die sich für die "Sexarbeiterinnen" einsetzt.
Auf die Frage, ob Maggie's denn auch Frauen beim Ausstieg helfe, antwortet Monica: "Ja, natürlich!“ Ein Besuch auf der Webseite der Pro-Prostitutions-Organisation vermittelt hingegen einen ganz anderen Eindruck. Unter dem Punkt "Mach mit" erklärt Maggie's: "Wir wollen dich nicht heimlich davon überzeugen, die Sexarbeit zu verlassen oder dich in irgendeiner Form zu 'rehabilitieren'." Denn "Sexarbeit" sei ein "Beruf", "von innen heraus weder gefährlich noch unterdrückend oder ausbeuterisch".
Das klingt für deutsche Ohren allzu bekannt, und das ist kein Zufall. Sowohl Maggie's als auch deutsche Pro-Prostitutionsorganisationen wie Hydra oder der "Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen" (BESD) sind über das "Global Network of Sexwork Projects"(NSWP) miteinander vernetzt.
Kanada hat das Schwedische Modell schon 2014 eingeführt
Ganz wie in Deutschland fordern die Pro-Prostitutions-Lobbyistinnen in Kanada, das System der Prostitution zu "entkriminalisieren". Kanada hat 2014 das Schwedische Modell eingeführt, also die Freierbestrafung. Das stößt auf dem Slutwalk nicht unbedingt auf Zustimmung. Das schwedische Modell "diskriminiert unsere Freier, unsere Zuhälter und häufig auch unsere Ehemänner", erklärt die Prostituierte Alyssa.
Im Barbara Hall Park haben sich Studentinnen, SympathisantInnen von Maggie's, eine marxistische Gruppierung sowie einige Trans-Aktivistinnen und schwule Männer im Lederoutfit versammelt. Die Frauen, die Alyssas Hilfe dringend gebrauchen könnten, sind hier so gut wie nicht anwesend. Kanada hat ein immenses Problem mit Frauenhandel, anders als in Deutschland findet der allerdings innerhalb der eigenen Grenzen statt: Betroffen sind vor allem die ohnehin schon diskriminierten indigenen Frauen.
„Aborigine machen nur vier Prozent der kanadischen Bevölkerung aus, aber die Hälfte der Opfer von Menschenhandel", schreibt Tavia Grant in "The Trafficked" (Die Verkauften) in der Tageszeitung The Globe and Mail.
In Kanada wird auf Wunsch von Premierminister Justin Trudeau zurzeit der Mord und das Verschwinden von über tausend indigenen Frauen seit den 1980er Jahren verstärkt aufgeklärt. Darunter einige, die in der Prostitution tätig waren.
Kinder-Prostitution - eine Form von "freiwiller Entscheidung"?
Die kanadische Feministin Meghan Murphy berichtet auf ihrem Blog The Feminist Current über eine Maggie's-Mitarbeiterin, die sich dafür eingesetzt hat, dass Mindestalter für Prostituierte in Kanada abzuschaffen. Ihr Argument: Auch Mädchen, die gerade mal 14 Jahre alt sind, könnten sich schließlich freiwillig "für die Prostitution entscheiden". Murphy ist Verfechterin der Freierbestrafung und Kritikerin des liberalen Feminismus und der Pro-Prostitutionslobby in Kanada. Vor zwei Jahren veröffentlichte Maggie's eine Online-Petition, in der Meghan Murphys damaliger Arbeitgeber, das Online-Magazin Rabble.ca, dazu aufgefordert wurde, die Zusammenarbeit mit der "hurenfeindlichen" und "rassistischen" Murphy sofort zu beenden (womit sie scheiterten).
Doch zurück zum Barbara Hall Park: Kurz bevor der Slutwalk zu seinem Marsch durch die Hochhausschluchten von Downtown Toronto aufbricht, rufen die Demonstrierenden im Chor: "Sexarbeit ist richtige Arbeit!".
Ein kleiner Junge klettert auf die Bühne. Er kann gerade mal laufen. Ellie von Silence is Violence kniet sich hin und hält dem Kleinen das Megaphon vor den Mund. "Sexarbeit ist Arbeit" ruft sie ihm aufmunternd zu. Der Junge lächelt verlegen. Noch. So werden die Freier von morgen erzogen. Nicht nur in Kanada.
Alexandra Eul