Djemila Benhabib: „Helft uns!“

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Am Tag unserer Begegnung hat Djemila Benhabib blendende Laune. Sie hat gerade einen über fünf Jahre währenden Rechtsstreit mit einer Koranschule in Montreal gewonnen. In einem Radiointerview hatte die Kanadierin algerischer Herkunft die Praktiken dieser Schule mit den islamistischen Ausbildungscamps in Pakistan und Afghanistan verglichen. Und sie hatte die Geschlechterapartheid sowie den Schleierzwang kritisiert. Die Schule beschuldigte Benhabib der „Rufschädigung“, klagte sich durch mehrere Instanzen – und verlor. „Ein Sieg für die Meinungsfreiheit“, findet Benhabib.

Sie hat in ihrem Garten in der Quebecer Industriestadt Trois-Rivières ein köstliches Essen für mich vorbereitet, um über ein ernstes Thema zu sprechen: Die Agitation der Islamisten, nicht nur in Kanada. Dagegen kämpft die 45-jährige Tochter eines algerischen Vaters und einer zyprischen Mutter, seit sie in den so genannten „schwarzen Jahren“ aus ihrer Heimat Algerien vor den Islamisten ins Exil geflohen ist, erst ins französische und dann ins kanadische. „Mein Leben gegen den Koran“ heißt das viel beachtete Buch der Journalistin aus dem Jahr 2009. Heute pendelt Djemila, die auch in der ­„Parti Québécois“ aktiv ist, zwischen Kanada und Europa. Sie will denen eine Stimme geben, denen PolitikerInnen viel zu ­wenig zuhören: den muslimischen Frauen.

Djemila, warum wollen dich die Imame um jeden Preis zum Schweigen bringen?
Sie wollen an mir ein Exempel statuieren. Die Botschaft lautet: Alle, die sich trauen, den Islam oder den Islamismus zu kritisieren, laufen Gefahr, vor Gericht zu landen. Und das können sich ja viele gar nicht leisten. Bei mir haben sie sich durch zwei Instanzen geklagt – aber ich habe zwei Mal gewonnen. Und ich habe auch sehr viel Unterstützung bekommen, emotional wie finanziell. Die Menschen stehen hinter mir, weil sie wissen, wie wichtig mein Anliegen ist. Sie wissen, dass ich nur eine von vielen bin. Wenn diese Koranschule Erfolg gehabt hätte, wäre das ein Sieg über die Meinungsfreiheit und das Recht auf die freie Rede gewesen. Zurück geblieben wäre das große Schweigen, nicht nur in Quebec.

Unterschätzt Kanada die Bedrohung durch den Islamismus?
Na ja, Politikerinnen und Politikern geht es vor allem darum, Wahlen zu gewinnen. Und wie gewinnt man Wahlen? Mit einer breiten Unterstützung in der Bevölkerung. Religiöse Gruppen spielen da eine große Rolle, weil sie Einfluss haben – und Geld. Es handelt sich also um ein sehr kurzsichtiges Kalkül und um eine Art Komplizenschaft. Die Islamisten aber haben eine langfristige Agenda. Sie unterwandern die Gesellschaft, die Institutionen und den Staat. Sie wollen die Rede- und Meinungsfreiheit abschaffen. Und auch die Menschenrechte, insbesondere die Rechte von Frauen und Homosexuellen. Und sie können es sich leisten, sie werden ja von Staaten wie Saudi-Arabien finanziert.

Wie kann das in einem aufgeklärten Land wie Kanada möglich sein?
Weil wir in einem multikulturellen Land leben. Jetzt könnte man meinen, beim Multikulturalismus ging es alleine darum, dass wir alle gemeinsam leben und die ­jeweilige Kultur der anderen akzeptieren. Aber das ist nicht der Fall. Hier soll jeder einfach nur genau da bleiben, wo er ist. Entwicklung oder auch, dass Menschen Teil einer anderen Community werden, ist nicht erwünscht. Die Menschen sollen untereinander heiraten und auf die ­Schule gehen, auf die alle aus ihrer Community gehen. Und das führt dann zu ­einer Gettoisierung und zum gesellschaftlichen Stillstand. Das hilft den Islamisten, Macht zu gewinnen. Weil sie nicht kritisiert werden dürfen. Und das ist fatal. Der Multikulturalismus ist gescheitert.

Manche sehen es als eine der Stärken ­Kanadas an, dass die Menschen hier die Möglichkeit haben, ungestört ihre eigene Kultur zu leben.
Das verstehe ich. Aber es ist doch genau so wichtig, dass man in einer Gesellschaft ­gemeinsame Werte teilt – zum Beispiel die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Es gibt in Kanada ja auch keine natio­nale Kultur. Und das ist gewollt. Denn wenn es eine gäbe, gälte das als „respektlos“ gegenüber Menschen aus anderen Kulturen. Doch ich finde es absurd, die universellen Menschenrechte zu verneinen.

Fühlst du dich denn von dem erklärten ­Feministen Justin Trudeau gut vertreten?
Nein, gar nicht! Für mich ist Justin Trudeau ein Witz. Er inszeniert sich als Feminist, aber sehen wir uns doch mal seine konkreten Handlungen an! Die richten sich eher gegen die universellen Frauenrechte. Weil er den radikalen Islam toleriert. Mehr noch: Er stellt den radikalen Islam als Modell für alle Muslime dar. Für ihn ist es zum Beispiel auch überhaupt gar kein Problem, in einer Moschee, in der Männer und Frauen nicht gemeinsam beten dürfen, einfach vor einem rein männlichen Publikum zu sprechen.

Warum ignoriert Trudeau die Geschlechterapartheid der Islamisten?
Weil es sich gut macht, wenn man tolerant ist. Und deswegen toleriert er den ­radikalen Islam. Er hat ja auch keine Probleme damit, Fotos gemeinsam mit vollverschleierten Frauen zu machen. Er möchte für die ganze Welt ein Vorbild sein. Für Trudeau versagt Europa in Sachen Integration. Und er will demonstrieren, dass er schafft, was die Europäische Union nicht schafft.

Dein Vater ist Algerier, deine Mutter kommt aus Zypern. Du bist in Algerien aufgewachsen. Warum lebst du jetzt hier?
Ich habe Algerien 1994, also auf dem Höhepunkt der „schwarzen Jahre“, verlassen. Damals sind innerhalb von acht Jahren von den Islamisten über 200.000 Menschen massakriert worden – alle, die nicht auf den Knien lagen. Ich bin dann erst mal nach Frankreich gezogen. Aber das war mir vom Gefühl her einfach noch zu nah an Algerien dran. Ich wollte einen echten Schnitt machen.

Warum?
Weil es sehr weh getan hat, aus Algerien wegzugehen. So wie es bis heute weh tut, an Algerien zu denken. Und Kanada hat damals allen meinen Ansprüchen entsprochen: Ich wollte in einem Land leben, das demokratisch ist, in dem Frauen respektiert werden und das offen gegenüber Einwanderern ist.

Hat sich das inzwischen verändert?
Ja. Als ich damals hier angekommen bin, habe ich nie über Algerien oder über den Islamismus gesprochen. Ich dachte, diese schrecklichen Themen hätte ich hinter mir gelassen. Aber ich habe mich geirrt. Sie scheinen hinter mir her zu sein (lacht).

Inwiefern?
Wofür kämpfen wir denn, bitte? Für die Freiheit! Es ist ja vor allem die rückschrittliche Linke, die behauptet, es wäre doch gar nichts dabei, wenn Frauen einen Hidschab tragen – oder sogar einen Niqab. Sie hinterfragen nicht, wofür der Schleier steht. Denn das ist ja nicht nur irgendein Stück Stoff! Sondern ein politisches Symbol. Aber die Linken glauben, sie würden Musliminnen verteidigen, wenn sie Pro-Hidschab sind. Dabei verteidigen sie lediglich die Islamisten, diese Faschisten des 21. Jahrhunderts.

Du hast in deiner Heimatstadt Oran in ­Algerien erlebt, wie bewaffnete islamistische Gruppen die Frauen mit Gewalt unter den Schleier gezwungen haben.
Ja, und deswegen sehen Frauen wie ich ja auch Entwicklungen, die andere vielleicht gar nicht bemerken. Wir wissen, was da auf uns zukommt. Der Hidschab oder auch die Burka sind nur die Vorboten. Und die Strategien, mit denen Islamisten nach der Macht greifen, sind überall dieselben: in Algerien, in Ägypten, in Marokko und auch in Tunesien oder im Iran. Wir kennen die Methoden. Und das alles kommt jetzt auch auf die demokratischen Länder im Westen zu.

Wie hast du die Machtergreifung der Islamisten in Algerien erlebt?
Ich mache es kurz: Mein Leben in Algerien war wie ein Traum. Algerien war ein wunderschönes Land zwischen dem Meer und den Bergen, ich bin in einer tollen Familie groß geworden. Wir haben es ­geliebt, zu essen und zu trinken und das Leben zu genießen. Meine Eltern waren politisch aktiv und haben für die Demokratie, den Laizismus und die Menschenrechte gekämpft. Und eines Tages sind wir aufgewacht – und alles hatte sich verändert. Und wir haben uns angeschaut und uns gefragt: Wie kann es sein, dass wir diesen Tsunami, der da auf uns zugerollt ist, nicht bemerkt haben?

Hast du darauf heute eine Antwort?
Ja, natürlich. Es gab keine Trennung zwischen Staat und Religion. Wir haben nie die Agenda der Frauen gepusht. Wir haben auch nie die Bildung vorangetrieben. Die Linken waren nur fixiert auf die Ökonomie – und die Frage ob die gut oder böse ist. So schafft man keine emanzipierte Gesellschaft.

Aber die Algerierinnen sind doch auf die Straße gegangen.
Natürlich! Stell dir vor, du wachst eines Tages auf – und Gewalt und Sexismus sind allgegenwärtig. Ich habe in Oran gelebt und das war immer eine friedliche, ruhige Stadt. Unsere Haustüren standen stets offen. Bis die Islamisten kamen. Ab da mussten wir die Türen verriegeln. Sie haben unser ganzes Leben verändert. Aber wir haben versucht, uns zu wehren. Wir hatten ja schon am Beispiel Iran gesehen, was da auf uns zukommt. Und das iranische Modell lehrt einen: Niemals mit Islamisten dealen! Denn es geht ihnen immer um das gleiche: Sie wollen die Demokratie abschaffen. Und den Gottesstaat einführen.
Kanada und Deutschland verhandeln bis heute mit islamistischen Parteien oder Gruppierungen. Weil es ihnen nur ums Geld geht. Und das macht die ­Demokratien schwach. Aber damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich fordere nicht, die Beziehungen zu diesen Ländern abzubrechen. Es ist wichtig, weiterhin im Gespräch zu bleiben. Aber das heißt nicht, dass wir unsere demokratischen Werte hintenanstellen dürfen.

In Deutschland sind die ersten Ansprechpartner der Politiker ausgerechnet die konservativen bis islamistischen Moschee-Verbände, die offen für die Einführung der Scharia plädieren.
Ja, das ist die Lobby der IslamistInnen! Und in den westlichen Ländern nutzen sie den Minderheiten-Status aus, um sich als diskriminierte Gruppe zu inszenieren. Sie benutzen also die Demokratie, um den radikalen Islam voranzutreiben. In Ländern wie Algerien lief das anders, da waren die Islamisten ja in den 90er-Jahren in der Mehrheit.

In Deutschland haben wir noch ein anderes Problem: Parallel zu den Islamisten wird auch der Rechtspopulismus stark.
In Kanada ist das Problem zum Glück nicht so groß. Noch nicht! Aber der Hass dieser Menschen wird von unseren Politikern genährt – weil sie nicht halten, was sie versprechen. Daraus werden die Rechten dann ihre Legitimation ableiten. Und natürlich haben sie auch Dank Trump Rückenwind.

Was müssen unsere Politiker tun, um die Gefahr des Islamismus einzudämmen?
Die ersten Verbündeten müssen immer die demokratischen, die liberalen Muslime sein. Aber scheinbar ist in den Köpfen der westlichen Politiker kein Platz für ­liberale Muslime. Diese Politiker pflegen mit Islamisten Kontakte, weil sie ja so mächtig sind. Aber was ist mit den Demokraten, den Feministinnen, den jungen Menschen, der Bevölkerung? Die werden vergessen! Sie sollen einfach jede Bürgerin und jeden Bürger gleichwertig behandeln – auch die Muslime. Das ist ja im Prinzip das einzige, was ich fordere.

Fühlst du dich vom Westen verraten?
Von den Politikerinnen und Politikern – ja, auf jeden Fall! Von der rückschrittlichen Linken – ganz sicher! Aber von der Bevölkerung fühle ich mich unterstützt. Es gibt einen großen Unterschied zwischen denen oben und der Basis. Die Basis versteht, dass es so etwas wie Werte und Regeln gibt, die wir bewahren sollten. Ich fühle mich diesen Menschen sehr viel näher als der politischen Elite. Und ich habe ja auch ein Ziel: Ich will meine Erfahrungen mit so vielen Menschen teilen wie möglich! Die Frauenfrage ist die Schlüsselfrage, in allen Ländern, in denen die Islamisten nach der Macht greifen.

Warum fällt es auch manchen Feministinnen in Deutschland wie Kanada so schwer, Schulter an Schulter mit Frauen wie dir zu kämpfen?
Weil sie Kulturrelativistinnen sind. Weil sie scheinbar davon ausgehen, dass muslimische Frauen irgendwie anders sind als westliche Frauen. Vermutlich glauben sie, dass wir mit dem Schleier auf die Welt kommen und mit dem Schleier begraben werden. Dabei haben die meisten von uns noch nie einen Schleier getragen! Wenn wir uns mal daran erinnern, was die Frauen alles erkämpft haben, wie ­mutig sie für die Selbstbestimmung über ihren Körper und ihren Geist gekämpft haben – und jetzt verteidigen ausgerechnet Feministinnen eine Ideologie, die den muslimischen Frauen diese Freiheit und diese Selbstbestimmung abspricht. ­Wa­rum tragen diese Feministinnen, so genannten „Antirassistinnen“, nicht einfach selbst mal den Hidschab.

Gibt es Kontakte zwischen Frauen wie dir und Frauen in den arabischen und nord­afrikanischen Ländern?
Es braucht einfach noch Zeit, um die Frauen zu vernetzen. Aber natürlich gibt es das Anliegen! Da, wo es eine Ungerechtigkeit gibt, gibt es auch einen Widerstand dagegen. Und die Frauen in diesen Ländern sind sehr, sehr stark. Weil ihr Leiden so unglaublich groß ist (sie weint). Ich habe diese Frauen erlebt, in Afghanistan und in den nordafrikanischen Ländern.

Was können wir im Westen tun, um diese Musliminnen besser zu unterstützen?
Wir müssen ihnen endlich die Gelegenheit geben, ihr Anliegen zu formulieren! Ein Beispiel: Ich habe eine Freundin in Algerien, sie ist die Schwester von Katia Bengana, die als junges Mädchen von den Islamisten auf der Straße erschossen wurde, weil sie sich geweigert hat, ein Kopftuch zu tragen. Es vergeht keine Woche, in der ihre Schwester nicht über Katia im Internet schreibt. Aber sie hat kein großes Forum, das lesen also nur ihre Facebook-FreundInnen. Und das ist zu wenig! Solche Frauen brauchen mehr Raum, um über ihre Erfahrungen zu sprechen – und über ihre Hoffnungen.

Anstatt ihnen im Namen des Antirassismus den Mund zu verbieten?
Ja, das ist das Schlimmste! Das ist eine Methode, die Erinnerung dieser Frauen zu töten. Statt über die Unterdrückung der Frauen zu reden, referieren sie über Intersektionalismus, dieses US-amerikanische Monsterkonstrukt, mit dem sie versuchen, die Frauen zu spalten. Sie stecken die Frauen in kleine Schubladen: lesbische Frauen zu lesbischen Frauen, muslimische Frauen zu muslimischen Frauen – und dann darf jeder nur für sich sprechen. Das macht doch überhaupt keinen Sinn! Wir müssen doch für die Rechte aller Menschen kämpfen!

Hast du noch einen Wunsch an die ­EMMA-Leserinnen?
Ja, helft uns! Helft uns, unsere Schmerzen, Hoffnungen und Ideale zu verbreiten.

Das Gespräch führte Alexandra Eul.

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Burkaverbot: Der Schrei von Djemila

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Ich habe unter den Bedingungen einer islamistischen Diktatur gelebt. Das war Anfang der 90er Jahre. Ich war noch keine 18 Jahre alt. Ich war schuldig, weil ich eine Frau war, weil ich Feministin war und weil ich für die Trennung von Staat und Religion eintrat.

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Ich muss Ihnen gestehen, dass ich nicht Feministin und Laizistin aus Neigung bin, ich bin es aus Notwendigkeit, gezwungenermaßen, aus leidvoller Erfahrung. Denn ich kann mich nicht damit abfinden, hier und überall auf der Welt den politischen Islamismus auf dem Vormarsch zu sehen. Ich bin Feministin und Laizistin geworden, weil ich um mich herum Frauen leiden sah, schweigend, eingesperrt hinter verschlossenen Türen, um ihr Geschlecht und ihr Leid zu verbergen, um ihre Sehnsüchte zu ersticken und ihre Träume zum Schweigen zu bringen.

Es gab eine Zeit, da machte man sich in Frankreich Gedanken um das Tragen des islamischen Kopftuchs in der Schule. Heute geht es um den Ganzkörperschleier. Statt den Geltungsbereich des Gesetzes von 2004 auf die Universitäten auszuweiten, diskutieren wir darüber, ob wir wandelnde Särge auf unseren Straßen zulassen sollen. Ist das noch normal? Morgen steht vielleicht die Polygamie auf der Tagesordnung. Lachen Sie nicht. In Kanada ist das passiert, und die Gerichte mussten eingreifen. Denn schließlich hat die Kultur einen breiten Rücken, wenn es darum geht, die Frauen zu unterdrücken.

Ironie des Schicksals: In mehreren Stadtvierteln habe ich festgestellt, dass die Röcke länger werden und die Farbpalette eintöniger wird. Es ist üblich geworden, den eigenen Körper unter einem Schleier zu verbergen. Einen Rock zu tragen wird nun zu einem Akt des Widerstands. Während sich die Frauen in den Straßen Teherans und Khartums unter Gefährdung ihres Lebens immer freizügiger kleiden, ist in abgelegenen Gegenden der Französischen Republik der Schleier zur Norm geworden.

Was geht hier vor? Ist Frankreich krank? Der islamische Schleier wird oft als Teil der „gemeinsamen moslemischen Identität“ dargestellt. Das ist falsch. Er ist überall auf der Welt das Symbol des moslemischen Fundamentalismus. Wenn er eine besondere Bedeutung hat, dann eher eine politische, vor allem seit dem Beginn der islamischen Revolution im Iran 1979.

Der politische Islamismus ist nicht Ausdruck einer kulturellen Besonderheit, wie hier und da behauptet wird. Er ist eine politische Angelegenheit, eine kollektive Bedrohung, die mit der Verbreitung einer gewaltverherrlichenden, sexistischen, frauenfeindlichen, rassistischen und homosexuellenfeindlichen Ideologie das Fundament der Demokratie angreift.

Wir haben erlebt, wie die islamistischen Bewegungen im feigen Einvernehmen und mit Unterstützung bestimmter Teile der Linken die tiefgehende Rückschrittlichkeit zementieren, die sich mitten in unseren Städten eingenistet hat. In Kanada wäre es fast zur Einrichtung islamischer Gerichte gekommen. In Großbritannien ist das in vielen Gemeinden bereits der Regelfall. Von einem Ende des Planeten bis zum andern verbreitet sich das Tragen des islamischen Schleiers und wird zur Gewohnheit, manche halten ihn sogar für eine annehmbare Alternative, denn er sei immer noch besser als die Burka!

Was sagen wir zu der nachgiebigen Haltung der westlichen Demokratien, wenn es um die wesentlichen Grundlagen des Zusammenlebens und des Gemeinwesens geht, um die Verteidigung des staatlichen Schulsystems, die öffentlichen Dienstleistungen und die Neutralität des Staates? Was sagen wir zum Rückzug in der Abtreibungsfrage hier in Frankreich?

Als der FIS (Front islamique du salut – Islamische Heilsfront) Anfang der 90er Jahre meine Heimat Algerien mit Krieg überzog und Tausende von Algeriern ermordete, begriff ich die Notwendigkeit der Trennung von Staat und Religion. Seitdem hat sich, wie wir heute feststellen müssen, nicht viel verändert.
Noch immer werden weltweit sehr viele Frauen erniedrigt, geschlagen, vergewaltigt, verstoßen, ermordet, verbrannt, ausgepeitscht und gesteinigt. Und in wessen Namen? Im Namen der Religion, in diesem Fall eines instrumentalisierten Islams.

Weil sie eine arrangierte Ehe oder das Tragen des islamischen Schleiers verweigern, die Scheidung verlangen oder Hosen getragen haben, Auto gefahren oder ohne männliche Erlaubnis aus dem Haus gegangen sind, müssen Frauen, sehr viele Frauen, die Barbarei am eigenen Leib erdulden. Ich denke besonders an unsere iranischen Schwestern, die auf den Straßen Teherans demonstrierten, um Ahmadinejad, einem der schlimmsten Diktatoren der Welt, Angst zu machen. Ich denke an Neda, die junge Iranerin, die im Alter von 26 Jahren getötet wurde. Wir alle sahen das Bild, wie Neda am Boden liegt und ihr das Blut aus dem Mund läuft. Ich denke an Nojoud Ali, die kleine zehnjährige Jemenitin, die nach der Zwangsverheiratung mit einem Mann, der dreimal so alt war wie sie, um das Recht auf Scheidung kämpfte und es bekam. Ich denke an Loubna Al-Hussein, die im vergangenen Sommer durch ihre Kleidungswahl die Regierung in Karthum in Angst und Schrecken versetzte.

Bereits 1984 wurde in Algerien ein Familiengesetz beschlossen, das sich an der islamischen Scharia orientierte. Ich war damals zwölf Jahre alt. Dieses Gesetz verlangt von der Ehefrau Gehorsam gegenüber ihrem Mann und ihren Schwiegereltern, erlaubt die Verstoßung, die Polygamie, entlässt die Frau aus der elterlichen Verantwortung und erlaubt dem Ehemann, seine Frau zu züchtigen. Im Erbschaftsrecht wie bei Zeugenaussagen wird die Ungleichheit zum System erhoben, denn die Stimme zweier Frauen zählt so viel wie die eines Mannes, und das gleiche gilt bei Erbanteilen.

Die Frauen in den islamischen Ländern leben unter den schlimmsten Bedingungen weltweit. Das ist eine Tatsache, die wir erkennen müssen. Darin besteht unsere oberste Solidaritätspflicht gegenüber all den Frauen, die den schlimmsten Gewaltregimen auf der Welt die Stirn bieten. Wer wollte das bestreiten? Wer wollte dem widersprechen? Wer wollte das Gegenteil behaupten? Die Islamisten und ihre Komplizen? Natürlich. Aber nicht nur sie.

Es gibt auch einen Relativismus, eine politische Tendenz, die fordert, wir müssten im Namen der Kulturen und der Traditionen Rückschrittlichkeit akzeptieren. Man verdammt die anderen dazu, Opfer zu bleiben, und behandelt uns als Rassisten und Islamgegner, wenn wir für die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Trennung von Staat und Religion eintreten. Und dieselbe Linke empfängt mit offenen Armen Tarik Ramadan (Anm.d.Red.: Enkel des Gründers der fundamentalistischen Muslim-Brüder in Ägypten und heute einer der islamistischen Vordenker in Europa), damit er sich landauf, landab aufspielen und die republikanischen Werte niedermachen kann.

Ich sage euch: In meiner Kultur gibt es nichts, was mich als Frau dazu bestimmt, unter einem Leichentuch als dem zur Schau getragenen Symbol von Andersartigkeit zum Verschwinden gebracht zu werden. Nichts, was mich dazu prädestiniert, den Sieg eines Schwachsinnigen, eines Dummkopfs und eines Feiglings zu akzeptieren, vor allem, wenn das Mittelmaß zum Richter erhoben wird. Nichts, was mein Geschlecht darauf vorbereitet, zerstückelt zu werden, ohne dass mein Leib daran erstickt. Nichts, weshalb ich dazu ausersehen wäre, mich an Peitsche oder Stachel zu gewöhnen. Nichts, was mich dazu verurteilt, Schönheit und Lust abzulehnen. Nichts, was mich dafür empfänglich macht, die Kälte der rostigen Klinge an meinem Hals zu spüren.

Und wäre das der Fall, würde ich ohne Reue und Gewissensbisse den Bauch meiner Mutter, die Zärtlichkeit meines Vaters und die Sonne, unter der ich aufgewachsen bin, verfluchen.

Es ist möglich, die Gesellschaft durch unseren Mut, unsere Entschlossenheit und unsere Kühnheit voranzubringen. Das ist nicht leicht. Keineswegs. Die Wege zur Freiheit sind immer steile Wege. Aber es sind die einzigen Wege, die zur Emanzipation der Menschheit führen. Ich kenne keine anderen. Dieser wunderbare Moment der Geschichte, unserer Geschichte, lehrt uns, dass erdulden nicht bedeutet, sich zu unterwerfen. Denn neben den Ungerechtigkeiten und den Erniedrigungen gibt es auch den Widerstand.

Widerstand zu leisten, heißt, sich das Recht zu nehmen, das eigene Schicksal selbst zu bestimmen. Das bedeutet für mich Feminismus. Kein individuelles, sondern ein gemeinsames Leben für die Würde aller Frauen. Ich verbünde mich als Frau mit allen, die von Gleichberechtigung und von der Trennung von Staat und Religion als den Grundlagen der Demokratie träumen, und gebe dadurch meinem Leben einen Sinn.

Die Geschichte ist reich an Beispielen von Religionen, die sich über die Privatsphäre hinaus in den öffentlichen Raum ausweiten und zum Gesetz werden. Verliererinnen sind dabei immer zuallererst die Frauen. Doch nicht nur sie. Wenn Gottesgebot und Menschengesetz miteinander vermengt werden, um alles Tun bis ins kleinste zu lenken, kommt es zu einer plötzlichen Erstarrung des Lebens in seiner ganzen Vielfalt. Es gibt keinen Raum mehr für den Fortschritt der Wissenschaft, für Literatur, Theater, Musik, Tanz, Malerei, Film, kurz, keinen Raum mehr zum Leben. Nur immer mehr Rückschrittlichkeit und Verbote.

Eben deshalb habe ich eine tiefe Abneigung gegen jeden Fundamentalismus, welcher Art auch immer, denn ich liebe das Leben. Ihr müsst bedenken: Wenn die Religion Staat und Gesellschaft beherrscht, bewegen wir uns nicht mehr im Raum des Möglichen, wir können nichts mehr in Frage stellen, wir beziehen uns nicht mehr auf Vernunft und Rationalität, die der Aufklärung so wichtig waren. Es scheint mir unerlässlich, durch die Stärkung der Neutralität des Staates den öffentlichen und den privaten Raum voneinander zu trennen, denn nur die Trennung von Staat und Religion macht es möglich, einen gemeinsamen Raum zu schaffen, sagen wir, einen staatsbürgerlichen Bezugsrahmen, fern von allem Glauben und allem Unglauben, um die Zivilgesellschaft gestalten zu können.

Monsieur Gérin (Anm.d.Red.: der Bürgermeister, der die Initiative zum Verbot der Burka ergriff), ich wende mich an Sie, ich möchte mit Ihnen sprechen, Ihnen von der Angst erzählen, die ich am 25. März 1994 empfunden habe, als ich noch in Oran in Algerien lebte und die GIA (Bewaffnete islamische Gruppe) den Frauen in meiner Heimat befahl, den islamischen Schleier zu tragen. An dem Tag ging ich mit unbedecktem Kopf, wie Millionen andere Algerierinnen auch. Wir haben dem Tod die Stirn geboten. Wir haben mit den Schlächtern der GIA Versteck gespielt, und über unseren unbedeckten Köpfen schwebte die Erinnerung an Katia Bengana, eine 17-jährige Gymnasiastin, die am 28. Februar 1994 vor ihrer Schule ermordet worden war, weil sie unverschleiert war.

Es gibt Schlüsselereignisse im Leben, die dem Schicksal des Einzelnen eine besondere Richtung geben. Für mich war dies so eines. Seit diesem Tag habe ich eine tiefe Abneigung gegen alles, was Hidschab, Schleier, Burka, Niqab, Tschador, Dschilbab, Khimar oder ähnlich heißt. Heute nun stehen Sie an der Spitze einer parlamentarischen Kommission, die sich mit dem Tragen des Ganzkörperschleiers in Frankreich befassen soll.

Man täusche sich nicht. Der islamische Schleier verbirgt die Angst vor den Frauen, vor ihrem Körper, ihrer Freiheit und ihrer Sexualität. Schlimmer noch, die Perversion wird auf die Spitze getrieben, wenn man Mädchen unter fünf Jahren verschleiert. Wann genau sah ich in Algerien diesen Schleier in den Klassenzimmern auftauchen? Während meiner Kindheit und bis zu meinem Übergang auf das Gymnasium im Jahr 1987 war das Tragen des islamischen Schleiers in meiner Umgebung eine Randerscheinung. In der Grundschule trug niemand den Hidschab, nicht unter den Lehrerinnen und erst recht nicht unter den Schülerinnen.

Jetzt lebe ich seit zwölf Jahren im kanadischen Québec, dessen Devise auf allen Nummernschildern der Autos geschrieben steht: „Ich erinnere mich“. Apropos Erinnerung: Woran sollte sich Frankreich erinnern? Dass es das Land der Aufklärung war! Dass Millionen von Frauen die Bücher von Simone de Beauvoir lesen, deren Name untrennbar mit dem von Djamila Boupacha verbunden ist (Anm.d.Red.: Eine Algerierin, die während des Algerienkriegs von französischen Soldaten gefoltert wurde und dank des Einsatzes von Beauvoir freikam).

Deshalb erwarten wir gerade von Ihnen, dass Sie Mut und Verantwortungsbewusstsein zeigen und das Tragen der Burka verbieten. Und ich schließe mit einem Zitat von Simone de Beauvoir: „Wir haben das Recht zu schreien, aber unser Schrei muss auch gehört werden. Er muss bei anderen Widerhall finden.“
Ich setze meine Hoffnung darauf, dass Sie meinen Schrei hören.

Übersetzung: Sigrid Vagt

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