Djemila Benhabib: „Helft uns!“
Am Tag unserer Begegnung hat Djemila Benhabib blendende Laune. Sie hat gerade einen über fünf Jahre währenden Rechtsstreit mit einer Koranschule in Montreal gewonnen. In einem Radiointerview hatte die Kanadierin algerischer Herkunft die Praktiken dieser Schule mit den islamistischen Ausbildungscamps in Pakistan und Afghanistan verglichen. Und sie hatte die Geschlechterapartheid sowie den Schleierzwang kritisiert. Die Schule beschuldigte Benhabib der „Rufschädigung“, klagte sich durch mehrere Instanzen – und verlor. „Ein Sieg für die Meinungsfreiheit“, findet Benhabib.
Sie hat in ihrem Garten in der Quebecer Industriestadt Trois-Rivières ein köstliches Essen für mich vorbereitet, um über ein ernstes Thema zu sprechen: Die Agitation der Islamisten, nicht nur in Kanada. Dagegen kämpft die 45-jährige Tochter eines algerischen Vaters und einer zyprischen Mutter, seit sie in den so genannten „schwarzen Jahren“ aus ihrer Heimat Algerien vor den Islamisten ins Exil geflohen ist, erst ins französische und dann ins kanadische. „Mein Leben gegen den Koran“ heißt das viel beachtete Buch der Journalistin aus dem Jahr 2009. Heute pendelt Djemila, die auch in der „Parti Québécois“ aktiv ist, zwischen Kanada und Europa. Sie will denen eine Stimme geben, denen PolitikerInnen viel zu wenig zuhören: den muslimischen Frauen.
Djemila, warum wollen dich die Imame um jeden Preis zum Schweigen bringen?
Sie wollen an mir ein Exempel statuieren. Die Botschaft lautet: Alle, die sich trauen, den Islam oder den Islamismus zu kritisieren, laufen Gefahr, vor Gericht zu landen. Und das können sich ja viele gar nicht leisten. Bei mir haben sie sich durch zwei Instanzen geklagt – aber ich habe zwei Mal gewonnen. Und ich habe auch sehr viel Unterstützung bekommen, emotional wie finanziell. Die Menschen stehen hinter mir, weil sie wissen, wie wichtig mein Anliegen ist. Sie wissen, dass ich nur eine von vielen bin. Wenn diese Koranschule Erfolg gehabt hätte, wäre das ein Sieg über die Meinungsfreiheit und das Recht auf die freie Rede gewesen. Zurück geblieben wäre das große Schweigen, nicht nur in Quebec.
Unterschätzt Kanada die Bedrohung durch den Islamismus?
Na ja, Politikerinnen und Politikern geht es vor allem darum, Wahlen zu gewinnen. Und wie gewinnt man Wahlen? Mit einer breiten Unterstützung in der Bevölkerung. Religiöse Gruppen spielen da eine große Rolle, weil sie Einfluss haben – und Geld. Es handelt sich also um ein sehr kurzsichtiges Kalkül und um eine Art Komplizenschaft. Die Islamisten aber haben eine langfristige Agenda. Sie unterwandern die Gesellschaft, die Institutionen und den Staat. Sie wollen die Rede- und Meinungsfreiheit abschaffen. Und auch die Menschenrechte, insbesondere die Rechte von Frauen und Homosexuellen. Und sie können es sich leisten, sie werden ja von Staaten wie Saudi-Arabien finanziert.
Wie kann das in einem aufgeklärten Land wie Kanada möglich sein?
Weil wir in einem multikulturellen Land leben. Jetzt könnte man meinen, beim Multikulturalismus ging es alleine darum, dass wir alle gemeinsam leben und die jeweilige Kultur der anderen akzeptieren. Aber das ist nicht der Fall. Hier soll jeder einfach nur genau da bleiben, wo er ist. Entwicklung oder auch, dass Menschen Teil einer anderen Community werden, ist nicht erwünscht. Die Menschen sollen untereinander heiraten und auf die Schule gehen, auf die alle aus ihrer Community gehen. Und das führt dann zu einer Gettoisierung und zum gesellschaftlichen Stillstand. Das hilft den Islamisten, Macht zu gewinnen. Weil sie nicht kritisiert werden dürfen. Und das ist fatal. Der Multikulturalismus ist gescheitert.
Manche sehen es als eine der Stärken Kanadas an, dass die Menschen hier die Möglichkeit haben, ungestört ihre eigene Kultur zu leben.
Das verstehe ich. Aber es ist doch genau so wichtig, dass man in einer Gesellschaft gemeinsame Werte teilt – zum Beispiel die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Es gibt in Kanada ja auch keine nationale Kultur. Und das ist gewollt. Denn wenn es eine gäbe, gälte das als „respektlos“ gegenüber Menschen aus anderen Kulturen. Doch ich finde es absurd, die universellen Menschenrechte zu verneinen.
Fühlst du dich denn von dem erklärten Feministen Justin Trudeau gut vertreten?
Nein, gar nicht! Für mich ist Justin Trudeau ein Witz. Er inszeniert sich als Feminist, aber sehen wir uns doch mal seine konkreten Handlungen an! Die richten sich eher gegen die universellen Frauenrechte. Weil er den radikalen Islam toleriert. Mehr noch: Er stellt den radikalen Islam als Modell für alle Muslime dar. Für ihn ist es zum Beispiel auch überhaupt gar kein Problem, in einer Moschee, in der Männer und Frauen nicht gemeinsam beten dürfen, einfach vor einem rein männlichen Publikum zu sprechen.
Warum ignoriert Trudeau die Geschlechterapartheid der Islamisten?
Weil es sich gut macht, wenn man tolerant ist. Und deswegen toleriert er den radikalen Islam. Er hat ja auch keine Probleme damit, Fotos gemeinsam mit vollverschleierten Frauen zu machen. Er möchte für die ganze Welt ein Vorbild sein. Für Trudeau versagt Europa in Sachen Integration. Und er will demonstrieren, dass er schafft, was die Europäische Union nicht schafft.
Dein Vater ist Algerier, deine Mutter kommt aus Zypern. Du bist in Algerien aufgewachsen. Warum lebst du jetzt hier?
Ich habe Algerien 1994, also auf dem Höhepunkt der „schwarzen Jahre“, verlassen. Damals sind innerhalb von acht Jahren von den Islamisten über 200.000 Menschen massakriert worden – alle, die nicht auf den Knien lagen. Ich bin dann erst mal nach Frankreich gezogen. Aber das war mir vom Gefühl her einfach noch zu nah an Algerien dran. Ich wollte einen echten Schnitt machen.
Warum?
Weil es sehr weh getan hat, aus Algerien wegzugehen. So wie es bis heute weh tut, an Algerien zu denken. Und Kanada hat damals allen meinen Ansprüchen entsprochen: Ich wollte in einem Land leben, das demokratisch ist, in dem Frauen respektiert werden und das offen gegenüber Einwanderern ist.
Hat sich das inzwischen verändert?
Ja. Als ich damals hier angekommen bin, habe ich nie über Algerien oder über den Islamismus gesprochen. Ich dachte, diese schrecklichen Themen hätte ich hinter mir gelassen. Aber ich habe mich geirrt. Sie scheinen hinter mir her zu sein (lacht).
Inwiefern?
Wofür kämpfen wir denn, bitte? Für die Freiheit! Es ist ja vor allem die rückschrittliche Linke, die behauptet, es wäre doch gar nichts dabei, wenn Frauen einen Hidschab tragen – oder sogar einen Niqab. Sie hinterfragen nicht, wofür der Schleier steht. Denn das ist ja nicht nur irgendein Stück Stoff! Sondern ein politisches Symbol. Aber die Linken glauben, sie würden Musliminnen verteidigen, wenn sie Pro-Hidschab sind. Dabei verteidigen sie lediglich die Islamisten, diese Faschisten des 21. Jahrhunderts.
Du hast in deiner Heimatstadt Oran in Algerien erlebt, wie bewaffnete islamistische Gruppen die Frauen mit Gewalt unter den Schleier gezwungen haben.
Ja, und deswegen sehen Frauen wie ich ja auch Entwicklungen, die andere vielleicht gar nicht bemerken. Wir wissen, was da auf uns zukommt. Der Hidschab oder auch die Burka sind nur die Vorboten. Und die Strategien, mit denen Islamisten nach der Macht greifen, sind überall dieselben: in Algerien, in Ägypten, in Marokko und auch in Tunesien oder im Iran. Wir kennen die Methoden. Und das alles kommt jetzt auch auf die demokratischen Länder im Westen zu.
Wie hast du die Machtergreifung der Islamisten in Algerien erlebt?
Ich mache es kurz: Mein Leben in Algerien war wie ein Traum. Algerien war ein wunderschönes Land zwischen dem Meer und den Bergen, ich bin in einer tollen Familie groß geworden. Wir haben es geliebt, zu essen und zu trinken und das Leben zu genießen. Meine Eltern waren politisch aktiv und haben für die Demokratie, den Laizismus und die Menschenrechte gekämpft. Und eines Tages sind wir aufgewacht – und alles hatte sich verändert. Und wir haben uns angeschaut und uns gefragt: Wie kann es sein, dass wir diesen Tsunami, der da auf uns zugerollt ist, nicht bemerkt haben?
Hast du darauf heute eine Antwort?
Ja, natürlich. Es gab keine Trennung zwischen Staat und Religion. Wir haben nie die Agenda der Frauen gepusht. Wir haben auch nie die Bildung vorangetrieben. Die Linken waren nur fixiert auf die Ökonomie – und die Frage ob die gut oder böse ist. So schafft man keine emanzipierte Gesellschaft.
Aber die Algerierinnen sind doch auf die Straße gegangen.
Natürlich! Stell dir vor, du wachst eines Tages auf – und Gewalt und Sexismus sind allgegenwärtig. Ich habe in Oran gelebt und das war immer eine friedliche, ruhige Stadt. Unsere Haustüren standen stets offen. Bis die Islamisten kamen. Ab da mussten wir die Türen verriegeln. Sie haben unser ganzes Leben verändert. Aber wir haben versucht, uns zu wehren. Wir hatten ja schon am Beispiel Iran gesehen, was da auf uns zukommt. Und das iranische Modell lehrt einen: Niemals mit Islamisten dealen! Denn es geht ihnen immer um das gleiche: Sie wollen die Demokratie abschaffen. Und den Gottesstaat einführen.
Kanada und Deutschland verhandeln bis heute mit islamistischen Parteien oder Gruppierungen. Weil es ihnen nur ums Geld geht. Und das macht die Demokratien schwach. Aber damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich fordere nicht, die Beziehungen zu diesen Ländern abzubrechen. Es ist wichtig, weiterhin im Gespräch zu bleiben. Aber das heißt nicht, dass wir unsere demokratischen Werte hintenanstellen dürfen.
In Deutschland sind die ersten Ansprechpartner der Politiker ausgerechnet die konservativen bis islamistischen Moschee-Verbände, die offen für die Einführung der Scharia plädieren.
Ja, das ist die Lobby der IslamistInnen! Und in den westlichen Ländern nutzen sie den Minderheiten-Status aus, um sich als diskriminierte Gruppe zu inszenieren. Sie benutzen also die Demokratie, um den radikalen Islam voranzutreiben. In Ländern wie Algerien lief das anders, da waren die Islamisten ja in den 90er-Jahren in der Mehrheit.
In Deutschland haben wir noch ein anderes Problem: Parallel zu den Islamisten wird auch der Rechtspopulismus stark.
In Kanada ist das Problem zum Glück nicht so groß. Noch nicht! Aber der Hass dieser Menschen wird von unseren Politikern genährt – weil sie nicht halten, was sie versprechen. Daraus werden die Rechten dann ihre Legitimation ableiten. Und natürlich haben sie auch Dank Trump Rückenwind.
Was müssen unsere Politiker tun, um die Gefahr des Islamismus einzudämmen?
Die ersten Verbündeten müssen immer die demokratischen, die liberalen Muslime sein. Aber scheinbar ist in den Köpfen der westlichen Politiker kein Platz für liberale Muslime. Diese Politiker pflegen mit Islamisten Kontakte, weil sie ja so mächtig sind. Aber was ist mit den Demokraten, den Feministinnen, den jungen Menschen, der Bevölkerung? Die werden vergessen! Sie sollen einfach jede Bürgerin und jeden Bürger gleichwertig behandeln – auch die Muslime. Das ist ja im Prinzip das einzige, was ich fordere.
Fühlst du dich vom Westen verraten?
Von den Politikerinnen und Politikern – ja, auf jeden Fall! Von der rückschrittlichen Linken – ganz sicher! Aber von der Bevölkerung fühle ich mich unterstützt. Es gibt einen großen Unterschied zwischen denen oben und der Basis. Die Basis versteht, dass es so etwas wie Werte und Regeln gibt, die wir bewahren sollten. Ich fühle mich diesen Menschen sehr viel näher als der politischen Elite. Und ich habe ja auch ein Ziel: Ich will meine Erfahrungen mit so vielen Menschen teilen wie möglich! Die Frauenfrage ist die Schlüsselfrage, in allen Ländern, in denen die Islamisten nach der Macht greifen.
Warum fällt es auch manchen Feministinnen in Deutschland wie Kanada so schwer, Schulter an Schulter mit Frauen wie dir zu kämpfen?
Weil sie Kulturrelativistinnen sind. Weil sie scheinbar davon ausgehen, dass muslimische Frauen irgendwie anders sind als westliche Frauen. Vermutlich glauben sie, dass wir mit dem Schleier auf die Welt kommen und mit dem Schleier begraben werden. Dabei haben die meisten von uns noch nie einen Schleier getragen! Wenn wir uns mal daran erinnern, was die Frauen alles erkämpft haben, wie mutig sie für die Selbstbestimmung über ihren Körper und ihren Geist gekämpft haben – und jetzt verteidigen ausgerechnet Feministinnen eine Ideologie, die den muslimischen Frauen diese Freiheit und diese Selbstbestimmung abspricht. Warum tragen diese Feministinnen, so genannten „Antirassistinnen“, nicht einfach selbst mal den Hidschab.
Gibt es Kontakte zwischen Frauen wie dir und Frauen in den arabischen und nordafrikanischen Ländern?
Es braucht einfach noch Zeit, um die Frauen zu vernetzen. Aber natürlich gibt es das Anliegen! Da, wo es eine Ungerechtigkeit gibt, gibt es auch einen Widerstand dagegen. Und die Frauen in diesen Ländern sind sehr, sehr stark. Weil ihr Leiden so unglaublich groß ist (sie weint). Ich habe diese Frauen erlebt, in Afghanistan und in den nordafrikanischen Ländern.
Was können wir im Westen tun, um diese Musliminnen besser zu unterstützen?
Wir müssen ihnen endlich die Gelegenheit geben, ihr Anliegen zu formulieren! Ein Beispiel: Ich habe eine Freundin in Algerien, sie ist die Schwester von Katia Bengana, die als junges Mädchen von den Islamisten auf der Straße erschossen wurde, weil sie sich geweigert hat, ein Kopftuch zu tragen. Es vergeht keine Woche, in der ihre Schwester nicht über Katia im Internet schreibt. Aber sie hat kein großes Forum, das lesen also nur ihre Facebook-FreundInnen. Und das ist zu wenig! Solche Frauen brauchen mehr Raum, um über ihre Erfahrungen zu sprechen – und über ihre Hoffnungen.
Anstatt ihnen im Namen des Antirassismus den Mund zu verbieten?
Ja, das ist das Schlimmste! Das ist eine Methode, die Erinnerung dieser Frauen zu töten. Statt über die Unterdrückung der Frauen zu reden, referieren sie über Intersektionalismus, dieses US-amerikanische Monsterkonstrukt, mit dem sie versuchen, die Frauen zu spalten. Sie stecken die Frauen in kleine Schubladen: lesbische Frauen zu lesbischen Frauen, muslimische Frauen zu muslimischen Frauen – und dann darf jeder nur für sich sprechen. Das macht doch überhaupt keinen Sinn! Wir müssen doch für die Rechte aller Menschen kämpfen!
Hast du noch einen Wunsch an die EMMA-Leserinnen?
Ja, helft uns! Helft uns, unsere Schmerzen, Hoffnungen und Ideale zu verbreiten.
Das Gespräch führte Alexandra Eul.
Im Netz
djemilabenhabib.com