#MeToo: Jetzt auch noch der Bikini!

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Am 7. September 1968 passierte etwas für die Welt damals noch sehr Erstaunliches: Ganze Busladungen Frauen machten sich aus New York, aus Miami, aus Boston, ach: aus allen Ecken der Vereinigten Staaten auf den Weg nach Atlantic City. Im Gepäck hatten sie Protestschilder und die sogenannte „Mülltonne der Freiheit“, in die sie allerlei „Frauen-Müll“ hineinwerfen wollten: BHs, Korsette, Lockenstäbe und auch falsche Wimpern.

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Was die Frauen darüber hinaus im Gepäck hatten, war eine ordentliche Ladung Wut. Ihr Ziel: Das Kongress-Zentrum an der Uferpromenade der Stadt, in dem an diesem Tag mal wieder „Miss America“ gekürt werden sollte. „Nie wieder Miss America!“ skandierten die Frauen zu Hunderten. Schluss mit diesem „Degrading Mindless-Boob-Girl Symbol“! So hatte es die US-amerikanische Feministin Robin Morgan in ihrem Aufruf zum Protest formulierte: Schluss mit der Abwertung von Frauen zum „hirnloses Tittenmädchen“.

Es geht jetzt um Persönlichkeit, nicht Aussehen.

50 Jahre später scheint die Botschaft nun auch bei den Veranstaltern des berühmt-berüchtigten Schönheitswettbewerbs angekommen zu sein. In diesen Tagen verkündete Miss-America-Chefin Gretchen Carlson (Miss America 1989) im US-Fernsehsender ABC „umfassende Änderungen“ im Konzept: „Wir sind nicht länger ein Schönheitswettbewerb“. Denn, so Carlson weiter: „Wir werden die Teilnehmerinnen zukünftig nicht mehr nach ihrem Aussehen beurteilen.“

Der Bikini-Contest – fast 100 Jahre lang Kern der Angelegenheit - sei somit abgeschafft. Als Bikini-Runde hatte der Contest einst begonnen: Die leicht bekleideten Frauen sollten im Gründungsjahr 1921 schlicht mehr Touristen nach Atlantic City locken.

Und nicht nur der Bikini ist passé. Miss America will zukünftig „inclusive“ sein, also Frauen mit allen Körpermaßen „willkommen heißen“. Mehr noch: die Frauen dürften sich sogar selbst aussuchen, was sie auf der Bühne tragen. „Was auch immer sie anhaben – uns geht es darum, was aus ihrem Mund herauskommt. Wofür sie sich interessieren und wofür sie sich einsetzen“, sagte Carlson - und kündigte in einem Atemzug die Vergabe von College-Stipendien an. Um transparent zu machen, dass die Missen eben nicht nur dünn und schön seien - sondern inzwischen auch Ärztinnen, Anwältinnen und Mitglieder des US-amerikanischen Kongresses. „Wir wollen tausende Frauen da draußen dazu aufrufen, Teil unseres Programms zu werden!“ Wer dem Gespräch mit ABC-Moderatorin Amy Robach lauschte, hatte am Ende fast den Eindruck, der Schönheitswettbewerb mutiere gerade zur größten Wohltätigkeitsveranstaltung der Vereinigten Staaten.

Carlsons Verkündung löste deswegen ebenso Erstaunen aus. Und Häme. „Sexismus bleibt Sexismus bleibt Sexismus - am Ende pappt auf der kosmetisch optimierten Message eben immer noch der Playboy-Hase oder das Miss-America-Krönchen drauf“, kommentierte zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung. Haben wir es einfach nur mit einem geschickten Marketing-Manöver einer Veranstaltung zu tun, die - nun ja - mit allem wofür sie steht etwas aus der Zeit gefallen ist?

Ja und Nein. Denn es sind die Hintergründe des Bikini-Aus, die die Tragweite von Gretchen Carlsons Ankündigung verdeutlichen.

22 Monate bevor die Affäre Weinstein ins Rollen kam, hatte Carlson ihren damaligen Chef, den inzwischen verstorbenen Fox-Vorstandsvorsitzenden Roger Ailes, wegen sexueller Belästigung verklagt. Ailes wurde gefeuert, Carlson entschädigt und im Zuge der Sexismus-Debatte, die den Medien-Konzern daraufhin erfasste, rollten weitere Köpfe; unter anderem der von Star-Moderator Bill O‘Reilly. Das war im April 2017, im Oktober brach die #MeToo-Debatte los. Die erreichte im Dezember dann auch den Miss-America-Wettbewerb. 49 frühere Missen forderte den Rücktritt des gesamten Führungsteams wegen herabwürdigender Sprüche und erniedrigender E-Mails, in denen die Frauen unter anderem als „Fotzen“ und als „Müll“ bezeichnet worden waren. Huffington Post hatte diese E-Mails öffentlich gemacht. “In diesen E-Mails sind die früheren Miss America keine Gewinnerinnen. Sie sind keine Frauen. Sie sind nicht einmal Menschen. Sie sind einfach nur Körperteile“, kommentierte die New York Times und rief damit das „Ende“ des Wettbewerbs aus.

Es fällt eine weitere Säule
der Frauen-
erniedrigung

Stattdessen ist etwas anderes passiert: Die Frauen haben das Ruder übernommen. Als erstes musste Miss-America-Chef Sam Haskell gehen. Dann tauschte die neu gewählte Vorsitzende der Organisation, nämlich Gretchen Carlson, fast die komplette Führungsriege aus, vornehmlich Männer. Im Miss-America-Vorstand sitzen inzwischen sieben Frauen und zwei Männer. Und kurz vor der 98. Austragung des Schönheitswettbewerbs im September geht es nun also den Bikinis an den Kragen.

Das alles kann man, klar, als Marketing-Manöver begreifen. Aber wenn man bedenkt, dass damit in den USA nach dem täterfreundlichen Klima in Hollywood noch eine weitere Säule der jahrelangen Frauenerniedrigung fallen könnte, dann ist das mindestens bemerkenswert. Und den protestierenden Frauen in Atlanta im Jahr 1968 hätte die weibliche Übernahme sicherlich gefallen.

Alexandra Eul

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Morgan: Sisterhood Is Powerful!

Robin Morgan (mi) bei einem Protest gegen einen Miss-America-Schönheitswettbewerb in Atlantic City.
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Weggefährtinnen kennen dich als die ­He­rausgeberin der Anthologie: „Sisterhood Is Powerful“. Der Slogan ist weltweit berühmt geworden. Wenn du diesen Spruch heute hörst, was denkst du dann?
Als ich das Buch gemacht habe, war das Wort „Sisterhood“ für mich noch etwas, was wir angestrebt haben. Heute ist die globale Frauenbewegung Realität: in Flüchtlingscamps im Gaza-Streifen genauso wie in den Reisfeldern auf den Philippinen. Wir befinden uns in einer weltweiten Krise, was Politik, Gewalt und die Umwelt betrifft. Und wir haben viele ­Belege, dass die Frauenbewegung mit dem, was sie schon vor 20, 30 Jahren ­gesagt hatte, Recht behalten hat.

Und das wäre?
Dass der Auslöser für einen aggressiven oder kriegerischen Umgang mit den Nachbarinnen und Nachbarn nicht nur auf Geografie, Ressourcen, Religion oder politischen Systemen beruht, sondern auch darauf, wie die Gesellschaft ihre Frauen behandelt. Wir Feministinnen ­haben immer schon darauf hingewiesen, dass die Familie das Spiegelbild des Staates ist. Und wenn die Familie patriarchal organisiert ist, ist es der Staat auch.
 
Die Themen von heute sind also die Themen von damals – ist das nicht auch ein bisschen deprimierend?
Nein! Die Basis des erfolgreichen Graswurzel-Aktivismus heute ist die 40 oder sogar 50 Jahre lange Vorarbeit. Das ist so, als ob du eine Pumpe mit Wasser füllst – und erst mal passiert gar nichts. Die Pumpe ist rostig und sie quietscht und es kommt nichts raus. Aber du bleibst dran, und du bleibst dran, und du bleibst dran – und irgendwann fließt das Wasser. Wenn wir mal einen Schritt zurücktreten und die Geschichte betrachten, dann ­waren wir ganz schön schnell!

Wissen die Frauen in den Graswurzel-­Organisationen eigentlich, auf wessen Schultern sie stehen?
Viele schon. Als Ms. oder auch EMMA in den 70er-Jahren gestartet sind, da haben uns die Leute ja noch für verrückt erklärt und gesagt: Der Sache gebe ich sechs ­Monate, dann hat sich das erledigt. Aber wir sind immer noch da! Feminismus ist zurzeit sogar angesagt. Was ich urkomisch finde! Selbst Shaking-Your-Ass-Beyoncé ist jetzt Feministin. Gut so. Es gibt so viele Teenagerinnen, die Beyoncé schätzen und die werden durch sie dann vielleicht neugierig.

Manche sprechen vom Ausverkauf des ­Feminismus.
Es hat schon immer die gegeben, die behaupten, der Feminismus sei zu puritanisch – und andere, die behaupten, er sei einfach nicht puritanisch genug. Oder auch: Feminismus sei rassistisch. So ein Unsinn! Women of colour waren von ­Anfang an in der Frauenbewegung dabei. Die Medien haben das einfach nur ­verschwiegen.

Schätzen die jungen Feministinnen euch Pionierinnen denn angemessen?
Nein, tun sie nicht. Aber ich werde mich sicherlich nicht in die Großmutter verwandeln, die sagt: Du weißt ja gar nicht, wie gut du es hast, ich musste noch sechs Meilen durch den Schnee laufen, in Socken! Stattdessen sage ich ihnen: Ihr schuldet uns gar nichts. Und hier kommt ein kleines, schmutziges Geheimnis: Wir haben das alles auch gar nicht für euch getan – wir haben es für uns getan. Wobei es natürlich ganz nett wäre, ein kleines Danke zu hören. Frauen wird viel zu wenig gedankt. Im Gegensatz zu Männern, die verleihen sich ja quasi die ganze Zeit Medaillen.

Und was ist mit den Konflikten innerhalb der feministischen Szene?
Wir dürfen keine Zeit mit diesen Debatten verlieren. Ich frage mich einfach nur: Sind die Frauen daran interessiert, nicht verprügelt oder vergewaltigt zu werden und selbstbestimmt mit ihren eigenen Körpern umzugehen? Und interessiert sie das alles nicht nur aus egoistischen Motiven, sondern auch wegen der anderen Frauen? Prima, dann arbeite ich mit ­ihnen! Ich war immer eher eine Aktivistin als eine Theoretikerin. Es ist viel leichter, die Frau von nebenan zum Problem zu erklären – weil sie angeblich zu korrekt oder auch nicht korrekt genug ist – als gegen die eigentliche Macht zu kämpfen. Denn das kann dich umbringen. Oder dazu führen, dass du gefeuert wirst. Oder dass du das Sorgerecht für deine Kinder verlierst. Oder ins Exil geschickt wirst.

Wie sieht es mit einem so umkämpften Thema wie der Prostitution aus? Für die einen eine Verletzung der Menschen­würde, für die anderen „ein Job wie jeder andere“.
Für mich vertreten Frauen, die Prostitution als Beruf wie jeder andere bezeichnen, ganz einfach keine feministische Position. Diese „Sexarbeiterinnen“ werden von der Industrie der sexuellen Ausbeutung finanziert. Der Begriff Feministin ist ja nicht geschützt. Jede kann sich so nennen. In Amerika gibt es sogar „Feministinnen für das Leben“. Die sind gegen Verhütung und gegen Abtreibung.

Wie war das eigentlich damals, als ihr Ende der 1960er-Jahre aufgestanden seid?
In meinem Fall war es der Zeitpunkt, als ich 1970 „Goodbye To All That“ geschrieben habe. Da habe ich mich zwar schon als Women’s Liberationist, also als eine Frauenbefreierin bezeichnet, aber nicht als Feministin. Da habe ich damals noch einen großen Unterschied gemacht. Ich war ja noch in der Linken aktiv.

Warum hat sich das dann geändert?
Ich bin mit „Sisterhood Is Powerful“ auf Lesereise gegangen und habe kleine Städte im ganzen Land besucht. Und da habe ich so viele Frauen getroffen – Schwarze und Weiße und Latinas, Alte und Junge, Heterosexuelle und Lesbische. Die eine hat sich für Frauen in Gefängnissen eingesetzt. Die andere hat in den Vorläuferinnen von Planned-Parenthood-Abtreibungskliniken gearbeitet. Und noch andere haben einfach Ampeln repariert, damit ihre Kinder nicht überfahren werden. Und alle diese Frauen hatten ein ernsthaftes Interesse daran, was die anderen taten. Und ich dachte mir: Oh mein Gott, das ist die Bewegung, die ich will! Nicht diese Szene, die man damals an der Ost- und der Westküste und in Chicago fand: Eine von der Linken kontrollierte „sozialistisch-feministische Bewegung“, wie diese Frauen es nannten. Mit Männern, die Politik machten – und mit Frauen, die Kaffee kochten.

Du hast dich aus diesem Milieu freigeschrieben.
(stöhnt) Oh ja! Ich hatte einfach genug! Die Reaktionen auf die Frauenbewegung innerhalb der Linken waren ja auch wahnsinnig gewaltsam. Wir mussten mit allen Männern schlafen. Wir Frauen sind auf den Treffen im wahrsten Sinne des Wortes gesteinigt worden. Unsere Gegner haben mit Tomaten und Eiern angefangen – und dann haben sie sich Steine ­gegriffen. Wir Frauen wurden als Konter-Revolutionäre und Bourgeoisie beschimpft, weil wir Feministinnen waren. Irgendwann ist mir einfach der Kragen geplatzt – und ich habe „Goodbye To All That“ geschrieben, eine Abrechnung. Ich habe damals weinend an der Schreibmaschine gesessen. Und weil ich in dem ­Artikel Namen genannt habe, gab es für mich auch keine Rückkehr mehr. Ich habe alle Türen zugeschlagen. Aber dann habe ich plötzlich von Frauen gehört, die gesagt haben: Ach, du auch? Das war so, als hätte ich einen Geist aus der Flasche gelassen.

Ruft ihr euch eigentlich heute noch an, nach so einer Trump-Wahl, und sagt: ­Mädels, wir müssen wieder auf die Straße?
Nein. Ich habe mit manchen Frauen von W.I.T.C.H. noch Kontakt, mit anderen nicht. Die meisten von uns sind ja gar nicht mehr so aktiv wie ich. Aber sie sind natürlich immer noch Feministinnen, und sie waren auch auf dem Frauenmarsch. Aber es ist nicht mehr ihr Lebens­inhalt.

Robin Morgan beim EMMA-Gespräch in ihrem Garten mitten im Greenwich Village.
Robin Morgan beim EMMA-Gespräch in ihrem Garten mitten im Greenwich Village.

Deiner schon. Warum bist du drangeblieben?
(lacht) Ich weiß es nicht. Eine Freundin sagt immer: Du fühlst dich am wohlsten, wenn du dich richtig weit aus dem Fenster lehnen kannst! Und wahrscheinlich werde ich selbst auf dem Sterbebett so etwas sagen wie: Moment, was ist, wenn wir versuchen würden … Ganz wie Alice Schwarzer. Und auch Gloria Steinem. Ich bezeichne solche Frauen als Langstreckenläuferinnen. Und ich bewundere sie sehr, weil ich den Preis kenne, den sie zahlen für das, was sie tun.

Gibt es eigentlich etwas, was du bereust.
Ich hätte aus meiner Ehe viel früher rausgehen sollen. Mein Selbstbetrug war atemberaubend! Ich bin durch das Land gereist und habe Frauen erklärt, wie sie für ihre Rechte aufstehen können. Und dann bin ich nach Hause gekommen und habe auf dem Sofa in meinem Arbeitszimmer geschlafen – weil mein Mann mal wieder betrunken war und getobt hat. Aber er war auch ein guter Mann und zumindest am Anfang ein guter Vater für meinen Sohn Blake. Und ein toller Poet, zumindest als er jung war. Und er war schwul. Ich wusste, wenn ich ihn heirate, rastet meine Mutter aus. Aber irgendwann wurde er dann zum feministischen Prinzen. Ein feministischer Prinz kommt zusammen mit seiner Frau von einer Demonstration nach Hause, reibt sich das Tränengas aus den Augen und sagt: Wow, ich bin wirklich erschlagen. Und dann legt er sich aufs Sofa und nimmt sich eine Ausgabe von Ms. oder EMMA und liest. Und sie reibt sich das Tränengas aus den Augen und geht in die Küche und macht das Abendessen. Und er ruft: Hier ist ein echt guter Artikel, den solltest du lesen!

Eine deiner Weggefährtinnen, die einen hohen Preis bezahlt hat, ist im vergangenen Jahr gestorben: Kate Millett.
Wir haben uns in den späten 1960ern kennengelernt. Kate und ich sind uns dann häufiger begegnet, weil wir ja beide Aktivistinnen und Künstlerinnen waren – und wir sind Freundinnen geworden.

Nicht alle sind freundschaftlich mit Kate umgegangen, manche Frauen aus der ­Bewegung haben sie fertiggemacht.
Ja, Kate wurde erstmals angegriffen, als bekannt wurde, dass Time sie nach dem Erscheinen von „Sexual Politics“ (auf Deutsch: „Sexus und Herrschaft“) für den Titel posieren lassen wollte. Das hat sie damals unter dem Druck der Bewegung abgelehnt.
Jede Frau, die es wagte, zum Feminismus mit ihrer eigenen, individuellen Stimme – unabhängig vom ano­nymen Kollektiv – beizutragen, wurde damals bespitzelt und niedergemacht. Time hat das Porträt trotzdem gebracht, und Kate wurde als angeblicher „Star“ verdammt. Es war ja schon schmerzhaft genug, den ganzen Hass von den Männern zu erleben, aber von anderen Frauen, sogar von Feministinnen, das war vernichtend. Zum Glück war Kate zwar schüchtern, aber sie hatte ein Ego in der Größe von Montana. Und mein Ego hatte das Ausmaß von Godzilla, der gerade Cleveland gefressen hatte. Was sehr hilfreich war, denn weil wir ehrlich über unsere Bisexualität gesprochen hatten, wurden wir sozusagen in Stereo attackiert: Von den homophoben, heterosexuellen Frauen in der Bewegung, denen wir zu lesbisch waren – und von den Lesben, denen wir nicht lesbisch genug waren. Mich langweilt dieses Zentral-Komitee-Denken im Stil von „Das ist die einzige richtige Art, Feministin zu sein“ bis heute.
 
Wofür lohnt es sich, stattdessen zu kämpfen?
Für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Das schließt alles mit ein, von der Lust über die sexuelle Gewalt bis hin zur Abtreibung. Oder für Nahrung – die meisten Frauen auf diesem Planeten haben nicht genug Essen. Oder für Wasser. Oder für Frieden. Und gegen den Aufstieg der Fundamentalisten: sowohl der Evangelikalen in den USA – die christlichen Taliban – als auch der islamischen Fundamentalisten und ultra-orthodoxen Juden. Das ist der ultimative Backlash des Patriarchats. Ich bin fest überzeugt, dass die alle miteinander verbandelt sind – obwohl es so aussieht als wären sie miteinander im Krieg.

Wie meinst du das?
Wir wissen in soziologischer Hinsicht, dass die gefährlichste Zeit für eine misshandelte Frau die ist, in der sie ihm sagt, dass sie ihn verlassen wird. Wenn sie einfach nur sagt: „Herman, ich gehe!“ Das sollte keine Frau tun, sie sollte einfach gehen. Denn der Moment, in dem sie das sagt, ist der Moment, in dem er „seinen Besitz“ tötet. Und das ist genau das, was gerade auf globaler Ebene passiert. Das exponentielle Wachstum und auch die ­Effizienz der Frauenbewegungen, von Kenia bis China, hat so eine immense Kraft entwickelt, dass wir einen globalen Backlash des Patriarchats erleben. Als ob alle Frauen, sprich: die halbe Weltbevölkerung, gesagt hätte: „Herman, wir gehen!“

Es gibt also für dich eine Parallele zwischen der Wahl eines Machos wie Trump und dem Islamischen Staat, der Frauen versklavt?
Ja. Vielleicht sind einige dieser Männer gar nicht clever genug, um das selbst zu begreifen. Aber das spielt keine Rolle. Wir haben es mit einer systemischen ­Reaktion zu tun. Es ist ein Kampf um ­Leben und Tod. Und ich denke, dass Frauen gesamthistorisch betrachtet auf eine einzigartige Weise qualifiziert sind, diesen Kampf zu führen.

Ist es in den USA gefährlicher geworden, eine aktive Feministin zu sein?
Ja. Aber die, die nur aus Style-Gründen dabei sind, realisieren das noch nicht. Für sie wird die Reaktion eine bittere Erfahrung werden. (lacht) Bisher schützt uns die Inkompetenz der Trump-Regierung. Sonst wären Frauen wie ich vielleicht schon im Lager. Und es wird alles noch schlimmer werden, wenn nicht endlich jemand aufsteht und sagt: Habt ihr denn gar keinen Anstand mehr, das hier muss aufhören! Wie in der McCarthy-Ära. Und dann werden andere folgen. Ihr habt immerhin eine Frau an der Macht, die bei Verstand ist und die zur Anführerin der freien Welt geworden ist. Ich wünschte, wir hätten eine Angela Merkel!

Was ist mit den Männern, ziehen manche mit?
Nicht schnell genug – aber immerhin bewegen sie sich ein bisschen. Man sieht heute ja häufiger Männer mit Kinderwagen. Und ich kenne zumindest einige Männer, die darauf bestehen, dass ihre Vorstände zur Hälfte mit Frauen besetzt sind. Nur die extreme Rechte und die extreme Linke, die beiden sind immer noch viel zu sehr verliebt in ihre Schwänze.

Gibt es noch etwas, was du den EMMA-­Leserinnen sagen möchtest?
Als die frühere Chefredakteurin von Ms. möchte ich einfach nur Danke sagen – an Alice und euch EMMA-Frauen. Und auch an die Leserinnen und Leser von EMMA. Den Kampf und auch die Qual und die Triumphe – und die Blamagen – der Frauenbewegung über so lange Zeit auszuhalten und zu dokumentieren, das ist unbezahlbar. Aber sowas wird ja leider häufig immer erst dann klar, wenn wir verschwunden sind ... 

Im Netz:
www.robinmorgan.net

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