Reaktionäres Islam-Institut kommt!
Wer die deutsche Politik gegenüber den etablierten Islamverbänden in Deutschland in den letzten Jahren verfolgt hat, hatte schon so manche Gelegenheit, sich zu wundern. Als 2006 der Grundstein für die „Deutsche Islamkonferenz“ gelegt wurde, saß das ‚Who is who‘ aus dem Verfassungsschutzbericht, Kapitel Islamismus, am Tisch des Innenministers. Doch immerhin war auch die alevitische Gemeinde in Deutschland dabei, sowie eine Handvoll muslimische Individuen, die überwiegend für integrationsbereites Denken stehen. Entsprechend hoch ging es her in den Diskussionen. Die vom Verfassungsschutz mit Sorgen beobachteten Repräsentanten der Islamverbände versuchten wiederholt, den Freigeistern die Zugehörigkeit zum Islam und damit ihr Mitspracherecht abzusprechen.
Ausgerechnet die altehrwürdige Humboldt-Universität zu Berlin will sich mit diesem anstrengenden innerislamischen Pluralismus gar nicht erst belasten: Den Beirat des Islam-Instituts zur Ausbildung von Imamen und Religionslehrern will sie ausschließlich mit sehr konservativen, Scharia-orientierten Verbänden besetzen. Diese Verbände werden teils aus dem Ausland dirigiert, teils sind sie hiesigen Sicherheitsbehörden wohlbekannt. Dennoch stünden sie, so die Universität, hinreichend für „den Islam“ in Deutschland und insbesondere in Berlin. Den ganzen Spaß wird Berlin sich bis 2022 ganze 13,8 Millionen Euro kosten lassen!
Ausbildung gemeinsam mit Scharia-orientierten Verbänden
Wie falsch und gefährlich das ist, ist eine längst bekannte Tatsache. Der „Zentralrat der Muslime“ beispielsweise vertritt über seine Mitgliedsorganisationen weniger als 1 Prozent der hier lebenden MuslimInnen! Etwa 75 Prozent aller MuslimInnen in Deutschland haben noch nie von ihm gehört. Doch die rückwärtsgewandten Verbände sollen nun die inhaltliche und strategische Ausrichtung des Islam-Instituts und die Besetzung von Professuren bestimmen.
Michael Borgolte, der Gründungsdirektor des Berliner Islam-Instituts, hatte genau darum Verbänden wie der Ditib, der lange Arm von Erdoğan, und den „Islamischen Kulturzentren“ seinerzeit die Politikfähigkeit abgesprochen. Er wurde dafür natürlich scharf angegangen. Alle kritischen Zwischenrufe von liberalen Musliminnen und Muslimen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie seitens der Politik, vor allem von der CDU und den Grünen, wurden von der Universitätsleitung und dem SPD-dominierten Senat kaltschnäuzig ignoriert.
Die Spitzen von Universität und Senat halten daran fest, ausgerechnet am Islam-Institut der Humboldt-Universität mit diesen drei Partnern zu kooperieren: dem „Zentralrat der Muslime in Deutschland“, der „Islamischen Föderation Berlin“ und der „Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands“ (IGS). Die drei hatten die Dreistigkeit, die Fortsetzung der Verhandlungen an die Zusage zu knüpfen, dass keine liberalen Islam-Vertreter in den Beirat aufgenommen werden – dass also die Mehrheit der Muslime ausgeschlossen wird.
Noch viel problematischer als die zahlenmäßige Unrepräsentanz dieser Verbände ist die von den protestierenden Studierenden treffend dargestellte inhaltliche Ausrichtung der Verbände. Sie vertreten einen Islam, der nicht grundgesetzkompatibel und schon gar nicht förderungswürdig ist. Dass der „Zentralrat“ (nach einer öffentlichen Kritik) die Namen seiner Mitgliedsverbände von der Homepage gelöscht hat und die aufschlussreiche Seite ‚FAQ‘ (frequently asked questions/häufig gestellte Fragen) seit über einem Jahr „überarbeitet“ wird, macht die Sache nicht besser.
Alle kritischen Zwischenrufe wurden kaltschnäuzig ignoriert
Der Verband von Aiman Mazyek vertritt in allen zentralen Fragen die Position des scharia-orientierten Islam: bei der Stellung der Frau, dem Umgang mit Homosexuellen, der Religionsfreiheit, der Freiheit von Meinung und Wissenschaft etc. Ganz wie die „Islamische Föderation Berlin“, eine lokale Ausprägung der lange als verfassungsfeindlich eingestuften „Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş“, und die „Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands“ (IGS), ein Satellit des iranischen Mullah-Regimes auf deutschem Boden.
Die mehrheitlich liberal denkenden Musliminnen und Muslime in Deutschland kommen in diesen Verbänden nicht vor. Die so dringend notwendige Akademisierung des liberalen Islams und Entwicklung einer Islam-Theologie auf der Basis von Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Menschenrechten wird von diesen Verbänden systematisch verhindert. Die nicht-muslimischen Verhandlungspartner aus Politik und Wissenschaft, die ansonsten die demokratischen Werte allenthalben einfordern, glauben unhinterfragt den Lippenbekenntnissen ihrer muslimischen Gesprächspartner. Dabei stehen alle drei Verbände für ein erzkonservatives, von Ungleichheit geprägtes Frauenbild und die Pflicht der Frauen zur Verhüllung. Unverschleierte Frauen haben in keinem der Islam-Verbände ein Mitspracherecht.
„Gleichbehandlung ist nicht immer Gleichberechtigung“, so die entlarvende Antwort des Zentralrats zur Frage des Gleichheitsgrundsatzes. Ähnlich argumentieren seine in Ägypten verbotenen Muslimbruderschaft nahestehenden Mitgliedsorganisationen wie die „Islamische Gemeinschaft in Deutschland“ (IGD).
Die ausgeprägte Homophobie des konservativen Islams ist bekannt, auch sie dürfte nun Einzug halten in die akademische Welt der Humboldt-Universität. Dass mindestens 4.000 junge Männer in Iran seit 1979 wegen Homosexualität gehängt wurden, scheint kein Thema.
Die „Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands“ (IGS) war es auch, die sich im Juni 2018 erneut an dem anti-israelischen al-Quds-Tag in Berlin beteiligte und dort Parolen gegen das Existenzrecht Israels skandierte. Das schiitisch-islamische Internetportal ‚Muslim-Markt‘ lanciert permanent Boykottaufrufe gegen israelische Waren und die Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Gleichzeitig werden die längst alltäglichen Meldungen über antisemitische Übergriffe, meist von Muslimen verübt, von den Verbänden wortreich verurteilt. Wie passt das alles zusammen?
Es geht um ein konservatives bis reaktionäres Deutungsmonopol
Kritische Äußerungen zum Islam werden von diesen Verbänden gerne mit dem Etikett der ‚Islamfeindlichkeit‘ oder ‚Islamophobie‘ versehen, um die Kritiker ins Unrecht zu setzen; eine Strategie, die häufig auch liberale Muslime trifft. Geradezu hasserfüllt treten die konservativen Verbandsvertreter zum Beispiel gegen Seyran Ateş und ihre liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin auf, weil diese u. a. die Gleichberechtigung von Frauen und Männern und den Einbezug von Homosexuellen fordert und lebt. Der Vorwurf, Ateş habe keine grundständige islamtheologische Ausbildung, wirkt umso absurder, weil er von Personen kommt, die selber keine haben.
Aber es geht hier ja auch gar nicht um einen offenen theologisch-akademischen Diskurs, sondern um ein konservatives bis reaktionäres Deutungsmonopol. Es geht um die Marginalisierung liberaler Muslime und die Stigmatisierung jeglicher Islamkritik. Auf diese Art und Weise werden auch moderne Professoren für islamische Theologe, wie Mouhanad Khorchide (Münster) und Abdel-Hakim Ourghi (Freiburg), systematisch unter Druck gesetzt. Die theoretische Möglichkeit, sie und andere liberale Denker in die weitere Entwicklung der Islam-Institute einzubeziehen, wird in Berlin mit der Besetzung dieses Beirates obsolet.