Reaktionäres Islam-Institut kommt!

Amin Mazyek vom "Zentralrat der Muslime" zu Besuch bei den Grünen. - Foto: Christian Witsch/Imago
Artikel teilen

Wer die deutsche Politik gegenüber den etablierten Islamverbänden in Deutschland in den letzten Jahren verfolgt hat, hatte schon so manche Gelegenheit, sich zu wundern. Als 2006 der Grundstein für die „Deutsche Islamkonferenz“ gelegt wurde, saß das ‚Who is who‘ aus dem Verfassungsschutzbericht, Kapitel Islamismus, am Tisch des Innenministers. Doch immerhin war auch die alevitische Gemeinde in Deutschland dabei, sowie eine Handvoll muslimische Individuen, die überwiegend für integrationsbereites Denken stehen. Entsprechend hoch ging es her in den Diskussionen. Die vom Verfassungsschutz mit Sorgen beobachteten Repräsentanten der Islamverbände versuchten wiederholt, den Freigeistern die Zugehörigkeit zum Islam und damit ihr Mitspracherecht abzusprechen.

Anzeige

Ausgerechnet die altehrwürdige Humboldt-­Universität zu Berlin will sich mit diesem anstrengenden innerislamischen Pluralismus gar nicht erst belasten: Den Beirat des Islam-Instituts zur Ausbildung von Imamen und Religionslehrern will sie ausschließlich mit sehr konservativen, Scharia-orientierten Verbänden besetzen. Diese Verbände werden teils aus dem Ausland dirigiert, teils sind sie hiesigen Sicherheitsbehörden wohlbekannt. Dennoch stünden sie, so die Universität, hinreichend für „den Islam“ in Deutschland und insbesondere in Berlin. Den ganzen Spaß wird Berlin sich bis 2022 ganze 13,8 Millionen Euro kosten lassen!

Ausbildung gemeinsam mit Scharia-orientierten Verbänden

Wie falsch und gefährlich das ist, ist eine längst bekannte Tatsache. Der „Zentralrat der Muslime“ beispielsweise vertritt über seine Mitgliedsorganisationen weniger als 1 Prozent der hier lebenden MuslimInnen! Etwa 75 Prozent aller MuslimInnen in Deutschland haben noch nie von ihm gehört. Doch die rückwärtsgewandten Verbände sollen nun die inhaltliche und strategische Ausrichtung des Islam-Instituts und die Besetzung von Professuren bestimmen.

Michael Borgolte, der Gründungsdirektor des Berliner Islam-Instituts, hatte genau darum Verbänden wie der Ditib, der lange Arm von Erdoğan, und den „Islamischen Kulturzentren“ seinerzeit die Politikfähigkeit abgesprochen. Er wurde dafür natürlich scharf angegangen. Alle kritischen Zwischenrufe von liberalen Musliminnen und Muslimen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie seitens der Politik, vor allem von der CDU und den Grünen, wurden von der Universitätsleitung und dem SPD-dominierten Senat kaltschnäuzig ignoriert.

Die Spitzen von Universität und Senat halten daran fest, ausgerechnet am Islam-Institut der Humboldt-Universität mit diesen drei Partnern zu kooperieren: dem „Zentralrat der Muslime in Deutschland“, der „Islamischen Föderation Berlin“ und der „Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands“ (IGS). Die drei hatten die Dreistigkeit, die Fortsetzung der ­Verhandlungen an die Zusage zu knüpfen, dass keine liberalen Islam-Vertreter in den Beirat aufgenommen werden – dass also die Mehrheit der Muslime ausgeschlossen wird.

Noch viel problematischer als die zahlenmäßige Unrepräsentanz dieser Verbände ist die von den protestierenden Studierenden treffend dargestellte inhaltliche Ausrichtung der Verbände. Sie vertreten einen Islam, der nicht grundgesetzkompatibel und schon gar nicht förderungswürdig ist. Dass der „Zentralrat“ (nach einer öffentlichen Kritik) die Namen seiner Mitgliedsverbände von der Homepage gelöscht hat und die aufschlussreiche Seite ‚FAQ‘ (frequently asked questions/häufig gestellte Fragen) seit über einem Jahr „überarbeitet“ wird, macht die Sache nicht besser.

Alle kritischen Zwischenrufe wurden kaltschnäuzig ignoriert

Der Verband von Aiman Mazyek vertritt in allen zentralen Fragen die Position des scharia-orientierten Islam: bei der Stellung der Frau, dem Umgang mit Homosexuellen, der Religionsfreiheit, der Freiheit von Meinung und Wissenschaft etc. Ganz wie die „Islamische Föderation Berlin“, eine lokale Ausprägung der lange als verfassungsfeindlich eingestuften „Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş“, und die „Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands“ (IGS), ein Satellit des iranischen Mullah-Regimes auf deutschem Boden.

Die mehrheitlich liberal denkenden Musliminnen und Muslime in Deutschland kommen in diesen Verbänden nicht vor. Die so dringend notwendige Akademisierung des liberalen Islams und Entwicklung einer Islam-Theologie auf der Basis von Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Menschenrechten wird von diesen Verbänden systematisch verhindert. Die nicht-muslimischen Verhandlungspartner aus Politik und Wissenschaft, die ansonsten die demokratischen Werte allenthalben einfordern, glauben unhinterfragt den Lippenbekenntnissen ihrer muslimischen Gesprächspartner. Dabei stehen alle drei Verbände für ein erzkonservatives, von Ungleichheit geprägtes Frauenbild und die Pflicht der Frauen zur Verhüllung. Unverschleierte Frauen haben in keinem der Islam-­Verbände ein Mitspracherecht.

„Gleichbehandlung ist nicht immer Gleichberechtigung“, so die entlarvende Antwort des Zentralrats zur Frage des Gleichheitsgrundsatzes. Ähnlich argumentieren seine in Ägypten verbotenen Muslimbruderschaft nahestehenden Mitgliedsorganisationen wie die „Islamische Gemeinschaft in Deutschland“ (IGD).

Die ausgeprägte Homophobie des konservativen Islams ist bekannt, auch sie dürfte nun Einzug halten in die akademische Welt der Humboldt-Universität. Dass mindestens 4.000 junge Männer in Iran seit 1979 wegen Homosexualität gehängt wurden, scheint kein Thema.

Die „Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands“ (IGS) war es auch, die sich im Juni 2018 erneut an dem anti-israelischen al-Quds-Tag in Berlin beteiligte und dort Parolen gegen das Existenzrecht Israels skandierte. Das schiitisch-islamische Internetportal ‚Muslim-Markt‘ lanciert permanent Boykottaufrufe gegen israelische Waren und die Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Gleichzeitig werden die längst alltäglichen Meldungen über antisemitische Übergriffe, meist von Muslimen verübt, von den Verbänden wortreich verurteilt. Wie passt das alles zusammen?

Es geht um ein konservatives bis reaktionäres Deutungsmonopol

Kritische Äußerungen zum Islam werden von diesen Verbänden gerne mit dem Etikett der ‚Islamfeindlichkeit‘ oder ‚Islamophobie‘ versehen, um die Kritiker ins Unrecht zu setzen; eine Strategie, die häufig auch liberale Muslime trifft. Geradezu hasserfüllt treten die konservativen Verbandsvertreter zum Beispiel gegen Seyran Ateş und ihre liberale Ibn-Rushd-Goethe-­Moschee in Berlin auf, weil diese u. a. die Gleichberechtigung von Frauen und Männern und den Einbezug von Homosexuellen fordert und lebt. Der Vorwurf, Ateş habe keine grundständige islamtheologische Ausbildung, wirkt umso absurder, weil er von Personen kommt, die selber keine haben.

Aber es geht hier ja auch gar nicht um einen offenen theologisch-akademischen Diskurs, sondern um ein konservatives bis reaktionäres Deutungsmonopol. Es geht um die Marginalisierung liberaler Muslime und die Stigmatisierung jeglicher Islamkritik. Auf diese Art und Weise werden auch moderne Professoren für islamische Theologe, wie ­Mouhanad Khorchide (Münster) und Abdel-Hakim Ourghi (Freiburg), systematisch unter Druck gesetzt. Die theoretische Möglichkeit, sie und andere liberale Denker in die weitere Entwicklung der Islam-Institute einzubeziehen, wird in Berlin mit der Besetzung dieses Beirates obsolet.

Artikel teilen

Studierende contra Islam-Institut

Artikel teilen

An dem Islam-Institut der humanistischen Universität sollen u.a. Imame und Religionslehrer ausgebildet werden. Hochalarmiert sind: Martin Omnitz, 28, Referent für Öffentlichkeitsarbeit im RefRat, dem Asta der Humboldt-Universität zu Berlin; und Bafta Sarbo, 24, Vertreterin im Akademischen Senat der Hochschule sowie Referentin für Hochschulpolitik. Mit EMMA haben die beiden darüber gesprochen, wie es zu dem einstimmigen Protest der Studierendenvertretung kam – und welche Konsequenzen er haben könnte.

Anzeige

Das Studierendenparlament der HU Berlin hat sich geschlossen gegen die Einrichtung des Islam-Instituts ausgesprochen. Warum?
Bafta: Wir fordern schon seit zwei Jahren, dass die Einrichtung dieses Instituts transparenter verläuft. Und dass wir als Studierendenvertretung stärker einbezogen werden. Aber wir werden nicht gehört.

Kommen einstimmige Proteste oft vor?
Martin: Nein. Ich bin selbst etwas überrascht! Das Parlament an der HU ist ja wirklich sehr bunt zusammengewürfelt – von fakultätsbezogenen Gruppen bis hin zu parteinahen Listen. Und häufig ist es so, dass sich diese Gruppen einfach aus Prinzip widersprechen. Aber all das ist in dem Fall nicht passiert. Es gab keine Gegenstimmen.

Was kritisiert ihr?
Bafta: Unser Hauptkritikpunkt ist die Zusammensetzung des sogenannten Beirats für das Institut. Das sind ausschließlich erzkonservative, nicht liberale Islamverbände. Am Anfang waren sogar noch die Ditib und der „Verband der Islamischen Kulturzentren“ vertreten. Aber die sind ausgestiegen, weil ihnen der Kooperationsvertrag nicht gefallen hat. Jetzt sind noch der „Zentralrat der Muslime“, die „Islamische Föderation Berlin“ und die „Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands“ übrig. Besonders divers ist das also nicht.

Wie kam diese Zusammensetzung denn zustande?
Martin: Angeblich repräsentieren diese Verbände die Mehrzahl der Musliminnen und Muslime in Deutschland. Aber das ist ja deren Selbstdarstellung – wie will man überprüfen, ob das der Realität entspricht? Wir haben immer wieder gefordert, den Beirat für liberale muslimische Organisationen zu öffnen. Inzwischen gibt es ja in Berlin sogar eine liberale Moschee, die Ibn-Rushd Goethe Moschee von Seyran Ateş. Die Universität hätte auch die alevitische Gemeinde stärker einbeziehen können. Aber all das ist nicht passiert.

Dabei fühlen sich laut einer Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gerade mal 2,7 Prozent der Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland vom Zentralrat der Muslime vertreten.
Bafta: Und es wurde auch nie nach außen kommuniziert, wie die Besetzung des Beirates überhaupt von statten ging. Wir haben uns als Studierendenvertretung bei der zuständigen Arbeitsgruppe immer wieder nach dem Verlauf erkundigt. Wir wurden jedes Mal vertröstet: Die Berichte kommen bald. Und dann haben sie uns vor ein paar Monaten den fertigen Kooperationsvertrag vorgelegt, der mit den beteiligten Verbänden ausgehandelt worden war.

Ist die Universität denn nicht verpflichtet, diesen Prozess gegenüber der studentischen Vertretung transparent zu machen?
Bafta: Das ist genau der Punkt! Wir sind der Ansicht, dass die studentische Vertretung im Akademischen Senat Anspruch darauf hat. Aber das haben wir angeblich falsch verstanden.

Ihr habt ein sogenanntes „Statusgruppenveto“ eingelegt. Was bedeutet das?
Bafta: Im Senat der Universität sitzen vier studentische Vertreterinnen und Vertreter und wir haben gemeinsam Einspruch gegen die Einrichtung des Islam-Institutes in dieser Form eingelegt. Das würde eigentlich bedeuteten, dass die Angelegenheit gestoppt und eine Vermittlungskommission eingerichtet werden muss, die dann einen Kompromiss erarbeitet. Aber unser Veto wurde von der Universitätsleitung einfach übergangen. Wir lassen das gerade von einem Anwalt prüfen.

In eurer Erklärung kritisiert ihr explizit, dass die Zusammenarbeit mit den Islam-Verbänden nicht mit den Grundsätzen der HU Berlin vereinbar sei. Zum Beispiel, wenn es um die „Gleichstellung von Frauen und Männern in Wissenschaft und Gesellschaft“ geht.
Martin: Das Thema Gleichstellung zwischen Frauen und Männern ist uns wichtig. Und als ich die „Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands“ das erste Mal gegoogelt habe, bin ich auch sofort auf deren Erklärung zur Homo-Ehe gestoßen. Da wurden Schwule und Lesben auf eine Art angegriffen, wie ich es sonst nur von rechten Trollen im Netz kenne. Sie haben die Homo-Ehe als „organisierte gesellschaftliche Verirrung sowie die Verwässerung jeglicher Moral, Ethik und Religiosität“ bezeichnet. Und diese Menschen sollen Imame und Religionslehrer ausbilden, die dann am Ende einen Stempel von der HU Berlin bekommen? Das ist schon unglaublich!

Bafta: Oder nehmen wir die ebenso beteiligte „Islamische Föderation Berlin“. Das ist die offizielle Landesvertretung der Millî Görüş aus der Türkei, die schon lange wegen ihrer faschistoiden Tendenzen bekannt ist. Das muss eine Universität, die geflohene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Türkei aufnimmt, doch mitdenken! Und die „Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands“ ist eng mit dem iranischen Regime vernetzt. Und dem „Zentralrat der Muslime“ sagt man enge Beziehungen zur Muslimbruderschaft nach. Das alles sind öffentliche Informationen, die jedem zugänglich sind. Warum hat die Universität sie nicht berücksichtigt?

Martin: Mich würde es ja freuen, wenn dieses Institut für islamische Theologie etwas damit zu tun hätte, was Theologie irgendwann mal sein sollte: nämlich Vernunft mit Religion in Einklang zu bringen – und Religionen und ihre Praxen auch entsprechend zu reflektieren. Aber das ist bei der Zusammensetzung wohl kaum zu erwarten.

Wo kommt eure Sensibilisierung für das Thema her?
Bafta: Wir haben Kontakt zu liberalen Muslimen aufgenommen, zum Beispiel zu Seyran Ateş. Wir haben uns auch mit kurdischen und alevitischen Studierenden zusammengesetzt und darüber gesprochen, welche konkreten Probleme für sie entstehen würden, wenn diese Verbände an der Universität Fuß fassen.

Gab es denn Reaktionen auf eure Stellungnahme?
Bafta: Der Berliner Senat hat noch gar nicht reagiert. Die Islam-Verbände auch nicht. Aber damit haben wir auch nicht gerechnet. Jetzt versuchen wir, über Öffentlichkeit Druck auf die Universitätsleitung auszuüben.

Das Gespräch führte Alexandra Eul.

Weiterlesen
 
Zur Startseite