Gegen Rassismus & Sexismus
Es war einmal im Märchenland Dotcom: Da durfte jede und jeder einfach mal raushauen. Sagen, was Sache ist. Das, so waren sie sich in Dotcom einig, fördere die Demokratie. Denn dann hatten auch die eine Stimme , die sonst nicht angehört werden. Und wenn unter diesen vielen, vielen Stimmen mal eine dabei ist, die über die Stränge schlägt – dann eilt gewiss die verantwortungsbewusste Gemeinschaft herbei und hält dagegen. So, versprach man sich in Dotcom, reguliere sich die Märchenwelt ganz von alleine.
Es dauerte 29 Minuten bis zur Meldung des Terror-Videos
Dieses Märchen aus Dotcom wurde als realistisch erzählt, als Begriffe wie Web 2.0. noch neu und angesagt waren. Damals war die Stimmung euphorisch. Plattformen wie Facebook und Twitter explodierten.
Etwas mehr als ein Jahrzehnt später, am 15. März 2019, marschiert der rechtsextreme Attentäter Brenton Tarrant im ganz realen Christchurch in Neuseeland in eine Moschee und ballert los. Die Welt kann live dabei sein, denn er streamt seine Tat auf Facebook. 17 Minuten dauert die Übertragung. Rund 200 Menschen sehen sie in Echtzeit. Doch 29 Minuten dauert es laut Facebook, bis der erste Zuschauer auf die Idee kommt, das Massaker der Plattform zu melden. Über eine Million Nutzer versuchen nach Löschung, das Video erneut auf die Plattform zu laden. Herzlich willkommen in Dotcom, dem absoluten Horror.
Zwei Wochen später kündigt Facebook nun an, zukünftig Inhalte verbieten zu wollen, die „Nationalismus“ und „Separatismus“ von weißen Menschen unterstützen. „Standing against hate!“ titelt die Pressemitteilung. „Es ist klar, dass solche Konzepte in direkter Verbindung mit organisierten Hassgruppen stehen und auf unserem Angebot keinen Platz haben!“
Gut so. Doch wenn Plattformen wie Facebook wirklich gegen Hass aufstehen wollten, dann hätten sie ein bisschen mehr zu tun. Als erstes müssten sie sehr viel transparenter erklären, warum die schon bestehen Maßnahmen gegen Hassrede eigentlich nicht funktionieren. Und als zweites müssten sie erklären, was mit dem Hass auf Frauen ist, dem Sexismus.
Das „European Institute for Gender Equality“ hat kürzlich in einem Report über Online-Gewalt Alarm dazu geschlagen, „dass Frauen im Verhältnis zu Männern überproportional zum Ziel bestimmter Formen von Gewalt im Internet werden“. In einer Umfrage mit 9.000 deutschen InternetnutzerInnen im Alter von zehn bis 50 Jahren waren Frauen „deutlich häufiger Opfer von sexueller Belästigung über das Internet und CyberStalking“, so EIGE.
Seit zwei Jahren bastelt Facebook an einer Strategie gegen sogenannte Rachepornografie, sprich: Der von den betroffenen nicht gewollten Veröffentlichung von intimen Fotos mit dem Ziel, Frauen zu beschämen. Der Guardian sprach vor zwei Jahren von einer regelrechten „Flut von Rachepornographie und sexualisierter Erpressung“, mit der Mark Zuckerbergs Plattform zu kämpfen hat. Von 54.000 Fällen im Monat war die Rede, das ging aus einem internen Dokument hervor.
Ganz wie der australische Attentäter Tarrant sich in rechten Gruppen im Netz vor seiner Tat ideologisch munitioniert und seinen Fremdenhass zum Motor der Gewalt gemacht hatte, war es bei vergleichbaren Tätern häufig der Hass auf Frauen, der die Männer antrieb. So wie Anders Behring Breivik 2011 in Norwegen. Oder auch Alek Minassian, der im vergangenen Jahr in Toronto acht Frauen und zwei Männer getötet und 15 weitere Menschen verletzt hat. Er postete auf Facebook: „Die Rebellion der Incels hat begonnen.“
Incels steht für „unfreiwillig Zölibatäre“. Die sind online hervorragend vernetzt, befeuern sich gegenseitig in ihrem Hass auf die Frauen, die sie angeblich immer nur zurückweisen, und schwelgen in Gewaltfantasien. Bis einer ernst macht. Nicht erst seit Breivik wissen wir, wie stark bei Neorechten im Netz die Überschneidung von Frauenhass und Fremdenhass ist.
Dieser Hass gärt in einem Klima, in dem die Diffamierung bestimmter Gruppen (Frauen, Juden, Fremde) einfach hingenommen wird, wenn nicht sogar unter „Unterhaltung“ fällt. Eine einfache Suche mit einschlägigen Begriffen auf Facebook reicht schon aus, um das zu sehen. Auf den Seite „Ganz unverbindlich … ficken“ oder „Geile Girls“ werden pornografisierte Fotos von sehr jungen Frauen bzw. Mädchen geteilt. Auf der Seite „Uschis Muschi riecht nach Sushi“ werden emsig sexistische Witze gesammelt. Und der Titel der Facebookseite „Titten – groß müssen sie sein“ spricht für sich.
Frauenhass und Fremdenhass überschneiden sich häufig
In Frankreich ist vor einigen Wochen eine private Facebook-Gruppe aus Journalisten, Werbern und anderen Medienmachern aufgeflogen, die über Jahre Frauen im Netz systematisch gejagt hatten. „La ligue du LOL“ haben sich diese Männer genannt, allesamt übrigens nicht aus der Rechten, sondern aus der linksliberalen Szene. Die Empörung in Frankreich war groß - und in Deutschland? Würde es sich hier vielleicht nicht auch lohnen, mal etwas genauer hinzusehen?
Denn das ist ja die Moral von der Geschicht: Es ist eines, die Verantwortung bei Plattformbetreibern wie Facebook zu verankern, die die Kanäle zur Veröffentlichung von Hass bereitstellen. Es ist ein zweites, die zur Verantwortung zu ziehen, die diesen Hass produzieren. Und es ist ein Drittes, auch den Frauenhass als solchen zu ächten bzw. zu verfolgen. Denn auch Frauen sind Menschen.