§219a: Protest gegen Prozess!

Gynäkologin Bettina Gaber steht vor Gericht - trotz Reform des §219a. - Foto: Digitales Deutsches Frauenarchiv/Tanja Schnitzler
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Sollte irgendjemand noch nicht begriffen haben, wie faul der Kompromiss ist, den CDU/CSU und SPD zum §219 verhandelt haben, der versteht es spätestens jetzt. Am 14. Juni beginnt nämlich um 11.30 Uhr im Berliner Amtsgericht Tiergarten der nächste Prozess gegen zwei Ärztinnen: Bettina Gaber und Verena Weyer. Die Straftat der beiden Gynäkologinnen mit Gemeinschaftspraxis in Steglitz: Auf ihrer Website steht der Satz: „Auch ein medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch gehört zu den Leistungen von Frau Dr. Gaber.“

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Aber ist es ÄrztInnen inzwischen nicht erlaubt, darüber zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen? Wollte die SPD, die ja – bevor sie in die GroKo eintrat – sogar die komplette Streichung des §219 gefordert hatte, nicht die „Werbung“ für Abtreibung weiterhin verbieten, die Information aber erlauben? Sollte nicht Rechtssicherheit für ÄrztInnen geschaffen werden? Tja. Nun sehen wir, was die neue Fassung des §219a in der Praxis bedeutet.

Nun sehen wir, was die neue Fassung des §219a in der Praxis bedeutet

ÄrztInnen dürfen nämlich laut der Gesetzesreform, die im März 2019 in Kraft trat, ausschließlich „auf die Tatsache hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche (...) vornehmen.“ Jede weitere Information über diese „Tatsache“ hinaus wird nach wie vor mit Geld- oder Haftstrafe geahndet. Und das gilt offenbar auch für die Gynäkologin Bettina Gaber, die ihre Patientinnen schlicht darüber informiert, mit welcher Methode sie Abtreibungen durchführt: medikamentös und narkosefrei.

„Es ist eine Schande!“ kommentierte Alice Schwarzer den „Kompromiss“, den CDU/CSU und SPD nach monatelangen Verhandlungen als Erfolg präsentiert hatten. "Entsetzt, empört, enttäuscht“ war auch Kristina Hänel. Die Gießener Ärztin war eine von vielen MedizinerInnen, die wegen Verstoßes gegen den §219a von den fanatischen „Lebensschützern“ Günter Annen und Yannic Hendricks angezeigt worden waren.

Nachdem sie sich geweigert hatte, die Informationen von ihrer Website zu nehmen, wurde sie vom Amtsgericht Gießen im November 2017 zu 6.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Der Prozess löste eine Welle der Empörung und der Solidarität aus. Und, nach sehr viel öffentlichem Druck, die nicht einmal halbherzige Gesetzesreform.

„Die Kriminalisierung von Frauenärzten geht weiter“, kritisierte auch Nora Szász. Auch die Kasseler Gynäkologin und ihre Praxis-Kollegin Natascha Nicklaus waren vor Gericht gezerrt worden. Wie recht Szász mit ihrer Einschätzung hatte, zeigt der Prozess, der nun am Freitag gegen Bettina Gaber und Verena Weyer stattfindet – wobei letztere noch nicht einmal abtreibt, sondern als Teil der Gemeinschaftspraxis mit in die Verantwortung für die Website genommen wird.

Die Kriminali-
sierung von FrauenärztInnen geht weiter

Die Formulierung, dass der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch in ihrer Praxis „in geschützter Atmosphäre“ stattfindet, haben die beiden Ärztinnen schon vor Monaten gestrichen. Um den Rest des Satzes werden aber Gaber und Weyer kämpfen. „Das sind wir den Frauen schuldig.“ Schon jetzt kommen ungewollt Schwangere 150 Kilometer aus Brandenburg in ihre Praxis am Steglitzer Rathaus, weil „bei ihnen in der Umgebung kein medikamentöser Schwangerschaftsabbruch angeboten wird“.

Wie auch immer der Prozess ausgehen wird – allein, dass er in Deutschland anno 2019 überhaupt stattfinden kann, ist ein Skandal.

Am 14. Juni um 10.30 Uhr ruft das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung zu einer Protestkundgebung vor dem Amtsgericht Tiergarten auf.

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Alice Schwarzer schreibt

§ 219a: Der Skandal bleibt!

Foto: epd/Imago
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Seit Jahren werden ÄrztInnen wie Kristina Hänel, die auf ihrer Website informiert hatte, dass und wie sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, von fanatischen so genannten „Lebensrechtlern“ angezeigt (EMMA berichtete). Der aktuelle Gesetzentwurf verweist auf diese ÄrztInnen, die auf Basis des Paragrafen 219a verurteilt wurden. Sie sollen künftig straffrei über Abtreibung informieren dürfen. Doch damit ist der Skandal noch lange nicht beendet. Denn selbst nach der Abschaffung des §219a werden Frauen weiterhin vom halbherzigen §218 bedroht.

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Über eines wird im Zuge der Debatte über den §219a nur wenig geredet: über den §218. Denn der verbietet ungewollt Schwangeren bis heute, abzutreiben – und droht mit einer Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Gefängnis! „Straflos“ ist laut §218a die Schwangere nur, wenn ein Arzt den Abbruch nicht später als in der zwölften Woche vornimmt – und wenn die ungewollt Schwangere mit der Bescheinigung einer „Beratungsstelle“ nachgewiesen hat, dass sie mindestens drei Tage vor dem Eingriff beraten wurde.

Die Frau darf nicht selbst über eine Schwangerschaft entscheiden!

Was will uns der Gesetzgeber damit sagen? Ganz einfach: Dass die Frau nicht selbst entscheiden darf, ob sie eine Schwangerschaft austragen will oder nicht – sondern dass sie bei einem „Experten“ darum bitten muss, das tun zu dürfen. Der Kern des alten §218, der ein uneingeschränktes Abtreibungsverbot postulierte, ist damit erhalten: Die Frau darf eine so lebensentscheidende Frage wie „Mutterschaft Ja oder Nein“ nicht selbstbestimmt entscheiden! Vater Staat setzt ihr einen Vormund vor die Nase.

Im Vergleich zu dem von Frauen seit 1971 wieder bekämpften Abtreibungsverbot ist nur – oder sollten wir sagen: immerhin - schon eines erreicht worden: Ungewollt Schwangere, die sich von niemandem haben diktieren lassen auszutragen, landen heutzutage in Deutschland in der Regel nicht mehr auf dem Küchentisch einer „Engelmacherin“, wo sie ihre Gesundheit, die Gebärfähigkeit, ja ihr Leben riskieren. Sie dürfen den Eingriff von ÄrztInnen durchführen lassen. Voraussetzung: Dass sie schön Bittebitte machen.

Und die ÄrztInnen, diese Minderheit von MedizinerInnen, die trotz aller Drangsalierungen noch bereit ist, ungewollt Schwangeren zu helfen? Die müssen sich nicht nur die medizinischen Techniken einer Abtreibung mühsam aneignen (denn der Schwangerschaftsabbruch ist zwar der häufigste medizinische Eingriff bei Frauen, er wird aber nicht im Medizinstudium gelehrt). Sie müssen auch stark genug sein, die Missbilligung Konservativer und Scheinheiliger sowie die Hetze der „Lebensrechtler“ auszuhalten. Sie müssen auch bereit sein, auf Aufklärung ihrer eigenen Patientinnen zu verzichten, das verbot ihnen nämlich auch der reformierte §219a.

Es ist höchste Zeit, den §218 ganz abzuschaffen!

Absurd? Nein. Denn für alle, ungewollt Schwangere wie hilfsbereite ÄrztInnen, gilt weiterhin das Motto: Rechte habt ihr keine, wir gewähren euch bestenfalls die Gnade! Aber vielleicht überlegen wir uns das ja auch nochmal anders. Denn genau darum schaffen wir solche Gummiparagraphen: Damit wir die, je nach Zeitgeist und Machtverhältnissen, mal großzügig interpretieren – mal euch die Luft abdrehen können.

Diese Spielchen spielt der deutsche Rechtsstaat mit Frauen und ÄrztInnen jetzt seit 48 Jahren. Die durch Aufklärung und Proteste 1974 in der BRD so mühsam errungene Fristenlösung (die DDR hatte sie da schon), also das Recht, in den ersten drei Monaten abzutreiben, ohne irgendjemandem Rechenschaft ablegen zu müssen, wurde in der BRD umgehend durch eine Verfassungsklage der CSU gestürzt (bei dem sechs Verfassungsrichter dem Kläger recht gaben und zwei widersprachen). Seither bewegt sich der deutsche Staat auf einem Zickzackkurs, auf dem er es vor allem einem recht machen will: dem Vatikan und seinen AnhängerInnen – statt seinen Millionen Bürgerinnen.

Die klägliche Debatte um den §219a hat gezeigt, dass es genauso höchste Zeit wäre, den §218 ganz abzuschaffen oder zumindest die Fristenlösung einzuführen. So wie es in allen deutschen Nachbarländern (außer Polen) längst der Fall ist, inklusive in schwer katholischen Ländern wie Irland oder Italien.

Worauf warten die Millionen Bevormundeten eigentlich, das endlich zu fordern?!

Alice Schwarzer

 

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