Lorena Bobbitt: Sie hat es getan!
Der Talkshow-Moderator Steve Harvey, ein bekannter Komiker, findet das alles wahnsinnig witzig. „Also, dann haben Sie das Ding aus dem Autofenster geworfen und alle mussten suchen!“ Hahaha. „Warum haben Sie ihn denn eigentlich mitgenommen? Stellen Sie sich vor, Ihr Mann wäre aufgewacht und hätte das Ding auf dem Kopfkissen neben sich entdeckt!“ Hohoho. Lorena Gallo lacht kurz mit. Dann ist Schluss mit lustig. „Es freut mich, dass Sie darüber lachen können. Aber jetzt erzähle ich Ihnen mal, wie sich das anfühlt, wenn eine Frau misshandelt wird.“ Das Publikum jubelt. Zehn Minuten später wird es Lorena Gallo mit Standing Ovations aus dem Studio verabschieden.
Lorena Gallo hieß früher einmal Lorena Bobbitt. In der Nacht des 24. Juni 1993 schnitt sie ihrem Mann John Wayne Bobbitt, der sie jahrelang beschimpft, geschlagen und vergewaltigt hatte, mit einem Küchenmesser den Penis ab. Doch die Zeiten, in denen sich (fast) jeder Comedian der Nation über die „rachsüchtige Irre“ lustig machte, sind endgültig vorbei. Jetzt redet Lorena. Sie redet über eine „schreckliche Epidemie“: die Gewalt gegen Frauen.
Lorena Gallo trägt in der Sendung ein rotes Kleid und das ist kein Zufall. „Lorenas Red Wagon“ heißt die Organisation, die die heute 49-Jährige 2007 gegründet hat. Mit den Spenden, die sie sammelt, unterstützt das einstige Gewaltopfer die Frauenhäuser ihrer Region. Sie finanziert Therapeutinnen und Weihnachtspakete, die sie gemeinsam mit ihrer 13-jährigen Tochter Olivia persönlich vorbeibringt. Und sie ermutigt die Frauen, denen sie dort begegnet: „Sie können der Gewalt entkommen und sich ihr Leben zurückerobern – wie ich.“
Lorena Gallo weiß, wie schwer es ist, der Hölle aus Demütigung und Gewalt zu entfliehen. Mit 15 kam sie aus Ecuador nach Manassas, Virginia, um den „American Dream“ zu leben. Der erwies sich bald als Alptraum. Der gutaussehende Ex-Marine John Bobbitt entpuppte sich nach der Hochzeit als brutaler Schläger und Vergewaltiger.
In der vierstündigen Dokumentation „Lorena“ (neu auf Amazon Prime) sehen wir, wie eine zitternde, weinende Frau im Gerichtssaal aussagt: Wie ihr 1,96 Meter großer Mann sich in jener Nacht auf sie warf, seine Brust auf ihrem Gesicht, sie keine Luft bekam, es sich anfühlte, „als ob er mir die Vagina rausreißt“. Wie er sie vorher unzählige Male vergewaltigt hatte, „am liebsten anal“, wie er sie als dick und hässlich beschimpfte, als „Hispana, die ihn nicht verdient hat“. Wie er drohte, ihr die Papiere wegzunehmen, damit sie abgeschoben wird, wie er sie zu einer Abtreibung zwang und „Witze darüber machte, wie groß die Nadel sein würde“.
John Bobbitt wurde freigesprochen. Denn in dem Prozess gegen ihn durfte nur die Tatnacht beleuchtet werden, nicht Lorenas Leidensgeschichte. Und da er leugnete, wurde er aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Später werden ihn zwei weitere Frauen anzeigen, Bobbitt muss 60 Tage ins Gefängnis.
Es folgte der Prozess gegen Lorena Bobbitt. Er wurde zum Tribunal gegen die „Domestic Violence“: „Lorena Bobbitts Reaktion darauf, ständig geschlagen und vergewaltigt zu werden, mag einzigartig und bizarr sein. Aber was ihr passiert ist, passiert so oder so ähnlich Millionen Frauen in den USA“, schrieb die New York Times. Ein Jahr nach dem Prozess wird in den USA der „Violence Against Women Act“ verabschiedet, der 46 Millionen Dollar für Frauenhäuser freigibt. Lorena Bobbitt wird zur Hassfigur vieler Männer – und zur Heldin vieler Frauen. „Arschlöcher im ganzen Land geraten in Panik“, spottet Whoopi Goldberg. „Sie hätte ihm auch die Eier abschneiden sollen“, zitieren die Daily News eine alte Dame aus Brooklyn.
Lorena Bobbitt wird freigesprochen. Doch anders als der Sadist John Bobbitt, muss sie für 45 Tage zur psychiatrischen Begutachtung ins Central State Hospital. Nach ihrer Entlassung geht sie aufs College, wird zuerst Friseurin und dann Immobilienmaklerin. Sie lernt ihren heutigen Mann David kennen, ihren „besten Freund“. Doch der „Wendepunkt in meinem Leben: Ich ging in Frauenhäuser und begann, über meine Erfahrung als Opfer häuslicher Gewalt zu sprechen. Ich habe verstanden, dass ich nicht allein war. Und so habe ich es geschafft.“
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