Werden wie meine Mutter? Niemals!

Foto: Mutter/Tocher von Annegret Soltau, 2001
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Diese wunderbare, selbstbewusste Frau ist meine Mutter! So wie sie will ich einst werden!“ Das möchten manche Töchter über ihre Mutter sagen, sie würden gerne stolz auf sie sein und ihr nacheifern. Einigen gelingt es, für viele aber bleibt das Wunschdenken, denn sie haben nur eine Vision: „So wie meine Mutter? Niemals!“

Deutet das etwa auf eine schwierige Beziehung oder gar auf ein tiefes Zerwürfnis zwischen Mutter und Tochter hin? Keineswegs. Es ist Ausdruck eines äußerst komplexen Zusammenspiels. Denn es gibt dank der Emanzipation erfreulicherweise immer mehr Frauen, denen es gelingt, nicht nur gut für andere und die Familienmitglieder zu sorgen, sondern gleichermaßen auch für sich selbst. Sie gehen selbstbestimmt durchs Leben, holen sich Unterstützung, wenn sie benötigt wird, aber vergessen nicht, sich auch um ihre eigenen beruflichen und persönlichen Anliegen und Vorlieben zu kümmern und führen ein mehr oder weniger erfülltes Leben. Diese Frauen sind für Töchter echte Vorbilder.

Die Rückseite der Medaille sieht anders aus. Noch nisten bei nicht wenigen Frauen in ihren Zellen überholte Vorstellungen über die weibliche Lebensgestaltung. Der Muttermythos ist noch längst nicht verschwunden, ist aber der sicherste Weg, sich selbst abhanden zu kommen. Denn er lautet: immer geduldig, das Kind rundum liebend und vor allem sich selbstvergessend und selbstlos zu sein. So jonglieren viele Frauen zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Dabei erleben viele Töchter ihre Mütter im Kampf gegen sich selbst – und sehen auch, wie das gesteckte Ziel niemals erreicht wird.

Die Tochter ist die Kronzeugin, was Mutter alles zu erfüllen und zu leisten hat, um dem Bild, eine gute Mutter zu sein, einigermaßen zu entsprechen. Sie erlebt hautnah, in welcher anspruchsvollen Falle die Mutter steckt, sämt­lichen Anforderungen gerecht zu werden. Aber sie erlebt auch, dass sie wie die Mutter immer wieder daran scheitert. Die Tochter nimmt alles wahr. Ihr entgeht nichts. Sie erlebt, wie sich die Mutter abmüht, ihrer Mutterrolle gerecht zu werden, und sie leidet – oft unbewusst – mit ihr, wenn ihr das einfach nicht gelingen will. Denn die Mutterrolle hat es in sich.

Allein die Familienarbeit ist schwindelerregend: die Kinderbetreuung und Erziehung, den Haushalt in Schwung halten, organisatorische Aufgaben aller Art stemmen, Termine für Kinder, Gatten und Familie koordinieren. Mutter ist eine multiple Dienstleisterin, die versucht, die Wünsche aller Familienmitglieder unter einen Hut zu bringen.

Dazu kommt noch die ständige Herausforderung, sich körperlich attraktiv herzurichten – von den ständigen Diäten, sich wieder in die Jeans zurück hungern, ganz zu schweigen. Sollte die Mutter neben der Familienarbeit womöglich auch noch einem vielleicht sogar geliebten Wunschberuf nachgehen, ist das zwar ein Glück, für sie aber auch ein Leid: Muss sie die Doppel­belastung von Familie und Beruf unter einen Hut bringen.

Ist sie alleinerziehend – bei einer Scheidungsquote von beinahe 50 Prozent liegt es nahe – muss sie meist auch noch für sich und die Kinder quasi allein aufkommen. 

Was Frauen leisten, findet in der Regel wenig Beachtung. Eigentlich müssten viele für ihre Lebensleistungen mit einem Orden ausgezeichnet werden.

Kommt Mutter ins Rentenalter, haben Töchter erst recht nicht den Wunsch, so zu werden wie sie. Die Tochter weiß zwar sehr genau, was die Mutter alles geleistet hat, sie kennt ihren unermüdlichen Tagein-Tagaus-­Einsatz für die Familie, sie kann bezeugen, dass sie ihr Bestes gegeben hat. Aber nun muss sie miterleben, dass die Mutter für diese große Leistung das Geringste erhält. Altersarmut ist vor allem ein weibliches Problem.

Spätestens dann fällt der Groschen und es ist nicht zu verdenken, wenn sich Töchter von dem für sie vorgesehenen Modell konsequent abgrenzen und sagen: „Nein danke, so nicht mir!“ Mehr noch, es ist ein sehr vernünftiger Reflex, nicht offenen Auges ins eigene Unglück zu rennen.

Doch die Sache hat einen Haken. Mit der Distanzierung von der Rolle findet auch eine Entfremdung von der Inhaberin dieser Rolle, also der Mutter statt. Und das bringt die Tochter in einen zusätzlichen Konflikt. Denn eigentlich lehnt sie ja nicht die Mutter ab, sondern sie distanziert sich lediglich von deren Lebensmodell. Es ist also wichtig, eine Differenzierung von Rolle und Mensch vorzunehmen.

Auch Mütter sind Menschen. Sie hatten einst als junge Frau Vorstellungen, Visionen und Wünsche, wie sie ihr zukünftiges Leben gestalten werden. Dazu gehörten Sehnsüchte, sich auch beruflich zu verwirklichen, das, was in ihnen an Begabung steckt, zu entfalten. Denn nicht für alle Frauen deckt sich Traumberuf mit Familien­arbeit und Kindererziehung, trotzdem wird von jeder Frau erwartet, dass sie in der Mutterrolle ihre Erfüllung findet.

1960 erschütterte Brigitte Bardot ihre Fans, als sie einen Sohn zur Welt brachte und, quasi unter den Augen der Weltöffentlichkeit, diese Erfahrung „alptraumhaft“ nannte und da nichts von den obligatorischen Muttergefühlen oder dergleichen in sich finden konnte. Der Sohn wuchs beim Vater bzw. dessen Eltern auf.

Frauen, die sich mit dieser Rolle ebenfalls schwertun, passen sich zwar stillschweigend an, aber mit der Faust in der Tasche. Wer aber den Selbstkontakt zu sich verloren hat, lebt neben der Spur und kann sich nicht seinen eigenen Fähigkeiten gemäß entfalten. Dass dabei auch die Mutterrolle unter die Räder kommt, liegt auf der Hand. Im falschen Film zu sein, bedeutet immer, nicht aus dem Vollen schöpfen zu können. Und dass ein junges Mädchen beim Anblick einer solchen Mutter nicht auf die Idee kommt, ihr nach­eifern zu wollen, leuchtet ein.

Trotzdem sollte es unser Bestreben sein, dass Töchter zu ihren Müttern in einem ihnen zugewandten und wertschätzenden Verhältnis leben. Deshalb wäre es gut, wenn Töchter ihre Mutter nicht mehr nur daran messen, ob sie für das Kind eine so genannte „gute Mutter“ abgegeben hat, sondern auch daran, was sie für ein Mensch ist. Was hatte sie für Lebensträume? Konnte sie sie verwirklichen? Was für einen Beruf wollte sie lernen? Hat sie die große Liebe erlebt? Welche Enttäuschungen hatte sie zu verarbeiten? Mit solchen Fragen landen Töchter mitten im Leben der Mutter. Sie werden wahrscheinlich nachsichtiger und können sich mit eventuellen Schwächen aussöhnen. 

Wo man am meisten fühlt, weiß man nicht viel zu sagen.

WEITERLESEN Julia Onken: Rabentöchter – warum ich meine Mutter trotzdem liebe; Julia Onken/Maya Onken: Hilfe, ich bin eine emanzipierte Mutter – ein Streitgespräch zwischen Mutter und Tochter (beide C.H. Beck)

 

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