Nobelpreis für Katalin Karikó!
Dass das Impfen gegen Corona in dieser Geschwindigkeit überhaupt möglich ist, haben wir auch ihr zu verdanken: Katalin Karikó. Seit Studientagen forscht sie an der mRNA-Technologie. Die gebürtige Ungarin und Metzgerstochter musste lange für ihre Forschung kämpfen - und wäre beinahe schon wieder übergangen worden.
Ihre Tochter Susan Francia war lange berühmter als sie: Die Ruderin hat fünf Weltmeistertitel und zwei olympische Goldmedaillen für die USA gewonnen. Meist war sie dabei im Achter unterwegs, zusammen mit sieben anderen starken Frauen. „Wir sprechen oft über die Gemeinsamkeiten von ihrem Sport und meiner Forschung“, sagt Susans Mutter, die inzwischen auch berühmte Biologin Katalin Karikó. „Bei beiden siehst du das Ziel nicht. Aber beim Rudern weißt du meistens, dass es da ist. In der Wissenschaft ruderst du wie verrückt und hoffst nur, dass da ein Ziel ist.“
Als Außenseiterin und als Frau musste sie sich immer wieder beweisen
Mit der Zulassung der ersten Corona-Impfstoffe der Firmen BioNTech und Moderna im Winter 2020/2021 hat die Forscherin ihre Ziellinie triumphal überfahren. Denn beide Präparate beruhen auf der sogenannten mRNA-Technologie, an der die gebürtige Ungarin Karikó seit Studentinnentagen forscht. Beide verwenden überdies eine Erfindung von ihr: den Austausch der Base Uracil in Pseudouracil. Diese chemische Modifikation macht die RNA verträglicher, sie löst beim Eintritt in den Körper keine so heftige Immunreaktion aus wie die natürliche RNA.
Katalin Karikó ist spät in ihrer Karriere ins richtige Ruderboot eingestiegen: 2013, da war sie 58, heuerte sie nach einer unbefriedigenden Universitätslaufbahn bei dem damals noch kaum bekannten Mainzer Unternehmen BioNTech an, als Vizepräsidentin und Leiterin der Proteinersatztherapie. Jetzt, acht Jahre später, häufen sich die internationalen Auszeichnungen für sie: Rosenstiel Award (USA), Széchenyi-Preis (Ungarn), Wilhelm-Exner-Medaille (Österreich), Prinzessin-von-Asturien-Preis (Spanien), Breakthrough-Preis (USA) und dann auch: Paul-Ehrlich-Preis (Deutschland).
Dabei ist es in diesem Fall nicht leicht für die Preiskomitees, den „richtigen“ Pionier bzw. die richtige Pionierin zu ehren. Denn die Geschichte der RNA-Impfstoffe ist lang und verwickelt: Die Zeitschrift nature nannte im September 2021 rund 30 Namen von WissenschaftlerInnen, die seit den 1980er Jahren an RNA geforscht haben. Die Meisten haben irgendwann aufgegeben, sich anderen Themen zugewandt. Warum fällt der Scheinwerfer also jetzt ausgerechnet auf eine der wenigen Frauen, warum auf die Außenseiterin Karikó?
Mit Geld vom verkauften Familien-Auto, eingenäht im Teddy, ging es in die USA
Zum einen ist sie wirklich lange dabei: Nicht erst seit den 1980ern, sondern schon seit ihrer Doktorarbeit im ungarischen Szeged in den 1970ern ist sie regelrecht besessen vom Code-Molekül RNA. Sie kennt alle in der Szene, und alle kennen „Kati“.
„Kati“ hat eine Geschichte zu erzählen, ein modernes Märchen: Von der Metzgerstochter vom Land, die auszog, Wissenschaftlerin zu werden. Von der kühnen Auswanderin, die 1985, als es für ihre Forschung in Ungarn kein Geld mehr gab, mit Mann und zweijähriger Tochter in die USA zog. Einen Teddy im Gepäck, in den 900 britische Pfund eingenäht waren, der Erlös aus dem Verkauf des Familienautos, damals unerlaubte Devisen.
In den USA geht die Geschichte der ungarischen Familie mit Entbehrungen weiter: Das Geld, das die Mutter zunächst an der Temple University, später an der University of Pennsylvania verdient, reicht gerade so zum Leben. Ehemann Béla Francia, ein Ingenieur, spricht kein Englisch und findet nur Aushilfsjobs. Anträge auf Forschungsgelder, die die Biologin unermüdlich schreibt, werden so gut wie immer abgelehnt. Da geht es ihr nicht anders als anderen Pionieren der RNA-Forschung.
Aber Katalin Karikó gibt nicht auf – nicht einmal, als die Universität sie 1995 degradiert und ihr den Weg zur ordentlichen Professur verbaut. Nicht einmal, als ihre Uni das Patent auf ihre Erfindung nicht Karikós eigenem, zunächst erfolglosen Startup-Unternehmen verkauft, sondern einem Konkurrenten.
„Wenn man nichts hat, gibt einem das die Freiheit, furchtlos zu sein“, hat Katalin Karikó einmal gesagt. Sieht aus, als hätte diese Habenichts die Freiheit gut genutzt.