Carolina Brauckmann & EMMA

Carolina Brauckmann: Mit dem Ehrenpreis des Cologne-Pride ausgezeichnet. - Foto: Bettina Flitner
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Als Carolina Brauckmann sich zum ersten Mal in ein Mädchen verliebte, war sie sechs. Die Angebetete war eine Klassenkameradin, die selbstredend nie von Carolinas Liebe erfuhr. Niemand erfuhr davon, denn wir schreiben das Jahr 1960 und dass sich das Klassenzimmer im sauerländischen Lüdenscheid befand, machte die Sache nicht einfacher. Es sollte noch 16 Jahre dauern, bis sie sich endlich traute, das Tabu Wort auszusprechen: „lesbisch“.

Doch zunächst schloss die kleine Carolina aus ihrer Verliebtheit, dass „ich wohl irgendwie eine Art Junge sein müsste“. Und ihre Eltern waren, Sauerland hin oder her, so offen, ihre Tomboy Tochter einfach zu lassen. „Meine Eltern haben mir kurze Lederhosen geschenkt und wenn ich mal wieder breitbeinig mit meinem Apfelsaft auf dem Sofa saß, als ob es Whiskey wäre, sagte meine Mutter: ‚Na, kleiner Mann, schon rasiert? Dann ab ins Bett!‘“ Mit neun Jahren lernte Carolina Klavier bei „Gletscher Erna“, die der Reformbewegung angehört und in den Alpen so manchen Berg bestiegen hatte.

Wenn man all das betrachtet, ist nur folgerichtig, was aus Carolina Brauckmann wurde: Eine feministische Historikerin, eine Singer Songwriterin mit sechs selbstproduzierten Alben, und eine lesbische Aktivistin mit so vielen Projekten, dass es den Rahmen dieses Porträts sprengen würde, sie alle auf zuzählen. Exemplarisch seien genannt: Sie ist Mitgründerin der „Feministischen Seglerinnen“ und der „Amigas“, einem Netzwerk für lesbische Unternehmerinnen und Freiberuflerinnen. Sie engagiert sich im Kölner Frauengeschichtsverein und ist Vorstandsfrau im Dachverband „Lesben und Alter“.

Apropos Alter. Carolina Brauckmann ist jetzt 69, hat das Thema aber schon seit über zwanzig Jahren auf dem Schirm. Damals machte sie im Auftrag der lesbisch schwulen (heute: queeren) Kölner Beratungsstelle rubicon eine Bestandsaufnahme: „Welche Angebote gibt es für ältere Lesben in NRW?“ Aus der Pionierarbeit folgte eine Festanstellung im rubicon und Carolinas hauptberufliche Beschäftigung mit dem Thema „Lesben und Alter“. Ihre offizielle Jobbezeichnung lautet „Fachberatung für gleichgeschlechtliche Lebensweisen in der Offenen Senior_innenarbeit in NRW“. Dazu gehören Sichtbarkeitskampagnen für ältere Lesben und Schwule genauso wie die Schulung von Pflegekräften. „Ich bin darauf stolz, weil wir wirklich Pionierarbeit geleistet und ein neues Thema bewegt haben“, sagt Carolina.

Obwohl, was heißt neu? Schon mit 30, fällt ihr ein, „habe ich ein Lied gemacht über ‚Ilsebill und Rosamund‘, die mit über 70 beim Schampus in alten Zeiten schwelgen und sich über ihre Testamente aus tauschen.“ Das war 1986, gerade war Carolinas zweite LP mit „satirischen Lesbengesängen“ erschienen, und sie selbst tobte durch die Freiburger Frauen- und Lesbenszene. Das Sauerland hatte sie verlassen und sich in die Welt der Frauenfilmtage, Frauenpartys und Frauenstadtrundgänge gestürzt. Ihre Songs spielte sie in besetzten Häusern, Frauenzentren und großen Clubs. „Ich war ständig unterwegs und habe mein Studium etwas vernachlässigt“, erzählt sie amüsiert. Aber ihrer Leidenschaft für Geschichte ging sie in all dem Getümmel trotzdem nach: Im Stadtarchiv forschte sie mit Sully Roecken nach „ehrlosen“ Frauen und stellte deren Lebensgeschichten im Buch „Margaretha Jedefrau“ vor. 1988 ging sie nach Köln, um im von Alice Schwarzer gegründeten Feministischen Archiv zu arbeiten, das 1994 in den historischen Bayenturm einzog.

Als Historikerin wie als lesbischer Aktivistin ist ihr wichtig, „den Faden zwischen den Generationen zu behalten“. Was angesichts der mit immer härteren Bandagen ausgetragenen Differenzen zwischen Queer und Radikalfeministinnen kein leichtes Unterfangen ist. „Nach dem Motto ‚Tante Hulda erzählt euch jetzt mal was‘ funktioniert es jedenfalls nicht.“ Stattdessen lädt Carolina am „Tag der lesbischen Sichtbarkeit“ junge und ältere Singer Songwriterinnen auf eine gemeinsame Bühne. Zum CSD 2023 wurde Carolina Brauckmann mit dem „Ehrenpreis des Cologne Pride“ ausgezeichnet. Begründung: „Sie vernetzt Generationen und setzt sich für die starke Präsenz von Lesben in Politik und Gesellschaft ein.“ EMMA gratuliert.

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