Warum schweigen viele Feministinnen...
Die Frauenbewegung“, „die Feministinnen“ oder auch, ganz Schlaue, „die feministischen Bewegungen“ haben versagt, heißt es zurzeit gerne in deutschen Medien. Warum? Weil sie angeblich nicht gegen die Vergewaltigungen von Israelinnen durch die Hamas-Kämpfer protestieren. Was nur bedingt stimmt. Denn ist EMMA nicht feministisch? Haben wir nicht umgehend online berichtet? Und sie, die deutschen Feministinnen, gingen auch nicht auf die Straße, wie die Polinnen, um das Regime zu stürzen; auch nicht wie die Italienerinnen, um gegen Frauenmorde zu protestieren. Was stimmt. Obwohl die hierzulande mit 171 in zehn Monaten um rund 50 Prozent höher liegen als in Italien. Und obwohl die sexualisierte Männergewalt der Kern ist, das dunkle Herz der Frauenunterdrückung.
Was also ist nur los mit „den“ deutschen Feministinnen? Nun, auf die Frage gibt es mehrere Antworten. Erstens existieren „die“ Feministinnen gar nicht. Es gab sie noch nie einstimmig. Der Feminismus redete schon in den 1970er Jahren mit vielen Zungen. Zweitens: Der Feminismus ist keine geschützte Marke. Jede und jeder kann sich FeministIn nennen.
„Die“ Feministinnen existieren gar nicht. Es gab sie noch nie einstimmig.
Gerade die Anti-FeministInnen wissen, dass nichts effektiver ist als der antifeministische Feminismus. Die sind dann „sexpositiv“, also pro Prostitution; „geil“ auf Pornografie oder „haben nichts gegen Männer und kritisieren nur die Strukturen“. Mit solchen Tönen erschleichen sie sich eine Stimme in den Medien. Denn die finden wenig öder als den Feminismus „von gestern“ der „Alt-Feministinnen“.
Erschwerend hinzu kommt die geschlechterübergreifende Individualisierung der Menschen, für die das Heilsversprechen im Konsum liegt (Stichwort: Influencerinnen). Plus die Geschichtslosigkeit. Frauenbewegung? War da mal was?
Junge Frauen engagieren sich heutzutage eher gegen die Klimakatastrophe (die allerdings durchaus nicht nur mit einem aus den Fugen geratenen Kapitalismus, sondern auch mit männlichem Machbarkeitswahn zu tun hat). Oder gegen Rassismus (gegen den sie meist wortwörtlich der amerikanischen Woke-Bewegung nachreden, gerne gleich auf Englisch). Oder aber sie verzetteln sich in linguistischen Haarspaltereien mit Sternchen und Unterstrich.
Drei Generationen nach dem Holocaust ahnen die Jüngeren noch nicht einmal etwas von der besonderen Verantwortung Deutschlands für Israel, die sich daraus ergibt. Und sie begreifen auch selten, was der von ihnen skandierte Slogan „From the river to the sea – Palestine will be free“ real bedeutet: nämlich die totale Vernichtung des Landes Israel, das zwischen Jordan und Mittelmeer liegt.
Jüngere ahnen nicht einmal etwas von der besonderen Verantwortung Deutschlands
Es sind die Fanatiker und (pseudo)religiösen Fundamentalisten auf beiden Seiten, die von Anbeginn an eine Zwei-Staaten-Lösung für Juden und Palästinenser in Israel verhindert haben, und die die Region nicht zur Ruhe kommen lassen. Sie beantworten Hass mit Hass, Morden mit Morden, halten die Wunde offen und haben in den vergangenen Jahrzehnten noch jede Chance auf Frieden verspielt.
Und die so gern zitierten jüngeren Frauen? Bei denen haben die Medien gerade in Deutschland kräftig dazu beigetragen, dass sie so geschichtslos sind, sogar bzw. vor allem in Bezug auf ihre eigene Geschichte, die der Frauen. Ab den 1990er Jahren ist ihnen suggeriert worden, die Neue Frauenbewegung – die stärker als alle sozialen Bewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg unsere Gesellschaft fundamental verändert hat – sei von gestern und ihre Akteurinnen bestenfalls peinlich: männerhassende, frustrierte, humorlose Alt-Feministinnen. Kurzum, so gar nicht sexy: Werdet nur nicht wie eure Mütter.
Die erste Anti-Welle waren die angeblichen „Girlies“. Es folgten die ebenfalls von den Medien erfundenen „Alphamädchen“. Alles Schnee von gestern. Dann kamen die „intersektionalen“ Feministinnen. Die behaupteten allen Ernstes, sie seien die Ersten, die über die „privilegierten weißen Feministinnen“ hinausgingen und endlich auch die ganze Welt in den Blick nahmen.
Selbstverständlich nahmen feministische
Pionierinnen die ganze Welt in den Blick
Diese „Intersektionalen“ scheinen tatsächlich noch nicht einmal zu ahnen, dass wir feministischen Pionierinnen selbstverständlich von der ersten Stunde an auch den Kontext unserer Bewegung, den Klassen- und Rassenwiderspruch, im Blick hatten.
Doch bei aller Diversität des Feminismus bereits in den Jahren des Aufbruchs, den 1970er Jahren, vollzog sich der wahre Bruch erst durch die Komplizität weiter Teile der Linken und linken Feministinnen mit der islamistischen Bewegung. Ab 1979, der Gründung des iranischen „Gottesstaates“, wurde das Kopftuch zum Symbol der Islamisten. Seither gibt es hie die KulturrelativistInnen und Identitären, und da die InternationalistInnen und UniversalistInnen.
Ein wahrer Kulturschock war dann die Silvesternacht 2015 in Köln. In dieser Nacht versuchten junge, verhetzte Muslime im Herzen Europas mit Gewalt die Spielregeln zu erzwingen, mit denen sie schon in ihren Herkunftsländern die Frauen terrorisieren. Bei Dunkelheit keine Frauen im öffentlichen Raum! Wenn doch, sind sie Flittchen und damit Freiwild.
Die Silvesternacht 2015 in Köln, ein Kultur-
schock, wurde von vielen verharmlost
Wer, wie ich, darauf aufmerksam machte, dass die überwältigende Mehrheit der Täter 2015 aus Nordafrika kam und dass das Gründe habe, der wurde kurzum zur „Rassistin“ erklärt. Intersektionale Feministinnen initiierten prompt die Bewegung #ausnahmslos, die die Identität der Täter leugnete und das Benennen der Ursachen als „Rassismus“ diffamierte. Auch die Kanzlerin brauchte fünf Jahre, bis sie ihren Irrtum, die Verharmlosung der Silvesternacht, einräumte.
Da dürfen wir uns über die einseitige Parteinahme der sogenannten „jungen Frauen“ in der Palästinenserfrage nicht wundern. Wehret den Anfängen? Das ist leider nicht geschehen.
Vor allem in dem schlechtgewissig zur Fremdenliebe neigenden Deutschland nicht. Wobei so eine unreflektierte Fremdenliebe in Wahrheit ja nur die Kehrseite des Fremdenhasses ist und eigentlich rassistisch: Sie misst mit zweierlei Maß.
Ein Höhepunkt der Geschichtslosigkeit dieser medial hoch präsenten Kreise war für mich ganz persönlich im Oktober der Versuch, einen Leseabend auf dem „Literarischen Herbst“ in Leipzig zu meiner Autobiografie „Mein Leben“ zu canceln. Begründung: Schwarzer sei „transphob“, „rassistisch“ und „frauenfeindlich“ (misogyn), und würde Menschen „verletzen“. Diese Menschen hatten natürlich noch nie eine Zeile von mir gelesen.
Unreflektierte Fremdenliebe ist in Wahrheit nur die Kehrseite des Fremdenhasses
Am komischsten bei der Veranstaltung war dann, dass die schwer vermummten zwei Dutzend DemonstrantInnen, die meine Bühne stürmten, als Protest gegen mich skandierten: „Wir sind hier, wir sind queer, eure Kinder werden so wie wir.“
Mal abgesehen davon, dass die Menschen in dem ausverkauften Saal null Chance hatten zu verstehen, worum es da ging, lagen die DemonstrantInnen mit ausgerechnet diesem Protest bei mir reichlich schief. Sie wissen offensichtlich tatsächlich nicht, dass ich die Autorin vom 1975 erschienenen „Kleinen Unterschied“ bin. Darin geht es zentral um die Folgen der damals von mir sogenannten „Zwangsheterosexualität“ (ein Begriff aus der Psychoanalyse), heute Heteronormativität genannt. Es ging und geht mir seither um die Aufkündigung aller Geschlechterrollen. Mit Ausnahme der beiden biologischen Geschlechter, die ja keine Rolle sind, sondern eine unumstößliche wissenschaftliche Realität. Mir geht es um die zwar biologisch begründeten, in Wahrheit aber kulturellen Geschlechterrollen.
Werden wir also jetzt, nach nur 50 Jahren neuem Feminismus (und 150 Jahren historischem), mal wieder ganz von vorne anfangen? Bei Null? Doch wohl nicht im Ernst!
ALICE SCHWARZER