"Ich hätte beinahe ein Kind gekauft"
Mirko, Sie haben darum gebeten, dieses Interview anonym führen zu können. Warum?
Wer sich gegen die Leihmutter-Lobby stellt, lebt gefährlich. Ich habe Verschwiegenheits-Erklärungen unterschreiben müssen, als ich ein Kind in den USA kaufen wollte. Einen Rechtsstreit mit einem Star-Anwalt aus Kalifornien kann ich mir finanziell nicht leisten.
Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, ein Kind zu kaufen?
Mein Freund und ich haben immer mal von Prominenten wie zum Beispiel Elton John gehört, die ein Kind von einer Leihmutter haben. Plötzlich fing es auch bei uns im Freundeskreis an, es gab die ersten schwulen Paare mit Kind. Dann waren wir zu einem Geburtstag eines Freundes eingeladen. Dort war ein Paar, das gerade ein Kind in Auftrag gegeben hat. Die zwei Männer waren die Stars dieses Geburtstags, wir alle hingen an ihren Lippen. Erst im Nachhinein begriff ich: Die zwei haben gezielt Werbung für Leihmutterschaft gemacht.
Wie kommen Sie darauf?
Erstmal war da die Vorbild-Wirkung. Es waren zwei absolute Vorzeige-Schwule. Gutaussehend, Gutverdiener, eloquent, sympathisch. Sie haben Telefonnummern verteilt, auf Agenturen und Bücher hingewiesen. Mein Freund und ich waren ganz angefixt von der Idee. Als ich mit 16 meine Coming-Out-Phase hatte, war es durchaus schmerzhaft für mich, zu begreifen, dass ich niemals Vater sein werde. Ich komme aus einer liebevollen Familie. Ich wäre gern Papa geworden. Und dann öffnete sich da auf einmal dieser Weg, der mir zunächst modern und sehr progressiv erschien.
Und wie ging es weiter?
Wir haben uns bei den Leihmutterschafts-Agenturen informiert. Wir sind in die vielen Foren und Chatgruppen von schwulen Vätern reingerutscht. Ich habe mich mit Männern aus Los Angeles ausgetauscht, als wäre es um die Ecke. So viele neue interessante Leute, eine neue schwule Community.
Natürlich haben auch viele Hetero-Paare Leihmütter.
Es heißt, die Kindkäufer sind zu 60 Prozent Heterosexuelle und zu 40 Prozent Homosexuelle. Ich will hier gar nicht die schwule Szene angreifen. Es gibt auch viele Schwule, die finden, Leihmutterschaft geht gar nicht. Und das gut situierte Hetero-Pärchen, das sich ein Kind in der Ukraine kauft, finde ich genauso fürchterlich wie das schwule Paar, das in den USA shoppen geht. Die USA sind für Schwule erste Wahl, weil Rechtssicherheit garantiert wird. In Länder wie die Ukraine, Russland oder Griechenland gehen eher die Hetero-Paare, weil Homosexualität dort noch ein Problem ist. Es soll aber auch viele schwule Männer geben, die mit ihrer besten Freundin hinfahren und sich als Hetero-Paar ausgeben, weil Leihmutterschaft in diesen Ländern einfach viel billiger ist.
Sie rutschten also in diese Szene rein. Trifft die sich auch real?
Ja, rund um Kinderwunschmessen finden auch immer Treffen für schwule Paare statt. Leute aus den Kliniken, Ärzte sind dann vor Ort und all diese schrecklich netten gutaussehenden MitarbeiterInnen der Agenturen, die dir helfen wollen „to make your dream come true“. „Love is Love“ ist das Motto. Die schaffen es, das Ganze als Fortschritt zu verkaufen. Und dann sind natürlich die „Men Having Babys“. Die Organisation hat um die 15.000 Mitglieder und veranstaltet weltweit Konferenzen für Leihmutterschaft. Da geht es ganz konkret um die Finanzierung und um Versicherungsaspekte, ja sogar um Rabatte. Ende April findet wieder eine in Berlin statt. Da trifft sich dann die Szene. Ich frage mich an dieser Stelle, warum Ärztinnen, die Schwangerschaftsabbrüche auf ihrer Homepage anbieten, verklagt werden können, Organisationen wie die „Men Having Babys“ aber für etwas höchstkommerziell werben dürfen, das in Deutschland verboten ist. Angepeilt wird wahrscheinlich die für Agenturen höchst lukrative Leihmutterschaft in den USA. Es werden die Besserverdiener umworben. Normalverdiener können sich das in der Tat kaum leisten, zumindest keine Kinder aus den USA. Die Kunden sind Anwälte, Fernseh-Produzenten, Ärzte, Notare. Power-Couples. Ein Kind aus einer Leihmutterschaft ist auch eine Trophäe. Ein schwules Paar, das eins hat, signalisiert: Hier, wir können uns das leisten.
Was wurde Ihnen über die Leihmütter erzählt?
Es hieß, viele wollen helfen und seien einfach gerne schwanger. An erste Stelle wird immer der Hilfsgedanke gestellt. Es wird erzählt, viele der Leihmütter hätten einen schwulen Bruder und seien so auf die Idee gekommen. Oder – und das finde ich besonders perfide –, dass es oft Frauen seien, die abgetrieben hätten und die Sache so für sich wieder gut machen wollen. Außerdem wäre es ja empowernd für uns alle, so als Gesellschaft. Und das Geld sei eigentlich nur Kompensation für die Schmerzen. Die Leihmutter wird meist „angel“ genannt. „Oh, she is such an angel!“
Ah ja.
Es fällt nie das Wort money. Es heißt: „We received your funds“. Es heißt auch nicht „contract“, sondern „agreement“. Alle sind auf einer „Journey“, die Leihmutter ist auf ihrer „Journey“, wir schwulen Väter sind auf unserer „Journey“. Dazu sind wir noch „stunning“ und „brave“, weil wir ja „Pioneers“ sind.
Wie hat eigentlich Ihr Umfeld reagiert, als Sie noch ein Kind planten?
Das habe ich da lange rausgehalten. Aber die gesamte schwule Szene war auf einmal total pro Leihmutterschaft. Es gab diese Kinderbücher, das „Regenbogen-Väterbuch“ zum Beispiel, oder „Papi, hast du ein Baby im Bauch?“. Es gab die Siegessäulen-Aktion „Bildet Banden“ für queere Familien. Schwule Paare mit einem Leihmutter-Kind saßen plötzlich in den Talkshows – und niemand fand das fragwürdig. Im Gegenteil, es gab Moderatorinnen, die sich über das „veraltete Embryonenschutzgesetz“ lustig gemacht haben. Die Medien berichten bis heute kaum kritisch. Fast alle wollen die hippe Regenbogen-Geschichte erzählen. Und das, obwohl Leihmutterschaft doch in Deutschland verboten ist.
Wie sind Sie denn mit dem Verbot umgegangen?
Ich würde sagen, in Wahrheit haben alle deswegen Bauchschmerzen. Was passiert, wenn was schiefgeht? Wenn wir die Papiere nicht bekommen? Wenn die Leihmutter das Kind nicht rausrücken will? Wenn das Geld nicht reicht? Was, wenn das Baby auf der Intensivstation landet? Denn dort landen fast alle Säuglinge aus einer Leihmutterschaft, weil der Prozess mit den Hormonbehandlungen und den oftmals fremden Eizellen eine große Belastung für Mutter und Kind sind. Aber die schwulen Vorzeige-Väter und Agentur-MitarbeiterInnen wischen alle Bedenken weg. Wer zu viel Bedenken äußert, der kriegt auch plötzlich Druck zu spüren.
Welche Art von Druck?
In erster Linie „finanzieller“. Ich wusste, ich muss um die 150.000 Euro einplanen. Und man kann ja nicht eben zur Bank gehen und sagen, ich würde gern ein Kind kaufen. Viele aus unserem Bekanntenkreis haben ihre Kinder in den Hausbau mit reingerechnet. Dann gab’s den Kamin halt gar nicht. Mein Freund und ich haben auch einen Kredit aufgenommen und so viel wie möglich nebenher gearbeitet. Dieser permanente finanzielle Druck verstellt einem auch das Gefühl für ethische Fragen. Ständig musst du Entscheidungen treffen. Willst du nochmal ein Screening, ob mit dem Kind alles ok ist? Soll die Leihmutter noch eine Fruchtwasser-Untersuchung machen? Etc. etc.
Wann kamen bei Ihnen denn die ersten Bedenken auf?
Ich hatte zum Beispiel auch einen netten Kontakt zu einem Spanier, der eine Agentur für Leihmutterschaft aufgemacht hat. Plötzlich rief er an und wollte mir eine „Flatrate-Aktion“ andrehen. Nur 20.000 Dollar für die Agentur, für uns exklusiv, wir müssten uns nur schnell entscheiden. Da dämmerte mir zum ersten Mal, dass das nicht richtig ist, was wir da vorhaben. Und einmal hat eine Leihmutter ein Foto bei Facebook gepostet, wie sie mit ihren anderen Kindern in einem Freizeitpark war und Achterbahn gefahren ist. Das war der Aufreger des Abends. „Die soll mit unserem Embryo im Bauch aus der Achterbahn raus, was fällt der ein?!“ echauffierten sich die Kaufeltern. „Da muss die Agentur ran!“ Wenn etwas nicht läuft, werden von der Agentur sofort Zahlungen minimiert oder eingestellt. Laufende Zahlungen von 200 bis 300 Dollar monatlich sind üblich. Mir ist mehr und mehr aufgefallen, wie abschätzig über die Leihmutter gesprochen wurde, wie rau der Ton generell wurde. Mein Freund und ich hatten nur noch Streit. Wir haben uns letztendlich darüber verloren. Auch ich habe mich zum Schlechteren verändert. Auch ich bin rau geworden.
Wann haben Sie die Reißleine gezogen?
Ich saß per Skype vor diesem Arzt in einer Klinik an der Ostküste. Er hatte sein Häubchen auf, das Stethoskop um den Hals, sah aus wie frisch aus dem OP. Er fing direkt an von „Family Balancing“ und „Gender Selection“ zu reden. Wir sollten uns entscheiden, ob wir einen Jungen oder ein Mädchen wollen und wie viele Embryonen wir einfrieren lassen wollen für weitere Geschwister. Ob wir schon wüssten, wo wir das Nabelschnurblut einfrieren lassen wollten. Wir sollten so richtig abgeschöpft werden.
Wenn es zum Geschäftlichen kommt, wird Klartext geredet?
In der Tat. Und bei Kritik. Ich habe angefangen, Fragen zu stellen und habe mir die Gegner von Leihmutterschaft angeschaut, zum Beispiel in dem Netzwerk „Stop Surrogacy Now“. Ich dachte erst, da sind evangelikale Lebensrechtler am Werk. Aber was ich gefunden habe, waren gute Argumente. Die habe ich übrigens auch in EMMA gefunden. Und dann war Schluss für mich. Ich habe die Babysachen, die wir schon hatten, verkauft und einen Schlussstrich unter meinen Kinderwunsch gezogen. Ein Wunsch gibt kein Recht, einen anderen Menschen so auszubeuten.
Und warum kämpfen Sie nun regelrecht gegen Leihmutterschaft?
Weil ich mich für das, was ich da vorhatte, heute schäme. Leihmutterschaft ist ein Verstoß gegen die Menschlichkeit. Es geht nicht um glückliche Familien. Es ist Menschenhandel, mit dem Milliarden verdient werden. Ich will, dass Menschen, egal ob homo oder hetero, auch die reale Seite von Leihmutterschaft sehen. Da werden zwei Menschen zu Ware gemacht. Mutter und Kind. Noch dazu kommt eine Frau, die ihre Eizellen verkauft und damit auch ihre Gesundheit aufs Spiel setzt. Die Leihmütter verkaufen ihren Körper, sie unterschreiben Schweige-Verträge, sie verpflichten sich zu Hormonbehandlungen, dutzenden Untersuchungen. Wird das Kind behindert, müssen sie es abtreiben. Werden es Mehrlinge und die Kaufeltern wollen nur eines, werden die restlichen Föten auch abgetrieben.
Wollen manche Leihmütter das Kind am Ende nicht hergeben?
Ja, das passiert sicherlich oft, das soll die Kundschaft aber nicht mitbekommen. Die Leihmütter müssen das Kind hergeben, aus dem Vertrag kommen sie nicht mehr raus. Sie haben ja auch Erklärungen zum Stillschweigen unterschrieben und dürfen ihre Geschichte nicht offen erzählen. Und sobald das Baby aus ihrem Bauch raus ist, interessiert sich kein Schwein mehr für sie. In Indien ist das ganz extrem, in den USA gibt es manchmal noch eine Art Nanny oder „Tummy-Mommie“- Kontakt, was in erster Linie den Industrie-Charakter der Kinderproduktion verschleiern soll. Diese Vorgehensweise ist zutiefst kolonialistisch. Wie kann eine bürgerliche Linke da denken, Leihmutterschaft hätte auch nur im Geringsten etwas mit „Empowerment“ zu tun?
Die Leihmütter stehen ja auch nie im Fokus. Nur Kaufeltern und die süßen Babys.
Niemand denkt an die Leihmütter! Diese Frauen stehen doch auch nie für sich allein. Oft haben sie Kinder, die wissen wollen, was mit dem Baby im Bauch, ihrem Geschwisterchen, passiert ist. Sie haben Eltern, die es nicht gut finden, wenn die eigene Tochter ihr Baby verkauft. Sie haben Nachbarn, Arbeitgeber, Freunde, die Fragen stellen. Nicht selten gibt es Probleme mit dem Ehemann. In vielen Foren schildern Leihmütter, wie sie mit ihrem Leben nach dem Verkauf des Kindes nicht mehr klarkommen.
Ihr Unbehagen stieg also?
Wenn man einmal etwas zur Ware macht, dann greifen auch alle warenähnlichen Mechanismen. Oh, das Kind hat Down-Syndrom? – Na, dann wollen wir es aber leider nicht. Ein Mädchen? Wir hatten aber einen Jungen bestellt. Zwillinge? Wir wollen nur ein Kind. Wie können wir es als Gesellschaft akzeptieren, dass ein Mensch so verdealt wird? Ich frage mich auch, wie man das später seinem Kind erklärt. Ja, du hast uns 200.000 Euro gekostet und die Frau, die dich geboren hat, mit der haben wir nichts zu tun. Was ist das für ein Menschenbild? Ich wundere mich auch, dass die deutsche Schwulenbewegung nichts dazu sagt. Was sagt denn ein Rosa von Praunheim dazu? Oder ein Martin Dannecker?
Was glauben Sie, warum die nichts sagen?
Ich glaube, es ist wie bei so vielen Themen gerade. Woke zu sein gibt die Agenda vor. Niemand möchte sich als Andersdenkender aus dem Fenster hängen. Überall wird der Regenbogen aufgezogen, quasi als Flagge der Guten. Deswegen überschneidet sich mittlerweile auch die Lobby für Leihmutterschaft mit der Transgender-Lobby. Anything goes. Wo bleibt die Diskussion? Wo bleiben die Argumente? Es reicht nicht „Love is Love“ zu sagen und damit jede Diskussion im Keim zu ersticken. Ich erschrecke mich jedes Mal über diese Dreistigkeit.
Was genau meinen Sie?
Zum einen die Dreistigkeit, generell auf Argumente zu verzichten und jede Kritik für unzulässig zu erklären. Da ziehen sich plötzlich Transfrauen Frauenquotenplätze rein, holen sich Goldmedaillen im Frauensport oder erklären sich zur schönsten Frau der Welt – und die anderen Frauen stehen lächelnd daneben. Viele Trans- Aktivisten verbitten sich empört jede Art von Diskriminierung, aber sie selbst diskriminieren Frauen auf Teufel komm raus. Ich verstehe auch die Frauen nicht. Warum lasst ihr euch das alles abjagen? Manchmal kommt es mir so vor, als wäre der Gejagte zum Jäger geworden. Lange waren wir die ‚schwule Sau‘, jetzt kommt die große Rache. Letzten Endes ist das auch eine toxische Männlichkeit. Na, und ob wir vorm Supermarkt die Regenbogenfahne flaggen! Und ob wir uns ein Kind kaufen können! Ich will das nicht. Nicht im Namen meiner Homosexualität. Ich will andere Menschen nicht entmenschlichen.
Das Interview führte ANNIKA ROSS