Buchmesse: Donne in Rivolta

Foto: © Tobis
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Italiens wichtigsten Literaturpreis, den Premio Strega, hat in diesem Jahr Donatella Di Pietrantonio für ihr Buch „L’età fragile“ (Das fragile Alter) gewonnen. Das ist auch ein Sieg für die Rechte von Frauen. Der Roman der 62-jährigen Schriftstellerin, die als Kinderzahnärztin in einer Kleinstadt bei Pescara tätig ist, erzählt von der komplizierten Beziehung zwischen einer Mutter und ihrer Tochter – und von einem längst vergessenen doppelten Femizid, der sich 1997 real in den Abruzzen auf dem Berg Maiella ereignete. Di Pietrantonio hat ihr Buch „allen überlebenden Frauen“ gewidmet. 

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Bei der feierlichen Preisverleihung am 4. Juli 2024 in der Villa Giulia in Rom gab sie auf der Bühne ein Versprechen ab: „Ich werde mit meiner Stimme die Rechte verteidigen, für die meine Generation von Frauen hart gekämpft hat und die heute nicht mehr selbstverständlich sind“, sagte Donatella Di Pietrantonio. Was sie dabei im Sinn hatte? 

Für Italiens Frauen geht es gerade um alles. Die Zahl der Frauenmorde ist hoch, alle 72 Stunden tötet ein Mann seine Frau bzw. Ex-Frau. Fast jede dritte italienische Frau zwischen 16 und 70 Jahren war in ihrem Leben schon Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt. 

Den Frauen Italiens reicht es mit der Männergewalt

Aber die Frauen wehren sich: Nach dem Femizid an der 22-jährigen Giulia Cecchettin am 11. November 2023 gingen Hunderttausende Italienerinnen auf die Straße, schrien ihre Wut hinaus und verlangten ein Ende der Gewalt. Der Film von Regisseurin und Schauspielerin Paola Cortellesi „Morgen ist auch noch ein Tag“ über eheliche Gewalt und die systematische Unterdrückung von Frauen in der Nachkriegszeit heizte die Debatte zusätzlich an: Viele Frauen erkannten in der Geschichte um Delia und ihren gewalttätigen Mann Ivano sich selbst oder die Geschichte ihrer Mütter und Großmütter wieder. Bisher haben den Film 5,5 Millionen Menschen in Italien gesehen. Er war dort erfolgreicher als „Barbie“. Während „Barbie“ von einer Puppe handelt, die zu einer Frau wird, erzählt „Morgen ist auch noch ein Tag“ von einer Frau, die zu einer mündigen Bürgerin wird. Am Ende des Films geht Delia zum ersten Mal in ihrem Leben wählen. 

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Paola Cortellesis Film spielt im Jahr 1946, als Italiens Frauen das erste Mal an einem Referendum teilnehmen durften. Ein Dreivierteljahrhundert später wurde im September 2022 eine Frau, Giorgia Meloni, zur ersten Ministerpräsidentin des Landes gewählt. Sie hatte auch die Unterstützung vieler Frauen. Nicht wenige hegten die Hoffnung, eine Regierungschefin könne nur gut für sie sein. Knapp zwei Jahre nach Melonis Amts­antritt ist die Bilanz eher ernüchternd. Die Ministerpräsidentin hat zwar klar Stellung gegen die Leihmutterschaft bezogen und ein Gesetz auf den Weg gebracht, das vorsieht, dass Paare, die sich im Ausland für eine Leihmutterschaft entscheiden, nach ihrer Rückkehr nach Italien strafrechtlich verfolgt werden. Beim Thema Gewalt gegen Frauen aber ist sie bisher zurückhaltend. 

Es sind Werke wie das Buch von Donatella Di Pietrantonio und der Film von Paola Cortellesi, die Italiens Öffentlichkeit dafür sensibilisieren, wie groß der Handlungsbedarf ist. Meloni aber hat andere Prioritäten. So wird das bestehende Recht auf Abtreibung weiter ausgehöhlt. Seit kurzem erlaubt eine neue Regelung, dass Abtreibungsgegner-Organisationen ihre Stände oder Büros genau dort haben dürfen, wo auch die verpflichtenden Beratungsgespräche vor einem Schwangerschaftsabbruch abgehalten werden. Das heißt, sie können Frauen, die abtreiben wollen, direkt in den Beratungsstellen ansprechen und unter Druck setzen. Dabei ist es in vielen Regionen ohnehin schon schwierig, überhaupt einen Termin in einer Klinik zu bekommen. Vielerorts machen 80 bis 90 Prozent der Ärzte von dem gesetzlichen Recht Gebrauch, eine Abtreibung aus „Gewissensgründen“ ablehnen zu können. Frauen müssen deshalb oft Hunderte Kilometer für den Eingriff fahren. (Das kann übrigens in Deutschland schon genauso sein, zum Beispiel in Bayern oder Niedersachsen.)

Donatella Di Pietrantonio hat die neue Regelung als „inakzeptablen Rückschlag“ bezeichnet: „Wir brauchen den Druck von Pro-Life-Gruppen in den Beratungsstellen nicht, die Frauen wissen selber ganz genau, was sie tun.“

Mit ihrem Eintreten für Frauenrechte stellt sich die Schriftstellerin in die lange Tradition von italienischen Autorinnen, die unerschrocken und klar Stellung bezogen haben und Vorreiterinnen im Kampf um weibliche Selbstbestimmung gewesen sind. 

Ein Meilenstein des italienischen Feminismus war Sibilla Aleramos Buch „Eine Frau“, das gerade mit einem Nachwort von Elke Heidenreich in deutscher Neuübersetzung erschienen ist. Als der autobiografische Roman 1906 in Turin herauskam, widmete man sich als bürgerliche Mutter vor allem der Kindererziehung und ging in die Kirche, während die anderen Mütter für einen lächerlichen Lohn in Tabakfabriken, der Textil­industrie oder auf dem Feld schufteten. In diesem Klima las sich „Eine Frau“ wie ein zorniges Manifest und hatte sofort großen Erfolg. Der Roman erzählt von Mutterschaft, dem Leiden an der starren Rolle der Ehefrau sowie von dem Bedürfnis, sich selbst retten zu wollen – was die Protagonistin dazu bringt, ihren Mann und ihr Kind zu verlassen. Vor allem aber schildert die Autorin eine Vergewaltigung in der ersten Person, was zuvor keine andere italienische Schriftstellerin gewagt hatte. 

In vielen der Bücher geht es um die Revolte gegen das Patriarchat

Entschlossenheit und Durchhaltevermögen brauchen Italiens Literatinnen noch immer. Der Premio Strega-Literaturpreis wird seit 1947, als er ins Leben gerufen wurde, jedes Jahr verliehen. Donatella Di Pietrantonio ist jedoch in diesen 77 Jahren erst die 13. Frau, der diese Ehre zuteilwurde. In Italien ist nach wie vor verbreitet, was die Aktivistin und Schriftstellerin Michela Murgia, eine Ikone der Frauenbewegung, vor einigen Jahren als „Unterrepräsentation des weiblichen Denkens in den Medien und kulturellen Räumen“ anprangerte: Die meisten gesellschaftlichen Debatten werden von Männern dominiert. 

Unter dem Hashtag #tuttimaschi, „alles Männer“, spießte Michela Murgia die fast komplette Abwesenheit weiblicher Intellektueller in Italiens Öffentlichkeit auf. Sie starb 2022 im Alter von 52 Jahren an Krebs. In ihrem Buch „Stai zitta e altre nove frasi che non vogliamo sentire più“ (Halt den Mund und neun weitere Sätze, die wir nicht mehr hören wollen) analysierte sie, wie Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen in Italien schon durch die Sprache stattfinden. In „God Save the Queer. Catechismo femminista“ ging Murgia, die katholische Theologie studiert hat, der Frage nach, wie man Feminismus mit seinem katholischen Glauben unter einen Hut bringen kann, etwa in Bezug auf Abtreibung. Als Schriftstellerin lieferte sie gesellschaftliche Gegenentwürfe: Ihr preisgekrönter Roman „Accabadora“ von 2009 schildert einen Kosmos von Frauen in ihrer Heimat Sardinien.

Auch in den Büchern von Italiens jüngster Autorinnengeneration geht es weiterhin um weibliche Selbstbestimmung. Beatrice Salvioni, die 1995 in Monza geboren wurde, machte das Ringen darum zum Kern ihres Debüts. Ihr Coming-of Age-Roman „Malnata“, der 2021 in Italien erschien, stand wochenlang auf der Bestsellerliste und wurde schon in 35 Sprachen übersetzt. Er spielt in der Zeit des Faschismus und erzählt die Geschichte zweier sehr unterschiedlicher junger Mädchen auf der Schwelle zum Erwachsensein. Die eine, Francesca, kommt aus bürger­lichem Haus und ist stets um Konformität bemüht; die andere, Maddalena, ist eine rebellische Außenseiterin, die nur Malnata (die schlecht Geborene) gerufen wird. Die Leute behaupten, sie ziehe das Unglück an. Die beiden Mädchen entwickeln trotz des gesellschaftlichen Widerstands eine tiefe Freundschaft zueinander. In mancher Hinsicht erinnert sie an Elena Ferrantes „Meine geniale Freundin“. Eine Verfilmung von „Malnata“ für das Fernsehen ist derzeit in Vorbereitung. Man wird also weiter über den Stoff reden – was nur gut für Italiens Frauen sein kann.   

Italienische Autorinnen auf der Buchmesse.

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