Gewalt: Jeden Tag ein Frauenmord!
Alle Jahre wieder… werden uns kurz vor dem 25. November, also dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, die immergleichen Textbausteine präsentiert. So auch in diesem Jahr. „Gewalt gegen Frauen nimmt in Deutschland weiter zu“, erklärten Frauenministerin Lisa Paus (Grüne), Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sowie BKA-Vizepräsident Michael Kretschmer auch diesmal wieder auf der rituellen Pressekonferenz am 19. November. Und das sei „unerträglich“ (Faeser), „beschämend“ (Paus) und ein „gesellschaftliches Problem“ (Kretschmer).
Und was folgt daraus? „Wir stellen uns Gewalt gegen Frauen entschieden entgegen“ (Faeser), „Frauen müssen besser geschützt werden“ (Paus) und es gelte „Null Toleranz für Gewalt gegen Frauen“ (Kretschmer). Denn: „Gewalt gegen Frauen geht uns alle an!“ (alle).
So weit, so vorhersehbar. Und, bei aller Langeweile ob der ewiggleichen Floskeln: so ärgerlich! Denn was bitte hat denn die „Fortschrittskoalition“ seit 2021 zum Schutz der Frauen getan? Nichts.
Immer noch fehlen in Deutschland rund 14.000 Plätze in Frauenhäusern. Laut Istanbul-Konvention müsste Deutschland 21.500 Plätze bereitstellen, es sind aber seit Jahren nur rund 7.000. Folge: Immer wieder schlagen die Frauenhäuser Alarm, weil sie Tausende hilfesuchende Frauen und ihre Kinder abweisen müssen. Und das endet nicht selten tödlich. Auch 2023 starb wieder jeden zweiten Tag eine Frau durch die Hand ihres (Ex)Mannes, insgesamt 155. 155 Frauen, getötet mitten in Deutschland durch den eigenen Mann oder Freund.
Die jährlich 30 Millionen Euro, mit denen die klammen Frauenhäuser besser ausgestattet werden sollten, hatte 2020 die schwarz-rote Vorgänger-Regierung beschlossen. 2023 hatte das Frauenministerium die Förderung auf 20 Millionen gekürzt.
„Neben harten Strafen brauchen wir verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings und elektronische Fußfesseln, damit die Täter ihr Verhalten tatsächlich ändern und sich betroffenen Frauen nicht mehr unbemerkt nähern können“, erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf der Pressekonferenz. In der Tat, das wären gute und wichtige Schritte.
Die Ampel hätte Maßnahmen gegen die Täter längst beschließen können
Aber warum hat die Ampel sie dann in den drei Jahren ihrer Regierungszeit nicht längst getan? Und stattdessen einen entsprechenden Gesetzentwurf von CDU/CSU im Sommer abgelehnt? Die Konservativen hatten darin die elektronischen Fußfesseln vorgesehen, außerdem härtere Strafen für Täter. Mit dem Merkmal der „Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit“ hätten viele Taten, die heute rechtlich noch als „Totschlag“ gelten, als „Mord“ verurteilt werden können. Weil der Vorschlag von der "falschen" Partei kam? Aber die geschlagenen und mit dem Tod bedrohten Frauen können sich Parteiengezänk auf ihrem Rücken nicht leisten.
Und was ist eigentlich mit der Finanzierung der Frauenhäuser aus dem Bundeshaushalt? Seit Jahrzehnten warten die Frauenhäuser darauf, dass der Flickenteppich aus kommunalen Zuschüssen, Landesgeldern und Spenden endlich abgelöst wird von einer verlässlichen Finanzierung, für die auch der Bund sorgt. Denn die Finanzierung von Frauenhäusern ist in vielen Bundesländern keineswegs Pflichtaufgabe, sondern Goodwill. Die Ampel hatte sich in den Koalitionsvertrag geschrieben, das nun endlich ändern zu wollen. Passiert ist: nichts.
Der Zeitpunkt des Gesetzentwurfs legt nahe: Alles nur Wahlkampf?
Doch, Moment: Frauenministerin Lisa Paus hat den Entwurf für ein „Gewalthilfegesetz“ eingebracht, das einen Rechtsanspruch auf Unterbringung in einem Frauenhaus vorsieht und auch, dass Geld dazu aus dem Bundeshaushalt verwendet wird. Wann hat Paus den Gesetzentwurf vorgelegt? Vor ein paar Tagen! Genauer: Am 6. November, dem Tag, an dem Bundeskanzler Scholz das Ende der Ampel verkündet.
Im Ernst? Drei Jahre lang hatte die Ministerin Zeit, das im Zweifel lebensrettende Gesetz vorzulegen. Und jetzt endlich kommt es – pünktlich zum Start des Wahlkampfs? Ein Schuft, wer Böses dabei denkt. Und ein Optimist bzw. eine Optimistin, wer glaubt, dass die CDU/CSU nun ihrerseits den Sprung über die Fraktionshürde wagen und dem so lang erwarteten Gesetz zustimmen wird.
Etwas Neues jedoch hatten die beiden Ministerinnen und den BKA-Vizepräsident dann doch zu berichten: Zum ersten Mal hat das BKA ein „Bundeslagebild geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ erstellt, das auf der Pressekonferenz am 19. November vorgestellt wurde. Die gute Nachricht: Endlich werden die sogenannten Femizide, also Frauenmorde, als Politikum behandelt.
Doch, es gab auch noch etwas Neues auf der diesjährigen Pressekonferenz...
„Femizide werden allgemeinhin verstanden als Tötungsdelikte an Frauen, weil sie Frauen sind, das heißt aufgrund einer von der Annahme geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit gegen Frauen geleiteten Tatmotivation“, heißt es im Lagebild. „In Deutschland treten unter anderem Tötungsdelikte zum Nachteil von Frauen sowohl in Form von Tötungen aus Frauenhass (Misogynie) als auch als Trennungstötung bzw. als Delikte auf, die im Kontext patriarchalisch geprägter Familienverbände oder Gesellschaften vorrangig von Männern an Frauen verübt werden, um die aus Tätersicht verletzte Ehre der Familie oder des Mannes wiederherzustellen.“
360 Frauen sind im Jahr 2023 einem „Femizid“ zum Opfer gefallen. Davon wurden 155 von ihrem (Ex)Mann getötet, weitere 92 wurden Opfer sogenannter „innerfamiliärer Gewalt“, also zum Beispiel eines „Ehrenmordes“ eines Vaters an seiner Tochter. Und die weiteren 113 Opfer? Hier wird es etwas unscharf. Denn offenbar bezieht das BKA hier alle Tötungen ein, bei denen „mindestens eine Frau unter den Opfern ist“.
Das Tatmotiv aber, so erklärt das BKA auf Anfrage von EMMA, wird hierbei gar nicht erfasst. Zumal es, so räumt das Lagebild ein, in Deutschland keine „einheitliche Definition des Begriffs Femizid“ gebe. Hier gäbe es also noch Verbesserungsbedarf, damit die so wichtige Statistik auch wirklich Aussagekraft bekommt.
Zurück zu den Frauenhäusern: Am Montag, also dem Anti-Gewalt-Tag am 25. November, wird Frauenministerin Paus eine Petition mit 70.000 Unterschriften entgegennehmen: „Gewaltschutz für alle – jetzt!“ Das fordern der Deutsche Frauenrat und weitere Organisationen wie die beiden Frauenhaus-Dachverbände, der DGB oder der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV).
Schon am Volkstrauertag am 17. November hatten die Femen eine Aktion am Brandenburger Tor gemacht: „Während es überall in Deutschland Denkmäler und Mahnmale für Männer gibt, die Menschen getötet haben, gibt es kaum Orte des Gedenkens für die Frauen, die durch Männerhand ermordet wurden. Das ist ein untragbarer Zustand, und mit unserem Trauermarsch haben wir ein Zeichen gesetzt – gegen das Vergessen und gegen die tödliche Untätigkeit der Politik.“ Der Slogan auf den nackten Oberkörpern der protestierenden Femen: „Frauen werden umgebracht, weil ihr euren Job nicht macht!“ So ist es.
CHANTAL LOUIS