EMMA ist eine "Rassistin"!
Mein Name ist Alexandra Eul, ich bin 35 Jahre alt, lebe in Köln und arbeite als Journalistin. Ich mag Singen, Klettern, Ski-Fahren, Diskussionen über die Zukunft der digitalen Gesellschaft, Scheibenwelt-Romane, Jazz und die asiatische Küche. Ich habe immer Fernweh, seit ich in meiner Kindheit wegen einer Mutter in der Entwicklungsarbeit jedes Jahr fast zwei Monate in Indonesien verbracht habe. Ich spreche drei Sprachen, verstehe eine vierte und habe einen auf der ganzen Welt verstreuten Freundeskreis.
Ich selbst spiele als Person in der Diskussion gar keine Rolle
Außerdem bin ich „Rassistin“.
Zumindest entnehme ich das gewissen deutschen Medien. Der Tag, an dem ich zum ersten Mal zur „Rassistin“ wurde, ist der 16. August 2010, mein erster Arbeitstag bei EMMA. Vorher wäre niemand auf die Idee gekommen, mich als solche zu betiteln. Ich selbst auch nicht.
Ich erinnere mich sehr gut an ein Wochenende kurz vor meinem ersten Tag in der Redaktion, ich war gerade erst von Hamburg nach Köln gezogen. Auf dem Brüsseler Platz, einem beliebten Kölner Treffpunkt, traf ich zufällig einen früheren Kommilitonen aus der Politikwissenschaft, politisch links engagiert. Was ich denn in Köln so mache, wollte er wissen. Ich fange bei EMMA an, antwortete ich. Du?! Bei diesen Rassistinnen?! blaffte er zurück. Ob mir denn nicht klar sei, dass Alice Schwarzer alle muslimischen Männer ausweisen will?!
Heute würde ich anders reagieren. Aber damals stand ich verschämt da und wusste überhaupt nicht, was ich sagen sollte. RassistIn – dieses Gefühl teile ich mit vielen Menschen meiner Generation – schlimmer geht’s nicht! Und jetzt ich ... ? Oh Gott, hatte er vielleicht sogar Recht?!
Natürlich nicht. Er hatte ja auch noch nie eine EMMA gelesen. Was auf die meisten zutrifft, die in den kommenden fünf Jahren in meiner Gegenwart so oder ähnlich reagierten. Immer dann übrigens, wenn es um den politisierten Islam geht. Die Lage der Menschen – insbesondere der Frauen – im Kongo oder in Nigeria oder in Nordkorea oder in Venezuela oder in Mexiko beschäftigt kaum jemanden, schon mal gar nicht an der Theke.
Was ich darüber hinaus in Kürze begriff: Ich selbst spielte als Person in diesen Debatten gar keine Rolle. Sobald der „Rassismus bei EMMA“ auf den Tisch kommt, stehe ich bis heute da wie ein leerer Mülleimer, in den einige Menschen ungefragt und ohne jede Hemmung ihren Müll auf meine Chefredakteurin Alice Schwarzer schütten. Ziemlich oft mit dem selbstgefälligen Ton derer, die davon ausgehen, dass sie die Allerersten sind, die den Mut haben, mir endlich mal die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Die Wahrheit über Schwarzer, die sie letztens noch – wann und wozu und mit welchen Worten ist egal! – in einer Talkshow gesehen haben.
Mit Frauen-
rechten brauche ich gar nicht erst anzufangen
Nach wenigen Monaten reichte es mir. Ich überwand mein Schamgefühl (gekoppelt an die Panik, in einem unbedachten Moment womöglich tatsächlich etwas zu sagen, was jemand als versteckten Rassismus interpretieren könnte). Stattdessen argumentierte ich. Mit Fakten. Wenn jemand behauptete: „Ihr diskriminiert Muslime!“ antwortete ich zum Beispiel: „Wir kritisieren nicht den Islam an sich, sondern den islamischen Fundamentalismus, der sich ja in erster Linie gegen Muslime und Musliminnen richtet! So, wie wir auch zu den ersten Kritikerinnen des christlichen Fundamentalismus zählen. Außerdem kritisieren wir die Außenpolitik des Westens, die in den letzten Jahrzehnten dazu geführt hat, dass die Fundamentalisten immer mächtiger geworden sind.“
Wenn mir jemand vorwarf, EMMA bevormunde muslimische Frauen und spreche ihnen ab, selbstbewusst und feministisch zu sein, antwortete ich: „Für uns schreiben seit Jahrzehnten zahlreiche Frauen aus dem muslimischen Kulturkreis über die Politik in ihrer Heimat und in Deutschland! Meine Kolleginnen stehen seit Ende der 1970er Jahre in Kontakt mit Frauenrechtlerinnen in Iran, in Algerien, in Syrien oder in Ägypten. Von diesen Frauen bekommen wir Informationen aus erster Hand! Und Alice Schwarzer war 1979 eine der ersten, die dem Hilferuf iranischer Frauen nach Teheran folgte.“ Ich gebe zu, mit den Jahren hat man auch ein paar Standardsätze parat ...
Bloß: Solche Argumente verpuffen im Nichts. So, als wären sie einfach nie ausgesprochen worden. Stattdessen ernte ich entweder einen mitleidigen Blick: „Na, dich haben sie aber ordentlich gehirngewaschen, was?“ Oder mein Gegenüber wirft mir fehlende Kritikfähigkeit vor: „Musst du gleich in diese aggressive Selbstverteidigungshaltung verfallen?! Dir kann man ja gar nichts mehr sagen, seit du für die Schwarzer arbeitest!“
In den vergangenen Wochen nun war es mal wieder soweit: Der Rassismusvorwurf gegen EMMA, genauer: gegen Alice Schwarzer, poppte pünktlich zur Flüchtlingskrise in linken Medien auf. Der Anlass: Unser Dossier über flüchtende Frauen. Darin hatten wir uns erlaubt, das Thema Frauenrechte und Gewalt gegen Frauen auf der Flucht und in den Flüchtlingsheimen anzusprechen. So wie übrigens u.a. auch die Süddeutsche Zeitung, die taz, Die Zeit und sogar die grüne Heinrich-Böll-Stiftung. Alles Institutionen also, die noch nie beschuldigt wurden, rassistisch oder „nationalistisch“ zu sein.
Das eigentliche Problem, das die Kommentatoren in den Medien haben, scheint zu sein, dass wir nicht nur die Opfer, sondern auch die eventuellen Täter benennen: Männer, die selber Flüchtlinge sind, aber dennoch auf der Flucht Frauen und Kinder vergewaltigen oder zwangsprostituieren. Oder die in den Notlagern übergriffig werden. Das jedoch gibt es, melden unter anderem auch die Vereinten Nationen. Aber wenn EMMA das sagt, ist das ein „Generalverdacht gegen muslimische Männer“! Dass manche Frauen nicht nur vor den Bomben des IS und des Westens, sondern auch vor der Männergewalt in ihren eigenen Ländern fliehen, ist scheinbar auch zu vernachlässigen. Hauptsache niemand ist beleidigt!
Und so herrscht seit Jahren die Omertà auch mitten in Deutschland auf Kosten der Frauen und Kinder. Was niemandem so nutzt wie den Rechten.
Und beim Islamismus
drücken wir halt mal ein Auge zu
Mit Frauenrechten, das habe ich darüber hinaus in den letzten fünf Jahren gelernt, brauche ich in der Rassismus-Debatte schon mal gar nicht zu kommen. Wenn in den Niederlanden ein muslimischer Fußballer einer Fernsehreporterin nicht die Hand gibt, weil sie eine Frau ist, oder ein Flüchtling von einer deutschen Helferin kein Essen entgegennimmt, weil sie eine Frau ist, dann ist das doch kein Problem!
Selbst die zarteste Kritik an so einem frauenverachtenden Verhalten, das habe ich mir nun schon mehrfach erklären lassen müssen, ist ganz einfach rassistisch. Denn dadurch könnte ja der Verdacht entstehen, dass alle Muslime auf dieser Welt Frauen nicht die Hand geben. So wie auch die Burka „nur ein Stück Stoff, ein Kleidungsstück ist“ (so deutsche Netzfeministinnen). Bei denen da in ihrer Kultur nämlich, da ist das eben so! Und wenn ich diese hehren Anti-RassistInnen dann frage, was sie denn sagen würden, wenn eine Weiße einem Schwarzen nicht die Hand geben würde, weil er schwarz ist, oder ein Nichtjude einem Juden nicht, weil er was gegen Juden hat – ja dann erschrecken sie nicht etwa. Nein, sie halten nur kurz inne, ganz kurz. Bloß nicht nachdenken. Bloß nicht überlegen, ob Rassismus, Sexismus und Antisemitismus etwas miteinander zu tun haben könnten. Das hieße ja, Frauen so ernst zu nehmen wie andere diskriminierte Gruppen.
In Sachen Islamismus aber sind wir hier im so hochentwickelten Europa alle irre tolerant – und drücken schon mal ein Auge zu, wenn es um Grundrechte geht. Dass viele Frauen und Männer auch in muslimischen Ländern unter Einsatz ihres Lebens für Freiheit und Gleichberechtigung kämpfen, für eine Gesellschaft, in der jedeR sich einfach so die Hand geben kann, interessiert nicht. Es steht selbstverständlich in EMMA. Aber die lesen meine anti-rassistischen FreundInnen nicht. Schließlich könnte sie sonst jemand für RassistInnen halten.
Alexandra Eul