Alice Schwarzer schreibt

Die Würde der Frau ist antastbar

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Was war passiert? Hatten "Playboy" und Konsorten gelernt aus dem Protest der 19 Frauen? Waren ihre Hasen jetzt frauenfreundliche Hasen? Wir verglichen mit alten Ausgaben. Nein, nicht "Playboy" hatte sich verändert. Wir hatten uns verändert. Unser Blick hat sich verändert. Das tägliche Bombardement mit Pornographie ist auch an uns nicht spurlos vorübergegangen.

Längst ist die illegale harte Pornographie in legale Billig- und Hochglanzzeitschriften übergeschwappt. Denen genügt es nicht mehr, unsere Haut zu Markte zu tragen. Die ziehen uns die Haut ganz vom Leib. Die gefolterte und zerstückelte Frau - das ist seine Antwort auf unsere Emanzipation.

Wer kann sich bei diesem Stand der Dinge noch über nach Inzestgierende Schulmädchen und nach Befriedigung lechzende Hündinnen im "Playboy" echauffieren? Old-Boy-Pornos, wie die Amerikanerinnen sagen. Die New Boys ziehen da ganz andere Saiten auf.

Dabei haben die Old Boys in den letzten zehn Jahren auch ganz schön dazugelernt. Waren früher die ausklappbaren Pin-Ups unbekannte Schöne, die nichts als ihre Silikonbrüste darboten, so sind es heute Frauen, zu deren bloßen Brüsten Playboy in Kinderschrift Geburtsort und Lieblingsspeise, Hobbies und Träume preisgibt.

Ihr beschwert euch darüber, dass wir Männer uns nur für eure Titten und Ärsche interessieren? Aber nein doch. Wir interessieren uns auch für eure Seelen. Die verkaufen wir jetzt gleich mit dazu.

Doch auch das kann den "Soft"-Porno nicht retten. Er verliert unerbittlich seine Marktanteile an den "Hart"-Porno. Folgerichtig, ist doch der Hart-Porno nur die logische Konsequenz aus dem Weich-Porno. Die Grenzen sind fließend, beides wird aus einer Quelle gespeist: aus der der Verachtung von Frauen. Der Unterschied ist nur ein Unterschied in Graden, nicht in der Sache. Und die Dosierung richtet sich nicht nach Männerlust, sondern nach Frauenstärke: Je bedrohlicher (für Männer) die Emanzipation, umso bedrohlicher die Pornographie.

Für diese These lieferte ausgerechnet das Zeitgeist-Blatt "Tempo" jüngst ein hübsches Beispiel aus dem Bereich der "angewandten Psychologie": Beim Betrachten "brutaler Sexszenen" schnellten bei den Frauen die Kurven höher: "Gehirn- und Herzströme, Pupillenerweiterung, Schweißbildung". Klar, Angst. - Oder? Nein, doch nicht klar. Für das Jungherrenmagazin handelt es sich bei diesen registrierten Reaktionen selbstverständlich um "sexuelle Erregungskurven". Jetzt klar?

82 Prozent aller Männer zwischen 18 und 65 kennen Pornos. Zwei Drittel aller Schüler/innen einer Frankenthaler Hauptschule sehen wöchentlich elf und mehr Porno- und Gewaltvideos. Jede dritte ausgeliehene Videokassette ist harte Pornographie.

Gesehen hat die natürlich keiner. So wie ja auch niemand die Pornohefte liest. Und der "Playboy" nur wegen der (vorgeblich) guten Interviews gekauft wird. - Wo also sind sie, all diese Jungs, die bis zur Halskrause vollgefüllt sind mit erniedrigenden und gewalttätigen Bildern von uns Frauen?

Sie sind auf der Straße. Am Arbeitsplatz. Im Parlament. An der Uni. In den Medien. In der Schule. Nebenan. Zuhause. Sie sehen die Pornos. Und sie sehen uns. Und sie sehen wieder die Pornos. Und sie sehen wieder uns. Genau das ist einer der Gründe, warum so viele Frauen die Bedrohung durch die Pornographie nicht wahrhaben wollen: Das soll ich sein? Dieses Stück Fleisch? Dieses willige Geschöpf? Diese winselnde Hündin? - Zu der Sorte Mensch soll ich gehören? Eine, die nur existiert, um SEINE Allmacht zu zelebrieren. Eine, die wimmert: Nimm mich, wie du willst! Mach mit mir, was du willst! Verfüge über mich. Benutze mich. Zerstöre mich. - So eine soll ich wirklich sein? - Nein. Das bin ich nicht! Lieber verschließe ich die Augen.

Und dann? Dann kriechen zu den Bildern von draußen die Bilder von drinnen. Und die sind oft nicht weniger beklemmend.

Denn die Erotik der Frauen selbst ist ja nicht frei von all dem, sie ist ganz einfach auch Produkt der herrschenden Verhältnisse - und damit keineswegs immer auf der Höhe feministischer Erleuchtung. Das gilt für Nicht-Feministinnen wie für Feministinnen.

Mit dem Widerspruch müssen (manche) Frauen leben: Sie kämpfen gegen eine Verachtung und Erniedrigung, die so manches Mal sogar unter ihrer eigenen Haut sitzt, zur Selbstverachtung und Selbsterniedrigung umschlägt. Auch und gerade erotisch. Da heißt das dann "Masochismus" und ist neuerdings wieder ganz chic.

Aber halt: Diese passiven, sich den Mächtigen anpassenden und unterwerfenden Phantasien von Frauen sind keine Realität. Die sexualisierten Machtphantasien von Männern hingegen, die sind Realität. Die meinen es ernst. Wie ernst, das zeigt uns die rasende Desensibilisierung und Brutalisierung in der privat wie öffentlich vorgeführten Erotik: Immer mehr Männer erwarten auch von ihren eigenen Freundinnen/Frauen die erniedrigenden Re-Inszenierungen von Pornographie. Zunehmend werden Vergewaltigungen und Sexualmorde nach Porno-Vorlagen "nachgespielt".

Die Scham und die eigenen Widersprüche. Zwei gute Gründe, Pornographie nicht wahrhaben zu wollen. Und es gibt noch einen dritten sehr guten Grund: die Angst. Denn Frauen, die den Kampf  gegen die Pornographie aufnehmen, machen sich unbeliebt. Sehr unbeliebt.

Das wurde ja oft genug an mir selbst und an EMMA exemplarisch demonstriert. Der von EMMA angezettelte sogenannte "Stern-Prozess" gegen die sexistischen (will sagen: pornographischen) Titelbilder brachte uns viel Dreck und viel Ärger (aber auch viel Zustimmung). Noch Jahre danach zerrte uns der "Stern" von Prozess zu Prozess, was unökonomisch fast kirre machte. Und der Auslieferungsboykott der letzten Emma-Ausgabe durch einen Teil des Handels ist auch alles andere als ein Zufall: Erst eine prompte Antwort der Porno-Branche. Hier wird nicht diskutiert, hier wird ökonmisch Tacheles geredet...

Denn an der Pornographie verdienen sie (fast) alle. Direkt wie indirekt. Pornographie ist ja soviel mehr, als das, was wir juristisch in unserem Gesetzesvorschlag zu erfassen suchen. Die konkret benennbare Pornographie ist in Wahrheit nur ein Teil des Problems: Was da lebensbedrohlich auf uns zukommt, das ist die Pornographisierung der ganzen Sexualität, ja der gesamten Geschlechter-Beziehungen.

Es geht bei der Pornographie nicht um Lust. Es geht um Macht. Dass Männer nur zu gern Lust mit Macht verwechseln, ist bekannt. Die herrschende Sexualität hat der Lust weitgehend den Garaus gemacht. Eros liegt plattgewalzt unter den Rädern der Sexmaschine.

Sexualität ist kaum Natur, sie ist vor allem Kultur. Sie ist Produkt vieler bewusster und unbewusster Einflüsse, Phantasien, Gebote und Zwänge unseres Lebens. Der erste scheue Kuss; der erste heimliche Sex; die Frauen, die eigentlich nicht wollen/dürfen und die mann zur "Liebe" erobert oder zwingt - all das haben nicht nur die Männer drauf, das haben auch wir Frauen drin.

Wo Staaten sich streiten, sind die Grenzen dicht. Wo Klassen sich bekämpfen, sind sie durch Wohnviertel getrennt. Wo Geschlechter aufeinander prallen, ist oft kein Millimeter Raum mehr zwischen den Leibern. Männer und Frauen teilen Tisch und Bett. Diese Erkenntnis ist nicht neu.

Die Konflikte, die daraus resultieren, müssen dennoch täglich neu durchgestanden werden. Nach außen wie nach innen. Auch und gerade von den Frauen und Männern, die es anders, die es besser machen wollen.

Sex und Gewalt sind heute in den Phantasien und Bedürfnissen von uns allen nur schwer lösbar miteinander verbunden. Es gibt jetzt wieder Sexualwissenschaftler, die das für angeboren halten. Feministinnen antworten ihren: es ist anerzogen und angeprügelt. Und die Pornographie festigt erneut und schürt verstärkt diese unselige Verknüpfung.

Pornographie macht die Frauen und die Sexualität kaputt. Pornographie, dieses "kalte Herz der Frauenfeindlichkeit" macht "Sexismus sexy" (McKinnon). Mehr noch: Sie macht den Geschlechterkampf zum Geschlechterkrieg. Pornographie ist Kriegspropaganda gegen Frauen.

Sie sind in diesem ihrem Krieg schon ganz schön weit gekommen: Am Anfang haben sie uns "nur" ausgezogen; dann haben sie uns "nur" vergewaltigt; dann haben sie uns "nur" gefoltert; jetzt zerstückeln sie uns. Immer mehr wird die Porno-Produktion zur Gewalt-Porno-Produktion. Jeder Bürger ein de Sade. Das ist Demokratie im Patriarchat.

Wir leben in einem Land, in dem, 40 Jahre nach der Nazizeit, die Propagierung eines plumpen Antisemitismus auf Protest stößt: Wer Bilder von hakennasigen, raffgierigen, kinderschändenden Juden veröffentlichen würde, bekäme Ärger. Zu recht.

Wir leben in einem Land, in dem, weit ab vom Schuss, die Propagierung eines plumpen Rassismus auf Protest stößt: Wer Bilder von trolläugigen, blöden, allzeit dienstbaren Schwarzen veröffentlichen würde, bekäme Ärger. Zu recht. Wir leben in einem Land, in dem, mitten im Geschlechterkampf, die Propagierung eines plumpen Sexismus eine Selbstverständlichkeit ist, Teil der "Meinungsfreiheit" und "echt in" in modernen Kreisen: allezeit, bereite, dümmliche, unterwürfige, verfügbare, benutzbare, missbrauchte Frauen.

Es gibt nur wenige Männer, die das empört. Was nicht verwunderlich ist. Gehören sie doch nicht zur Kategorie der Opfer, sondern zu der der Täter. Und Täter können bekanntlich gemeinhin besser schlafen als Opfer. Doch auch unter den Frauen sind : noch längst nicht alle gegen Pornographie. Das ist schon befremdlicher! Denn sie gehören zur Kategorie der Opfer. Ob sie wollen oder nicht.

Wenn wir den Kampf gegen die Pornographie nicht gewinnen, verlieren wir den Kampf um unsere Emanzipation. So einfach ist das. Nicht zufällig schließlich lautet der allererste Satz des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Die Würde der Frau ist antastbar. - Wie lange noch?

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