Alice Schwarzer über Vorbilder & Idole
Das Thema "Vorbilder" rennt. Und das nicht nur in der TV-Show "Unsere Besten", die zur Zeit einen Kessel Buntes über uns ausschüttet. Es gibt nicht nur einen Medien-Hype für Stars & Idole, es gibt auch ein zunehmendes Bedürfnis bei den Menschen, vor allem bei den Jungen, nach Vorbildern. In Amerika ist das Role Model längst ein gängiger Begriff im Zusammenhang mit benachteiligten Gruppen, wie Schwarze oder Frauen. Hierzulande kommt dieses Interesse gerade erst auf, vor allem bei den unter 30-Jährigen und den Frauen.
Menschen brauchen Vorbilder. Vor allem, wenn sie jung und in der Orientierungsphase sind. Denn sie werden nicht von abstrakten Erkenntnissen und hehren Zielen ermutigt, sondern vom Stoff des Lebens: von Menschen, die ihnen vorleben, was möglich ist und was nicht. Doch "der" Mensch ist traditionell ein Mann. Die Frau kommt nicht vor, sie steht daneben.
Identifiziert eine Frau sich dennoch mit Männern, wird sie im allerbesten Falle ein halber Mann werden können. Sie wird, auch wenn sie noch so tüchtig und anpassungsbereit ist, nur Gast sein in den Männerbünden - und sich als Frau verleugnen müssen. Will eine Frau wirklich ihren Weg gehen, kann sie sich zwar auch von Männern ermutigen lassen, ja braucht in der Regel ihren Segen - wie im klassischen Fall der "Vatertochter", des mit dem Vater identifizierten Mädchens -, aber muss sich letztendlich an Frauen orientieren können. Denn steht sie nicht in der Tradition ihres eigenen Geschlechts, bleibt sie ein Strohhalm im Wind und ist leicht wieder wegzupusten.
Männer haben Vorbilder und Idole. Sie können wählen über mehrere Jahrtausende Geschichte: von Sokrates, Marx, Goethe, Einstein oder Picasso über Gandhi und Brandt bis zu einem Richard Gere oder Arnold Schwarzenegger. Für Frauen jedoch gibt es ein regelrechtes Verbot, sich als Vorbild zu begreifen oder gar darzustellen. Denn das hieße ja, dass eine Frau sich selber ernst nimmt. Das hieße, dass sie der Auffassung ist, sie habe Beispielhaftes geleistet. Das hieße, dass sie glaubt, sie sei prägend für den Lauf der Dinge und für nach ihr Kommende. Kurzum, es hieße, dass sie sich erkühnt, aus der ersten Reihe vorzutreten - statt sich in der zweiten zu verstecken.
Das zu wagen, daran werden Frauen nicht nur von Männern gehindert, sie hindern sich auch selbst. Denn ihre Selbstverachtung impliziert immer auch Verachtung des eigenen Geschlechts. Aber eine, die sich nicht selbst verachtet, die stark ist und auch noch zu Recht stolz, die ist, ob sie will oder nicht, automatisch eine Herausforderung für alle Frauen: Seht her, es geht auch anders...
Auch Frauen könnten Vorbilder haben. Es mangelt nicht an weiblichen Persönlichkeiten und Stars in Geschichte wie Gegenwart. Denn auch Frauen haben trotz aller Widrigkeiten in allen Sparten der Gesellschaft immer wieder viel riskiert und Hervorragendes geleistet. Und es wäre beliebig, die eine oder die andere zu nennen, zu viele kommen infrage. Aber Frauen wird die Wahrnehmung als "vorbildhaft" meist schon zu Lebzeiten verwehrt. Nach ihrem Tode werden dann auch noch die raren Ausnahmen, die sich bei ihren ZeitgenossInnen einer relativen Anerkennung, ja Berühmtheit erfreuten, flugs wieder in die Versenkung verstoßen. Ihr Werk wird ignoriert, manipuliert, vernichtet.
Der einzige Part, den man Frauen zugesteht, ist die surreale Rolle des "Idols", das in der Regel als Kunstgeschöpf aus Männerhand gilt (wie Marlene Dietrich, die von sich selbst sagte, sie sei nur das Werk Sternbergs). Das nebulöse Terrain des Idols aber verführt eher zu schwächenden Illusionen, statt zur stärkenden Ermutigung. Aber Vorbildsein ist unlösbar mit Machthaben verknüpft, und sei diese Macht auch noch so relativ. Und Macht ist nicht minder tabu für Frauen - wie für jede unterdrückte Gruppe, das war traditionell für Juden oder Schwarze nicht anders.
In unseren modernen Gesellschaften werden die Machtlosen vom Griff zur Macht nicht mehr durch äußere Fesseln abgehalten, sondern durch innere. Und das so weit verbreitete Desinteresse der Machtlosen an der Macht ist Voraussetzung zum Machterhalt der Machthaber. Frauen haben ihre Machtlosigkeit verinnerlicht, und die meisten verklären diese auch noch. Sie sind stolz darauf, keine Macht zu haben oder kokettieren maximal mit der Macht innerhalb der Familie. Gesellschaftliche Macht scheint vielen Frauen das Böse an sich. Auch wenn sie in Wahrheit nach Macht streben, weisen sie dies als Unterstellung gerne weit von sich. Zumindest bisher war das so. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts fängt es an, anders zu werden.
Wie alles bei Frauen ist auch die Machtfrage sexualisiert und der Wert oder Unwert einer Frau als Objekt davon betroffen. Mächtige Männer sind männlich, mächtige Frauen sind unweiblich. Mächtige Männer gelten als erotisch, mächtige Frauen als abtörnend. Männer können sich ihrer Macht brüsten, Frauen müssen sich für Macht entschuldigen. Frauen müssen sich also entscheiden: Wollen sie Macht haben - oder wollen sie begehrt/geliebt werden? Da der Wert einer Frau traditionell von ihrem Begehrtwerden abhängig ist, lautet die Entscheidung einer Frau gemeinhin: Lieber machtlos sein und begehrt werden! Bei Frauen, die Macht wollen, aber nicht dazu stehen, führt dies häufig zu bigotten Inszenierungen des Stils: innen hart wie Kruppstahl und außen gewandet in rosa Zuckerguss; Befehle erteilen, aber mit Piepsstimmchen; Interessen durchsetzen und dabei mit den Wimpern klimpern.
Die ganze Welt konnte über Jahre den Zickzackkurs von Hillary Clinton als First Lady beobachten: Sie wechselte quasi wöchentlich die Frisur, um ihren Kopf zu verstecken. Jetzt, wo Hillary Rodham Clinton Kurs genommen hat auf Ms. President, liegt ihr Haar in betongeronnener Verkörperung von Männlich/Weiblich (forsch kurz, aber mit Wellen) wie ein Schutzhelm um ihren Kopf. Ob Hillary in Zukunft "männlich" und "weiblich" zugleich, eben einfach menschlich sein wird, oder ob sich unter der weiblichen Maskerade nur noch traditionell männliches Machtstreben verbirgt - also eines, dass Schwächere und damit auch die Frauen vergisst - muss sich noch erweisen.
Ganz wie bei der deutschen Hillary-Variante, deren Stress mit dem Dress die Nation ebenfalls seit Jahren verfolgt. Anfang der 90er musste die frisch aus dem Osten importierte Angela Merkel sich noch als "das Mädel" von Kohl mit den Rüschenkragen vorführen lassen. Seither sind ihre Kleidung und ihre Frisur Dauerthema, weit vor ihrer Politik. Aufatmen bei den mitleidenden - weil mitgemeinten - Frauen, als Merkel sich als Vorsitzende zum sachlichen schwarzen Anzug durchrang. Greift sie ab und an dennoch zum Rock, pflegen das auch Feministinnen vor dem Fernseher zu kommentieren: zu kurz, zu lang, zu tantig, zu spießig & Es scheint schier unlösbar: Wie kann eine Frau bestehen in den Männerriegen, ohne sich entweder selbstverleugnerisch anzupassen - oder aber selbsterniedrigend anzubiedern? Zu lange gehörten Frauen einfach nicht dazu, waren die Anderen, die Fremden. Und sind es noch. Die Spielregeln machen weiterhin die Männer.
Neuere internationale Studien zeigen, dass die so genannten soft skills - also die Inszenierungen und Eigenschaften, die traditionell Frauen zugewiesen werden, wie Emotionalität und Einfühlungsvermögen - zwar hochwillkommen sind zum Schmieren der verhärteten Berufswelt, den Frauen selbst aber eher schaden als nutzen. Weibliche Eigenschaften bei Chefinnen werden von Untergebenen genossen, aber nicht geachtet. Und die gelangen auf die weibliche Tour nur bis in die zweite Reihe, in der ersten aber sitzen weiterhin Männer - und die raren "männlichen" Ausnahmefrauen. Denn wirklich nach vorne im patriarchalen System kamen bisher nur die Frauen, die sich den Männern anpassen. Doch um welchen Preis? Man spricht ihnen entweder die "Weiblichkeit" sofort ab - und damit das Begehrtwerden - oder stößt sie mit spätestens Mitte/Ende Vierzig in die Unsichtbarkeit. Bisher zumindest war das so.
Die neuen Frauen wollen sich nicht mehr zwingen lassen zu wählen, sie wollen gleichzeitig ein weibliches und ein männliches Leben leben. Sie sind die Töchter der Emanzipation, denen erzählt wurde: Du kannst alles! Sie haben nicht selten wohlwollende Väter und emanzipationsfördernde Mütter. Und sie mischen Gelassenheit mit Gerissenheit. Denn sie haben gesehen, wie die Generation vor ihnen sich die Köpfe blutig gestoßen hat. Und sie glauben ans Ziel kommen zu können, ohne den gleichen Preis dafür zu zahlen.
Diese Töchter kennen sich aus. Sie sind kompetent und allemal tüchtiger als vergleichbare Männer, sonst wären sie gar nicht bis dahin gekommen. Sie wollen "einfach nur Mensch sein" und sich nicht länger einschließen lassen in der Frauenecke, weder von Männern noch von Frauen. Sie leben aber leider in einer Welt, in der Frauen weit davon entfernt sind, einfach nur Mensch sein zu dürfen, sondern noch immer - und neuerdings wieder verschärft - an der Frauenelle gemessen und auf ihr Frausein zurück geworfen werden.
Symptomatisch dafür war im Sommer 2003 ein Feuilleton-Spektakel über die angebliche "Männerdämmerung", heraufbeschworen von FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, 44. Von einer "Unterwerfung" der Männer durch die "mächtigen Frauen" war da wohlig-erschauernd die Rede (die "hohe Frau" lässt grüßen). Und davon, wie das alles nochmal enden könnte: in der Vernichtung der Männer! So wie bei Judith, die König Holofernes enthauptete; oder bei Charlotte Corday, die Revolutionsheld Marat in der Badewanne killte; oder bei "Katharina", wie Schirrmacher familiär "die Große" und bedeutendste Herrscherin der westlichen Geschichte nennt, die, so wispern gekränkte Männerphantasien bis heute, es in ihrer unersättlichen sexuellen Potenz mit Pferden getrieben haben soll. - Machtübernahme der Frauen oder Domina-Phantasien der Männer? Wohl eher letzteres.
Doch von wem droht, glauben wir der FAZ, dem starken Geschlecht eigentlich die tödliche Gefahr? Von den TV-Moderatorinnen Christiansen, Maischberger, Illner, Will und Slomka - ausgerechnet; und von den Verleger-Gattinnen bzw. -Witwen Mohn, Springer, Berkewicz dazu. Denn "die entscheidenden Produktionsmittel zur Massen- und Bewusstseinsbildung in Deutschland liegen mittlerweile in der Hand von Frauen", menetekelt Schirrmacher. "Insgesamt sind fast achtzig Prozent der Bewusstseinsindustrie in weiblicher Hand." Und von wem diese Hände sind! "Eine Telefonistin, ein Kindermädchen, eine Schauspielerin und Schriftstellerin und eine Stewardess definieren das Land", stöhnt der Studierte.
Jenseits aller Logik werden da Äpfel und Birnen, quotenabhängige Journalistinnen und unabhängige Unternehmerinnen durcheinander geworfen. Auch hat bisher noch nicht eine der genannten bisher durchblicken lassen, dass sie es anders machen wolle als die Männer oder gar ihre Macht pro Frauen zu nutzen gedenke. Macht nichts. Eine Frau ist eine Frau, schon qua Geschlecht und einschlägiger Vergangenheit (Sekretärin, Hausfrau). Und sie bleiben - unabhängig von Kontostand und Qualifikations- bzw. Bekanntheitsgrad - Objekt, und als solches Vorlage für schlüpfrige Männerphantasien.
Nach der Schirrmacher-Veröffentlichung griffen mehrere weibliche Edelfedern in Folge zum Laptop und stellten zu Recht klar, dass auch Nobelpreisträger Grass mal Steinmetz war und Außenminister Fischer Taxifahrer. Und sie erinnerten daran, dass, keine Sorge, 95 Prozent der Produktionsmittel und 99 Prozent der Alphajobs weiterhin fest in Männerfaust sind.
Aber das alles weiß auch der Feuilletonchef der FAZ, denn es steht ja täglich in seinem Wirtschaftsteil. Und darum geht es ihm auch gar nicht. Es geht ihm ganz einfach um die grundsätzliche und routinemäßige Feststellung: Eine Frau bleibt eine Frau bleibt eine Frau.
Und in der Tat, es ist was dran. In Zeiten der Forderung nach Partizipation ist es ein Trick, Frauen auf der Bühne vortanzen zu lassen, während Männer hinter den Kulissen die Strippen ziehen - und dann gerade diese Frauen gleichzeitig zur demütigen Demonstration von "Weiblichkeit" zu nötigen.
Bis vor gar nicht allzu langer Zeit gab es den Druck zur ewigen Jugend, Schlankheit und Faltenlosigkeit nur für Models und andere Berufsschönheiten. Es ist relativ neu und Tag für Tag im Fernsehen zu sehen, dass sich jetzt zum Beispiel auch Journalistinnen dem beugen müssen.
Erschwerend hinzu kommt ein spezifisch deutsches Erbe, das alle Vorbilder und Idole trifft, nicht nur die weiblichen: Deutsche tun sich schwer mit ihren Stars. Sie heben sie nur in den Himmel, um sie dann umso tiefer wieder fallen lassen zu können. Die Häme gegenüber "Promis" scheint hierzulande besonders verbreitet. Was auch daran liegt, dass die Deutschen sich vor nicht allzu langer Zeit so schrecklich verrannt haben mit ihrer Begeisterungsfähigkeit. Und weil das Trauma ihrer Hitler-Verehrung immer noch nicht verarbeitet ist, reagieren sie eben abwertend.
Diese typische deutsche Haltung haben auch die Söhne, die 68er, so besonders bigott vertreten. Denn sie haben, stramm basisdemokratisch, einerseits angeblich jegliche "Elite" abgelehnt, aber im selben Atemzug eine neue männliche Elite und Ideologie geschaffen, von Che Guevara bis Mao. Nur die 68erinnen haben das mit der Basisdemokratie anscheinend ernst genommen: Sie haben "Wir" gesagt, noch bevor sie gelernt hatten, "Ich" zu sagen. Mit dem Resultat, dass die 68er-Geschichtsschreibung, die sich zwangsläufig auch an Personen festmacht, ganz und gar ohne sie stattfindet.
Wir sehen, es ist noch ein weiter Weg für die Frauen in die Sphäre der Vorbilder. Denn ob sie will oder nicht, auch die erfolgreichste Frau wird nie als Individuum, sondern immer als Angehörige ihrer Gattung wahrgenommen. Sie kann es darum alleine gar nicht schaffen. Die Männerbünde lassen keine durch, und wenn, dann nur auf Zeit.
Der einzige Weg mit Zukunft scheint mir die Überwindung der Spaltung in hie männlich und da weiblich und die Gradwanderung der Doppelstrategie: Frauen müssen so tüchtig sein wie Männer, ja tüchtiger - sie dürfen aber nicht vergessen, dass sie Frauen sind. Vergessen sie es, verlieren sie ihre Identität und ihre Wurzeln - und damit ihre originäre Kraft. Nur die Frau, die im vollen Bewusstsein um ihr Frausein gleichzeitig die "männliche Anmaßung" (Jelinek) wagt, kann ein echtes Gegenüber für Männer und ein wahres Vorbild für Frauen sein.
Alice Schwarzer, EMMA November/Dezember 2003
Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung zum Nachdruck des (hier leicht gekürzten) Vorwortes aus Alice Schwarzer porträtiert Vorbilder & Idole (KiWi, 9.90 Euro)