Wer hat das fortschrittlichste Gesetz?
ABTREIBUNG
Schweden: "Für den Respekt vor der Freiheit der Frauen, über ihren Körper zu verfügen." – Schwangerschaftsabbrüche sind seit 1974 bis zur 18. Woche möglich. Der Staat übernimmt die Kosten. Die "Pille danach" wird rezeptfrei in Apotheken abgegeben.
Deutschland: Seit 1995 sind Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der ersten zwölf Wochen rechtswidrig, aber straffrei. Voraussetzung für die Straflosigkeit ist, dass die Frau an einer Beratung in einer dafür zugelassenen Beratungsstelle teilnimmt und diese die Beratung bestätigt. Abbrüche nach der zwölften Woche sind nur nach "medizinischer Indikation" möglich, also wenn ein Arzt bestätigt, dass bei Fortsetzung der Schwangerschaft "die psychische und physische Gesundheit der Mutter gefährdet" ist. Dieses Gesetz soll jetzt verschärft werden. – Deutschland hat eins der restriktivsten Abtreibungsgesetze in Europa, gleich nach Polen, Irland und Malta.
FAMILIENRECHT
Die Elternzeit
Schweden: "Für das hohe finanzielle Niveau des Elterngeldes und das angestrebte System des Alternierens zwischen Mutter und Vater." – Für den Zeitraum von 390 Tagen erhalten Eltern 80 Prozent des Bruttoeinkommens des-/derjenigen, der/die das Kind zu Hause betreut. Häufig übernimmt der Arbeitgeber die restlichen 20 Prozent. Die Elternzeit kann beliebig zwischen Mutter und Vater aufgeteilt werden. 60 Tage aber sind für den Vater reserviert. Nimmt er sie nicht, verfällt das Geld. Schweden führte die gemeinsame Elternzeit schon im Jahr 1974 ein und war damit absolutes Pionierland.
Deutschland: Seit 2007 erhalten Eltern 14 Monate lang 67 Prozent des Nettoeinkommens des-/derjenigen, der/die das Kind zu Hause betreut. Auch Deutschland hat zwei Vätermonate. – Familienministerin von der Leyen hat angekündigt, die Zahl der Vätermonate in der nächsten Legislaturperiode erhöhen zu wollen. Dann hätte Deutschland neben Schweden das fortschrittlichste Elternzeit-Gesetz Europas.
Die Scheidung
Spanien: "Für ein Scheidungsrecht, das weder einen Scheidungsgrund noch eine 'Reflexionsfrist' der Eheleute einfordert." – Seit 2005 können Paare sich scheiden lassen, ohne dafür einen Grund angeben zu müssen: "Das Recht auf freie Entwicklung der Persönlichkeit, die der Artikel 10.1. der Verfassung garantiert, bedeutet, dass dem Willen der Person, die nicht mehr in der Ehe bleiben möchte, größte Bedeutung beigemessen wird." Es ist ausreichend, dass einE EhepartnerIn die Scheidung wünscht. Auch Schweden und Finnland haben diese Regelung, aber in Spanien gilt zudem eine sehr kurze Mindestdauer der Ehe: Sie beträgt drei Monate und muss nicht eingehalten werden, wenn die Fortsetzung der Ehe für eineN EhepartnerIn eine "unzumutbare Härte" bedeuten würde. Das ist zum Beispiel bei Häuslicher Gewalt der Fall.
Deutschland: Seit der Familienrechtsreform von 1976 ist auch in Deutschland das Schuldprinzip abgeschafft. Seither gilt: "Eine Ehe kann geschieden werden, wenn sie gescheitert ist. Die Ehe ist gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wieder herstellen." Allerdings kann ein Ehepaar erst nach einer einjährigen Trennungsphase geschieden werden. Diese Frist verlängert sich auf drei Jahre, wenn einer der Partner nicht mit der Scheidung einverstanden ist. Erst dann wird "unwiderlegbar vermutet", dass die Ehe "gescheitert" ist. – Mit dieser Trennungsfrist liegt Deutschland im europäischen Vergleich im Mittelfeld.
Das Sorgerecht
Estland: "Für das Erteilen der elterlichen Sorge allein auf Grundlage der elterlichen Abstammung, die auch im Trennungsfall bei Mutter und Vater verbleibt." – Wie in den meisten anderen osteuropäischen EU-Staaten auch, haben Mutter und Vater des Kindes automatisch das gemeinsame Sorgerecht, unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder zusammen leben. Damit unterscheidet sich Estland von den Ländern, in denen die Mutter automatisch das Sorgerecht erhält, wenn die Eltern nicht verheiratet sind (wie Griechenland, Finnland, Luxemburg).
Deutschland: Seit Einführung des neuen Kindschaftsrechts 1998 sind auch in Deutschland nach einer Scheidung Vater und Mutter automatisch sorgeberechtigt. Es sei denn, ein Elternteil beantragt, dem anderen die Sorge zu entziehen. Der Antrag muss dann vom Familiengericht entschieden werden. Deutschland macht in Sachen Sorgerecht allerdings einen Unterschied zwischen verheirateten und unverheirateten Eltern: Bei unverheirateten Eltern liegt das Sorgerecht ausschließlich bei der Mutter. Es sei denn, das Paar gibt eine gemeinsame Erklärung ab, dass auch der Vater des Kindes sorgeberechtigt sein soll. – "Choisir la cause des femmes" sieht die "Coparentalité", also die gemeinsame Sorge von Mutter und Vater, als uneingeschränkt positiv an. In Deutschland hat es scharfe Kritik am neuen Kindschaftsrecht gegeben. So beklagen Gruppen wie der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV), dass Mütter, bei denen nach einer Scheidung immer noch in den meisten Fällen die Kinder leben, durch das automatische gemeinsame Sorgerecht den Vätern stark ausgeliefert seien. Die Rechtsprechung hat inzwischen präzisiert, dass der Elternteil, bei dem das Kind lebt (meist die Mutter), in "Fragen des alltäglichen Lebens" allein entscheiden kann.
Die Homoehe
Belgien: "Für eine Eingetragene Partnerschaft, die homo- und heterosexuellen Paaren gleichermaßen offen steht und sehr weitgehende Rechte beinhaltet." – Seit 2000 hat Belgien das "Gesetzliche Zusammenwohnen" für homo- wie heterosexuelle Paare eingeführt. Sie beinhaltet gewisse Rechte und Pflichten wie die, ein Beitrag zum gemeinsamen Haushaltseinkommen zu leisten, sowie steuerliche Vergünstigungen oder Unterhaltsverpflichtungen für eine Übergangszeit. Darüber hinaus hat Belgien im Jahr 2003 die Ehe uneingeschränkt für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet.
Deutschland: Seit 2001 ist es gleichgeschlechtlichen Paaren möglich, eine Eingetragene Lebenspartnerschaft einzugehen. Ursprünglich waren damit nur wenige Rechte verbunden, wie zum Beispiel das Recht, den gleichen Namen zu tragen. Seither sind durch immer neue Ergänzungsgesetze diese Rechte erheblich erweitert worden. So werden Eingetragene LebenspartnerInnen zum Beispiel bei der Hinterbliebenenversorgung gleichbehandelt wie Eheleute, im Todesfall übernimmt die überlebende Partnerin anteilig die Rente ihrer verstorbenen Lebensgefährtin. Auch die so genannte Stiefkindadoption ist möglich: Eine Partnerin kann das Kind ihrer Lebensgefährtin adoptieren. – Doch hat Deutschland bisher nicht (wie Belgien, Holland und Spanien) die Ehe für homosexuelle Paare geöffnet.
GEWALT
Die häusliche Gewalt
Spanien: "Für die Sensibilisierung für das Thema Häusliche Gewalt und Sexismus von Mädchen und Jungen bereits ab der Grundschule. Für die Fortbildung von MitarbeiterInnen der Sozialdienste, des Gesundheitsbereichs etc. Für sofortige Schutzmaßnahmen, mit denen die Polizei Opfer und Täter innerhalb kürzester Zeit räumlich trennen kann. Für die Einrichtung von Schutz- und Hilfseinrichtungen und die gesetzlich verbriefte Finanzierung dieser Stellen. Für die Bildung von Einheiten in Gerichten, die auf Häusliche Gewalt spezialisiert sind. Für harte Sanktionen gegen die Schläger, inklusive Täterprogramme." – Im Jahr 2005 hat Spanien dieses Rahmengesetz verabschiedet, das mit seinem Blick auf alle gesellschaftlichen Bereiche und seinem Ansatz von Prävention, effektiver Opfer-Hilfe und strenger Bestrafung der Täter sowie Täterprogrammen in Europa eine absolute Vorreiterrolle einnimmt.
Deutschland: Seit 2001 gilt in Deutschland das Gewaltschutzgesetz. Es ermöglicht, dem Opfer Häuslicher Gewalt die gemeinsame Wohnung zuzuweisen. Zeitgleich haben die Bundesländer in ihren Polizeigesetzen festgelegt, dass die Polizei einen Gewalttäter für zehn Tage aus der Wohnung weisen kann, und zwar ohne dass das Opfer seine Einwilligung geben muss. In vielen Bundesländern benachrichtigt die Polizei nach einer Wegweisung automatisch die Frauenberatungsstelle oder das Frauenhaus. – Vorbild für das deutsche Modell war Österreich. Während das Nachbarland allerdings dafür gesorgt hat, dass für die Beratungsstellen und Frauenhäuser ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, beklagen in Deutschland Frauenhäuser und Beratungsstellen seit Jahren starke Kürzungen. Deren Finanzierung ist in Deutschland Ländersache und in den Bundesländern eine "freiwillige Leistung".
Die Vergewaltigung
Frankreich: "Für die juristische Kategorisierung der Vergewaltigung als Verbrechen und die weit gefasste Definition der Vergewaltigung. Für das Gesetz vom 4. April 2006, das eine Vergewaltigung durch den Ehemann oder Partner als strafverschärfend ansieht. Für die Möglichkeit, nur auf Antrag des Opfers die Öffentlichkeit aus dem Gericht auszuschließen. Für die Möglichkeit des Opfers, sich vor Gericht von einer (Frauen)Organisation unterstützen zu lassen." – Seit 1980 ist Vergewaltigung in Frankreich definiert als "jeder Akt der sexuellen Penetration, welcher Art auch immer, den eine Person durch die Anwendung von Gewalt, Zwang, Drohung oder Überraschung begeht". Sie wird mit 15 Jahren Gefängnis bestraft. Verschiedene Tatbestände gelten als strafverschärfend, zum Beispiel: Wenn die Vergewaltigung vom Ehemann begangen wurde; wenn das Opfer unter 15 oder besonders schutzlos (z.B. behindert) ist; wenn die Tat aufgrund der sexuellen Orientierung des Opfers begangen wurde. Dann drohen 20 Jahre Gefängnis.
Weil acht von zehn Tätern die Öffentlichkeit bei ihren Verhandlungen ausschließen wollten, ist auf Druck von Frauenorganisationen 1980 die Gerichtsordnung dahingehend verändert worden, dass nur das Opfer den Ausschluss beantragen kann. Ein weiterer Erfolg ist die Tatsache, dass spezialisierte Organisationen, die mit Gewaltopfern arbeiten, das Opfer vor Gericht unterstützen und als Nebenklägerin vertreten können.
Deutschland: 1998 hat auch Deutschland die Definition von Vergewaltigung erweitert. Seither gilt nicht nur die vaginale oder anale Penetration als Vergewaltigung, sondern auch orale Penetration oder das Eindringen in den Körper mit einem Gegenstand. Außerdem wurde – nach harten Ringen und nur, weil sich weibliche Bundestagsabgeordnete zusammentaten und fraktionsübergreifend dafür stimmten – die Vergewaltigung in der Ehe mit dem gleichen Strafmaß unter Strafe gestellt (ein Jahr bei sexueller Nötigung bis 15 Jahre bei schwerer körperlicher Misshandlung). – Mit seiner weiten Definition der Vergewaltigung und der langen Verjährungsfrist von 20 Jahren rangiert Deutschland im europäischen Vergleich unter den fortschrittlichen Ländern. Ein Vertretungsrecht durch eine Opferorganisation gibt es allerdings nicht. Seit Jahren im Kreuzfeuer der Kritik stehen außerdem die niedrigen Mindeststrafen sowie die Tatsache, dass der "sexuelle Missbrauch widerstandsunfähiger Personen", also zum Beispiel einer behinderten Frau, nach wie vor mit einer besonders niedrigen Mindeststrafe belegt ist (sechs Monate).
Die Prostitution und Frauenhandel
Schweden: "Für das Verbot der Prostitution. Für die Bestrafung der Freier. Für die Straffreiheit der Prostituierten. Für die Hilfszentren für Prostituierte, die deren Wiedereingliederung ins Berufsleben zum Ziel haben und sich besonders um Ausländerinnen ohne Aufenthaltserlaubnis kümmern. Für Schutzmaßnahmen, die Prostituierte genießen, die Zuhälter und Frauenhändler nennen. Für die Einbindung der Medien in eine staatliche Kampagne gegen die Prostitution." – 1999 ist in Schweden das Gesetz Kvinnofrid (Frauenfrieden) verabschiedet worden. Seither kann der Kauf "sexueller Dienstleistungen" mit einer Geldstrafe oder bis zu sechs Monaten Gefängnis bestraft werden. Zehn Jahre später folgte Norwegen: Seit 1. Januar 2009 ist auch hier der Verkauf und Kauf von Frauenkörpern strafbar. Beide Länder verstehen das Gesetz auch als entscheidende Maßnahme im Kampf gegen den Frauenhandel.
Deutschland: Mit der rotgrünen Prostitutionsreform von 2002 wurde die Sittenwidrigkeit der Prostitution abgeschafft. Damit wurde die Strafverfolgung von Zuhälterei und Frauenhandel für Polizei und Justiz erheblich erschwert. An vielen Orten entstanden Großbordelle und in Wohnhäusern "Model-Wohnungen", das Rotlichtmilieu wird öffentlich bei Investoren als lukrativer Markt beworben. – Deutschland folgte mit der Legalisierung dem Beispiel der Niederlande, die die Prostitution im Jahr 2000 legalisierten. Seither wird in beiden Ländern ein Anstieg des Frauenhandels registriert. In anderen europäischen Ländern wird Prostituton als "Verstoß gegen die Menschenwürde" diskutiert.
POLITISCHE TEILHABE
Belgien: "Für eine Verfassung, die für alle Wahlen Quoten für politische Gremien festschreibt inklusive der Regierung. Für abschreckende Sanktionen für Wahllisten, die keine absolute Geschlechterparität berücksichtigen." – Als einziges europäisches Land mischt sich Belgien von Staats wegen in die geschlechterparitätische Gestaltung der Wahllisten der Parteien ein. 1999 wurde zunächst ein Gesetz verabschiedet, das Wahllisten verbietet, auf denen mehr als zwei Drittel der KandidatInnen einem Geschlecht angehören. Das Gesetz galt zunächst für Europa-, Landes- und Regionalwahlen, seit 2000 sind auch Provinz- und Kommunalwahlen eingeschlossen. Im Jahr 2002 wurde die belgische Verfassung geändert, die seither in Artikel 11 "Frauen und Männern den gleichen Zugang zu Mandaten garantiert". Seither sind die Wahllisten-Gesetze sukzessive angepasst worden: Frauen und Männer müssen jetzt zu gleichen Anteilen vertreten sein. Die ersten beiden Listenplätze müssen von je einer Frau und einem Mann besetzt sein.
Deutschland: Quoten für politische Gremien und die Besetzung der Wahllisten ist Sache der Parteien, die verschiedene Wege gehen: So quotieren die Grünen grundsätzlich 50:50 und haben eine geschlechterparitätisch besetzte Partei- und Fraktionsspitze. Die SPD quotiert mit 30 Prozent. Die CDU hat keine feste Quote, sondern ein 30-prozentiges Quorum. CSU und FDP quotieren nicht. Allerdings gibt es in Deutschland Quoten für den öffentlichen Dienst. Seit dem Verfassungszusatz zum Gleichstellungsartikel 3 ("Der Staat fördert die tatsächliche Gleichberechtigung und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile ein.") gilt, dass Stellen bei gleicher Qualifikation mit einem weiblichen Bewerber besetzt werden.
GEHALTSUNTERSCHIEDE
Der Gender Pay Gap in allen 27 EU-Staaten liegt bei durchschnittlich 15 Prozent. Das Land mit dem größten Unterschied zwischen Frauen- und Männereinkommen ist Estland, gefolgt von Zypern. Deutschland teilt sich den wenig ruhmreichen dritten Platz mit der Slovakei. In beiden Ländern liegt der Gender Pay Gap bei 22 Prozent. Selbst im feministischen Musterland Schweden liegt die Differenz zwischen Frauen- und Männereinkommen immerhin noch bei 16 Prozent. Die kleinste Lohn-Lücke klafft in Malta (3 %), Belgien (7 %) und Slovenien (8 %).