Unterwanderungsversuch bei TdF
Am 22. Juni, rund einen Monat nach der jährlichen Vollversammlung, erhielten nicht nur Geschäftsführerin Christa Stolle, sondern auch weitere 31 Terre-des-Femmes-Mitarbeiterinnen eine E-Mail von einem Absender namens „Feminismen ohne Grenzen“. Man habe das auf der Mitgliederversammlung „gemeinsam Erlebte" nun „aufgearbeitet“, hieß es da, und „einige besonders kritikwürdige Episoden in einem Offenen Brief thematisiert“. Dieser Offene Brief, verkündeten die anfangs noch 24 Unterzeichnerinnen, stehe ab morgen im Internet. Zudem würde die taz berichten. „Streit bei Terre des Femmes“, vermeldete taz-Redakteurin Simone Schmollack prompt am Tag darauf. Abgemacht ist abgemacht.
Ist Terre des Femmes etwa rassistisch?
„Unterwanderungsversuch bei Terre des Femmes“ wäre der präzisere Titel gewesen. Denn was sich da im Zuge der Mitgliederversammlung abgespielt hat, ist ein politisch nur allzu bekanntes Manöver: Eine Minderheit von Aktivistinnen attackiert die Arbeit der Mehrheit via öffentlicher Diskreditierung. Dabei geht es nicht nur um Rivalitäten und Posten, sondern auch um Positionen, politische Positionen. Diesmal trifft es die 1981 gegründete und gesellschaftlich wie politisch anerkannte Frauenrechtsorganisation.
Bei der Kontroverse geht es um Punkte, die zurzeit allgemein in der feministischen Szene strittig sind: um das Kopftuchverbot („Rassismus“), die Bekämpfung des Systems Prostitution durch die Bestrafung von Freiern („Diskriminierung von Sexarbeiterinnen“) und die Political Correctness in der Sprache („Diskriminierung von Transmenschen“ etc).
Terre des Femmes steht seit Gründung vor allem für Frauenrechte auch in den Kulturen, deren Tradition die Entrechtung der Frauen ist, denn die Welt ist auch eine Welt für Frauen, eine Terre des Femmes. Doch aus heiterem Himmel wird TdF nun plötzlich „Rassismus“ vorgeworfen. Und „Rechtspopulismus“ gleich dazu. Kommt das der geplagten Feministin bekannt vor?
„Wir befürchten, dass einige Positionen des Vereins (TdF) sowie Äußerungen und Stellungnahmen einiger Vorstandsfrauen zahlreiche Frauen* ausschließen, rassistische Ressentiments reproduzieren und rechtspopulistische Tendenzen in der Gesellschaft legitimieren“, rügen die inzwischen 33 Unterzeichnerinnen des Offenen Briefes. Sie „distanzieren“ sich im Nachhinein nicht nur von dem fünfköpfigen TdF-Vorstand, sondern auch von Beschlüssen, die auf der Mitgliederversammlung mehrheitlich gefasst wurden.
Allen voran von der Forderung nach einem „Kopftuchverbot für Minderjährige“. Dieses Verbot schüre, so heißt es in dem Offenen Brief, „antimuslimischen Rassismus“ und „stigmatisiere Eltern von Kopftuchträger*innen pauschal als Täter*innen“.
Auch die schon 2014 mehrheitlich beschlossene Forderung nach einer Freierbestrafung kritisieren die Verfasserinnen nun in ihrem Brief. Ein solches Sexkaufverbot reduziere „Sexarbeiterinnen“ auf „frauenfeindliche Klischees“, heißt es. Und weiter: „Wir wünschen uns differenziertere Debatten, die den vielfältigen Lebensrealitäten in der Prostitution gerecht werden.“
Diskriminiert Terre des Femmes Prostituierte?
Als drittes werfen die Briefschreiberinnen Terre des Femmes die „sprachliche und faktische Ausgrenzung von trans-, inter- und anderen Frauen*“ vor, die „sich nicht in das auf Mann und Frau beschränkte binäre Geschlechtersystem eingliedern können oder möchten“. Dabei hatte die Mehrheit der TdF-Mitfrauen nach langer Diskussion auf der Jahresversammlung im Mai eindeutig dagegen plädiert, das Binnen-I, das für weiblich und männlich steht, gegen Unterstriche und Sternchen auszutauschen.
Kurzum: 33 von rund 2.000 Mitfrauen von Terre des Femmes stellen rückwirkend zentrale Positionen von Tdf infrage, bzw. fordern gegenteilige Positionen. Das ist erstaunlich. Sollten diese Frauen dann nicht einfach ihren eigenen Verein gründen, in dem sie uneingeschränkt ihre Positionen vertreten können? Oder geht es hier um Unterwanderung von TdF? Um den Missbrauch des guten Namens einer bewährten Frauenrechtsorganisation für eine ganz andere Sache?
Terre des Femmes ist die letzte der großen Frauenorganisationen in Deutschland, die eine klare Haltung gegen Islamismus und Prostitution hat – im Gegensatz zum Deutschen Frauenrat, der seit 2013 eine offensive Pro-Prostitutions-Kampagne betreibt. Die TdF-Mitarbeiterinnen sind international vernetzt in Politik und Wirtschaft, sie werden als Beraterinnen in Gesetzgebungsverfahren herangezogen und als Sprecherinnen auf Podien eingeladen. Über ihre Kampagnenarbeit wird medial breit berichtet. Wer die Linie bei Terre des Femmes bestimmt, hat eine Stimme in der Debatte um Frauenrechte in Deutschland. Wer also sind diese 33 Frauen, die nun im Namen von Terre des Femmes reden wollen?
"Gerade mal die Hälfte dieser Frauen waren auf der Versammlung überhaupt anwesend", klagt die TdF-Geschäftsführerin Christa Stolle. „An dem Kopftuchantrag zum Beispiel, dem zwei Drittel zugestimmt haben, hat eine Algerierin mitgearbeitet, die miterlebt hat, wie in ihrer Heimat eine Schülerin aus der Nachbarschaft erschossen wurde, nur weil sie kein Kopftuch trug“, erinnert sie sich.
Die meisten der Briefschreiberinnen sind erst seit wenigen Jahren Mitglied bei der 1981 gegründeten Organisation: zum Beispiel die Missy-Herausgeberin Stefanie Lohaus, sie ist seit 2011 dabei. Oder die Pro-Prostitutions-und-pro-Freier-Aktivistin Sonja Dolinsek, sie ist erst in diesem Jahr beigetreten - erstaunlicherweise in eine Organisation, die seit drei Jahren die Freierbestrafung fordert.
Von den 33 arbeiten überhaupt nur zwei für TdF, zehn weitere sind ehemalige Mitarbeiterinnen. Hinzu kommen zehn Ex-Praktikantinnen, die den Offenen Brief unterzeichnet haben. „Das sind junge Frauen, die gerade erst von der Uni kommen, einige Wochen bei uns sind und mir dann erklären, dass ich - eine Deutsch-Türkin aus der muslimischen Community - als Islamkritikerin angeblich rechte Positionen vertreten würde“, erzählt Necla Kelek, die auf der Mitgliederversammlung erneut in den TdF-Vorstand gewählt wurde. Zusammen mit den Frauenrechtlerinnen Inge Bell, Godula Kosack und Hania Luczak.
Auch Christa Stolle, die als Geschäftsführerin ebenso im Vorstand sitzt, beobachtet seit einiger Zeit, dass Frauen in den Verein kommen, deren politische Positionen eigentlich im Widerspruch zu den Grundsätzen von Terre des Femmes stehen. "Wir sind eine Menschenrechtsorganisation. Kulturrelativismus, der Frauenfeindlichkeit im Namen einer Religion oder einer Kultur legitimiert, hat bei uns keinen Platz", sagt sie.
Bisweilen sind die Unterwanderungsversuche arg durchsichtig. So trafen nur wenige Tage vor der Vollversammlung im Mai in Berlin, auf der Terre des Femmes über die politischen Linien für das kommende Jahr abstimmte, plötzlich 30 Anträge auf Neumitgliedschaft ein - was die Mehrheitsverhältnisse der bei der Abstimmung Anwesenden auf einen Schlag hätte verändern können.
So versuchen sie, „unser feministisches Leitbild, also die DNA von Terre des Femmes, kulturrelativistisch aufzuweichen und den Kurs umzusteuern“, sagt auch Ingrid Staehle. „Aber das schaffen sie nicht, und deswegen sind sie frustriert und schreiben solche Briefe.“
Die Journalistin Ingrid Staehle hat Terre des Femmes 1981 in Hamburg initiiert. Auslöser: ein Artikel über Ehrenmorde und Genitalverstümmelung. Ihr Impuls war also von Anfang an der Kampf gegen die Entrechtung der Frauen in patriarchalen Kulturen. Über den "absurden" Rassismus-Vorwurf kann Staehle deswegen "nur müde den Kopf schütteln“.
Oder geht es hier mal wieder um etwas anderes?
Die Terre-des-Femmes-DNA setzt sich so zusammen: Seit Gründung kämpft die Organisation gegen Genitalverstümmelung und gegen die Gewalt im Namen der Ehre. 1988 erstellte TdF erstmals eine Dokumentation über „Frauenhandel in der BRD“, ein Jahr später folgte ein Seminar zum Thema "Pornographie - Prostitution - Prostitutionstourismus". Seit 2003 thematisiert Terre des Femmes ein Kopftuchverbot in Schulen und Ämtern, seit 2010 ein allgemeines Burka-Verbot.
"Die Verschleierung von Mädchen - ein zunehmendes Phänomen in vielen Schulen aller Altersstufen und bisweilen sogar in Kindergärten - steht für eine Diskriminierung und Sexualisierung von Minderjährigen. Sie markiert diese als Sexualwesen, als Verführerin, die ihre Reize vor den Männern zu verbergen hat", steht nun in dem verabschiedeten Antrag, nach dem TdF für ein Verbot des "Kinderkopftuches" eintreten soll.
Ginge es nach den 33 Briefschreiberinnen, deren Minderheitenposition so bereitwillig von der taz bekannt gemacht wurde, würde Terre des Femmes in Zukunft das Gegenteil von dem vertreten, wofür die anderen 1.967 Mitglieder stehen.
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