Vergewaltigung: Skandalöses Urteil!

© Christian Mang/ Imago
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Niemand bestreitet, was passiert ist. Nicht die Richterin, nicht der Staatsanwalt und auch nicht der Täter. Nämlich dies: In der Nacht des 18. August 2016 war die Frau in die Wohnung des 23-Jährigen gekommen, um von ihm Drogen zu kaufen. Gemeinsam nehmen sie Speed.

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Der Mann will Sex mit der Frau, sie lehnt ab. Er zerrt sie aufs Bett, zieht sie aus, drückt ihre Schultern gegen die Metallstäbe des Bettes und klemmt ihren Kopf zwischen zwei der Stäbe. Die Frau schreit „Aufhören“ und wehrt sich und kratzt den Mann. Schließlich gibt sie auf und lässt alles Weitere über sich ergehen. Vier Stunden geht die Tortur. Sie ist so gewaltsam, dass die Frau in den folgenden zwei Wochen „nicht richtig laufen kann“, berichtet die Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ).

All das ist, wie gesagt, unstrittig. „Ich glaube Frau G. jedes Wort“, erklärte die Richterin. Dennoch sprach sie den Angeklagten frei. Denn sie hatte Frau G. folgende Frage gestellt: „Könnte es sein, dass der Angeklagte dachte, Sie seien einverstanden?“ Die Opferzeugin antwortet: Sie könne nicht beurteilen, ob er mit der Mentalität des türkischen Kulturkreises das Geschehen, das sie als Vergewaltigung erlebte, „vielleicht für wilden Sex gehalten hat“. Auch der Staatsanwalt folgerte daraus, eine Verurteilung sei nicht möglich, denn es sei „kein Vorsatz erkennbar“.

Kein Vorsatz? Seit November heißt es im nach Jahrzehnten endlich reformierten Sexualstrafrecht: „Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

War der Wille der Frau nicht erkennbar, wenn sie „Aufhören!“ gerufen hat? Hat der Täter nicht gegen ihren Willen gehandelt, wenn er den Kopf der Frau zwischen den Metallstäben eingeklemmt hatte?

Und selbst wenn sie nach kurzem Widerstand die Vergewaltigung über sich ergehen ließ – das neue Gesetz erkennt an, dass Opfer manchmal aus Angst erstarren und sich nicht mehr wehren. Deshalb soll der Täter auch bestraft werden, wenn er ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen "entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern".

Sie wehrt sich, sie kratzt ihn und schreit "Aufhören!"

Das alles hat Richterin und Staatsanwaltschaft offenbar nicht interessiert. Denn sie haben nicht verstanden - oder nicht verstehen wollen – was alle 601 Bundestagsabgeordneten am 1. Juli 2016 einstimmig ein für alle Mal verändern wollten: Nein sollte nun endlich Nein heißen. „Eine Revolution für die Frauen!“ hatte EMMA über die Gesetzesreform gejubelt und erklärt: „Ab jetzt gilt im Sexualstrafrecht nicht mehr länger das selbstverständliche Verfügungsrecht des Mannes über den Körper der Frau, die bis dato nachweisen musste, dass sie dem Vergewaltiger massiven Widerstand entgegengesetzt hat. Nicht gelten ließen viele Gerichte bisher, dass das Opfer laut und deutlich Nein gesagt oder geweint hatte.“

Das Schöffengericht Brandenburg lässt ein Nein des Opfers offenbar immer noch nicht gelten. Dafür aber die Vorstellung des Täters davon, was einvernehmlicher Sex ist: eine Sexual“partnerin“, die „Aufhören“ schreit, während ihr Kopf zwischen zwei Metallstäben eingeklemmt ist.

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Sexualgewalt und Recht

Alice Schwarzer in der Universität Köln.
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Es war die Abschlussveranstaltung der von der Junior-Jura-Professorin Elisa Hoven initiierten Reihe „Sexualität und Recht“. In den Wochen zuvor hatten u.a. mehrere RednerInnen vorgetragen, die im Zusammenhang mit dem Thema als eher parteiisch bekannt sind: von dem so gerne pöbelnden Bundesrichter Fischer bis hin zu der Journalistin Rückert. Eine lebhafte Diskussion war also durchaus zu erwarten.

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Dennoch war es auch für Alice Schwarzer eine Überraschung, dass sich während der Debatte plötzlich Jörg Kachelmann im Publikum erhob. Da er für sie im Gegenlicht nicht zu erkennen war, fragte sie nach seinem ersten Statement: „Wer sind  Sie denn, mein Lieber?“ – „Jörg Kachelmann ist mein Name!“ lautete die Antwort.

Plötzlich erhob sich Jörg Kachelmann.
Plötzlich erhob sich Jörg Kachelmann.

Die Zuhörerschaft raunte, schien sich jedoch wenig für Kachelmanns Beitrag zu interessieren. Dessen ausufernde Rede ging schließlich in Buhrufen aus dem Saal unter. Die Diskussionsleiterin, Prof. Kirsten Schindler, ging also zur nächsten Frage über.

Doch dann erhob sich der Mann neben Kachelmann – es war sein Rechtsanwalt Johann Schwenn. Da war Alice Schwarzer nun vollends überrascht. Sie gab ihrer Verwunderung darüber Ausdruck, dass die beiden Herren offensichtlich extra aus Zürich und Hamburg angereist waren. „So tief sitzt das? So ein leidenschaftliches Ding ist das, dass die beiden Herren aus Hamburg und Zürich angereist sind?“, sagte sie lächelnd. Und sie fügte hinzu: „Ich hoffe, Sie verstehen das richtig, ich meine es sogar ernst: Irgendwo bin ich gerührt.“

https://twitter.com/Gangsterbrain/status/829777435730247681

Doch gerührt waren bei weitem nicht alle. Kachelmann twitterte gewohnt enthemmt los. Die FAZ behauptete, Schwarzer habe Kachelmanns „Freispruch in einem Vergewaltigungsprozess offenbar als Beleg für die ‚Täterjustiz‘ bezeichnet“ (und berief sich dabei auf die Mitteldeutsche Zeitung). Die anscheinend vorabinformierte Süddeutsche Zeitung war immerhin anwesend, mit Berichterstatterin und Fotograf, scheint aber dennoch auf einer anderen Veranstaltung gewesen zu sein. Die SZ musste inzwischen die Behauptung in der Erstfassung ihres Textes, Alice Schwarzer habe gegen Kachelmann einen "Vergewaltigungsvorwurf" erhoben, zurücknehmen. Ebenso musste die Zeit die Behauptung korrigieren, Alice Schwarzer sei "in sämtlichen Instanzen" Kachelmann unterlegen. Irgendwie reicht es mit den Fake-News!

Hier nun der Wortlaut der Rede von Alice Schwarzer an der Universität Köln vom 9. Februar 2017:

Ich danke für die Einladung zum Abschluss dieser hochaktuellen Vortragsreihe. Sie haben ja so einiges zu hören bekommen in den vergangenen Wochen und werden sich zuguterletzt eine eigene Meinung bilden können.

Dass Recht nicht gleich Gerechtigkeit ist, wissen Sie. Doch wir sollten nie aufhören zu versuchen, die Schere zwischen Recht und Gerechtigkeit so klein wie möglich zu halten. Das ist besonders schwer bei dem Thema, das Sie sich hier vorgenommen haben. Aber lassen Sie mich Ihre Fragestellung – „Sexualität und Recht“ vorab präzisieren:

In der Sexualität hat das Strafrecht selbstverständlich nichts zu suchen. Soweit wir unter Sexualität die Kommunikation zwischen Gleichen und in Einvernehmlichkeit verstehen. Es kann beim Strafrecht nur um Sexualgewalt gehen. Wenn also ein Ungleichgewicht zwischen den Personen besteht. Sei es, es handelt sich um einen Erwachsenen und ein Kind; sei es, es handelt sich um ein Abhängigkeitsverhältnis; sei es, es handelt sich um eine dem Anderen von dem Einen aufgezwungene Sexualität. Also um Sexualgewalt, physische oder psychische Gewalt. Darüber sprechen wir hier.

Darum müssen wir zuvor einen kleinen Exkurs in die Geschichte der Sexualität machen, damit wir verstehen können, wo die einvernehmliche Sexualität aufhört – und die Sexualgewalt anfängt.

Doch zunächst meine fünf Thesen:

These 1: Die Täterjustiz. 
Wir haben in Deutschland strukturell eine Täterjustiz, die Täter schützt und Opfer zusätzlich ausliefert. Das kommt im Sexualstrafrecht, wo in der Regel Aussage gegen Aussage steht, besonders stark zum Tragen.

These 2: Politische Prozesse
In einem Strafprozess sollte es eigentlich immer nur um den jeweils individuell Angeklagten gehen. Doch das ist keineswegs immer der Fall. Manche Prozesse werden, weit über ihre Bedeutung für die konkret Betroffenen hinaus, zu „politischen Prozessen“, die die Öffentlichkeit bewegen, weil sie den Zeitgeist treffen.

These 3: Die fatale Rolle der Gutachter. 
In allen Prozessen, vor allem aber in Prozessen zu Sexualverbrechen – vom Missbrauch über die Vergewaltigung bis hin zum Sexualmord – spielen seit den 80er Jahren Gutachter eine zunehmende Rolle. Allen voran die psychologischen Gutachter. Es ist von der Gefahr einer „Entrechtlichung“ der Gerichtsbarkeit durch die „Psychologisierung“ die Rede. Und es stellt sich die Frage: Geben die „Richter in Schwarz“ ihre Verantwortung und Macht also zunehmend an die „Richter in Weiß“ ab?

These 4: Die übergriffige Rolle der Medien. 
Es steigt auch der Einfluss der Medien auf die Richter, vor allem der der so genannten Leitmedien. Denn sie berichten nicht nur, wie es ihre Aufgabe wäre, sondern sie nehmen Urteile vorweg, verteilen Noten an Staatsanwälte und Richter und schüchtern so die Gerichte ein.

These 5: Die Litigation PR
Der Rückzug der Richter hat ein Vakuum geschaffen für die so genannte Litigation PR. Der Begriff kommt aus Amerika und bedeutet eine gemeinsame Strategie von: Strafverteidigern, Medienanwälten, Gutachtern und gewissen Journalisten – zugunsten des Angeklagten, versteht sich. Die Litigation PR ist eine Frage von Geld und führt so durch die Hintertüre die Klassenjustiz wieder ein.

Doch bevor ich zu den Ausführungen dieser Thesen komme, noch der kleine Exkurs in die Geschichte der Sexualität.

Sexualität war
lange nur
Machtausübung

Über Jahrtausende war Sexualität keine Frage von Lust, sondern eine Frage von Macht. Ehefrauen waren zum Schwängern da, Männer kauften sich Prostituierte oder vergewaltigten als Herren das Personal oder als Sieger die Töchter und Frauen der Verlierer. Der Anspruch, dass Sexualität gegenseitig und, wie es jetzt immer so schön heißt, „einvernehmlich“ sein soll, ist relativ neu.

Auch die Sexuelle Revolution der 68er hatte an der Sexualität als Instrument der Machtausübung nichts geändert. Nur eines war anders geworden:

Gehörte eine Frau früher nur einem Mann, so sollte sie fortan allen gehören. Dafür stand der Slogan: „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.“

Die eigentliche Sexuelle Revolution kam erst Anfang der 70er Jahre mit der Frauenbewegung. Sie stellte als erste die Machtfrage. Feministinnen kündigten das Monopol der Heterosexualität auf und forderten eine gleichberechtigte, gegenseitige Sexualität auch zwischen den Geschlechtern. Wie bei allen Revolutionen gibt es seither Fortschritte und Rückschritte zugleich.

Eigene Erfahrungen und Beobachtungen sowie die Erkenntnisse der Sexualwissenschaft sprechen zwar für die Zunahme einer „kommunikativen“ Sexualität auch zwischen den Geschlechtern. Gleichzeitig aber ist da die von der allgegenwärtigen Pornografie angefeuerte Verknüpfung der sexuellen Lust mit der Lust an Erniedrigung und Gewalt. Diese Gemengelage macht die Unterscheidung zwischen „freiwilliger Sexualität“ und sexueller Gewalt nicht gerade einfacher.

Doch kommen wir zu meinen fünf Thesen:

These Nr. 1: Die Täterjustiz. 
In der jungen Bundesrepublik herrschte zunächst durchaus noch die Mentalität der Nazizeit – es waren zu Teilen ja auch noch dieselben Juristen in Amt und Würden.

Das bedeutete: Ambivalenzen bei Schuld und Sühne wurden verdrängt, es gab nur Gut und Böse; Täter waren keine Menschen, sondern „Bestien“. Und so mancher war rasch wieder dabei mit den alten Kopf-ab-Parolen.

Das änderte sich 1967 mit dem Prozess gegen Jürgen Bartsch in Wuppertal. Der damals 20-Jährige hatte vier kleine Jungen aus sexueller Lust gefoltert und ermordet. Die Wogen schlugen hoch. Viele wollten den Kopf der „Bestie“ rollen sehen. Dagegen stellte sich erstmals eine Berichterstattung, die aufklärte: Auch Täter sind Menschen. Und die die Frage stellte: Wie werden Menschen eigentlich zu Tätern?

Ich selber war damals als junge Journalistin mehrfach im Bartsch-Prozess, nicht als Berichterstatterin, sondern als Beobachterin aus persönlichem Interesse. Und in der Tat: Es war schwer vorstellbar, wie dieser so sanft aussehende junge Mann zu einem so gefühllosen, sadistischen Täter hatte werden können. - Bartsch starb tragischerweise zehn Jahre später an einer auch von ihm selbst gewünschten Kastration. Es hatte ihm offensichtlich niemand gesagt, dass seine mörderische Lust sich nicht in seinen Genitalien, sondern im Kopf abspielte.

Der Bartsch-Prozess war der Turning Point in dem Kapitel „Sexualgewalt und Strafrecht“; also in Prozessen, in denen in der Regel Männer die Täter sind und Kinder oder Frauen die Opfer.

Von nun an beschäftigten sich die als aufgeklärt und fortschrittlich verstehenden Journalisten einfühlsam mit den Tätern. Was nicht falsch war. Aber: Gleichzeitig gerieten die Opfer aus dem Blick.

Führend bei dieser Pro-Täter-Gerichtsberichterstattung war zunächst Uwe Nettelbeck von der Zeit und sodann Gerhard Mauz vom Spiegel. Fatalerweise wurden die Täter jetzt nicht nur zunehmend verstanden, sondern auch zunehmend entschuldigt. Und gleichzeitig wurden die Opfer von Sexualverbrechen ignoriert oder sogar degradiert.

Nicht zufällig habe ich 1977 in der ersten EMMA einen Essay veröffentlicht mit dem Titel „Männerjustiz“, parallel zu dem Begriff Klassenjustiz. Nur, dass über die Klassenjustiz damals alle redeten – die Männerjustiz jedoch noch nicht einmal ein Begriff war. Dabei war sie allgegenwärtig: So wurde zum Beispiel die Minderheit der Gattenmörderinnen doppelt so häufig zu lebenslänglich verurteilt wie die Mehrheit der Gattenmörder. Und die „gekränkten Männer“ bzw. die angebliche „Dominanz“ des weiblichen Opfers war ein Milderungsgrund bei Prozessen, bis hin zum Freispruch. Das Kriterium „gekränkte Männerehre“ ist seltener geworden.

Aber immer noch ist die so genannte „Heimtücke“ ein strafverschärfendes Mordmerkmal. Sie kommt vor allem bei Täterinnen zum Tragen. Denn die greifen, sei es aus mangelnder Körperkraft oder wegen ihrer jahrelangen Demütigung und Brechung nicht offen an, sondern hinterrücks.

Ich habe den Begriff der „Heimtücke“ 1977 erstmals kritisiert – doch bis heute gilt sie als Mordmerkmal, also als strafverschärfend.

Mörder haben
kalte Mütter -
Opfer sind dominant

In der ersten EMMA analysierte ich 1977 auch den Prozess gegen den Prostituiertenmörder Fritz Honka, ein Jahr nach dem „UNO-Jahr der Frau“. Honka hatte vier ältere Prostituierte vergewaltigt, gefoltert, erdrosselt und verstümmelt. Alle vier waren nach ihrem Tod von niemandem vermisst worden. Für seine bestialische Ermordung der Allerschwächsten bekam der Serienmörder nicht etwa lebenslänglich und Sicherheitsverwahrung, sondern 15 Jahre und eine Einweisung in die Psychiatrie.

Die Richter hatten teilweise wörtlich die Formulierungen aus der Berichterstattung des Spiegel-Reporters Mauz übernommen. Der hatte geschrieben, die ermordeten Frauen seien „schlampig und dreckig“ gewesen; Honka hingegen sei „ein Moralist“ gewesen, für den „Sauberkeit und Ordnung hohe Werte“ seien. Mauz weiter über den Prostituiertenmörder: „Die niederdrückende Last seiner Erfahrung mit Frauen hat ihn flachgemacht, was sein Verhältnis zu Frauen angeht. Er suchte die Partnerin, das Gespräch, den Austausch, jene Hilfe, die allein das Gespräch zwischen den Geschlechtern geben kann.“ So der Spiegel-Autor wörtlich.

Honka wurde 1993 entlassen und zog – anonymisiert – in ein gemischtgeschlechtliches Altersheim. Man kann nur hoffen, dass ihm da keine „schlampigen“ Frauen begegnet sind.

Seit den 70er Jahren beherrscht die Pro-Täter-Einfühlsamkeit also die fortschrittliche Gerichtsberichterstattung und Rechtsprechung. Sie trieb zum Teil fantastische Blüten. Ich komme noch darauf zu sprechen.

Als Feministinnen Mitte der 70er Jahre begannen, die Gewalt gegen Frauen und den Missbrauch von Kindern zu thematisieren, wurden sie zunächst ausgelacht. Doch schnell waren die Frauenhäuser überfüllt. Heute lacht niemand mehr.

Es sollte allerdings nochmal über 40 Jahre dauern, bis das Vergewaltigungsgesetz der Realität angepasst wurde. Erst seit der Reform im Juli 2016 gilt, ich zitiere: „Wer gegen denn erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ Will sagen: Nein heißt endlich Nein! Das war bitter nötig.

Das Gesetz wurde einstimmig verabschiedet, von 601 Abgeordneten der 601 Abgeordneten. Was Teile der Medien nicht hindert, unqualifiziert zu hämen. Unqualifiziert, weil sie offensichtlich nicht gewillt sind, die Realität zur Kenntnis zu nehmen. Und diese Realität sieht so aus: Vergewaltigung ist in Deutschland bis heute ein quasi straffreies Verbrechen. Nur jeder 100. Vergewaltiger wird auch verurteilt.

Kein Wunder, noch 2006 hatte der Bundesgerichtshof einen Freispruch mit den folgenden Worten gerechtfertigt: Dass „der Angeklagte der Nebenklägerin die Kleidung vom Körper gerissen und gegen deren ausdrücklich erklärten Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hat“, belege „nicht die Nötigung des Opfers durch Gewalt. Das Herunterreißen der Kleidung allein reicht zur Tatbestandserfüllung nicht aus.“

Die Frauennotrufe haben jüngst über hundert bewiesene Vergewaltigungsfälle dokumentiert, in denen die Täter freigesprochen oder gar nicht erst ein Verfahren eröffnet wurde, obwohl das Opfer erklärtermaßen Nein gesagt hatte – und der Täter die Tat sogar gestanden hatte.

Verschärft wird dieses Pro-Vergewaltiger-Klima durch die medial dauerbefeuerte Unterstellung, die meisten Anschuldigungen wegen Missbrauch und Vergewaltigung seien falsch.

Es gibt maximal
5 % Falsch-
anschuldigungen

Das begann mit der Reaktion auf das Öffentlich-machen der sexuellen Gewalt durch Feministinnen Mitte der 70er Jahre.

Das letzte Tabu war der sexuelle Missbrauch von Kindern. EMMA brach es 1978. Zu der Zeit existierte der sexuelle Missbrauch von Kindern einfach nicht. Und wenn, hatte das Kind den Mann „verführt“. Heute wissen wir: Jedes vierte bis dritte Kind wird Opfer sexuellen Missbrauchs, meist durch so genannte „Nahtäter“, also Väter, Nachbarn oder Trainer. Die Mehrheit der Opfer sind Mädchen.

Auf diese bittere Wahrheit reagieren in den 80er Jahren pädophilen-freundliche, pseudo-fortschrittliche Pädagogen mit dem Slogan vom „Missbrauch des Missbrauchs“; also der Behauptung, die meisten Anschuldigungen seien Falschanschuldigungen: von manipulierten Kindern und rachsüchtigen Müttern.

Dem hielten in den 90er Jahren Experten wie Prof. Adolf Gallwitz, der Leiter der „Forschungsgruppe sexuelle Gewalt“ an der Polizeihochschule Villingen-Schwenningen, entgegen: „Wir haben ein riesiges Potenzial an strafrechtlich relevanten Taten.“ Gallwitz war sich sicher, dass die Falschbeschuldigung bei Sexualdelikten „ein Mythos“ sei: „Die Zahl der Falschanzeigen bewegt sich zwischen Null und fünf Prozent“, versicherte der Rechtspsychologe.

Dem schloss sich die erfahrene Rechtspsychologin Müller-Luckmann an. Nur in einer Konstellation könnte die Zahl der Falschbeschuldigungen etwas höher liegen, vermutete sie: Bei den gegen Scheidungsväter klagenden Müttern. Allerdings bezichtigen überhaupt nur drei Prozent der Mütter bei Scheidungen die Väter des Missbrauchs. Also drei von hundert Müttern behaupten, der Vater sei dem Kind gegenüber sexuell übergriffig gewesen. Selbst wenn wir hier einen erhöhten Prozentsatz von 10 Falsch-anschuldigungen unterstellen, käme das bei nur 0,3 Prozent aller Scheidungen zum Tragen.

Bei keinem Delikt ist die Zahl der Falschanschuldigungen generell so niedrig wie bei Sexualverbrechen.

Und es ist auch klar, warum: Weil in vielen Fällen die Opfer vor Gericht noch einmal zum Opfer werden – und darum gar nicht erst wagen, anzuzeigen. Und das nicht nur wegen voreingenommener Richter, parteilichen Verteidigern oder einäugigen Journalisten, sondern auch aufgrund des geltenden Rechtes.

Ein Mensch, der wegen sexueller Gewalt vor Gericht steht, hat, wie alle Angeklagten in Deutschland, das Recht zu schweigen. Eine Frau, die Anzeige erstattet wegen sexueller Gewalt, wird bis auf die Knochen ausgezogen. Sie muss sich nicht nur zum Tathergang äußern, sondern auch ihr gesamtes Sexualleben offenlegen: Die erste Periode? Der erste Sexualverkehr? Sexuelle Vorlieben? Ihr Lebenswandel? etc. etc. Wer so einem Prozess folgt, kann sich des Eindrucks eines strukturellen Ungleichgewichts zwischen Tätern und Opfern kaum erwehren. Das geltende Recht in Deutschland ist täteraffin.

Verschärfend kommt hinzu: Auch so mancher Richter, Gutachter oder Journalist kann parteiisch sein, weil er selber Sympathisant oder gar Täter ist. Denn irgendwo müssen sie ja sein, die Millionen Täter der Sexualdelikte epidemischen Ausmaßes.

Nur jeder 100.
Vergewaltiger
wird auch
verurteilt

Eine Studie des Bundesfrauenministeriums belegte: Nur jede zwölfte Vergewaltigung bzw. sexuelle Nötigung wird angezeigt. Und die Kriminalstatistiken beweisen: Nur jeder zehnte der der Vergewaltigung Beschuldigte wird auch verurteilt. Also wird letztendlich nur jeder 100. auch verurteilt.

Das heißt: Es kommt ganz aufs Bundesland an. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen fand heraus, dass in manchen Bundesländern jeder vierte Angezeigte verurteilt wird. In anderen Bundesländern wiederum, wie zum Beispiel Berlin, wird nur jeder 25. verurteilt. Wie kann man sich diese enorme Kluft erklären? Doch nur durch das jeweils herrschende gesellschaftspolitische Klima. Das beeinflusst bereits die Arbeit der Polizei und eben auch die Urteile der Richter.

Der Weg von der Tat bis zur Verurteilung ist im Falle von Vergewaltigung übrigens ein besonders hürdenreicher. Hürde Nummer 1: Die Frau zeigt gar nicht erst an. Hürde Nummer 2: Die Polizei nimmt die Anzeige so auf, dass sie leicht zu erschüttern ist. Hürde Nummer 3: Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren noch vor Eröffnung ein - was bei drei von vier Anzeigen der Fall ist! Hürde Nummer 4: Das Gericht spricht frei; aus Überzeugung oder aus Zweifel an der Schuld. Nur knapp jeder 100. Vergewaltiger wird, wie gesagt, zuguterletzt auch verurteilt. Vergewaltigung ist ein straffreies Verbrechen in Deutschland.

Zu These Nr. 2: Politische Prozesse. 
Das sind Prozesse, bei denen die gesellschaftliche Relevanz weit über den Einzelfall hinausgeht. Sie werden von den Medien skandalisiert, weil das Thema oder auch die Beteiligten über den konkreten Fall hinaus gesellschaftspolitisch brisant sind. Hier ein paar Beispiele:

Der Prozess gegen den beliebten Boxweltmeister Bubi Scholz 1984. Er hatte seine Frau, die sich aus Angst vor ihm in der winzigen Toilette eingeschlossen hatte, durch die Türe mit einem Luftgewehr erschossen. Scholz stand zu der Zeit für den verunsicherten Mann mit der zu emanzipierten Frau. Während das einstige Männer-Idol arbeitslos war, führte seine Frau eine erfolgreiche Parfümerie auf dem Ku’damm. Die Tat „glich einem Selbstmordversuch, so abhängig, wie Gustav Scholz von seiner Frau war“, schrieb damals Gerhard Mauz im Spiegel. Die Richter hatten ein Einsehen: drei Jahre, davon ein Jahr auf Bewährung. „Unser Bubi bald frei“, jubelte Bild.

Erste Pointe: Bubis „Neue“ holte ihn nach zwei Jahren am Gefängnistor ab. Zu dem Zeitpunkt hatte er mit ihr bereits seit fünf Jahren ein Verhältnis. Zweite Pointe: Der ja nicht wegen Mordes, sondern nur wegen fahrlässiger Tötung verurteilte Bubi Scholz kassierte die Lebensversicherung seiner von ihm getöteten Frau: 650.000 DM.

Familiendramen
und Familien-
ehre können
tödlich sein

In der Zeit war die „Verletzung der Männerehre“ noch eine strafmildernde Kategorie an deutschen Gerichten und eine übliche Floskel in vielen Urteilsbegründungen. Heutzutage nennen die Medien das „Familiendrama“. Ein Drama, das sozusagen vom Himmel fällt und keinen Schuldigen kennt. Dieses Thema wäre ein eigener Vortrag.

Ein „politischer Prozess“ war auch der gegen „Mutter Weimar“, die ab 1986 der Ermordung ihrer beiden Töchter angeklagt war. Sie stand exemplarisch für die „Rabenmutter“.

Auch hier ein schwacher Mann und seine berufstätige Frau, die zu allem Überfluss auch noch einen jüngeren Liebhaber hatte. Monika Weimar wird, fast wortgleich zu Scholz, als „ihm überlegen“, „kalt“ und „schmallippig“ beschrieben. Die Mutter wurde für den Tod ihrer beiden Töchter einmal schuldig, einmal frei und ein drittes Mal wieder schuldig gesprochen. Sie bekam lebenslänglich.

Die Berichterstattung von Gerhard Mauz im Spiegel und seiner „Freundin Gisela“, wie er zu sagen pflegte, die zu der Zeit noch in der FAZ schrieb, war nach Meinung vieler Beobachter entscheidend für den letzten Schuldspruch. Für die beiden Journalisten war Monika Weimar ganz zweifelsfrei die Täterin. Die Doyenne der deutschen Rechtspsychologie allerdings, Prof. Elisabeth Müller-Luckmann, Gutachterin im Weimar-Prozess, war noch 2009 im Gespräch mit EMMA fest davon überzeugt, dass die Mutter unschuldig war. „Der Vater war der Täter“, sagte sie. Dieser Vater allerdings war nie auch nur vernommen worden, geschweige denn angeklagt.

Gar nicht zu reden von den zahllosen Prozessen, in denen muslimische Frauen- und Töchtermörder in den 1980er und 1990er Jahren zu einfühlsamen Mindeststrafen verurteilt oder freigesprochen wurden – wegen der „anderen Sitten“ und weil auch ihre Opfer gegen die Ehre, in dem Fall gegen die „Familienehre“ verstoßen hatten. Das ändert sich erst seit 9/11 ganz allmählich.

Auch der Kachelmann-Prozess war so ein „politischer Prozess“. Ich werde noch darauf zu sprechen kommen.

Ich könnte diese Liste endlos fortsetzen, doch die wenigen Beispiele sollen genügen, um in Erinnerung zu rufen: Der Zeitgeist kann eine entscheidende Rolle beim Urteil spielen. Denn selbst scheinbar unumstößliche Fakten können so oder so interpretiert werden. Alles Ermessensfragen. Selbst ein Tod kann mal als „Mord“ oder als „Totschlag“ oder gar als „Unfall“ klassifiziert werden – was bekanntermaßen entscheidend ist für das Strafmaß. Richter haben einen dem Laien weitgehend unbekannten, gewaltigen Ermessens-Spielraum.

These Nr. 3: Die fatale Rolle der Gutachter. 
Schon vor 20 Jahren warnte das Max-Planck-Institut für Strafrecht: Jedes dritte Gerichtsgutachten enthalte „wissenschaftlich völlig unbegründete, subjektive Wertungen, Unterstellungen, Spekulationen, Pseudo-Theorien und Vorurteile.“ Jedes dritte. Das dürfte seither eher mehr geworden sein. Denn die Entrechtlichung der Gerichtsbarkeit durch die Gutachter-Gläubigkeit der Richter schreitet voran. Nicht nur bei rechtspsychologischen Gutachten, auch bei rechtsmedizinischen. Selbst Verletzungen sind unterschiedlich interpretierbar.

Die große Rechtspsychologin Müller-Luckmann warnte schon 1997 in EMMA vor der fatalen Arbeitsteilung zwischen angeblich „unwissenden Richtern“ und „wissenden Gutachtern“. Sie riet den Richtern, „stärker auf ihre Menschenkenntnis zu vertrauen“. Inzwischen jedoch fördert sogar der Bundesgerichtshof diese Entmündigung der Richter.

So kann die Nichthinzuziehung eines „Sachverständigen“ – der so manches Mal kaum sachverständiger ist als der Richter – einem Gericht bei Berufungsverfahren heutzutage als „Fehler“ angelastet werden.

In der Sexualstrafgerichtsbarkeit gar ist die Rolle der Gutachter quasi entscheidend. Doch gerade da ist das Ungleichgewicht zwischen dem hie (mutmaßlichen und meist männlichen) Täter und dem da (mutmaßlichen und meist kindlichen oder weiblichen) Opfer besonders groß. Auch das ökonomische Ungleichgewicht. Was so manchem Angeklagten erlaubt, eine Armada eigener Gutachter auftreten zu lassen – wie im Fall Kachelmann. Und diese Gutachter tragen erstaunlicherweise immer genau das als objektive Experten-Erkenntnis vor, was in die Strategie der Verteidigung passt.

Nehmen wir als ein Beispiel von vielen möglichen den 2008 verstorbenen Pädagogen Prof. Helmut Kentler. Er war in den 80er und 90er Jahren ein Gutachter-Star in Prozessen, bei denen es um sexuellen Missbrauch von Kindern ging. Im Mai 1997 sollte Kentler sogar den Magnus-Hirschfeld-Preis erhalten – was nur im letzten Augenblick verhindert werden konnte durch einen Bericht von EMMA über, wie wir damals schrieben, „die offene Propagierung von Pädophilie durch deutsche Hochschulprofessoren“. Einer dieser Professoren war Kentler.

Inzwischen hat auch eine aktuelle Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung bewiesen, was damals keiner wahrhaben wollte: Kentler selber war ein aktiver Pädophiler.

Jugendämtern pflegte der Pädagoge zu raten, delinquente Jugendliche Pädophilen als Bewährungshelfer unterzubringen, die bereits wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt worden waren. Denn Pädophile liebten Kinder und hätten nur ein Ziel: sie „froh und glücklich“ zu machen. Froh und glücklich. Das Jugendamt folgte den Empfehlungen des renommierten Gutachters.

Der brüstete sich nach Verhinderung des Hirschfeld-Preises durch EMMA in der über Jahrzehnte führend Pädophilen-affinen taz, er sei in den vergangenen sechs Jahren in „fast 30 Prozessen“ wegen sexuellen Missbrauchs als Gutachter aufgetreten, und, so wörtlich: „Ich bin stolz darauf, dass bisher alle Fälle, in denen ich tätig geworden bin, mit Einstellung des Verfahrens oder sogar Freispruch beendet worden sind.“

Gehen wir davon aus, dass maximal fünf Prozent der Anschuldigungen bei sexuellem Missbrauch Falschanschuldigungen sind, hätten also bei 30 Anschuldigungen ein bis zwei falsch sein können. Für Gutachter Kentler und die ihm hörigen Richter waren 100 Prozent falsch. Die armen Opfer…

These Nr. 4: Die übergriffige Rolle der Medien. 
Einer Umfrage aus dem Jahr 2010 zufolge der Medienwissenschaftler an der Universität Mainz, gaben 42 Prozent der Staatsanwälte und 58 Prozent der Richter zu, dass die Medienberichterstattung ihr Verhalten sowie das Strafmaß beeinflussen. Das ist schon erschreckend genug.

Die wirkliche Zahl dürfte noch höher liegen, da den sich für unabhängig haltenden Richtern ein solches Geständnis schwergefallen sein dürfte.

Diese öffentliche Meinung fällt nicht vom Himmel, sie ist weitgehend die veröffentlichte Meinung. Zur Rolle der Medien, hier vor allem der als seriös geltenden Leitmedien, habe ich bereits einige Beispiele genannt.

58 % aller
Richter sind
beeinflusst von
den Medien

Neben dem Pionier Gerhard Mauz hat seine Nachfolgerin Gisela Friedrichsen über Jahrzehnte eine prägende Rolle gespielt. Die Gerichtsberichterstatterin ist inzwischen beim Spiegel in Ruhestand gegangen und hat bei der Welt angeheuert. Sie ist bis heute spezialisiert auf Prozesse über Kindesmissbrauch und Sexualmorde. Ich kann mich beim Kindesmissbrauch nicht an eine einzige Berichterstattung von Friedrichsen erinnern, in der sie die Partei des Kindes bzw. der Kinder ergriffen hätte. Bei ihr waren quasi alle des Missbrauchs Angeklagten unschuldig.

In Fachkreisen ist das Unbehagen über die Einseitigkeit, ja Absolutheit der Berichterstattung der selbsternannten Richterin Friedrichsen schon lange groß. So schrieb die Neue juristische Wochenschrift über die Texte der studierten Germanistin schon 2005: „Schulmeisterlich verteilt sie Zeugnisse, bewertet, lobt, verdammt, auf der Grundlage ihrer subjektiven Maßstäbe. Dabei ergreift sie nicht nur Partei für eine Seite, sondern berichtet einseitig, gibt den Argumenten der angegriffenen Seiten meist keinen Raum.“

Sexualmörder erfreuen sich der ganz besonderen Einfühlsamkeit von Friedrichsen. Fast immer sind deren Mütter „kaltherzig“ – und die Opfer nicht der Rede wert. Ein Paradebeispiel für Friedrichsens Berichterstattung in solchen Fällen war der so genannte „Rosa Riese aus Beelitz“. Wolfgang Schmidt hatte in den Jahren 1989 bis 1991 fünf Frauen vergewaltigt, ermordet und ihre Leichen geschändet. Drei weitere Opfer überlebten nur knapp. Bei seinem letzten Opfer hatte er vor den Augen der Mutter den Kopf ihres drei Monate alten Babys auf einem Baumstamm zerschmettert. Der Serienmörder bekam nicht etwa Sicherheitsverwahrung, sondern lebenslänglich im Maßregelvollzug.

Friedrichsen widmete diesem „Menschen, der so Schreckliches getan hat“, fünf einfühlsame Spiegel-Seiten – für die Opfer hatte sie knappe fünf Zeilen. Es ging auf diesen fünf Seiten viel um die Mutterbeziehung des Mörders. Noch nicht einmal nur erwähnt wurde, dass Schmidt bei der DDR-Volkspolizei unehrenhaft entlassen worden war, weil er mit seinen Kameraden Hitlers Geburtstag zu feiern pflegte, und dass er bei der CDU ausgetreten war wegen deren „zu lascher Ausländerpolitik“.

Zurzeit ist Schmidt noch im Maßregelvollzug. Im Frauen-Maßregelvollzug. Denn der Frauenmörder enthüllte im Gefängnis seine weibliche Seele. Er nennt sich jetzt Beate und trägt Frauenkleider. 2013 erklärte ein Therapeut, Schmidt könne wahrscheinlich in vier, fünf Jahren als geheilt entlassen werden. Als Frau.

These Nr. 5: Die Litigation PR. 
Bei der Litigation PR arbeiten Strafverteidiger, Medienanwälte, Gutachter und JournalistInnen Hand in Hand – zugunsten des Angeklagten. Als Beispiel dafür soll der Fall Amanda Knox genannt werden.

Die junge Amerikanerin, die in Perugia studierte, soll zusammen mit einem Liebhaber bei sadomasochistischen Sexspielen eine Freundin der beiden ermordet haben. Die Beweise waren erdrückend. Ein italienisches Gericht verurteilte Knox 2008 zu 26 Jahren Gefängnis. Nun schalteten ihre vermögenden Eltern in den USA die berühmte PR-Agentur von David Mariott ein. Die begann, den „Engel mit den Eisaugen“ weichzuzeichnen und stellte Knox in Talkshows von Winfrey bis Kerner als „Justizopfer“ dar. In der darauffolgenden Berufungsverhandlung wurde Amanda Knox tatsächlich freigesprochen. Sie verließ umgehend Italien und reiste nach Amerika. In einer dritten Verhandlung allerdings verurteilten die italienischen Richter dann die Amerikanerin erneut zu 28 Jahren Gefängnis. Sie wird das Gefängnis nie von innen sehen, Amerika liefert sie nicht aus.

Und die Litigation PR in Deutschland? Da ist sie relativ neu. Sie begann im Jahr 2010 offensichtlich zu werden, dem Jahr des Kachelmann-Prozesses. Da trat eine dritte Journalistin auf die große Bühne der Pro-Angeklagten-Berichterstattung: Sabine Rückert von der Zeit. An ihrem Beispiel lässt sich nicht nur der Einfluss der Medien exemplarisch aufzeigen, sondern auch die Rolle der Litigation PR.

Im Juni 2010, also drei Monate vor Beginn des Kachelmann-Prozesses, veröffentlichte Rückert in der Zeit gleich ein ganzes Dossier über den angeblichen „Justizirrtum“ und teilte kategorisch mit: Der Mann ist unschuldig, die Frau ist eine Lügnerin! Das Dossier strotzte nur so von Detailkenntnissen, sie muss bereits in dem Stadium mindestens einen Teil der Akten gekannt haben.

Die politische 
Bedeutung vom
Fall Kachelmann

Der Kachelmann-Prozess ging über neun Monate und am Ende sprach das Gericht den Angeklagten frei, aus „Mangel an Beweisen“. Ein Freispruch dritter Klasse. Denn in seiner Urteilsbegründung rügte der Vorsitzende Richter Seidling nicht nur den Umgang der Medien mit der Ex-Freundin, die als „rachsüchtige Lügnerin“ und gutgläubige Trottelin dargestellt worden war. Er betonte auch ausführlich: Der Verdacht, dass Kachelmann seine damalige Lebensgefährtin vergewaltigt und mit dem Tode bedroht habe, hätte sich leider „nicht verflüchtigt“. Es bestünden allerdings gleichzeitig „Zweifel an seiner Täterschaft“. Die Medien mögen das unbedingt bei ihrer Berichterstattung berücksichtigen, forderte der Richter. Was die Medien nicht taten. Im Gegenteil: Sie werteten das Urteil als finalen Beweis für Kachelmanns Unschuld – und die Schuld der Ex-Freundin.

Das Gericht hatte also in neun Monaten Verhandlung nicht klären können, was die Journalistin Rückert von der Zeit – sekundiert von Friedrichsen im Spiegel – bereits ein Jahr zuvor zweifelsfrei wusste: Die Frau hatte sich nur rächen wollen und war eine Lügnerin, der Angeklagte war ihr Opfer!

Um ihre Sicht der Dinge durchzusetzen, ging die Zeit-Journalistin weit. Sehr weit. Sie nahm direkten Einfluss auf die Verteidigung, indem sie Kachelmanns erstem Anwalt Birkenstock schriftlich dringlich nahelegte, den ihr vertrauten Anwalt Schwenn hinzuzuziehen. Mit Schwenn hatte sie bereits ein Buch über einen „Justizirrtum“ gemacht. Als Birkenstock nicht parierte, wurde er gegen Schwenn ausgetauscht: Rückerts Kumpane war jetzt Kachelmanns Verteidiger. Mit Erfolg.

Kachelmann und Anwalt Schwenn nach der Veranstaltung am Eingang der Kölner Uni.
Kachelmann und Anwalt Schwenn nach der Veranstaltung am Eingang der Kölner Uni.

Schwenns Auftritt vor Gericht – Kamelhaarmantel, Schweinslederhandschuhe, nasaler Hamburger Tonfall – brachte die Stimmung im Saal zum Kippen. War die Mehrheit der Berichterstatter zuvor durchaus noch hin und her gerissen gewesen, so neigte sie nun – unter dem Trommelfeuer der Verteidigung und der sekundierenden Berichterstattung von Rückert in der erhabenen Zeit – immer mehr dazu, Kachelmann für unschuldig zu halten. Zumindest in ihren Veröffentlichungen. Die Gespräche unter Journalisten in den Gerichtsfluren hatten nochmal einen ganz anderen Tenor…

Gleichzeitig machte die Ex-Freundin in der Tat vor Gericht eine zunehmend schwache, verunsicherte Figur. Ihr Nebenklage-Anwalt verstummte vollends. Und das Provinzgericht in Mannheim war unübersehbar eingeschüchtert von dem Auftritt des „Star“-Anwaltes und dem Sound der Medien. Auch so ein Prozess ist eben eine Machtfrage.

Und zuguterletzt noch ein paar Anmerkungen zu mir und Kachelmann. 

Wie Sie wissen, war auch ich Berichterstatterin im Kachelmann-Prozess. Und zwar in Bild. Warum Bild? Ganz einfach: Das war die einzige Zeitung, die mir das Angebot gemacht hatte, über EMMA hinaus über den Kachelmann-Prozess zu berichten. Zeit und Spiegel hatten sich ja bereits eindeutig positioniert.

Viele von Ihnen werden der Überzeugung sein, ich hätte im Fall Kachelmann behauptet: Die Frau sagt die Wahrheit, der Mann ist schuldig. Das ist falsch. Es ist das Ergebnis einer geschickten Litigation PR. Dass es nicht zutrifft, können Sie in meinen zahlreichen Texten nachlesen. Sie stehen alle auf EMMAonline.

Ich hatte mich in den im März 2010 bekannt gewordenen Fall Kachelmann überhaupt erst im Juli 2010 eingemischt. In der EMMA-Redaktion hatte ich zunächst die Linie vertreten: Wir halten uns da raus. Das ist eine schwere Anschuldigung, die ein Leben vernichten kann. Außerdem konnte ich mir, ganz ehrlich gesagt, schwer vorstellen, dass der mir bekannte – und von mir einst geschätzte – Kachelmann ein Vergewaltiger sein sollte.

Doch nachdem ich das erstaunliche Dossier von Sabine Rückert in der Zeit und die erwartbaren Texte von Gisela Friedrichsen im Spiegel gelesen hatte, sah ich mich genötigt, gegenzuhalten. Die beiden behaupteten, die Wahrheit zu kennen - was ich, im Gegensatz zu meinen Kolleginnen, nie behauptet habe.

Ich kenne die Wahrheit bis heute nicht. Ich bin allerdings sicher, dass sie – außer den beiden Betroffenen – auch niemand anders kennen kann.

Das heißt, ich weiß, dass es sein kann, dass die Ex-Freundin die Wahrheit gesagt und Kachelmann gelogen hat – oder auch umgekehrt. Darum war ich empört über die frühe und unbewiesene Vorverurteilung der Frau und die Reinwaschung des Mannes.

In meiner Berichterstattung habe ich also die so genannte „Opfer-Perspektive“ bezogen. Das heißt, ich habe die Frage gestellt: Was wäre, wenn sie die Wahrheit gesagt hätte? Denn auch ein mutmaßliches Opfer hat, bis zum Beweis des Gegenteils, das Recht auf die Unschuldsvermutung.

Gleichzeitig ging und geht es mir aber im Fall Kachelmann nicht nur um die eine Frau in dem einen Fall. Es geht mir auch grundsätzlich um das Problem der sexuellen Gewalt von Männern gegen Frauen und Kinder.

Jeder 2. Verge-
waltiger ist 
der eigene
(Ehe)Mann

Diese Gewalt ist der dunkle Kern des Machtverhältnisses der Geschlechter. So wie ausgeübte oder angedrohte Gewalt immer der Kern von Machtverhältnissen ist: auch zwischen Klassen, Rassen oder Völkern.

Diese, meist sexuell gefärbte, Gewalt zwischen den Geschlechtern ist nicht neu. Neu ist, dass sie öffentlich ist. Und neu ist auch, dass sie in allen Fällen strafbar ist. Es ist noch gar nicht lange her, da war die Vergewaltigung in der Ehe noch ein Herrenrecht.

Erst ein Schulterschluss von Politikerinnen aus allen Parteien erzwang 1996 ein Gesetz, das die sexuelle Gewalt auch in der Ehe unter Strafe stellt. Das ist nur zwanzig Jahre her. Das ist nicht viel Zeit. Das Herrenrecht steckt bei vielen bis heute in den Köpfen.

Jeder zweite Vergewaltiger ist der eigene Freund oder Ehemann bzw. Ex-Mann. Der Fall Kachelmann steht für dieses hochexplosive Problem der sexuellen Gewalt innerhalb von Beziehungen: Sind Frauen der Besitz von Männern – oder haben sie das Recht, über ihren eigenen Körper selber zu verfügen? Insofern war auch der Kachelmann-Prozess ein „politischer Prozess“.

Von den Medien wurde die sexuelle Gewalt innerhalb von Beziehungen exemplarisch am Fall Kachelmann durchexerziert – ganz und gar unabhängig von der individuellen Schuldfrage in diesem Fall. Darum hat dieser Fall die Öffentlichkeit so erregt und die Nation gespalten.

Außerdem ist der Kachelmann-Prozess ein Paradebeispiel für die Litigation PR. Deren Strategie sind weniger Fakten und ist eher Stimmungsmache. So bezeichnete der Medienanwalt von Kachelmann, Ralf Höcker, die Klägerin gebetsmühlenartig als „die Erfinderin des Vergewaltigungsvorwurfes“. Und die Verteidigung setzte Journalisten mit Unterlassungsabmahnungen so massiv unter Druck, auch ökonomisch, dass diese kaum noch wagten, auch nur die reinen Fakten zu berichten. Was wenig mit dem – durchaus legitimen – Persönlichkeitsschutz zu tun hatte, sondern eine systematische Einschüchterung der Medien war. Auch die Pressefreiheit ist im Fall Kachelmann ein Stück auf der Strecke geblieben.

Ein letztes Wort zur Vergewaltigung. Die Zahl der mutmaßlichen Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen im Jahr wird allein in Deutschland auf 96.000 geschätzt. Nur jede zwölfte wird angezeigt. Ein Prozent der Beschuldigten wird verurteilt. Bleiben 95.200 Frauen im Jahr, deren Vergewaltigung nie gesühnt wird. Diese Frauen haben eben keinen Litigation-Berater.

Sie sehen, es bleibt noch sehr viel zu tun in Sachen Recht & Gerechtigkeit. Gerade im Bereich der Sexualgewalt.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

Alice Schwarzer

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