DAS steht bei uns im Programm?
Eigentlich wären die Vollblutpolitikerinnen noch voll einsetzbar. Doch alle drei werden in der künftigen Bundespolitik der Union keine direkte Rolle mehr spielen. Damit verlieren die Konservativen mit einem Schlag ihre drei Top-Emanzen der 80er und 90er Jahre. Zufall? Oder Absicht der Männerbündler, denen die drei Frauenpolitikerinnen schon lange lästig sind? EMMA bat zum Gespräch: Ursula Männle, 61, Professorin für Politikwissenschaft, ledig, seit 1979 für die CSU im Bundestag, zehn Jahre lang Vorsitzende der CSU-Frauenunion, zeitweise Staatsministerin und seit 1998 nicht mehr im Bundestag. Männle kritisierte öffentlich das „Schneckentempo“ in der Frauenpolitik ihrer Partei. Irmgard Karwatzki, 65, ledig, Sozialarbeiterin aus Duisburg, wo sie zeitweise auch Bürgermeisterin war. Karwatzki ist seit 1976 im Bundestag und scheidet jetzt aus. In den 80ern war sie Staatssekretärin im Frauenministerium. Rita Süssmuth, 68, Pädagogikprofessorin, verheiratet und eine Tochter, trat 1981 als Quereinsteigerin in die CDU ein und wurde 1985 Frauenministerin. Galt als Feministin und erhielt von EMMA den Spitznamen ‚Lovely Rita‘. Hier das Urteil der drei erfahrenen Frauenpolitikerinnen über das „Regierungsprogramm“ ihrer eigenen Partei.
Sind Sie drei zufrieden mit dem Programm?
Rita Süssmuth Das ist ein geschlechterneutrales Programm.
Haben wir auch eine geschlechterneutrale Gesellschaft?
Süssmuth Nein.
Ursula Männle Frauenpolitik kommt in dem Programm nicht vor. Wenn überhaupt, geht es um Familie. Das Programm ist halt von einigen wenigen gemacht worden, die das rein pragmatisch angegangen sind und sich gefragt haben: Was ist umsetzbar?
Irmgard Karwatzki Was wir als Frauen- und Familienpolitikerinnen immer schon gefordert haben, steht nicht in dem Programm. Da steht nur der – durchaus auch innerhalb der CDU umstrittene – „Kinderbonus“ für die Rente. Ab 2007 soll der Rentenbetrag pro Kind um 50 Euro im Monat ermäßigt werden.
Männle Aber auch nur für die ab 2007 geborenen Kinder …
Süssmuth Und für Eltern, nicht für Mütter. Das ist also keine Stärkung der Frau, es sei denn, diese Ehe ist für die Ewigkeit geschlossen.
Männle Es geht nur um die Entlastung der Familie in der aktiven Zeit. Und der „Kinderbonus“ gilt auch nur bis zum zwölften Lebensjahr des Kindes.
Karwatzki Das Wort „Frau“ kommt in dem Programm gar nicht vor.
Süssmuth Wir sind ja alle für „Eltern“ statt Mütter. Aber die realen Verhältnisse sind doch anders. Und wenn man das nicht benennt, verschleiert man die Verhältnisse.
Wenn Sie als erfahrene CDU/CSU-Frauenpolitikerinnen dieses Programm mitgeschrieben hätten – was würde dann da noch drinstehen? Sei es als konkretes Versprechen, sei es als programmatische Zielvorstellung?
Karwatzki Also in Relation zum Ziel – nämlich die wirkliche Gleichberechtigung – haben wir ja noch Nachholbedarf in allen Bereichen! Ich kann es zwar bald nicht mehr hören, aber man muss ja drüber reden: Bei der immer wieder beschworenen Vereinbarkeit von Beruf & Familie ist man überhaupt nicht weiter gekommen. Das sehr lobenswerte Ziel der SPD-Frauenministerin Schmidt, Geld in die Unterbringung der Kinder von null bis sechs zu investieren, kann ich nur bejahen. Aber das ist nur ein erster Schritt.
Männle Wir haben in unserem gesamtdeutschen Grundgesetz 1994 ja den Artikel 3 erweitert und der Staat wird darin über den Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ hinaus aufgefordert, die tatsächliche Gleichberechtigung durchzusetzen: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Dazu haben Sie ja ganz persönlich als Politikerin ganz entscheidend beigetragen.
Männle Das haben wir Politikerinnen parteienübergreifend durchgesetzt. Aber da sind wir seither stehengeblieben. Dem muss sich der Staat stellen, sagen: Was ist erreicht worden – und welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um die noch nötigen Schritte durchzusetzen? Doch darüber ist in den letzten zehn Jahren überhaupt nicht mehr gesprochen worden. Auch von Rotgrün nicht. Bei den Parteien spielt die Gleichberechtigung keine Rolle mehr, und auch die Frauen selbst schweigen dazu. Selbst die Frauenpolitikerinnen drängen nicht mehr darauf, das anzugehen – weil ihnen dann sofort vorgehalten wird: Wir haben Wichtigeres zu tun. Es geht um mehr Arbeitsplätze …
Der alte Trick. Das bekannte Totschlagargument.
Süssmuth Es wird einfach nicht mehr zur Kenntnis genommen, wo die tieferen Probleme liegen. Zum Beispiel im Programm. Da geht es überhaupt nicht mehr um Senkung der allgemeinen Wochenstunden – damit Mütter und Väter mehr Eltern sein können –, sondern nur noch um Teilzeit. Und gerade die Teilzeit ist ja die große Frauenfalle. Aber das wird nicht thematisiert.
Männle Ich glaube, dass man da dennoch realistischer geworden ist, weil immer mehr Frauen sich Kindern verweigern. Vor allem die qualifizierten. Und das will man jetzt schon aus rein demographischen Erwägungen ändern.
Noch stärker als die potenziellen Mütter verweigern sich die potenziellen Väter den Kindern, wie jüngste Untersuchungen zeigen. Das Wort Väter aber kommt in dem Programm gar nicht vor.
Süssmuth Stimmt. Dazu gehört auch, dass der Anteil der weiblichen Studierenden stärker zurück geht als der der männlichen.
Alle Ach ja …?
Süssmuth Ja. Von vier Abiturienten studieren drei. Von vier Abiturientinnen aber studieren nur noch zweieinhalb. Die Gründe sind vielfältiger Art, auch finanzieller. Die Frauen fragen sich anscheinend zunehmend: Lohnt es sich?
Männle Und kriege ich nach dem Studium überhaupt einen Arbeitsplatz. Und dann sind die Frauen pragmatischer und sagen sich: Dann mache ich doch lieber gleich eine Lehre.
Kommt nicht die ideologische Aufwertung der Mutterrolle hinzu, die vor allem die Konservativen betreiben? Da ist es besonders verlockend, nach Hause zu flüchten.
Süssmuth Ich glaube nicht, dass es damit etwas zu tun hat. Die jungen Frauen heute sind hoch berufsorientiert – auch wenn sie Kinder wollen. Aber es scheint mir kein Zufall, dass in dem Programm nur zweimal die weibliche Form vorkommt: einmal „Bürgerinnen und Bürger“ – und dann nochmal „Mädchen und Frauen“. Ansonsten sind die Frauen schlicht vergessen worden. Andere Zielgruppen aber werden durchaus ganz explizit angesprochen: die Kinder, die Älteren, die Migranten … Da fällt es schon auf, dass „die Frauen“ nicht mehr vorkommen.
Karwatzki Vielleicht ist ja gerade das ein Ausdruck des Fortschritts – und finden es die Männer, die das Programm geschrieben haben, gar nicht mehr nötig, die Frauen noch extra zu erwähnen?
Alle Höhöhö …
Sie sind ja alle drei, auf unterschiedliche Art, seit Jahrzehnten sehr engagiert und aktive Frauenpolitikerinnen. Jetzt liegt das „Regierungsprogramm der CDU/CSU 2005“ vor Ihnen, in dem die Frauen keine Rolle mehr spielen. Tragen dafür auch Sie Verantwortung? Haben Sie etwas falsch gemacht?
Karwatzki Nein! Wir haben ja auch einiges erreicht. Ich finde, da spiegelt sich in unserer Partei nur der allgemeingesellschaftliche Zustand: Es redet ja niemand mehr von den Frauen.
Süssmuth Dass viele junge Frauen ihre Beteiligung in der Welt heute als so selbstverständliches Recht empfinden, das ist das Ergebnis von Frauenpolitik: im Bereich der Rechte, im Bildungsbereich, überall ist viel passiert. Auch bei uns. Die CDU/CSU-Initiativen der letzten Monate gegen Frauenhandel und für die Bestrafung der Freier von Zwangsprostituierten – das hätten wir ohne das Engagement der Frauen nicht durch bekommen.
Stimmt. Da hat die CDU/CSU wirklich die Nase vorne. Hoffentlich passiert das dann auch!
Alle Das hoffen wir auch!
Süssmuth Und die Vergewaltigung in der Ehe …
Alle Mein Gott, war das ein Theater …
Süssmuth Und das haben wir 1996 dann ja auch nur alle zusammen durch gekriegt: durch den Schulterschluss der Politikerinnen aller Parteien, von rechts bis links. Dass endlich auch die Vergewaltigung in der Ehe nicht mehr straffrei ist!
Rotgrün zerreißt es zwar auch nicht vor Feminismus, aber zum Beispiel gegen das Problem Gewalt ist vor allem am Anfang der sieben rotgrünen Jahre kräftig angegangen worden.
Männle Aber der verstärkte Kampf gegen den Frauenhandel und die Forderung nach Bestrafung der Freier von Zwangsprostituierten, das steht nur bei uns drin.
Süssmuth Das ist auch gut so!
Karwatzki Doch selbst die Gewalt gegen Frauen spielt zur Zeit gesamtgesellschaftlich leider keine Rolle mehr.
Im SPD-Programm spielt die Gewalt aber durchaus eine Rolle. Und die SPD hat, genau wie die Grünen, auch ein ganz eigenes Kapitel Frauen.
Männle Die Autoren des CDU/CSU-Programms gehen eben davon aus, dass dieses Programm von ihrer Regierung abgearbeitet werden muss. Entsprechend pragmatisch ist es. Als zukünftige Opposition allerdings kann ich natürlich alles, was ich mir wünsche, ins Programm schreiben.
Süssmuth Und dann die Kleinkinderbetreuung. Was waren das für Kämpfe! Und wie anders stehen wir jetzt da. Zu meiner Zeit als Frauenministerin sind waschkörbeweise die Proteste der CDU-Klientel bei mir eingetroffen: Wir wollen keine staatlich verwalteten Kinder!
Stimmt, gerade in dem Bereich ist viel passiert in den letzten Jahren, auch innerhalb der CDU/CSU. Bis in die 90er Jahre hinein war die Betreuung von Kleinkindern ja des Teufels in Ihren Parteien. Aber dank der Frauenbewegung, dank den Ostfrauen und dank den berufstätigen Müttern …
Süssmuth Auch das Einbeziehen der Wirtschaft in die Frauenförderung, das war damals so tabu wie heute das Antidiskriminierungsgesetz. Das war der Untergang der Bundesrepublik! Aber inzwischen findet auch die Wirtschaft, dass das wg. Familie brachliegende Berufspotenzial von Frauen eine Verschwendung ist. Die so lange geschlossene Türe hat sich geöffnet, wenn auch nur einen Spalt.
Gerade darum ist die vollständige Abwesenheit der Frauen im CDU/CSU-Programm unverständlich. Schlimmer noch: Es wird einer rückwärts gewandten Politik das Wort geredet. Stichwort Ehegattensplitting. Da schenkt Vater Staat alljährlich den Ehemännern mit Hausfrauen bzw. Teilzeitfrauen rund 21 Milliarden Euro Steuererleichterung – unabhängig davon, ob die (noch) Kinder haben oder nicht. Das ist also eine reine Begünstigung der Gattinnenehe. Dagegen protestieren auch konservative Politikerinnen schon seit Anfang der 80er Jahre (nachzulesen in EMMA). Seither kam das Ehegattensplitting immer mal wieder ins Gerede, aber immer nur durch Frauen und immer kleinlauter. Dabei wissen alle, dass das rausgeschmissenes Geld ist, das besser für Familien mit Kindern oder in die Kinderbetreuung investiert würde. Und was steht 2005 im CDU/ CSU-Programm? Eine ausdrückliche, jubilierende Bejahung des Ehegattensplittings! Da heißt es im O-Ton: „Das Ehegattensplitting als Ausdruck des besonderen grundgesetzlichen Schutzes von Ehe und Familie bleibt erhalten. Es ist keine Steuervergünstigung, sondern Ausdruck der Lebens- und Verantwortungsgemeinschaft Ehe.“
Karwatzki Dat steht wirklich bei uns so drin?! Also, mal am Rande gesagt: Dieses Programm ist ja von vier Männern geschrieben worden, davon zwei jüngeren. Da braucht man sich darüber nicht zu wundern.
Süssmuth Aber die Parteivorsitzende hat es verabschiedet.
Apropos. Viele deutsche Frauen träumen seit langem von einer Kanzlerin. Nun ist es passiert: Ausgerechnet die CDU/CSU hat eine Kandidatin nominiert. Was erhoffen Sie drei sich von der potenziellen Kanzlerin?
Süssmuth Ich hoffe, dass sie Erfolg hat! Ich möchte, dass die Nation endlich erfährt: Auch eine Frau kann das!
Und was soll sie können?
Süssmuth Naja … Die Emanzipation der Frauen hat natürlich auch ihren Preis gehabt: nämlich die hohe Anpassung an männliche Verhaltensmuster. Auf dem Weg zur Macht geht das nicht anders. Wenn Merkel es schaffen würde, das wenigstens hier und da zu durchbrechen – das fände ich schon gut.
Männle Wenn das Programm scheitert, dann werden die Männer sagen: Das war ihr Programm.
Karwatzki Wenn das losgeht, müssen wir wie ein Mann vor Merkel stehen. Was mich aber überrascht, ist, dass die Medien die Ernennung einer Kanzlerkandidatin so hingenommen haben – dass da kein Aufschrei kam bei den Menschen. Das ist auch ein Verdienst der Frauenverbände und Feministinnen, von EMMA und anderen engagierten Journalistinnen.
Uns macht die Tatsache, dass es keinen Aufschrei gab, eher misstrauisch. Denn bis zur Ernennung der Kandidatin wurde Merkel ja sehr wohl permanent als Frau durch den Kakao gezogen: ihre Frisur, ihre Kleidung, überhaupt ihr Aussehen, ihr Girlscamp, ihr Führungsstil, die Ehe blahblahblah. Jetzt aber, nachdem sie – fast – an der Macht ist, wird plötzlich so getan, als sei gar nichts dabei, wenn eine Frau ins Kanzleramt einzieht. Jetzt wird diese Sensation runtergespielt. Warum? Weil man den Frauen als Kollektiv den Triumph nicht gönnen will?
Süssmuth Es möchte auch niemand mehr der Verhinderer gewesen sein.
Männle Zu dem Zeitpunkt musste es auf sie hinauslaufen. Aber wenn es noch ein halbes Jahr gedauert hätte, hätte man durchaus noch versucht, sie zu verhindern.
Schröder, der Kanzlerinnenmacher?
Alle Höhöhö.
Karwatzki An der Basis der Fraktion hat Frau Merkel eine breite Zustimmung dank ihrer sehr engagierten Arbeit.
Süssmuth Bei den Kompetenzen, die Angela Merkel hat, hat sie alle Chancen zum Erfolg.
Besteht aber nicht dennoch die Gefahr, dass da, wo Frau draufsteht, nicht automatisch auch Frau drin ist? Kann nicht gerade eine Kanzlerin sich erlauben, keine Politik mehr für Frauen zu machen? Ihre reine Existenz beweist ja: Frauen sind keine Grenzen mehr gesetzt.
Männle Schon als Frauenministerin war sie nicht unbedingt eine Feministin, aber doch sehr effizient. Nicht so demonstrativ nach außen, aber wirksam nach innen.
Merkel, eine heimliche Feministin?
Alle Murmel, murmel.
Karwatzki Ich erhoffe mir schon, dass eine Kanzlerin Merkel Frauen verstärkt in Positionen holen wird. Und nicht nur die, die jetzt schon immer genannt werden.
Männle Viele reden von Frauensolidarität, aber Pfeifendeckel! Nichts passiert. Merkel redet nicht von Frauenförderung, aber sie handelt. Das habe ich immer wieder selber erlebt.
Süssmuth Feminismus war für Merkel früher ein Fremdwort, die Frauenquote war ihr völlig unverständlich … Das sieht sie heute anders. Dass im Merkel-Kabinett ausreichend Frauen sein werden, da habe ich keine Sorge.
Karwatzki Aber ich sehe schwarz für den Bundestag! Wegen des so plötzlich extrem verkürzten Wahlkampfes konnten keine Frauen mehr aufgebaut werden. Auch auf meinen Platz kommt keine Frau. Innerhalb von sechs Wochen konnte selbst ich die nicht aufbauen. Wenn wir nicht aufpassen, gibt es gewaltige Rückschritte!
Die CDU hat doch schon in NRW gezeigt, wohin der Trend geht: In Düsseldorf sitzen ja nur noch halb so viele Frauen in der CDU-Fraktion wie vorher, nämlich schlappe zwölf Prozent.
Karwatzki In NRW hatten wir so viele Direktmandate, dass die Frauen, die auf den Listen standen, nicht mehr rein kamen.
Süssmuth Aber die Frauen hatten eben auch nicht die Direktmandate. Ganz klar: Die Beteiligung der Frauen ist rückläufig. Die Verteilerkämpfe sind härter geworden, auch zwischen Männern und Frauen.
Was könnte eine Kanzlerin also für Frauen tun?
Karwatzki Sie muss in der Arbeitsmarktpolitik etwas bewegen. Sie muss ganz neue Formen finden – vielleicht Zwischenformen zwischen klassischer Berufstätigkeit und traditioneller Ehrenarbeit, und zwar für Frauen und Männer. Da muss sie wagen, Neues zu denken.
Männle Sie müsste zu mehr weiblichen Vorbildern beitragen. Nicht nur in der Politik, auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Die Wirtschaftsbosse muss sie fragen: Wo sind die Frauen? Sie muss dafür sorgen, dass die Bildung von Frauen nicht zurück geht, sondern voran. Und gerade sie sollte nicht zulassen, dass die Frauen mal wieder an allem schuld sind: an der Arbeitslosigkeit, weil sie in den Beruf drängen; an der Kinderlosigkeit, weil sie nicht genug kriegen …
Süssmuth Wir haben lange über Defizite von Frauen gesprochen. Von einer Kanzlerin erwarte ich, dass sie die Leistungen von Frauen betont: wissenschaftlich, wirtschaftlich, sozial und kulturell. Sie könnte Elitefrauen einladen, zusammenführen.
Und was würden Sie der Kandidatin selbst raten?
Männle Dass sie sich nicht unter Druck setzen lässt! Sie soll nicht in die Versuchung geraten, allen zeigen zu wollen, dass sie es besser kann als jeder Mann. Sie soll sie selbst bleiben, authentisch sein. Und in ihr Beratungsteam sollte sie Frauen aller Generationen aufnehmen. Eben auch ältere Frauen mit den so wichtigen Erfahrungen aus den 70er und 80er Jahren. Ich sehe die ganz große Gefahr bei den jungen Frauen, dass sie Probleme leugnen, weil sie sie noch nicht selbst erfahren haben oder weil sie sie nicht wahrhaben wollen. Die Vielfalt von Frauenleben muss sich in ihrem Umfeld spiegeln! Das liegt mir am Herzen.
Karwatzki Ich möchte, dass sie sich nicht in die bestehenden Männerbündnisse begibt, sondern im Girlscamp bleibt. Wenn eine Frau überleben will, dann braucht sie inmitten dieser Männerbünde einen festen Kreis, auf den sie sich blind verlassen kann. Hat sie den nicht, kann sie einpacken.
Süssmuth Wer, wenn nicht eine Kanzlerin kann es sich leisten, das Frauenthema zu thematisieren?! Ich verstehe ja gut, dass sie jetzt nicht mit dem Frauenthema nach vorne geht …
Das verstehen wir alle. Aber dann?
Süssmuth Ja, dann muss sie es tun. Und sie muss wagen, anders zu sein! Dieses Gerede vom Styling etc – alles Quatsch. Sie soll die bleiben, die sie ist.
Männle Was immer sie macht – es ist falsch. Erst hat man gemeckert, sie schminkt sich zu wenig. Jetzt meckert man: Sie schminkt sich zu viel.
Karwatzki Da soll sie doch drauf pfeifen!
Männle Sie muss einfach glaubwürdig sein. Sie ist ja immer ihren Weg gegangen. Und sie auch immer unterschätzt worden.
Süssmuth Zu ihrem Glück.
Männle Und sie wird auch jetzt noch unterschätzt – das ist ihre Chance. Sie wird ihren Weg gehen.
Das Gespräch führten Alice Schwarzer und Chantal Louis