Der EU-Krimi
Nein, dies ist keine Satire. Aus Berlin kommt die Order, auch die Rest-Reform für die Gleichbehandlung der Frauen im Zivilrecht noch zu killen. Aber lautlos, damit die Wählerinnen nichts merken. Ziel der Schröder-Politik: die Solidarität mit Versicherungen und Banken.
Eigentlich wollten sie die letzte Bastion rechtlicher Benachteiligung von Frauen in Europa gründlich schleifen. Nun sieht es so aus, als ob die engagierten Frauen um Sozialkommissarin Anna Diamantopoulou mit einem Teilsieg zufrieden sein müssen. Immerhin: Nach monatelangem Hickhack hat die EU-Kommission in Brüssel Anfang November ihren Vorschlag für eine Richtlinie gegen Frauendiskriminierung im Zivilrecht gebilligt.
Dass die emanzipierte Richtlinie nun auch in Deutschland und den anderen EU-Ländern umgesetzt wird, ist allerdings längst keine ausgemachte Sache. Erst wenn im Ministerrat alle 25 EU-Regierungen zugestimmt haben, sind die Mitgliedstaaten gezwungen, ihr nationales Recht den Brüsseler Richtlinien anzupassen. Anfang Dezember hat Diamantopoulou ihren Entwurf dem Ministerrat vorgestellt. Ab dann kann es "zwei Jahre und länger" dauern, bis dort darüber entschieden und das nationale Recht der Mitgliedsstaaten angepasst ist. Erst danach kann jede und jeder EuropäerIn das eigene Land wg. geschlechtsbedingter Diskriminierung in Straßburg verklagen. Bisher waren solche europäischen Klagen nur im Arbeitsbereich möglich.
Für Frauen würde sich dann einiges ändern. Vor allem sparen sie Geld. Als Versicherungskunden dürften sie nicht mehr wie bisher stärker zur Kasse gebeten werden als Männer, nur weil sie schwanger werden können und im Durchschnitt länger leben. Immerhin: Heute zahlt eine 30-jährige Frau für eine private Krankenversicherung rund 100 Euro mehr als ein gleichaltriger Mann. Und um bei einer privaten Rentenversicherung mit 65 Jahren auf 1.000 Euro Altersrente zu kommen, zahlt eine Frau ab 35 monatlich 426 Euro, ein gleichaltriger Mann 375 Euro. In 30 Jahren sind das 18.190 Euro mehr für die Frau.
Oder beim Friseur: Wo es bisher unterschiedliche Tarife für quasi gleiche Damen- und Herrenschnitte gab, würde künftig gelten: gleicher Haarschnitt, gleicher Preis. Oder bei der Bank: Bisher wurden weiblichen Kundinnen Kredite verweigert, etwa weil sie in Teilzeit arbeiten oder gerade ein Kind bekommen. Mit der neuen EU-Richtlinie wäre damit ebenso Schluss wie mit den höheren Rabatten für Männer beim Autohändler.
Verschwindet der Faktor Geschlecht bei der Berechnung von Prämien und Leistungen in der privaten Wirtschaft, verschwindet er natürlich auch dort, wo Frauen jetzt davon profitieren. Fast alle Autoversicherer haben heute geringere Prämien für Frauen, weil der männliche Durchschnittsfahrer mehr Unfälle baut. Auch günstigere Eintrittspreise für Frauen in Nachtclubs werden dann illegal.
Diamontopoulous erster Entwurf hatte weit mehr Vorschriften enthalten als die Pflicht zu Unisextarifen bei Waren und Dienstleistungen. Wie 2000 beim EU-Gipfel in Nizza einmütig gefordert, enthielt er ursprünglich auch Diskriminierungsverbote in den Bereichen Soziales, Bildung, Steuern und Medien. Doch kaum war das publik geworden, war vor allem in Deutschland und in Großbritannien ein Sturm der Entrüstung losgebrochen. Aus Medien, Politik und Wirtschaft schlugen der EU-Kommissarin wochenlang Kritik und Häme entgegen.
Die Frauen, für die sich die Brüsselerinnen sich einsetzen, schwiegen. Oder ihre Stimmen verhallten ungehört. Der Protest des Deutschen Frauenrates(K), dem Dachverband von rund sechs Millionen organisierter Frauen und der Europäischen Frauenlobby(K) mit ihren europaweit 3000 Mitgliederorganisationen, war den Medien kaum eine Zeile wert. Die Klagen der Versicherungswirtschaft, die mit dem Rechenfaktor Geschlecht bisher viel Geld verdient hat und deshalb gegen die Richtlinie klagen will, machten dagegen Schlagzeilen. Vor allem das Diskriminierungsverbot sorgte für Rauschen im deutschen Blätterwald. Bild(k) verpasste der Brust seiner obligatorischen Nackten schon mal einen Zensurbalken: „EU-Feministinnen wollen die hübschen Girls von Seite 1 verbieten!“
Von einer wahren „Hysterie“ sprach Anna Diamantopoulou im Sommer und erinnerte daran, dass die EU-Richtlinien gegen Rassismus im Zivilrecht längst eine Selbstverständlichkeit seien – und es jetzt nur darum gehe, mit den Richtlinien auch gegen Sexismus gleichzuziehen. Von allen Seiten angegeifert, verschob die EU-Kommissarin erschreckt die für Juli geplante Richtlinie dennoch um mehrere Monate.
EMMA berichtete in ihrer September/Oktober-Ausgabe, wie der politische Druck in Schröder-Land und Blair-Country die Richtlinie beinahe ganz zu Fall gebracht hätte. Zahllose EMMA-LeserInnen protestierten daraufhin beim Präsidenten der EU-Kommission, Romano Prodi, und bei Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Erfolglos. Auch in Zukunft kann gegen das "Mädchen von Seite 1" oder das Steuersplitting nicht in Straßburg geklagt werden. In ihrem Richtlinien-Entwurf hat EU-Kommissarin Anna Diamantopoulou jetzt zwar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es "berechtigte Kritik" an diskriminierender Geschlechterdarstellung in den Medien und an einem Steuerrecht gibt, das gut verdienende Ehemänner privilegiert und Frauen aus dem Erwerbsleben drängt. Aber herausgekommmen ist mit dem Gebot zu Unisex-Tarifen in der Wirtschaft nur ein Teilsieg. Eine der EU-Streiterinnen: „Mehr war politisch einfach nicht drin.“
Doch selbst das scheint Verhinderer Schröder noch zu viel. Schon jetzt ist zu hören, dass mit Widerstand zu rechnen sei gegen die Unisextarife. Aufregung hinter Brüsseler Türen löste ein internes Papier der Bundesregierung aus. Darin steht unter dem Stichwort „Lageeinschätzung“ Folgendes zu lesen: Deutschland wird Widerstand gegen die Richtlinie leisten. Zur Begründung soll eine zu erwartende Prämienerhöhung propagiert werden. Ziel sei auf jeden Fall eine „Ausschlussklausel für die Versicherungsbranche – und eventuell auch für die Banken“. Diese Absichten seien jedoch unbedingt zu „kaschieren“, um potentielle Wählerinnen für die Bundestagswahl 2006 nicht zu vergraulen. Dazu solle Deutschland im EU-Ministerrat Neinstimmen nur im Verbund mit anderen Ländern einbringen, zum Beispiel mit Großbritannien. Wenn das mal gut geht, die Herren...
Kerstin Stiefel , EMMA Januar/Februar 2004
Die EU-Richtlinie 2003/0265 (CNS) steht im Internet unter www.europarl.eu.int/comparl/femm/news_docs/adopt_com_2003_0657_de.pdf.
In EMMA zum Thema: September/Oktober 2003