Rapperinnen
Sie wollen keine Schlampen sein, sondern Musikerinnen. Beim Female HipHop-Treff haben sie sich verbündet. Jetzt wird zurückgedisst! Zum Beispiel von Pyranja, Fiva MC und den Ischen Impossible.
Gerade war der Dokumentarfilm „Queens of HipHop“ gezeigt worden. Sechzig Minuten lang konnten die Zuschauer und vor allem die Zuschauerinnen sehen, dass frau es schaffen kann, irgendwie. Ganz nach oben zu kommen in dem Musicstyle, der frauenmäßig so krass drauf ist. Die Big Sistas aus den USA haben das schließlich auch hingekriegt. Salt’n’Pepa zum Beispiel, Roxanne Shante oder Lady Luck. Am Nachmittag hatten die deutschen Mädels in Workshops selbst ausprobiert, wie das geht: Producen, Breaken und Writen, MCing und DJing.
Jetzt, nach dem ermutigenden Film-Beispiel der US-Queens of HipHop, formiert sich eine Delegation der deutschen Female HipHop-Elite auf der Bühne im Berliner Bethanien-Foyer zur Podiumsdiskussion: Die Berliner Rapperin Pyranja, Moanne 81 von der Breakdance-Crew Dirty Mamas und Karin Offenwanger von der Booking-Agentur subotage. Titel: „Where my Girls at?“ Thema: Die spärliche Präsenz weiblicher Rapper.
„Man muss halt tough sein, wenn man als Frau im HipHop etwas erreichen will“, sagt Pyranja. Moanne 81 will „durch Qualität überzeugen“. Beide sind sich einig, dass Feminismus für viele Musikerinnen „noch immer ein Reizwort ist“. Männer dürfen und sollen auch mitdiskutieren. Zum Beispiel DJ Langenfeld von Radio Fritz und Breakdancer Vartan, der erklärt, warum das mit den Mädels im HipHop nicht so richtig funktioniert: „HipHop ist halt so ein Egoding.“ Competition, Battle, Körperkraft – nix für Mädchen. „Es gibt ja schließlich auch keine gemischten Sportarten außer Tennis-Doppel“, witzelt Moderator Staiger.
Staiger ist Labelchef und hat jüngst die Beats eines Herrn namens King Orgasmus One auf CDs gebrannt. Der macht nicht nur Rap, sondern auch Pornos, weil er „auf seinen Platten schon immer vom Bumsen, Blasen und Bitches geredet hat“. Titel seines ersten Albums: „Fick mich und halt dein Maul“.
„Wir wollen keine Separation der Geschlechter, sondern die Stärkung der weiblichen Position“ erklärt Clara Völker alias DJane Caynd, und distanziert sich damit nicht vom Feminismus, sondern von dessen Klischee. Ob sie das weiß? Was sie weiß: „Es ging im HipHop schon immer um Machtfragen. Macht, die man sich nimmt, weil sie einem genommen wurde. Dass Sexualität und Macht verschwistert sind, ist bekannt.“
Zusammen mit ihren Kolleginnen Karin Offenwanger und Kiwi Stefanie Menrath hat Völker Ende 2003 die Internetplattform www.femalehiphop.net ins Leben gerufen, auf der sich Rapperinnen aller Länder per Netz vereinigen können. Denn: „Wenn man davon ausgeht, dass HipHop das Sprachrohr ausgeschlossener, urbaner Minderheiten ist, verwundert es, dass vergleichsweise wenige Frauen eine Stimme haben. Meist sieht man sie sprachlos und kaum bekleidet um mehr oder weniger mächtige Männer herumtanzen“, klagt Völker. Sie will zeigen: „Es gibt sie: Frauen, die rappen, breaken, auflegen, produzieren und writen, sich also aktiv im HipHop einbringen. Oft werden sie aber nicht wirklich wahrgenommen. Aber: Wenn man jammert, ändert sich nichts.“
Also ändert Völker was und organisierte mit anderen Rap-Rebellinnen im März dieses Jahrs das ‚Female Flava‘ in Berlin. Rund 400 RapperInnen kamen.
Zum Beispiel Pyranja. Bürgerlicher Name: Anja Käckenmeister. „Ich hab mich immer durchgebissen, deshalb der Name“, erklärt die 26-jährige. Schon mit zwölf inspirierten sie die grauen Hochhauswände der Rostocker Neubausiedlung, in der Pyranja aufwuchs, zum Griff nach der Spraydose. Auf Graffiti folgte Breakdance und schließlich, mit 16, auch der Griff zum Mikro.
„Ich habe mich früher wie ein Junge benommen, so geredet und angezogen und musste das Frausein erst für mich entdecken“, erzählt Pyranja. Die vorgegebenen Rollen für weibliche Rapper seien leider nicht sehr vielfältig: „Man ist entweder die sexy Bitch oder die fette Hässliche, die rappt wie ein Typ.“ Hinter der zarten Fassade der schmalen Blonden kocht eine Menge Wut. „Weil ich mir immer anhören musste: ‚Ey, du hast ne Scheißstimme, du bist ne Frau – hörma auf zu rappen!‘ Ich musste als Frau doppelt so hart arbeiten wie die männlichen Rapper.“
Ich setz die Messlatte höhrer an, na, wolln mal sehen, wer mich nachher noch vögeln kann. (Pyranja)
Pyranja arbeitete auch deshalb so hart, weil sie rauswollte aus Rostock. Ein Jahr lang ging sie durch die Old School in New York und an der East Coast, und ließ sich schließlich in Berlin nieder. 2003 erschien ihr erstes Album ‚Wurzeln und Flügel‘. „Eigentlich entstand der Titel durch meine Eltern. Sie haben mir und meinem Bruder beides mitgegeben: Wurzeln und Flügel. Die braucht man, mehr nicht“, sagt Pyranja. Verbalattacken gegen das trostlose Rostock brannte Pyranja auf CD, aber auch Liebeslieder. „Obwohl ich mir am Anfang gesagt habe, dass ich kein Liebeslied machen werde, weil das die Leute von mir als Frau sowieso erwarten. Dann habe ich mich gefragt, warum ich mich selbst limitieren sollte und habe es einfach gemacht.“
Im letzten Jahr legte Pyranja nach. Der Titel ihrer neuen CD: ‚Frauen und Technik‘. Sie hat sie – neben ihrem Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation – mit ihrem eigenen Label Pyranja Records selbst produziert. Weil mit ihren ersten drei Plattenverträgen „ziemlich viel schief gelaufen ist“. 25.000 Tonträger hat die Labelchefin seither verkauft.
Auf ‚Frauen und Technik‘ schlägt Pyranja zurück und nimmt den sexistischen Fehde-Handschuh auf, den ihre Rap-Kollegen ihr und ihren Geschlechtsgenossinnen hingeworfen haben:
player, du hast nicht mal ein auto! / nicht ma ne limousine mit kühlschrank und couch / du hast es nicht drauf / du fällst nicht mal auf / du hast nicht mal frauen / man dass denkst du dir aus / ärsche und möpse in deinem video sind gecastet / deine songs sind scheiße / doch die models sind der wahnsinn! / und nur wegen den chicks gucken kids deine clips / du bist nicht der shit, boy / du hast nicht mal hits
„Es gibt Typen, die sich nur darüber definieren, dass sie selbst die krassesten Rapper und alle Frauen Nutten sind“, sagt Pyranja. „Das konnte ich mir nicht geben und dachte mir: Warum hat das noch keine Frau gemacht?“ Das Potenz-Geprotze überlässt die Rapperin nicht mehr länger den Kollegen und gibt selber das Sexualsubjekt. Wer hat den Längsten? Pyranja!
Ich setz die messlatte höher an / na, wolln mal sehn, wer mich nachher noch vögeln kann / die richtigen ladies sind die besseren männer / weil wir genauso wie die denken nur schneller / fick dich doch selbst / ich fick deinen freund / fick deine jungs, mann, ich leg mich ins zeug / ich fick deine homies und hol mir dein cash / fick dich, du stricher, komm endlich aufs tash
„Jeder 14-jährige Möchtegern-MC rappt ‚Lutsch meinen Schwanz‘, und wenn man den Spieß als Frau einfach mal umdreht, ist das Geschrei auf einmal riesig“, sagt Pyranja, von deren Verbalattacken allerdings auch Frauen nicht verschont bleiben. Das klingt dann so: „ey fotze, ich soll dich von jemandem grüßen / (...) ich box dich nicht um / ich hol dafür meine jungs / der ganze block bumst dich durch und ich guck dabei zu / wer ist der boss von uns beiden / na bestimmt ja nicht du.“
„Ich wollte in dem Stück eine Strophe gegen Typen machen und eine gegen Frauen, die mich nerven. Es gibt so viele Mädchen im HipHop, die genau so abgehen“, erklärt Pyranja. „Ich war oft auf Tour und habe die übelsten Erlebnisse mit Groupies gehabt. Das ist alles so schrecklich gewesen, dass ich dachte, ich muss jetzt auch mal was gegen Frauen sagen. Klar ist das hart, aber ich dachte mir, entweder ganz krass oder gar nicht.“
Mit solchen Erfahrungen mit weiblichen Fans steht Pyranja nicht allein. Auch Kollegin Fiva MC hat scharenweise Groupies erlebt, die nach den Konzerten zwecks Quickie mit den Rappern hinter der Bühne auftauchen. „Das musste ich erst mal akzeptieren. Ich habe die Frauen total lange in der Opferrolle gesehen. Aber je länger ich gespielt habe, desto mehr habe ich begriffen, dass das auch von der anderen Seite forciert wird. Das ist frustrierend“, sagt Fiva.
Die 26-jährige Münchner Rapperin begann vor fünf Jahren zu rappen, war aber schon mit 15 fasziniert vom Genre. „Ich war damals auf einer Veranstaltung in München mit deutschen HipHop-Bands und habe das erste Mal gesehen, was man mit deutscher Sprache machen kann. Ich fand das so cool, dass ich auch rappen wollte.“
Das Multitalent Fiva schließt gerade nach einer Ausbildung zur Verlagskauffrau und einem Zwischenspiel als Musicaltänzerin am Münchner Staatstheater ihr Studium der Soziologie ab, schreibt Gedichte (eine Spoken Words-CD ist in Planung) und Theaterstücke und organisiert Poetry Slams. Ihr erstes Album ‚Spiegelschrift‘ erschien 2002 und verkaufte sich rund 5.000 Mal. Jüngst war Fiva mit dem Hamburger HipHop-Trio Fettes Brot auf Tour, jetzt meldet sie sich mit einer neuen CD zurück: ‚Zurück (in die Zukunft)‘ bringt sie, ganz wie Kollegin Pyranja, selbst heraus. In ihren Texten setzt Fiva auf eine Mischung aus Sozialkritik und Poesie. Battlen und Dissen sind nicht Fivas Ding, und so bleiben die sexistischen Kollegen bei ihr ungeschoren. Dafür reimt die Rapperin in „Blaue Flecken“ eine Hommage – oder Femmage? – an ihre Vorfahrinnen:
Wir sind drei generationen auf dem selben planeten / die im selben land leben und unterm selben himmel beten / du hast gewusst was hunger ist in ner zeit ohne mann / ungewiss wie lange standest du an schlugen an / du hast meiner mutter gezeigt was mut bedeutet / wut unterdrückt dass man dein leben vergeudet
Für die Ischen Impossible ist das nicht immer leichte Leben zwischen zwei Kulturen das zentrale Thema ihrer Texte. Die fünf Mädels aus Düsseldorf sind eine Multikulti-Combo und nennen ihre Musik folgerichtig „balkan-afro-germanisch“. Die verschiedenen Nationalitäten der Ischen – ihre Eltern stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien, Russland, der Karibik, Griechenland, Ghana und Deutschland – beeinflussen nicht nur ihre Reime, sondern auch ihre Musik, in der sich HipHop-Bässe mit Schlagern des Balkans oder jugoslawischem Dancehall vereinen.
Die Band, die sich 1998 formierte (und 2003 den Künstlerinnen-Förderpreis NRW bekam) ist seit April 2004 in der Besetzung Meli, D’Iva, Lil Mary, Sängerin Lydia und Managerin Conny am Start. Einen Plattenvertrag haben sie nicht. Von ihrer selbst vertriebenen Mix-CD ‚Demolischen Vol. 1‘ verkauften sie dennoch schon einige hundert.
„‚Ische‘ ist ein jüdisches Wort für Mädchen oder Frau. Wir sind also ‚unmögliche Frauen‘, weil wir nicht dem gängigen Image von Frauen in den Medien entsprechen“, erklärt Meli. Die 24-Jährige ist erst seit einem Jahr bei den Ischen, aber ein alter Hase im Rap-Business: Sie gründete 1996 mit ihrem Bruder die Stuttgarter HipHop-Kombo Skills en Masse. „Sexismus begegnet wohl allen Frauen weltweit, jeden Tag, ähnlich dem Rassismus. Dagegen muss man halt kämpfen.“
Du tust auf Mr. Lover, Mann / du denkst du bist der Macho, Mann / Was glaubst du denn, mein lieber Mann / du benimmst dich wie ein Hampelmann / nimm das bitte nicht persönlich / ich steh auf andere Typen eigentlich
In den USA, dem Entstehungsland des Raps, formierten sich schon Mitte der 80er Jahre Gruppen wie Salt’n’Pepa, die mit harten Rhythmen und offenen Worten plus Woman Power neben Solokünstlerinnen wie Queen Latifah oder Neneh Cherry zur Speerspitze des Frauenraps gehörten. Auch heute mischen in den USA Frauen in der HipHop-Elite mit. Missy Elliot beispielsweise, die sechs Platinalben fabrizierte, gehört zu den erfolgreichsten ProduzentInnen nicht nur der amerikanischen, sondern der internationalen Szene. Allerdings geben die jüngsten Nachrichten Anlass zur Sorge. Ausgerechnet für ihr neues Album „The Cookbook“ hat die mächtige Südstaaten-Missy ihren vormals imposanten Körperumfang auf Modelmaße abgehungert und präsentiert sich knapp bekleidet wie die Girls in den Videos ihrer Kollegen.
In Deutschland taten sich die Frauen im HipHop-Business von Anfang an schwerer. Zwar gibt es gar nicht so wenig Rapperinnen, aber die Alphamännchen der Szene geben den Ton an. Wobei Ausnahmen wie immer die Regel bestätigen. Cora E zum Beispiel wurde bereits Mitte der 80er Jahre als eine der ersten deutschen Rapperinnen bekannt und gehörte damit zu den ersten weiblichen Musikern, die sich in der HipHop-Szene behaupten konnten. Sabrina Setlur, die bekannteste deutsche Raplady, veröffentlichte 1995 als Schwester S. ihr erstes Album, wandte sich dann jedoch schnell dem chartkompatibleren Mainstream zu und tauschte bald darauf ihren dicken Anorak gegen rückenfreie Abendkleider.
„Ich denke, die Branche hat gerade mit jungen weiblichen Talenten ein Problem“, sagt Ische Conny, 30. „Es ist für viele Leute ungewöhnlich, dass Frauen nicht nur soulig singen, sondern auch rappen“, bestätigt Ische Meli. „Weiblichkeit und Selbstbewusstsein, die durch Charakterstärke bestimmt werden – darauf kommt’s an.“ Doch wenn die Ischen für einen Auftritt gebucht werden, will so mancher Veranstalter gar kein Demo hören: Es reicht, dass scharfe Frauen auf der Bühne stehen. „Ich muss denen dann sagen: Sorry, wir sind keine Freakshow und kein Wanderzirkus. Und wenn ihr Gleichberechtigung wollt, dann stellt uns zusammen mit Jungs auf die Bühne.“ Wird diese Weisung befolgt, werden die Ischen trotzdem oftmals schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Dennoch: „Bei unseren Konzerten wird an den Reaktionen der Mädels vor der Bühne sichtbar, dass sich in ihren Köpfen plötzlich eine ganz andere Möglichkeit des Frauseins auftut.“
„Mir passiert es total oft, dass nach Konzerten Mädels ankommen und sagen: Toll, du hast uns gezeigt, dass es geht. Das ist für mich das größte Kompliment“, sagt auch Pyranja, die sich von der Jungrapperin mit Vorbildmangel inzwischen selbst zum Vorbild gereimt hat. „Es hat wirklich Spaß gemacht, beim ‚Female Flava‘ so viele hochmotivierte Mädels kennen zu lernen.“ Auch in ihren HipHop-Workshops an Berliner Schulen pusht Pyranja den Nachwuchs und diskutiert über die sexistischen Texte und Videos ihrer männlichen Kollegen und deren Einfluss auf die Teenager.
Auch Fiva MC versucht, gerade den jungen Frauen mehr Selbstbewusstsein zu vermitteln. „Ich will den Leuten zeigen, dass sie mal wieder auf sich selbst hören sollen, gerade die Frauen. Und dann werden viele herausfinden, dass sie das, was sie so tun, manchmal gar nicht wirklich möchten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es zum Beispiel schön ist, mit einem Typen im Backstageraum auf einem Bierkasten zu schlafen. Ich denke mir immer: Wenn bei Sido vor der Bühne Mädchen stehen und die würden sich jetzt alle umdrehen und gehen – kein Typ würde je wieder sexistischen HipHop machen.“
Katja Vaders/Chantal Louis, EMMA 5/2005
CDs: Pyranja „Frauen und Technik“ (Pyranja Records/Groove Attack), www.pyranja.de +++ Fiva MC & DJ Radrum „Zurück (in die Zukunft)“, www.fiva-radrum.de +++ Ischen Impossible „Demolischen“ (Mixtape Vol. 1), www.ischen-impossible.de – In EMMA: Meisterinnen des Rap (2/96) + Deutsche Rapperinnen (3/98).