Tipps zum (Ver)Hungern verboten

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Ulla Schmidt macht ernst. „Magermodels gehören weder auf den Laufsteg noch in die Werbung“, hatte die Gesundheitsministerin (SPD) beim Start der Initiative „Leben hat Gewicht“ im Dezember 2007 gefordert und angekündigt: „Ich möchte in Deutschland zu einem Kodex mit der Modeindustrie kommen.“ Schon wenige Monate nach dem Anti-Diätwahn-Gipfel, bei dem auf Initiative von Schmidt & EMMA Models & Modemacherinnen, Werberinnen & Politikerinnen, Expertinnen & Sportlerinnen in Berlin dem tödlichen Magerwahn den Kampf ansagten, ist es so weit.

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Im Februar flanierte die Ministerin über die CPD in Düsseldorf, weniger in der Absicht, sich über die neuen Trends der Damenoberbekleidung zu informieren. Sondern, um die Macher der größten Modemessen Deutschlands ins Boot zu holen. Die sprangen prompt auf. Die deutsche Modeindustrie müsse „der sozialen Verantwortung unserer Branche gerecht werden“, erklärte IGEDO-Geschäftsführer Frank Hartmann. „Deshalb unterstützen wir sehr gern die Initiative der Bundesregierung, einen nationalen Kodex mit klar definierten Richtlinien auf die Beine zu stellen.“

Zu diesem Zweck kamen Ende Mai die Vertreter der großen Mode- und Modelverbände in die Hauptstadt: der Verband lizenzierter Modelagenturen (Velma), Dachverband für 22 Modelvermittler; der German Fashion Modeverband, der rund 150 deutsche Modefirmen von Aigner bis Zaffiri vertritt; das Deutsche Modeinstitut, das über Trends forscht und informiert; und natürlich die IGEDO. Worauf genau man sich verpflichten wird, um den ausgemergelten Gestalten auf Laufstegen und Anzeigenseiten Einhalt zu gebieten, darüber wurde bei EMMA-Redaktionsschluss noch debattiert. Verkündet wird das Ergebnis auf den nächsten IGEDO-Messen Body Look und CPD vom 26. bis 28. Juli in Düsseldorf.

Vielleicht lassen sich die Mode- und Modelmacherinnen ja von den KollegInnen aus Österreich oder Frankreich inspirieren. Im Land von Camembert und Mousse au Chocolat, aber auch von Dior und Lacroix, sah die Assemblée Nationale so starken Handlungsbedarf, dass das Parlament Mitte April das weltweit erste Gesetz beschloss, das die „Aufstachelung zur Magersucht“ bestraft. Mit zwei Jahren Gefängnis oder einer Geldstrafe in Höhe von 30.000 Euro muss rechnen, wer „eine Person dazu bringt, sich dauerhaft Nahrung vorzuenthalten, um extrem an Gewicht zu verlieren und ihr körperliches Erscheinungsbild zu beeinflussen, so dass für diese Person Gefahr bestehen oder eine Schädigung ihrer Gesundheit erfolgen könnte“. Das Gesetz richtet sich vor allem gegen die so genannten Pro-Ana-Seiten im Internet, auf denen junge Mädchen die Magersucht als Lifestyle propagieren und sich gegenseitig Tipps zum (Ver)Hungern geben. Aber Frankreich hat auch seine Designer und Werber in die Pflicht genommen. Schon seit Frühjahr 2007 hatte die französische Gesundheitsministerin Roselyne Bachelot die Vertreter von Mode, Werbung und Medien zusammengetrommelt und mit ihnen über eine Charta verhandelt. Denn: „Wir wissen, dass das Körperbild, das von gewissen Medien vermittelt wird, eine verheerende Rolle spielen kann, ebenso wie die übertriebene Aufwertung des Ideals spindeldünner Frauenkörper. Deshalb muss die extreme Magerkeit gewisser Models, die vor allem auf den Laufstegen präsentiert werden, beunruhigen.“ Das Ergebnis: Ein Kodex, den die Ministerin zeitgleich mit dem neuen Anti-Ana-Gesetz in der Modehauptstadt vorstellte. Deren Unterzeichner verpflichten sich dazu, „eine Vielfalt der Darstellungen des Körpers zu fördern“ und „keine Bilder von Personen zu verbreiten, die zur Förderung des Ideals von extremer Magerkeit beitragen können“. Einen Body-Mass-Index als Untergrenze auf den Pariser Laufstegen, wie ihn das spanische Parlament der Modewelt aufs Auge gedrückt hat, als die sich auch angesichts verhungert vom Catwalk stürzender Models uneinsichtig zeigte, enthält die Charta allerdings nicht.

Im Land der Sachertorten und Wiener Schnitzel, wo Frauen- und Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky Anfang 2007 die Kampagne „Wenn die Seele hungert“ ins Leben rief und Mode- und Medienmacher ein Manifest unterzeichneten, einigte man sich auf Größe 34 als Untergrenze für Models im Zeitalter der „Doppelnull“, also der Kindergröße 32, als Show-Standard offensichtlich ein Erfolg. Immerhin verpflichten sich die Unterzeichner dazu, „ein gesundes Frauenbild in der Öffentlichkeit mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu fördern“. Dazu gehört, „jene Modelle auf Laufstegen und Fotos nicht zuzulassen, denen eindeutige Essstörungen bescheinigt wurden“ oder „gegen die Verwendung von Bildern mit offensichtlich essgestörten und/oder zu mageren Frauen aufzurufen sowie gegen redaktionelle Inhalte die – etwa in Diätbeschreibungen – den Schlankheitskult verherrlichen und den Körper der Frau – und zunehmend den des Mannes – zur Problemzone erklären.“

In Deutschland will man sich voraussichtlich „auf einen BMI einigen“, erklärt Torsten Fuhrberg vom Velma-Vorstand. Wobei die Size Zero-Models, die in Paris und New York serienmäßig ihre anorektische Botschaft verbreiten, auf deutschen Laufstegen ohnehin quasi nicht vorkämen, weil die deutsche Modebranche weniger design- und mehr „konsumorientiert“ sei. „Wir machen mit Größe 34 nur drei Prozent des Umsatzes, von der Kindergröße 32 ganz zu schweigen“, erläutert Fuhrberg. Dennoch oder gerade deshalb unterstützen „die im Velma organisierten deutschen Model-Agenturen die Initiative ohne Einschränkung“. Schließlich hinke Deutschland den Nachbarländern schon hinterher. „Und wenn Designer nirgendwo mehr Models mit Größe Doppelnull buchen können, weil das in den Ländern flächendeckend nicht mehr funktioniert, dann werden diese mageren Mädchen nicht mehr lange Ideal sein können.“

„Wir wollen eine Bewegung ins Rollen bringen“, bestätigt IGEDO-Sprecher Thomas Kötter. Zwar sei bei den „eher konsumigen“ Messen in Deutschland statt Größe 32 eher „Größe 36 oder eine kleine 38 Standard“, aber „letzten Endes haben wir alle eine Verantwortung.“ Auch und ganz besonders die Werber, die mit ihren gern in Frauenzeitschriften platzierten Kampagnen Vorbilder mit dürren Ärmchen und toten Augen schaffen. „So richtig wird erst ein Schuh draus, wenn wir auch noch die Werbeindustrie eingebunden kriegen“, sagt Kötter. Das hat auch Ministerin Schmidt bereits in einem zweiten Schritt geplant. Die Modebranche macht den Anfang. „Wir wollen den Zug anfahren lassen“, erklärt auch German Fashion-Vorstand Thomas Rasch, und den Werbern und Medienleuten sagen: Jetzt springt mal auf!“ Ob die der Aufforderung folgen, muss sich allerdings erst zeigen.

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