Kein Unterschied
Wir können den Rassismus nicht bekämpfen, ohne dem Fundamentalismus Einhalt zu gebieten, sagt Elisabeth Badinter. Das Kopftuch ist eine Bedrohung für Musliminnen.
Die Debatten, die die sogenannte Schleieraffäre im Herbst 1989 in Frankreich auslöste, erinnerten in ihrer Heftigkeit an die Diskussion um die Abtreibung oder die Todesstrafe. Mehr noch: die Schleieraffäre löste erstmals eine ideologische Teilung der Linken aus, innerhalb von Zeitungen, Universitäten und unter Mitgliedern von Parteien und Gewerkschaften. Sogar die feministische Front hatte einige Einbrüche zu verzeichnen.
Um zu verstehen, warum drei Mädchen in Kopftüchern so ein Sprengsatz sind in Frankreich, muss man daran erinnern, dass diese drei armen Unschuldigen, ohne es zu ahnen, an die explosivsten Probleme der französischen Gesellschaft gerührt haben, als da sind: Das Hochschnellen des Fundamentalismus, das Ansteigen des Rassismus, sowie die erneute Infragestellung der Gleichheit der Geschlechter und des republikanischen Prinzips der Weltlichkeit.
Durch ihre sture Entschlossenheit, sich nicht dem allgemeinen Gesetz zu beugen, zerrten diese drei jungen Mädchen – oder besser: ihre Väter – einen tiefen philosophischen Konflikt ans Licht, der schon seit einiger Zeit unter der Asche schwelte: den zwischen den Differenzialisten und den Universalisten. Anders gesagt: den Konflikt zwischen den Anhängern eines Rechts auf den Unterschied und denen des Rechts auf Gleichheit.
Worum ging es damals? Nach den großen Ferien kamen drei junge Marokkanerinnen und Tunesierinnen plötzlich mit islamischem Kopftuch in die Klasse. Der Rektor der staatlichen Schule versuchte, den Mädchen und ihren Vätern – Mütter bekam man nie zu Gesicht – klarzumachen, dass die staatliche Schule in Frankreich weltlich ist und ostentative Zeichen einer Religion (oder der Ungleichheit der Geschlechter) innerhalb der Schule nicht gebilligt werden können – auch wenn außerhalb jeder das tun kann, was er möchte.
Reaktion gleich Null. Die Väter weigerten sich hartnäckig, sich der Regel zu beugen und erklärten öffentlich, sie würden nicht zurückweichen: Entweder gingen ihre Töchter mit Hijab zur Schule, oder sie blieben zu Hause.
Nun forderte die rechte Opposition die linke Regierung auf, das Problem zu lösen, das anfing, Aufsehen zu erregen. Der sozialistische Erziehungsminister ergriff in der Nationalversammlung das Wort. Jeder erwartete, er würde an die republikanischen Prinzipien des Laizismus (Weltlichkeit) erinnern und den von den muselmanischen Vätern bedrängten Schuldirektor unterstützen.
Doch der Minister tat etwas ganz anderes. Aus „Toleranz mit Minderheiten“ und aus Angst vor einer Verhärtung des Fundamentalismus in Frankreich entschied der sich für die verschleierten Mädchen. "Wenn es wirklich nicht möglich ist, sie davon zu überzeugen, ihren Hijab auszuziehen – ja dann werden wir abwarten, ob sie ihn später wieder ausziehen."
Das war der Moment, wo die Polemik losging. Die Schlagzeilen beherrschten zwei Monate lang die Zeitungen, Radios und das Fernsehen. Fünf Philosophen, darunter ich, appellierten feierlich an alle Lehrer, die Prinzipien der Weltlichkeit der Schule und der Gleichheit der Geschlechter zu verteidigen!
Daraufhin erschienen zahlreiche Manifeste, die uns heftig angriffen und des Rassismus gegen die Araber beschuldigten. Sie waren oft unterzeichnet von unseren ältesten Freunden...
Dennoch: Auf den ersten Blick waren wir uns einig in den Zielen und unterschieden uns nur in den Mitteln. Halten wir fest, dass die Mehrheit der Franzosen gegen einen religiösen und für einen weltlichen Staat ist und den steigenden Fundamentalismus, egal welchen, eher befremdlich findet. Und trotzdem haben wir es seit etwa zehn Jahren mit einem rasanten Anstieg diverser religiöser Fundamentalisten zu tun, die sich gegenseitig unterstützen, sobald es nötig ist. Sie bilden die "heilige Allianz der Religionen", wie es Alain Finkielkraut so treffend gesagt hat. Sie sind katholisch, muselmanisch oder jüdisch. Sie sind es, die begrüßen, daß junge Muselmaninnen den Schleier tragen (der nicht zufällig auch das Zeichen ihrer Unterdrückung unter das Gesetz des Mannes ist!).
Diese Religiösen verstehen es, zunächst einmal zusammenzuhalten, um ihre Sache voranzutreiben – ohne zu sehen, dass sie letztendlich so auch die Auflösung ihrer eigenen Werte fördern, sowie das Prinzip der Universalität aller Bürger. Sie sehen auch nicht, daß sie sich in einer zweiten Phase untereinander zerreißen werden, um ihren Glauben den jeweils anderen aufzuzwingen.
Ich hingegen versuchte, den jungen Leuten, die von "Toleranz" sprachen ("Man soll anziehen können, was man will"), zu erklären, dass der Schleier alles andere als nur ein Kleidungsstück sei: Er ist das Symbol der Unterdrückung eines Geschlechts!
Es muss einem klar sein, daß die Frauen nicht zufällig die Hauptzielscheibe der Fundamentalisten sind. Denn sie sind diejenigen, die sich als erste in die französische Demokratie integriert haben. Das ist kein Zufall: sie profitieren am meisten davon: Schule, Verhütung, Abtreibung...
Ist es ein Zufall, dass sich die Fruchtbarkeitsrate der Gastarbeiterinnen, vor allem der arabischen, auch in Frankreich (und Deutschland, Anm. d. Red.) mehr und mehr dem französischen Durchschnitt nähert? Auch bekommen die Emigrantinnen jetzt weniger Kinder und gehen mehr zur Schule, sie wollen teilhaben an dieser Art von Freiheit und der Gleichberechtigung der Geschlechter. Sie sind darum die ersten, die die Fundamentalisten unterwerfen wollen – und genau das ist der Knackpunkt bei der konzertierten Schleieraffäre.
Unter dem Druck der Fundamentalisten steigt die Zahl der verschleierten Frauen in den letzten Jahren rapide an. Auch in Frankreich. Und die LehrerInnen lassen es hilflos geschehen – aus Angst, sonst für rassistisch gehalten zu werden.
Aber wenn die französische Schule das zuläßt, entwaffnet sie alle diejenigen, die sich nicht unterwerfen wollen. Denn noch kann ein junges Mädchen, das den Schleier nicht tragen will, ohne Problem "Nein" zu ihrem Vater sagen, weil sie sich dabei auf das weltliche Gesetz beruft. Ohne öffentliche Regeln aber steht sie ihm allein gegenüber und verliert.
Ich bin der Meinung, dass man den Rassismus nicht bekämpfen kann, ohne dem Fundamentlismus Einhalt zu gebieten. Es ist schwer, aber der einzig mögliche Weg. Folgen wir ihm nicht, verlieren wir ganz den Boden unter den Füßen. Denn wir sind dann einerseits Komplizen der fundamentalistischen Offensive und aller ihrer furchtbaren Folgen, vor allem für Frauen. Und wir unterstützen andererseits die rassistischen Rechtsextremen, die, um die Angst zu schüren, den ganzen Islam gleichsetzen mit dem Fundamentalismus. Die gefährlichste Antwort auf diese faschistische Demagogie ist das heftige Leugnen der Existenz des Fundamentalismus.
In Wahrheit steckt hinter diesem Streit eine tiefe grundsätzliche Meinungsverschiedenheit. In ihr stehen auf der einen Seite die 68er, die Diffe- renzialisten, die Söhne von Michel Foucault und Levi-Strauss. Sie fordern das Recht auf den Unterschied, auf die Differenz.
Auf der anderen Seite stehen die Universalisten, die Erben der Aufklärung und der französischen Revolution. Für sie kommt eine Aufweichung der weltlichen und republikanischen Prinzipien, die für alle, unabhängig von Religion und Geschlecht, gelten, nicht infrage. Wenn alle Sitten zu respektieren sind, müssen wir dann auch die Polygamie und die Klitorisbeschneidung in Frankreich einführen? Auf diese Frage antworteten die Differenzialisten nicht.
Hier ist nicht die religiöse Freiheit bedroht, sondern die Weltlichkeit der staatlichen Schule. Es ist gefährlich, religiöse oder politische Minderheiten zu ermutigen, Einfluss auf die Schule zu nehmen. Die staatliche Schule kann in ihren Räumen nicht Mädchen mit den Insignien der Unterdrückung akzeptieren. Von aktiven Vertretern der Menschenrechte bekamen wir sogar das ungeheuerliche Argument zu hören: Und wenn die jungen Mädchen ihre Unterwerfung signalisieren wollen, in wessen Namen sollten wir sie daran hindern?
Auf feministischer Seite bezog eine Mehrheit gegen den Schleier Stellung. Doch zögernd. Denn seit den 70er Jahren gibt es in Frankreich eine starke feministische Strömung, die sich für die Philosophie des Unterschieds, für den Differenzialismus, also das Recht auf die Differenz einsetzt.
So gibt es unter der Führung von Luce Irigaray zahlreiche Frauen, die gegen die Gleichheit der Geschlechter sind. Sie interessieren sich nicht für das, was den Menschen gemein ist. Im Gegenteil, sie halten das Streben nach Gleichberechtigung für eine bedauerliche Verarmung "der Weiblichkeit" und glauben, daß es den Männern nützlich, also eine List des Patriarchats sei. Diese Differenzialistinnen fürchten in Wahrheit nichts so sehr wie das Ähnliche, das Gleiche, das Universelle.
Das ist der Grund, warum sie in der Schleieraffäre nicht wirklich Position bezogen – obwohl ihnen der Schleier als Zeichen der Frauenunterdrückung nicht geheuer ist. Nur die Erbinnen von Simone de Beauvoir protestierten laut, die Universalistinnen und Rationalistinnen, die weiter uneingeschränkt für die Gleichheit der Geschlechter und die aller Menschen sind. Auch die Ausländerinnen der zweiten Generation sagen immer lauter, wie sehr sie der staatlichen Schule eine Verstärkung ihrer sozialen Position in der Familie verdanken. In dieser Schule haben sie viel über Gleichberechtigung und Menschenrechte gelernt, und sie haben begriffen, dass ihre Eltern ihnen diese Rechte nicht immer freiwillig gewähren.
Hinzu kommt der triumphale Sieg der algerischen Fundamentalisten und die zunehmende Gewalt gegen Muselmaninnen in der ganzen Welt, die sich weigern, den Schleier zu tragen. Man fängt wieder an, sich an die guten alten Werte zu erinnern: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Und Schwesterlichkeit.
Elisabeth Badinter
Von der französischen Philosophin und Schriftstellerin erschien auf Deutsch u.a.: "Ich bin du" (dtv, 1994), "Die Mutterliebe", "Emilie, Emilie", "Die Identität des Mannes“ (alle Piper, alle vergriffen) – Der hier gekürzte Text erschien auf Deutsch erstmals 1991 in dem EMMA-Sonderband "Krieg – Was Männerwahn anrichtet und wie Frauen Widerstand leisten".