Was ist da bloß schief gelaufen?

Artikel teilen

Dank der Sexgeschichten über Prominente in den Medien ist die Welt in jüngster Zeit ein Ort geworden, wo der Feminismus nur noch ein armseliges Dasein fristet. Doch unter den unzähligen Schnappschüssen – betrogene Ehefrauen, unglückliche Geliebte, vollbusige Hostessen – war einer der verstörendsten Princess, die zweijährige Tochter von „Boxenluder“ Katie Price, dick geschminkt, die Augen mit falschen Wimpern beklebt. Ganz England diskutierte darüber.

Anzeige

In einer Talkshow sagte eine Frau, sie verstehe die ganze Aufregung nicht. Ihre eigene Tochter sei auch so ein „Püppchen“ wie Princess und ganz versessen darauf, sich hübsch zu machen und vor der Kamera zu posieren. Es wäre doch falsch, ihr das zu verbieten, oder?

Wie konnte es so weit kommen? Feministinnen geben gern Machos die Schuld – das ist einfach, aber unfair. In Wahrheit müssen wir Frauen die Schuld ausschließlich bei uns selbst suchen! Während Frauen wie Price unermüdlich ihre Botschaft unters Volk brachten, sind die Feministinnen leichtsinnig und unseriös geworden und dem Sendungsbewusstsein dieser It-Girls, die Narzissmus als Lebensentwurf predigen, kaum gewachsen. In einer Umfrage unter tausend britischen Mädchen gaben 60 Prozent an, „Topmodel“ sei ihr bevorzugtes Karriereziel. 25 Prozent konnten sich vorstellen, Stripperin zu werden. Und für Deutschland gibt es ähnliche Zahlen.
Eine Ursache dieser Entwicklung ist, dass intellektuelle Frauen sich vom Feminismus abgewandt haben. Irgendwann in den 90er Jahren fanden mit einem Mal auch die Frauen, dass Feminismus unglamourös sei, uns verkrampft wirken lasse und – was noch schlimmer war – uns vom Shoppen abhalte. Redakteurinnen ermutigten ihre Leserinnen nun, zu ihrer „inneren Tussi“ zu stehen, und verfassten Lobgesänge auf sexy Unterwäsche.
Wenn wenigstens ein paar Feministinnen dagegen angekämpft hätten, wäre die Sache vielleicht nicht so aus dem Ruder gelaufen. Leider hüpften die Leute, von denen man hätte erwarten können, dass sie aufschreien oder zumindest nachdenken, selbst im Bustier herum. Dass die Girlpower, die wir alle so toll fanden, in Wirklichkeit ein Marketingkniff war, der junge Leute zum Kaufen animieren sollte, erkannten wir nicht.
1998 schrieb die englische Journalistin Natasha Walter in ihrem Buch „The New Feminism“ (Der neue Feminismus), wir seien nun auf dem letzten Wegstück einer langen feministischen Revolution angekommen, die Frauen aus der Machtlosigkeit in eine Position der Stärke hob und vom Rand der Gesellschaft ins Zentrum des Geschehens.
War das wirklich so?

Oder hatte diese Vorstellung nicht doch mehr mit Zeitgeist als mit Politik zu tun: Die „Opferrolle“ roch jetzt zu sehr nach 1980er Jahren und Übertreibung. Hinzu kam eine gewisse Faulheit – wir hatten einfach keine Lust auf Politik. Wenn wir nur den Beweis erbringen konnten, dass wir sie nicht brauchten, bliebe uns mehr Zeit, Gesichtscremes ¬auszusuchen. Wenn Natasha Walter mit ihrer Behauptung recht gehabt hätte, dann könnten wir uns jetzt zurücklehnen und uns in aller Ruhe die Nägel feilen.

Nach dem Girlpower-Credo konnten Frauen sich angeblich nun für Macht entscheiden wie für einen Bankkredit. Jede war dafür qualifiziert. Die das nicht wollten, hingen einem Zustand als „geknechtetes, bemitleidenswertes Opfer“ nach (Natasha Walter). Alle anderen hatten die Wahl, sich für ein Leben als „fröhliche, unabhängige, ehrgeizige Optimistin“ zu entscheiden.

In ihrem Buch „Die Stärke der Frauen“ von 1994 behauptet die amerikanische Feministin Naomi Wolf, die Hürden, die zwischen einer Frau und einem Job als Generaldirektorin stehen, seien eher psychologisch als politisch: Nur noch diese altmodische weibliche Scheu, mal richtig auf den Putz zu hauen, bremse die Frauen. Um das zu ändern, schlug Wolf vor, eine „Powergruppe“ ins Leben zu rufen, Gourmetkaffee inklusive. Zwischen jedem Schlückchen würden meine in Prada gewandeten Schwestern und ich uns gegenseitig unsere Verdienste aufzählen und über Mittel und Wege diskutieren, um den Feminismus „spaßig, locker und lukrativ“ zu machen statt „wütend und verbittert“. Wolf forderte Vorbilder, die die wenig reizvollen „unterdrückten“ Feministinnen ersetzen sollten.

Frauen, die Eier hatten, waren angesagt. Frauen hätten, so argumentierte man, ihre sexfreudige, großmäulige Seite im Namen des weiblichen Anstands bisher nur unterdrückt. Oder, wie es der Produzent der Fernsehsendung „The Girlie Show“, in der auch die Spice Girls ihren ersten Auftritt hatten, einmal ausdrückte: „Frauen haben sich schon immer so benommen – nur eben noch nie im Fernsehen.“

Das Power-Gehabe wurde als positive Haltung verkauft, als Freiheit, das persönliche Vergnügen auszuleben. Einer Frau, die mit Verve auftrat, waren Erfolg und Geld sicher. Und wenn nicht, konnte sie zumindest so tun: In Bars und Clubs wimmelte es nun von Frauen, die – wie Männer – Lügengeschichten über ihren beruflichen Aufstieg erzählten.

Traurig, aber wahr: Der Feminismus hatte sich seiner Verantwortung entledigt, unbequeme Wahrheiten ans Licht zu zerren. Nach zehn Jahren mit aufgeblähtem Ego ist das eingetreten, was vorhersehbar war: Wir sind hyperselbstsicher, hypersexuell und machen keinen Hehl daraus, dass wir alles tun würden, was uns nach ganz oben bringt. Wir sehnen uns noch immer nach der Ekstase des Erfolgs. Was Frauen wollen, ist nicht länger ein Geheimnis. Heute ist es nicht der Beruf, der einen erfüllt oder ein glückliches Familienleben, sondern Aufstieg im weitesten Sinne.

Auch das lebenslange Bemühen Madonnas, die nächste Stufe ihrer Popkarriere zu erklimmen, bestärkt ihre Fans in dem Glauben, es sei möglich und erstrebenswert, sich seine Welt immerfort „neu zu erfinden“, damit sie dem eigenen aufgeblasenen Selbstbild entspricht. Der Instrumentalismus hat die Romantik als herrschende weibliche Philosophie abgelöst. Frauen, die sich Madonna zum Vorbild nehmen, sehen alles und jeden als Mittel zum Zweck an. Sie haben ihren Körper instrumentalisiert.

Die „Über-Sexualisierung“ der Frauen, die Natasha Walter nun in ihrem neuen Buch „Living Dolls: The Return of Sexism“ beschreibt, hat rein gar nichts mit Sex zu tun, sondern ausschließlich mit Selbstvermarktung. „Living Dolls“ ist viel skeptischer als „The New Feminism“.

Für dieses zweite Buch hat Walter Prostituierte, Feministinnen und Frauen und Mädchen von nebenan interviewt. Und diesmal werden die Behauptungen der Gesprächspartnerinnen, man wechsle gern und häufig den Partner, liebe Pornos und versende gern schmutzige SMS, genauestens abgeklopft. Am Ende zeigt Walters überzeugend, welchen emotionalen und seelischen Preis dieser Lebenswandel fordern kann.
Für Frauen, die sich Madonna zum Vorbild nehmen, ist Weiblichkeit ein Werkzeug, um das zu bekommen, was sie wollen, egal, was es sein mag. Und so spiegelt auch der Hang junger Mädchen zum rosagefärbten Püppchendasein nicht elementare Weiblichkeit wider, sondern zeugt von frühem Markenbewusstsein.

Ihre Überzeugung, dass die Entscheider auf der nächsthöheren Stufe „Mädchenhaftigkeit“ bevorzugen, bestätigt sich in allem, was sie sehen. Die modernen Mädchen sind nicht passiv, sie formen sich selbst. Überzeugt vom Mythos der „Selbsterfindung“, wähnt sich die Frau von heute im Glauben, ihr Leben von der Wiege bis zum heutigen Tag im Griff zu haben. Sie hat kein Weltbild, nur das Verlangen, ihren Willen durchzusetzen. Sie weiß nicht, was sie tut, aber sie tut es ohne Wenn und Aber.

Die Teenager, die Natasha Walter für „Living Dolls“ interviewte, sagten Sachen wie: „Wir meinten neulich, dass wir mal eine Woche losziehen und so viele Liebhaber aufreißen sollten wie es nur geht, und in der größtmöglichen Bandbreite – Alter, Geschlecht, Beruf.“ Sie wären wohl erschüttert festzustellen, dass diese omnipotenten Wunschvorstellungen bereits vor 18 Jahren exakt in die Tat umgesetzt wurden, und zwar auf jeder einzelnen Seite von Madonnas Buch „Sex“.

Viele dieser Mädchen tragen einen Schild der Unverwundbarkeit vor sich her. In ihrem Unvermögen, Risiken abzuschätzen, sehen sie keinen Grund, nicht in Unterwäsche in einer Bierschwemme aufzutauchen, für ein Pornomagazin zu posieren oder mit jedem zu schlafen, den sie haben können. Doch paradoxerweise ist diese Generation von Frauen angreifbarer als jede andere zuvor. Ihre Weigerung, sich irgendeine Schwäche einzugestehen, lässt sie zur leichten Beute werden.

Einem Bericht des britischen Innenministeriums zufolge hat sich in den Neunzigerjahren die Zahl der Männer verdoppelt, die für Sex bezahlen; es arbeiten nun geschätzte 80000 Frauen in der Prostitution, allein in London gibt es 921 Bordelle. Die Bemühungen der Branche, der Prostitution den Anstrich eines ganz normalen Freizeitvergnügens zu geben, scheinen sich bezahlt zu machen. Doch hinter dem Spaßfaktor verbirgt sich immer noch Missbrauch. Eine der seelischen „Nebenwirkungen“ von Prostitution sind posttraumatische Belastungsstörungen, die sich oft in einer Persönlichkeitsspaltung äußern.

Was bei Prostituierten als Krankheitssymptom auftritt, nutzen die Teenager in „Living Dolls“ wiederum als bewusste Strategie: Sie sind stolz, einen Weg gefunden zu haben, mit dem sie es vermeiden können, einen emotionalen Preis für ihre Promiskuität zu zahlen. Doch obwohl Natasha Walter eindrucksvoll die brutale Realität der Sex-Industrie beschreibt, kann sie sich letztlich nicht dazu überwinden, den freizügigen Lebensstil junger Frauen zu kritisieren: „Zu strippen, viele Sexpartner zu haben und sich Pornos anzusehen, das kann auch Spaß machen.“

Vielleicht ist es an der Zeit, wieder einmal Betty Friedans Buch „Der Weiblichkeitswahn“ zur Hand zu nehmen. Die Neuauflage wirkt zeitgemäß. In den Fünfzigerjahren wurden – so wie heute – die Anfangserfolge des Feminismus von einer Generation verschleudert, die ihn als unglamourös und einengend erachtete. Friedan war die Chronistin einer reaktionären Bewegung der Nachkriegszeit, als Frauen Zuflucht in einer Art konventioneller Weiblichkeit suchten. Wehmütig erinnert sie an die frühen Jahre des Jahrhunderts, als Frauen wie Amelia Earhart strahlende, moderne Pioniere und Frauenikonen waren – nicht nur hübsche Larven, sondern komplexe Persönlichkeiten.

Das gleiche Gefühl beschleicht mich, wenn ich auf die Siebzigerjahre zurückblicke. Die freidenkerische, lebenslustige Frau, die Germaine Greer in „Der weibliche Eunuch“ beschreibt, ist ein Phantom der Vergangenheit. An ihrer Stelle haben wir es mit Madonna-Epigonen zu tun, die vor dem Spiegel ihr Workout-Programm abspulen, während ihr Blick fragt: „Bin ich sexy?“ Ihr gesamtes Sein ist auf den eigenen Aufstieg ausgerichtet, doch sie sind unfähig, wahre Erfüllung zu finden. Ihre ehrgeizigen Ziele sind zurechtgestutzt, genau wie die der Hausfrau bei Friedan. Dieses Wesen ist Welten vom feministischen Ideal entfernt.

Im Gegensatz zur gängigen Behauptung hat der Feminismus niemals Machtgewinn durch freie Entscheidung propagiert. Macht kann man sich nicht einfach zulegen – Macht ist kein Kühlschrank oder Fitnessgerät. Jede Strategie innerhalb dieses Konsumdenkens ist zum Scheitern verdammt.

Es ist kaum vorstellbar, dass eine Frau, die wie Madonna sein will, ein „Aha-Erlebnis“ haben könnte, wenn sie die Aufzählung ihrer Schwächen liest. Sie wird jede Schilderung des Schadens, den sie bei sich und ihren Angehörigen anrichtet, wütend von sich weisen. Sogar Prostituierte fühlen sich durch die Feststellung gekränkt, sie seien nicht ihr eigener Herr und bestimmten keineswegs die Spielregeln.
Wenn die moderne Frau nicht länger ihren Schmerz und ihr Opferdasein verleugnete, würde sie sich in allen Dingen anders entscheiden als jetzt. Die Dinge, die uns verletzen, würden niemals "auch Spaß machen" können. Wir würden keine albernen Schuhe mehr tragen oder einen Blog über unser Sexleben schreiben. Vor allem aber würden wir der Verlockung widerstehen, Karikaturen unserer selbst zu sein.

Die Autorin ist Kolumnistin der englischen Zeitung The Guardian. - Übersetzung: Stephan Klapdor.

Weiterlesen
Natasha Walters: "Living Dolls" (Krüger, 19.95 €)

Artikel teilen
 
Zur Startseite