Strauss-Kahn: Jetzt redet Diallo:
Newsweek schreibt: Nafissatou sieht keineswegs glamourös aus. Ihre Haut ist hellbraun, mit leichten Aknenarben, das dunkle Haar mit Henna gefärbt, sie trägt es glatt am Kopf. Sie hat eine weibliche, statuenhafte Figur. Und wenn ihr Gesicht entspannt ist, schimmert Melancholie durch. Als Kind wurde Nafissatou genitalverstümmelt, das bestätigte auch die medizinische Untersuchung anlässlich ihres Asylantrages. 2003 kam die junge Frau aus Guinea, arbeitete als Zopfflechterin, im Laden eines Freundes in der Bronx und in den letzen drei Monaten im Sofitel. Die Guineerin kann nicht lesen oder schreiben.
Den Ablauf der Vorgänge im Sofitel schildert Newsweek so: Obwohl der Zimmerkellner ihr gesagt hatte, das Zimmer, Suite 2820, sei leer, wollte sie sicher gehen. Sie rief zweimal „Hello, housekeeping!“. Es sei kein Gepäck mehr zu sehen gewesen.
Newsweek schreibt: Sie stand in der kleinen Eingangshalle, mit Blick ins Schlafzimmer, als plötzlich ein nackter Mann mit weißem Haar auftauchte. „Oh mein Gott“, sagte Diallo. „Es tut mir leid!“ Und drehte sich um, um den Raum zu verlassen. „Es muss dir nicht leid tun“, sagte der Mann. Diallo: „Er wirkte wie ein Verrückter auf mich.“ Er begrabschte ihre Brüste. Er warf die Tür der Suite zu. Diallo ist 1,78 m groß, also eher größer als Strauss-Kahn und von kräftigem Körperbau. „Du bist schön“, sagte Strauss-Kahn zu ihr, während er sie in Richtung Schlafzimmer drängte. „Ich sagte: Sir, hören sie auf damit. Ich möchte meinen Job nicht verlieren. Er sagte: Du wirst deinen Job nicht verlieren.“
Ein unschönes Ereignis mit einem Gast – egal mit welchem Gast – könnte alles gefährden, wofür Diallo gearbeitet hat. „Ich habe ihn nicht angesehen. Ich hatte solche Angst. Ich hatte niemandem in dem Raum erwartet. Er zog mich heftig Richtung Bett. Er versuchte, seinen Penis in meinen Mund zu stecken.“ Und während sie die Geschichte erzählt, presst sie die Lippen zusammen und dreht den Kopf von einer Seite zur anderen, um zu zeigen, wie sie Widerstand geleistet hatte. „Ich schubste ihn. Ich kam hoch. Ich versuchte, ihm Angst zu machen. Ich sagte: Sehen Sie, mein Vorgesetzter ist ganz hier in der Nähe.“ Aber der Mann sagte, dass niemand da sei und niemand sie hören könne.
Diallo versucht weiter, ihn wegzuschieben: „Ich wollte ihm nicht wehtun. Ich wollte meinen Job nicht verlieren.“ Er schob sie zurück, bewegte sie im Eingangsbereich Richtung Badezimmer. Diallos Berufskleid war vorne zugeknöpft, aber Strauss-Kahn gab sich nicht mit den Knöpfen ab. Er schob das Kleid hoch, riss ihren Slip runter und griff so fest in ihren Schritt, dass ihre Genitalien noch Stunden später im Krankenhaus gerötet waren.
Er warf sie auf die Knie, zwang seinen Penis in ihren Mund und ergriff ihren Kopf an beiden Seiten. „Er hielt meinen Kopf so fest“, sagt sie, während sie ihre Hände an ihren Schädel legt. „Er bewegte sich und machte Geräusche. Er machte so was wie ahh, ahh, ahh. Er sagte: Lutsch meinen… Ich möchte das nicht sagen.“
Der Bericht des Krankenhauses, wohin Diallo später für Untersuchungen gebracht wurde, hält fest, wie sie spürte, dass „etwas Nasses und Saures in ihren Mund eindrang, das sie auf den Teppich ausspuckte.“
„Ich stand auf“, sagt Diallo. „Ich spuckte. Ich lief. Ich lief fort von dort. Ich sah mich nicht um. Ich rannte auf den Flur. Ich war so aufgewühlt, ich war so verängstigt. Ich wollte meinen Job nicht verlieren.“
Diallo versteckte sich um die Ecke und versuchte sich zu sammeln. Da kam DSK fertig angekleidet zum Aufzug und blickte sie starr an. „Er sagte nichts.“
Der ganze Vorfall dauerte nicht mehr als eine Viertelstunde. Schon neun Minuten nachdem Diallo den Raum betreten hatte, rief DSK seine Tochter an.
Diallo holte ihren Zimmermädchenwagen aus einem anderen Zimmer, versuchte ihre Arbeit in der anderen Suite fortzusetzen. Sie schaffte es aber nicht. Ihre Vorgesetzte fand sie auf dem Flur. Diallo fragte sie: „Wenn sie in ihrem Job vergewaltigt worden wären, was würden sie tun?“ Die Vorgesetzte wurde wütend, als sie von dem Vorfall hörte: „Das war zwar ein VIP-Gast, aber darauf gebe ich einen Scheiß.“ Eine weitere Vorgesetzte kommt hinzu und zwei Sicherheitsleute vom Hotel. Einer riet, die Polizei anzurufen.
Nafissatou Diallo hat ihren „Job im Sofitel geliebt“. Sie musste 14 Zimmer am Tag reinigen und bekam 25 Dollar die Stunde plus Trinkgeld. Zum ersten Mal hatte das „Zimmermädchen“ einen eigenen Flur, eine Kollegin war in Mutterschaftsurlaub und sie vertrat sie. „Wir haben als Team gearbeitet. Ich mochte die Leute. Alle aus verschiedenen Ländern, AmerikanerInnen, AfrikanerInnen, Chinesinnen. Wir waren alle gleich.“
Fragen über ihr Leben in West Afrika beantwortet Nafissatou in dem Newsweek-Interview nur vage. Ihr Vater war Imam, der eine Koranschule führte. Ihr Ehemann starb „an einer Krankheit“, ebenso eine Tochter im Alter von drei bis vier Monaten. Nafissatou berichtet, dass sie von zwei Polizisten vergewaltigt wurde, die sie wegen eines Verstoßes gegen die nächtliche Ausgangssperre in Conakry (der Hauptstadt) verhafteten. Nachdem sie mit ihr durch waren, ließen sie sie am nächsten Morgen frei. Doch zuvor zwangen sie sie, den Tatort aufzuräumen. Das sei 2001 gewesen.
Im Interview mit Newsweek verbirgt Diallo ihre Wut auf Strauss-Kahn nicht. „Wegen ihm nennen mich alle eine Prostituierte! Ich will, dass er ins Gefängnis kommt! Ich will, dass er weiß, dass es Orte gibt, an dem er seine Macht und sein Geld nichts nutzen!“ Sie sagt, sie hoffe, dass Gott ihn bestraft.
Newsweek berichte weiter, es sei relativ sicher, dass DSK nach dem Checkout aus dem Hotel am 14. Mai um 12.28 Uhr mit seiner Tochter Camille, die an der Columbia University studiert, essen war. Von dort ging es zum JFK Airport um den Air France Nachtflug 23 nach Paris zu nehmen. Am Tag darauf wollte er sich mit Angela Merkel treffen.
Am Tag des Vorfalls telefonierte Diallo zweimal. Sie rief ihre Tochter an und Blake Diallo, „einen Freund“. Der Senegalese gehört zur gleichen ethnischen Gruppe wie sie, ist aber kein Verwandter. Er betreibt ein Restaurant, das Cafe 2115 in Harlem, ein Treffpunkt für West-AfrikanerInnen. Blake besorgte ihr als erster übers Internet einen Schadensersatz-Anwalt.
Am 1. Juli berichtete die New York Times, es gäbe die Aufzeichnung eines Telefonats zwischen Nafissatou Diallo und Amara Talrawally. Er handelt mit T-Shirts und Fake-Designerhandtaschen und flog bei einer verdeckten Ermittlung der Polizei auf, als er für 100 Pfund Marihuana 40.000 Dollar kassieren wollte. Die NYT zitierte einen wohlinformierten Gesetzeshüter, Diallo habe etwas gesagt wie: „Mach dir keine Sorgen, der Typ hat ne Menge Geld. Ich weiß, was zu tun ist.“ Zu der Zeit hatte die Staatsanwaltschaft noch keine vollständige Übersetzung des Telefonanrufes, der in Fulani, Diallos Muttersprache stattfand. Das Zitat stammt aus der Zusammenfassung eines Übersetzers, der exakte Wortlaut lautet wohl anders.
Newsweek sprach mit Tarawally, der sagte, das Zitat sei aus dem Zusammenhang gerissen. Diallo hat keinen Kontakt mehr zu Tarawally. Er hatte ihr Bankkonto benutzt, um Zehntausende Dollar hin- und herzuschieben. Diallo: „Er war mein Freund. Ich habe ihm vertraut.“
In einem Brief an den Rechtsanwalt von DSK listet der Staatsanwalt Cyrus Vance mehrere Lügen und Unklarheiten in Diallos Vergangenheit auf. So habe Diallo Abzüge für zwei Kinder statt eins bei der Steuer angegeben. Sie habe ihr Einkommen niedriger angegeben, um eine günstigere Miete zu zahlen. Und sie habe auf ihrem Asyl-Antrag gelogen. Sie soll die Geschichte ausgeschmückt haben – aber was genau falsch sein soll, wird nicht gesagt.
Für Diallo sprechen die forensischen Beweise, dass ein sexueller Kontakt stattgefunden hat. Ebenso die Kontinuität ihrer Geschichte, die Diallo zwei Hausdamen, zwei Hotelsicherheitsleuten, dem Krankenhauspersonal und Polizeibeamten während der ersten 24 Stunden immer gleich erzählt hat. Die Ermittlungsbeamten haben begonnen, ein „Täterprofil“ über DSK aufzustellen. Dazu haben sie weitere Frauen interviewt, die angeben, von dem Ex-IWF-Chef belästigt worden zu sein oder auch solche, die einvernehmlichen Affären mit ihm hatten.
Nafissatou Diallo hat erklärte, sie habe Newsweek das Interviews gegeben, um das falsche Bild von ihr in den Medien zu korrigieren. „Ich sage ihnen, was dieser Mann mir angetan hat. Ich hab nie etwas verändert. Ich weiß, was dieser Mann mir angetan hat.“ Diallo würde gerne eines Tages wieder im Hotel arbeiten, aber „vielleicht eher in der Wäscherei“. Sie will nie wieder an eine Tür klopfen und rufen müssen: „Hallo? Hier ist das Zimmermädchen.“
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