La France in Trance

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Welcher Kandidat wird die Eier haben, die deutsche Kanzlerin in die Schranken zu weisen? Diese Frage, in der sich chauvinistisches Ressentiment gegen die Deutschen und ihre vermeintlichen Hegemonie-Gelüste mit der machistischen Weigerung verbindet, sich dem Führungsanspruch einer Frau zu unterwerfen, dürfte wesentlichen Einfluss haben auf den Wahlausgang. Sie gibt der französischen Wahlkampfdebatte gelegentlich den Anschein eines bizarren Männlichkeitswettbewerbs. Als François Hollande bei den Koali­tions­verhandlungen mit den Grünen ein gewisses Zögern an den Tag legte, höhnte die konservative Presse sofort, ein Mann, der sich noch nicht einmal Eva Joly gegen­über durchsetzen könne (die Anti-Korruptions-Richterin und Spitzenkan­didatin der Grünen), der werde niemals fähig sein, der Bundeskanzlerin Mores zu lehren.

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Sarkozy versucht seinerseits sein gutes Einvernehmen mit der Bundeskanzlerin zu seinem besten Wahlkampfargument zu machen. Er lässt keine Gelegenheit aus, um zu betonen, wie wichtig das deutsche Vorbild sei und wie ringend Frankreich den Weg der deutschen Reformpolitik beschreiten müsse.

Allerdings macht auch Sarkozy, den die französische Presse häufig als „président bling-bling“ (Lametta-Präsident), lächer­lichen kleinen Wicht karikiert, der von der preußischen Matrone Merkel am Gängelband geführt wird, verzweifelte Versuche, seine Bewunderung für den deutschen Weg nicht als Unterwürfigkeit gegenüber der Kanzlerin erscheinen zu lassen. Bei seiner Ankündigung der Senkung der Lohnnebenkosten und der Erhöhung der Mehrwertsteuer berief sich der Präsident deshalb erstaunlicherweise nicht auf die Politik der Kanzlerin, sondern auf ihren Vorgänger Gerhard Schröder. Zwar gehört Schröder nicht zur gleichen politischen Familie wie Sarkozy, aber immerhin teilen Schröder und Sarkozy eine Vorliebe für dicke Zigarren und teure Anzüge. Ein Vorbild dürfte der ehemalige Cohiba-Kanzler auch deshalb sein, weil er nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen Reformvorstöße (Hartz IV) abgewählt wurde und also ein Rollenmodell des „edlen Verlierers“ abgibt. Noch wichtiger scheint aber: Schröder ist zwar Deutscher, aber wenigstens keine Frau.

Dieser Wahlkampf wird also spannend, äußerst spannend sogar. Er setzt die Strategien zur Bewältigung der Euro- und der Staatsschuldenkrise der Feuertaufe einer Kampagne aus. Er verhandelt die Fragen, die für die Zukunft von uns allen entscheidend sein werden: Ist die Sparpolitik, zu der das hochverschuldete Frankreich in den nächsten Jahren gezwungen sein wird, dem Bürger überhaupt noch vermittelbar? Sind die Franzosen, die ähnlich wie süd­euro­päische Länder Deutschland gegenüber stark an Konkurrenzfähigkeit verloren ha­ben und an zunehmender Exportschwäche leiden, überhaupt noch auf eine pro-europäische Politik einzuschwören? Besonders das künftige Verhältnis zu Deutschland ist ein entscheidendes Thema dieser Präsidentschaftswahlen.

Sarkozy versucht ganz bewusst, seine Agenda nicht nur von den drängenden wirtschaftspolitischen Themen bestimmen zu lassen. Kurz vor dem Start der offiziellen Kampagne lancierte er eine Wertedebatte. Und mit „Werten“ meint der Präsident die klassische Familie. So sprach sich Sarkozy gegen die homosexuelle Ehe und gegen das Adoptionsrecht von Homosexuellen aus. Zudem stellte er sich gegen das Vorhaben der Sozialisten, Steuerermäßigungen für ­Familien von den Einkommensverhältnissen abhängig zu machen und Haushalte mit sehr hohen Einkommen weniger zu entlasten als bisher üblich. Die Botschaft, die ­Sarkozy aussenden will, scheint: Nichts ist wichtiger als Familie.

Frankreichs hohe Geburtenrate liegt ­unmittelbar im höchsten nationalen Interesse – Chef-Sache gewissermaßen. Aber was ist eine Familie? Die klassische Familie kann nur getragen werden von einer Beziehung, die den klassischen Geschlechterverhältnissen entspricht. Was aber hat Sarkozy dazu gebracht, ganz im Stil der amerikanischen Neokonservativen, den Kreuzzug gegen die homosexuelle Ehe zu einem Wahlkampfthema zu machen? Der Präsident hat beschlossen, sich mit seiner „Wertedebatte“ sehr weit rechts zu positionieren. Er braucht die Stimmen der konservativen Katholiken, die einen nicht unerheblichen Wähleranteil stellen. Kurz nach seinen Ankündigungen zur Familienpolitik hat Christine Boutin, eine konservativ-katholische Vertreterin des ­äußersten rechten Flügels von Sarkozys UMP-Partei, die Aufgabe ihrer eigenen Prä­si­dent­schafts­kandidatur zugunsten der Unter­stützung des amtierenden Staatschefs bekannt gegeben. Boutin ist eine langjährige Kämpferin gegen das Recht auf Abtreibung und gegen die ­homosexuelle Ehe. Ihr Pakt mit Sarkozy erscheint als ein klares Zeichen, dass der Präsident für seine Wahl auf das äusserste rechte Wählerspektrum setzt.

Dass der Präsident sich besonders um die Rechtsausleger seiner Anhängerschaft bemüht, liegt aber vor allem an Marine le Pen. Mit Umfrage-Ergebnissen zwischen 15 und 20 Prozent droht die Tochter des alten Front-National-Führers Jean-Marie Le Pen und heutige Partei-Präsidentin den Präsiden­ten aus dem zweiten Wahlgang zu verdrängen. Diese Gefahr scheint vorerst gebannt – Sarkozy hält die rechte Herausforderin in den Meinungsumfragen neuerdings auf Distanz. Marine Le Pen verkörpert dennoch eine neue gefährliche Version des Rechtspopulismus in Frankreich. Auch wenn sie keine realen Chancen hat, ins Elysée gewählt zu werden, scheint sie bereits jetzt die eigent­liche Siegerin der Wahlen 2012 zu sein. Sie verkörpert eine innovative, radikale Rechte, die, so steht zu befürchten, noch eine große Zukunft haben könnte in Frankreich.

Der konservative Wertediskurs wird aber auch deshalb von Sarkozy forciert, weil ereiß, dass sein Wählerreservoir am rechten Rand liegt. Die gemäßigten Konservativen dürften für François Bayrou stimmen, einen überzeugenden, christ-demokratischen Zentrumspolitiker, der schon bei den letzten Präsidentschaftswahlen auf einen überraschend hohen Stimmanteil kam. Auch François Hollande, der Augenmaß und Solidität ausstrahlt, wird für viele Mitte-Wähler eine Option sein. Im rechten Wählerspektrum hingegen kann Sarkozy trotz der Konkurrenz von Marinne Le Pen noch Stimmen holen – falls es ihm gelingen sollte, diese Wähler für seine „Wertedebatte“ zu interessieren.

Diese Strategie hat der Präsident bereits 2007 bei seiner ersten Präsidentschaftskampagne angewendet. Eine starke Rechtspositionierung erlaubte es ihm damals, sich als volkstümliche Anti-Establishment-Figur zu profilieren und sich als Kandidat des Umbruchs darzustellen – obschon er selber der Regierung, mit der er „brechen“ wollte, als Minister angehört hatte. Sarkozy ist ein Meister der Kommunikation über Tabu-Brüche. Auch diesmal wird er wieder dieses Rezept anwenden. Allerdings dürfte er nun ein viel größeres Glaubwürdigkeitsproblem haben als noch 2007. Als amtierender Präsident ist Sarkozy per definitionem der Kandidat der Kontinuität. Es wird deshalb nicht einfach sein, erneut die Strategie des „Umbruchs“ anzuwenden.

Ein erster Tabu-Bruch war nun also die kategorische Zurückweisung der homo­sexuellen Ehe. In eine ähnliche Richtung ging die Ankündigung eines Referendums zur Reform der Arbeitslosenversicherung (Unterstützungsempfänger sollen zu Umschulungen gezwungen werden können). Weitere Provokationen, die ihn rechts­außen populär machen sollen, sind in der Ausländerpolitik zu erwarten. Sarkozy versucht als furchtloser Außenseiter, der kein Blatt vor den Mund nimmt, wiedergewählt zu werden. Deshalb werden wir bis zur Wahl am 22 April wohl noch viel zu hören bekommen über „die traditionelle Familie“ und „die christlichen Werte“.

Doch könnte es für Sarkozy zum Problem werden, dass auch sein sozialistischer Gegenspieler Hollande als Vertreter des Familiensinnes gilt, wenn auch auf moderne Art. Hollande lebte fast 30 Jahre in einer Beziehung mit der Politikerin Ségolène Royal, die vor fünf Jahren die sozialistische Kandidatin fürs Präsidentenamt gewesen ist. Schon diese Konstellation ist ungewöhnlich: Zunächst versucht sich seine Lebenspartnerin als Kandidatin, erst nach ihrem Scheitern tritt er selber an. Hollande und Royal gehen mittlerweile getrennte Wege, aber sie hatten ein power couple geformt, bei dem wohl eher sie als er die erste Geige gespielt hat. Bei der Erziehung ihrer vier gemeinsamen Kinder soll der Vater einen mindestens so aktiven Part übernommen haben wie die Mutter.

Es kommt hinzu, dass Hollande in einer ersten Phase nur als „Ersatz“ für Dominique Strauss-Kahn wahrgenommen wurde, der aufgrund der Vergewaltigungs- und Prostitutionsvorwürfe auf seine Kandidatur verzichten musste. Das schien zunächst ein Handicap, hat ­Hollande bisher aber nicht geschadet.

Für die französischen Sozialisten ist die Strauss-Kahn-Affäre ein tief gehendes Trauma. Wie konnte es passieren, dass so ein Mann um ein Haar zum Präsidentschaftskandidaten wurde? Weshalb hatte Strauss-Kahn bis zuletzt eine so breite Anhängerschaft im Parteiapparat, obwohl allgemein bekannt war, dass sein Sexualverhalten völlig außer Kontrolle war? Auf diese Fragen konnten die Sozialisten und Sozialistinnen bis heute keine befriedigende Antwort geben.

Hollande wurde also auch deshalb zum Kandidaten aufgestellt, weil er von seinem Typus her eine Art Anti-Strauss-Kahn darstellt: normal, humorvoll, nicht korrup­tionsverdächtig. Eher Softie als Macho. Lange Zeit stand die Befürchtung im Raum, Hollande sei „zu nett“, als dass ihm die Franzosen das Präsidentenamt­zu­trauen könnten. Doch hat er ­inzwischen seine ­eigene Glaubwürdigkeit gefunden. Hollande repräsentiert jene Gleichberechtigung, die im alltäglichen Leben schon lange der Normalfall ist. Auch deshalb sind seine Chancen ausgezeichnet.

 

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