Depardieu überzeugt als DSK
Am eindrücklichsten ist sein Gesicht danach. In seiner Miene spiegelt sich Ratlosigkeit, Leere. Und das ändert sich auch nach dem fünften oder zehnten Fick des Tages nicht. Gérard Depardieu als Dominique Strauss-Kahn bleibt rastlos unersättlich, weil zutiefst unbefriedigt. Keine noch so ausufernde Orgie, kein noch so grunzender Orgasmus kann ihm wirkliche Erlösung bringen.
Kein Zweifel, die Verkörperung des 2011 über den Vergewaltigungsskandal in New York gestürzten Weltbankpräsidenten ist eine von Depardieus ganz großen Rollen. „Ich spiele meine Figuren nicht, ich bin sie“, sagt die Schauspielerlegende im Interview zum Film. Ja, er ist Strauss-Kahn. Mehr noch: Er verkörpert das Innere von DSK noch überzeugender als das Original mit seinem bedrohlich massigen Körper.
Der Film hatte am Rande der Filmfestspiele von Cannes eine spektakuläre Premiere und sorgt weiter für Aufregung, vor allem in Frankreich. Denn „Welcome to New York“ zeigt die Wochen und Monate, in denen der zu der Zeit zukünftige Präsidentschaftskandidat vom höchsten Gipfel in den tiefsten Abgrund stürzt. Er zeigt die für den mächtigen Mann in den Luxushotels der Welt routiniert arrangierten Sexparties, den Oral-Sex mit dem schwarzen Zimmermädchen Nafissatou Diallo – den DSK zunächst ganz abstreiten, nach Vorlage von Beweisen jedoch als „einvernehmlichen Sex“ bezeichnen wird – bis hin zu der millionenschweren Rettungsaktion durch seine aus Paris angereiste Ehefrau Anne Sinclair.
Der Film zeigt die Minuten, die DSK zu Fall brachten, aus der Sicht von Diallo
Der New Yorker Regisseur Abel Ferrara hat den Film nicht nur im dokumentarischen Stil gedreht, Handkamera mit wenig Licht und viel Schatten, sondern auch semidokumentarisch besetzt. So sind die New Yorker Cops, die Depardieu behandeln wie einen kleinen Straßengangster, dieselben Männer, die einen der mächtigsten Männer der Welt 2011 in die Zelle verfrachtet hatten. Und das Apartment im Film ist dasselbe, das Anne Sinclair 2011 für ihren Mann angemietet hatte, für 60.000 Dollar im Monat. Er war aus dem Untersuchungsgefängnis nur mit der Auflage von Hausarrest in New York entlassen worden.
Da können auch die formaljuristischen Beteuerungen im Vorspann, dies sei "reine Fiktion und vom Fall Strauss-Kahn nur inspiriert“, nichts vormachen: Hier handelt es sich um den Versuch des Regisseurs, die Affäre so authentisch wie möglich nachzuerzählen. Abel Ferrara schlägt sich dabei ohne Einschränkung auf die Seite von Nafissatou Diallo. Er zeigt die sechs Minuten, die DSK zu Fall brachten, aus ihrer Sicht. Und er zeigt darüber hinaus dieses von Sexualgewalt durchsetzte Milieu, in dem ein Mann wie Strauss-Kahn mit Frauen, die ihm zu Willen sind, macht, was er will – und mit denen, die ihm nicht zu Willen sind, ebenso.
https://www.youtube.com/watch?v=SR4Hz_72c1s
So wie im Fall von Tristane Banon. Die junge französische Journalistin und Freundin seiner Tochter war 2003 bei einem Interviewtermin mit DSK nur knapp einer Vergewaltigung entkommen. Seither kämpfte sie, traumatisiert, um Fassung und darum, dass der Mann endlich zur Rechenschaft gezogen wird. Vergebens. Erst der Mut des schwarzen Zimmermädchens in New York gab auch der jungen Französin eine Stimme.
Ohne Diallo wäre Strauss-Kahn, der Zampano der sozialistischen Partei, heute zweifellos Präsident von Frankreich. Man wagt kaum, sich das vorzustellen...
Alle wussten über die pathologische "Sexbesessenheit" von DSK bescheid
Im Verlauf des Films wird Depardieu, der sich am Anfang wie ein Tier auf die Frauen wirft, differenzierter. Es bleibt ihm in seinem New Yorker Arrest auch kaum etwas anderes übrig als innezuhalten. Doch leider bleiben seine Selbstgespräche in diesem Luxusgefängnis an der Oberfläche. An den Kern der Person rühren sie nicht.
Die Fortsetzung nach der sehr überraschenden Einstellung des weltweit beachteten Strafverfahrens in New York und dem zivilrechtlichen „Vergleich“ (bei dem Strauss-Kahn, bzw. seine Frau mehrere Millionen an Diallo zahlte) erzählt der Film nicht. Im Zuge der Affäre Diallo kam nämlich heraus, dass alle – Parteigenossen, Mächtige und Medien – immer schon bescheid wussten über Strauss-Kahns pathologische „Sexbesessenheit“. Junge Frauen waren seit Jahren gewarnt worden, sich alleine mit ihm in einem Raum aufzuhalten.
In Frankreich sei Strauss-Kahn "inzwischen nahezu rehabilitiert", schrieb die Süddeutsche Zeitung anlässlich des Films. Das ist wohl eher ein Wunschdenken deutscher Journalisten. Das Gegenteil ist der Fall. Strauss-Kahn erwartet in Lille ein Prozess wegen „bandenmäßiger Zuhälterei“. Auf der Anklagebank sitzt der Ex-Weltbankchef mit Zuhältern und korrupten Polizisten. Seine in New York so demonstrativ händchenhaltende Ehefrau trennte sich erst nach Bekanntwerden dieser Anklage und erneuter, öffentlich gewordener Affären von ihm.
Anne Sinclair, die jüngst allen Ernstes behauptet hatte, „von all dem nichts gewusst“ zu haben, war vor ihrer 20 Jahre währenden Ehe mit DSK eine in Frankreich berühmte TV-Journalistin. Sie ist die Enkelin des Kunsthändlers Paul Rosenberg, der von den Nazis vertrieben wurde, in New York jedoch erfolgreich sein Metier fortsetzen konnte. Als solche ist sie heute Milliardärin, was im Film mehrfach erwähnt wird.
Dargestellt wird Sinclair von Jacqueline Bisset, nach der Absage der ursprünglich besetzten Isabelle Adjani. Bisset verkörpert die Verhärtung und Kälte der tausendfach betrogenen und gedemütigten Ehefrau sehr überzeugend. Sinclair hatte in New York nicht nur zu ihrem Mann gehalten, sondern auch versucht, das Zimmermädchen in den Dreck zu ziehen. Dennoch.
Der Film hat Schwächen, aber die Stärke, es überhaupt gewagt zu haben
Le Monde wirft dem Film Antisemitismus vor. Le Monde hat recht. Die allererste Szene, in der wir Sinclair sehen, spielt in einem Pariser Salon, und der erste Satz erwähnt eine „Spende für Israel“ - was ohne jede Relevanz für die Geschichte ist. Und auch der in dem New Yorker Apartment gefangene Strauss-Kahn – selber jüdisch-marrokanischer Herkunft – wird der Frau, von deren Vermögen er so lange profitiert hat, im Film ihr Geld und ihre Familie vorwerfen: Mit einer nicht aufgelösten Anspielung, die Sinclairs Familie eher in die Nähe der Profiteure rückt als der Opfer. Regisseur Abel Ferrara gab so Sinclair, die bis heute von jeder Selbstkritik in Bezug auf ihre Rolle frei ist, einen Anlass, den Film als "antisemitisch" motiviert abzutun. Die Journalistin klagt nicht. Aber DSK hat bereits angekündigt, gegen den Film juristisch vorgehen zu wollen.
Und noch etwas wäre kritisch anzumerken: In der Regel werden die verharmlosend so genannten „Sexszenen“ in "Welcome to New York" als das gezeigt, was sie sind: eine gewaltgeladene, traurige Orgien, traurig für alle Beteiligten. Nur einmal verlässt der Regisseur diese Sicht: Bei einem nicht enden wollenden Dreier, in dem zwei „Lesben“ es für DSK vormachen, grell ausgeleuchtet und ohne weiteren Erkenntnisgewinn.
Der Film ist also nicht nur mutig, sondern auch fragwürdig. Er hat Schwächen, aber die Stärke, es überhaupt gewagt zu haben. Und Depardieu hat die Größe, ohne Rücksicht auf sich selbst einen Typen wie Strauss-Kahn so zu verkörpern, dass er fast der bessere DSK ist: mit all seiner Dominanz & Gewalt, Gloire & Tristesse, Wichtigkeit & Einsamkeit.
Den Film "Welcome to New York" gibt es auch bei Maxdome (3.99 €)