Carolee Schneemann: Die Erste

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Gerade erhielt sie den „Goldenen Löwen“ in Venedig. Schon in den 50er und 60er Jahren nahm die Amerikanerin neue Kunstformen und feministische Provokationen vorweg, denen erst Jahre später andere folgten. „Ich habe eine Brücke für die Frauen gebaut“, sagt sie rückblickend. Jetzt zeigt das MMK Frankfurt 350 Werke der Künstlerin. Die waren zuvor in Salzburg zu sehen, wo Museumsdirektorin Sabine Breitwieser sie kühn kuratiert hatte. Hier schreibt Breitwieser über Leben und Werk von Carolee Schneemann.

Eine ihrer zahlreichen Zeichnungen, die sie im Alter von vier oder fünf Jahren machte, veröffentlichte sie später auf dem Cover ihres feministischen Künstlerbuches mit dem Titel „Cézanne, She Was a Great Painter“. Carolee Schneemann wurde 1939 in Fox Chase im Nordosten von Philadelphia geboren. Ihr Vater war Landarzt, ihre Mutter kümmerte sich um die Familie. Als ältestes Kind (mit einem Bruder und einer Schwester) war sie für ihre jüngeren Geschwister verantwortlich und hatte Hausarbeitspflichten.

Noch während ihrer Highschool-Zeit reiste Carolee Schneemann mit einem Stipendium, das sie sich selbst beschafft hatte, nach Pueblo in Mexiko. Mit 16 Jahren erhielt sie ein volles Stipendium für das Bard College in Annandale-on-Hudson im Bundesstaat New York, um dort Kunst zu studieren. Ihr Philosophielehrer entmutigte sie, über Simone de Beauvoir zu arbeiten, und schlug ihr vor, sich doch besser „Meistern“ wie Jean-Paul Sartre zu widmen.

Letztendlich wurde Carolee wegen eines Selbstporträts als Akt – es standen ihr keine anderen Modelle für Aktstudien zur Verfügung – vom Bard College verwiesen. Dass sie für ihre männlichen Kollegen nackt Modell gesessen hatte, wurde nicht beanstandet. Sie setzte ihr Studium an der School of Painting and Sculpture der ­Columbia University fort.

1955 lernte sie James (Jim) Tenney kennen, einen angehenden Komponisten. Mit ihm war sie dann 13 Jahre verheiratet. Schneemann arbeitete damals direkt neben Tenneys Atelier, dessen von Dissonanz und Fragmentierung bestimmte Musikübungen sie hörte.

Von Mitte der 1950er bis Anfang der 1960er-Jahre widmete die Künstlerin sich vor allem der Landschaftsmalerei. „Ein Lehrer mit einem oberflächlichen Blick für mein Temperament legte mir nahe, mich mit den Expressionisten zu befassen ... im Besonderen mit Kokoschka. Mein Blick fiel aber sofort auf Cézanne“. Sie fühlte sich selbst als „Teil der Natur“. In „Summer I“, einer expressiv und rhythmisch gemalten Naturdarstellung, verdeutlicht sie ihre Bildvorstellungen der menschlichen Existenz in einer „berauschend natürlichen Welt“.

In den I950er-Jahren hatte der Abstrakte Expressionismus in seinen amerikanischen Spielarten bereits die Welt erobert. Die Leinwand wurde nicht mehr als eine Fläche gesehen, auf der ein Gegenstand wiedergegeben werden sollte, sondern als eine Arena, als Ort eines Ereignisses. Schneemann begegnete einer der wenigen präsenten Künstlerinnen dieser Zeit, der Bildhauerin Marisol bei einer Diskussion im Artists’ Club als einzige Frau unter Männern: mit einer Maske vor dem Gesicht und kaum sprechend.

Schneemann ging so weit, ihre Untersuchungen der Malerei auf den mensch­lichen Körper, auf Performance, Fotografie und auf Film auszudehnen. „Kann ich ­zugleich das Bild und die Bild-Erschafferin sein?“, fragte sie sich in dieser Zeit. 1961 war sie nach New York gezogen, wo sie sich, obwohl sie sich selbst nach wie vor als Malerin verstand, an den avantgardistischen Entwicklungen in der Downtown-Kunstszene in den Bereichen Film, Tanz, Happening und Event beteiligte. Sie brachte sich mit großer Energie ein und wurde von anderen Künstlern als Darstellerin eingeladen, unter anderem von Claes Oldenburg für seine „Store Days“ (1962). Sie trat auch bei Rauschenbergs Atelierveranstaltungen auf und wurde von Andy Warhol in seiner Factory fotografiert.

Inzwischen hatte Schneemann ein Atelier in einer ehemaligen Pelzschneiderei auf der 29th Street in Manhattan bezogen. In den in dieser Zeit entstandenen Painting Constructions integrierte sie motorisierte Elemente und vorhandene Materialien aus dem Atelier in ihre Arbeiten. „Fur Wheel“ (1962) ist ein Objekt, das auf einem Lampenschirmgerüst aufgebaut ist, der auf ein rotierendes Untergestell montiert und mit Fellstücken, Glas, Spiegeln und bemalten Blechdosen ­bestückt ist; Letztere erzeugen während der Rotation einen rhythmischen Ton.

Bereits im Mai 1962 hatte Schneemann am Living Theater in New York „Glass Environment for Sound and Motion“, ihr „kinetisches Event“ für eine Bühnensitua­tion, choreografiert. Indem sie ihre Arbeitsweise der Collage und Assemblage in den Raum übertrug und DarstellerInnen und Publikum als Mitwirkende zu Bestandteilen ihrer Arbeit erklärte, entwickelte sie ihre Vorstellung eines Kinetic Theater, in dem sich alle Bestandteile letztlich zu einem multidimensionalen Bild ­fügen. Schneemann war die erste bildende Künstlerin, die für das Judson Dance ­Theater Werke choreografierte.

Ein Meilenstein unter ihren Arbeiten aus dieser Zeit ist Meat Joy (1964), eine Gruppenperformance als ekstatisch-opulentes und erotisches Ritual mit Live-Sound und aufgezeichnetem Ton, einem Mix aus Popmusik und Schreien von Fischverkäufern unter dem Hotelfenster der Künstlerin in den Straßen von Paris, in dem Fleisch (flesh) als Material in allen nur erdenklichen Formen zelebriert wird: „roher Fisch, Huhn, Wurst, frische Farbe, transparenter Kunststoff, Seil, Pinsel, Papierfetzen“.

Damals sagte sie: „Ich schaffe nicht nur Bilder, ich erkunde auch den Bildwert von Fleisch (flesh) als Material, mit dem ich arbeiten möchte. Der Körper darf erotisch, sexuell, begehrenswert und begierig bleiben, gleichzeitig aber geweiht, beschrieben und gekennzeichnet mit Strichen und Gesten meines kreativen weiblichen Willens.“

In der Zeit, in der Schneemann ihre „Kinetische Malerei“ und Theaterarbeit entwickelte, manifestierte sich ihre Sinnlichkeit und Emanzipation auch in dem von ihr selbst gedrehten und explizit erotischen Film „Fuses“ (1964 – 1967), über den heterosexuellen Liebesakt. Weil sie enttäuscht war von dem Film „Loving“, den Stan Brakhage 1956 mit ihr und Tenney gedreht hatte, und „weil sich noch niemand mit Bildern des Liebe-Machens als Kernstück spontaner Geste und Bewegung beschäftigt hatte“, begann sie 1964 ihre Arbeit an „Fuses“. Mit diesem Film schuf Schneemann eine Schilderung weiblicher sexueller Lust durch die Frau selbst.

Dass im Film über den Liebesakt mit ihrem Partner Tenney immer wieder der Blickwinkel ihrer Katze Kitch eingenommen wird, ist gleichzeitig komisch und selbstironisch. Das gedrehte Filmmaterial bearbeitete Schneemann durch Ansengen, Schneiden, Übermalen und Eintauchen in Säure. „Fuses“ wurde schließlich zu einer Materialcollage, die im Original so dick war, dass die für die Projektion nötige 16-Millimeter-Kopie händisch, Filmkader für Filmkader angefertigt werden musste.

Zehn Jahre später setzte Schneemann in „Interior Scroll“ erneut ihren nackten Körper ein und überschritt Grenzen, indem sie ihre Vagina als Quelle „inneren“ Wissens in Stellung brachte: Sie zog einen zuvor sorgfältig gefalteten Papierstreifen aus ihrer Vagina und las Zentimeter für Zentimeter einen Text vor: Darin warnte sie die Zuhörerinnen unter dem Motto „be prepared“ vor dem Sexismus und der Geringschätzung, die Frauen in der Kunstwelt entgegenschlug (und schlägt).

Bei einigen Aufführungen zeigte Schneemann in unmittelbarer Nähe zur Performance den Film „Kitch’s Last Meal“, an dem sie ebenfalls 1973 zu arbeiten begann, doch den sie erst 1978, zwei Jahre nach dem Tod ihrer Katze, fertigstellte. In dieser vertikal angeordneten Doppelfilmprojektion sind wöchentliche Aufnahmen von Kitchs Mahlzeiten Ansichten davon gegenübergestellt, was die Katze im Alltag im Blickfeld hat. Bei einer Aufführung 1976 in „The Kitchen“ stellte Schneemann schließlich ihre tote Katze Kitch auf einem Podest mit aus.

Carolee Schneemann verstand ihre künstlerische Praxis stets als eine kritische, die sich nicht auf die Nutzung von neuen künstlerischen Medien beschränkte; sie scheute sich auch nicht, feministische und allgemein-politische Themen direkt anzusprechen. Bereits in den späten 1960er-Jahren schuf sie „aus Zorn, Empörung, Wut und Trauer über das Schicksal der Vietnamesen“ die Multimedia-Arbeit „Snows“ (1967), die am Martinique Theatre in New York aufgeführt wurde, und bereits zuvor den Film „Viet-Flakes“ (1965).

In den 1980er-Jahren reagierte Schneemann auf die Gräueltaten im Libanon mit ihrer kinetischen Skulptur „War Mop“ (1983). Darin richtet sich ein gewöhnlicher Wischmopp immer wieder auf, um in der Folge auf einen Videomonitor zu schlagen beziehungsweise über die darauf zu sehende Montage von Nachrichtenbildern aus dem Krieg zu streichen wie mit einem Pinsel. Der Gestus des Malens beziehungsweise des Wischens wird hier in Zusammenhang mit einem Krieg verwendet, der von der Propaganda als „sauber“ beschrieben wurde. Heute lesen wir diese Arbeit als frühen Kommentar zur Diskussion über den Einsatz von computergesteuerten Waffen.

Diese Politik der Bilder verfolgte Schneemann auch in Werken jüngeren Datums wie zum Beispiel „Vulva’s Mor­phia“ (1995), eine kulturtheoretische und fotografische Untersuchung erotischer ­Tabus.

1993 sagte Carolee Schneemann in einem Video: „Ich bin eine Malerin, ich bin immer noch Malerin und werde als Malerin sterben. Bei allem, was ich entwickelt habe, geht es darum, visuelle Prinzipien jenseits der Leinwand zum Tragen zu bringen.“

 

Sabine Breitwieser

 

Der Text ist die stark gekürzte Fassung des Katalogtextes von Sabine Breitwieser, Kuratorin der Ausstellung und ­Direktorin des Museums für Moderne Salzburg. In dem prächtigen Katalog sind weitere Texte von Expertinnen und zahlreiche Abbildungen: „Kinetische ­Malerei“ (Prestel, 49.95 €).
Die Ausstellung „Carolee Schneemann: Kinetische Malerei“ zeigt das MMK Frankfurt bis zum 24.9.2017.

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