Maja Göpel: Die Visionärin
Sie ist auf dem Dorf bei Bielefeld groß geworden, in einem alten Bauernhaus, das ihre Eltern gemeinsam mit Freunden ausgebaut hatten. Davor ein großer Garten mit Bauwagen zum Toben. Mit den anderen Kindern aus dem Haus ging sie zur Reformschule. Bei den Nachbarn galten sie als Hippies. Es waren die Achtziger, die frühe Hochzeit der Umwelt- und Friedensbewegung, die Zeit von Waldsterben und Tschernobyl, merkwürdige Jahre zwischen Ausprobieren und Zukunftsangst. Ihre Eltern engagierten sich bei „Ärzte gegen den Atomkrieg“, zu Hause gab es weder Fleisch noch Cola. Fleisch vermisste sie nicht.
Wer so aufwächst, entwickelt entweder eine ausgeprägte Aversion gegen Alternatives aller Art oder wird wie Maja Göpel: Weltverbesserin aus und mit Leidenschaft. Göpel ist Mitinitiatorin der Kampagne „Scientists for Future“, eine Art verlängerter akademischer Arm von Fridays-for-Future: Fast 30.000 WissenschaftlerInnen stellen sich hinter die Forderungen der SchülerInnen und verlangen einen konsequenteren Klimaschutz. So, und jetzt alle mal kurz die Luft anhalten.
Wie denn nun den Planeten retten?
Maja Göpel, 44, leitet als Generalsekretärin den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen, lehrt als Honorarprofessorin an der Leuphana Universität Lüneburg, gehört dem Club of Rome an, sitzt in diversen Beiräten und hat, uff, gerade wieder ein Buch geschrieben mit dem unbescheidenen Titel: „Unsere Welt neu denken“ – ein mitreißender Entwurf für radikale Reformen zur Rettung des Planeten.
Ach ja, zwei Töchter hat sie auch noch, mit denen sie einmal pro Woche zum Reiten ging, solange das in Vor-Corona-Zeiten noch möglich war, und am Wochenende zum Campen an den See.
Bereits als auf dem Bielefelder Jahnplatz gegen den ersten Golfkrieg protestierende Schülerin fragte sie sich: „Alle Menschen, die ich kenne, wünschen sich Liebe, Frieden, die Überwindung von Armut und eine schöne und sichere Umwelt. Warum also machen wir das dann nicht einfach?“ Die Suche nach einer Antwort treibt die von einem fast faustischen Wissens- und Erkenntnisdrang durchdrungene Transformationsforscherin, wie sie sich nennt, bis heute an.
Maja reiste als Backpackerin durch Südamerika und die USA, hat in Kanada, der Schweiz und Spanien studiert: Medienwissenschaften (mit Diplom), dann Psychologie und Politologie. Sie promovierte in „globaler politischer Ökonomie“, weil sie wissen wollte, wie Wirtschaft funktioniert. Im Grunde hat Göpel die Antwort auf ihre Frage aus Jugendtagen längst gefunden. Sie lautet, rigoros verkürzt: Weil die Wirtschaft auf Wachstum ausgelegt ist und die Kosten der Naturzerstörung nicht in Waren eingepreist werden: „Wir lassen gute, nachhaltige Produkte ständig gegen unehrliche Preise anrennen“, sagt sie. Wer also die Umwelt schützen will, muss das Wirtschaftssystem radikal umkrempeln, angefangen mit ökologischeren und gerechteren Steuern bis hin zur Terminologie: „Planetenzerstörung darf nicht länger Wachstum heißen. Reine Geldvermehrung nicht länger Wertschöpfung.“
Die Grenze vom Wissen zum Wollen überschreiten
Gegner beleidigen Göbel in den sozialen Netzwerken als „Öko-Nazi“. Dabei ist diese Frau das Gegenbild einer sackleinernen Verzichtspredigerin. Sie twittert als @beyond_ideology. Wer sich mit ihr unterhält, erlebt eine lebensfrohe, energiegeladene Frau, die gerne und viel lacht – und komplex denkt. Ihr zu folgen, erfordert hohe Konzentration und die Bereitschaft, den Kant’schen Imperativ, Eisenhowers Wirtschaftsreformen sowie den „Green Deal“ zusammenzudenken.
Sie kann aber auch anders. An einem Protest-Freitag steht Maja Göpel vor dem Brandenburger Tor und spricht zu den protestierenden Mädchen und Jungs. „Andere Zukünfte sind möglich“, ruft sie. „Wir müssen nur die Grenze vom Wissen zum Wollen überschreiten.“ – Genau das tut die kosmopolitische Frau vom Dorf.
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Maja Göpel: „Unsere Welt neu denken – eine Einladung“ (Ullstein, 17.99 €)