Sprechakte und Realität
„Pinkstinks“ ist eine feministische NGO in Berlin, kräftig gefördert allerseits. Jüngst veröffentlichte die Organisation ein Kapitel aus dem Buch ihrer „Freundin“ Melody Michelberger über Körperpolitik. Die frühere Brigitte und Gala-Autorin beschreibt darin ihren Kampf gegen den eigenen Körper und das Schlankheitsdiktat für Frauen. Frauen? Nein, „weiblich gelesene Menschen“, wie die Berliner NGO im Vorspann zum Nachdruck die Art Mensch nennt, zu der Freundin Melody und Milliarden weiblicher Menschen auf der Welt gehören.
Menschen mit Menstruation? Die Realität will den Gedankenspielen nicht folgen
„Weiblich gelesen“, was will das uns Nicht-Gender-StudentInnen sagen? Es will sagen: Diese Frau, die da gegen die körperfeindlichen Frauenbilder kämpft, ist zwar biologisch weiblich, aber keine Frau. Denn Frauen, die gibt es nicht (mehr), die sind eine Erfindung des Patriarchats.
Nach Auffassung von Pinkstinks & Friends sind Frauen „Menschen mit Menstruation“, die nur eine reaktionäre Umwelt für Frauen hält. Das, was bisher „Frauen“ genannt wurde – oder „Männer“ –, ist nur ein kulturelles Konstrukt, das nun dekonstruiert wird.
Vielleicht ein bisschen kompliziert, zugegeben, aber rein intellektuell durchaus nachvollziehbar. Nur, die Realität, die will solchen Gedankenspielen so manches Mal einfach nicht folgen.
Fangen wir von vorne an. Feministinnen wie ich – also solche, die noch nie das hohe Lied der Differenz gesungen haben, sondern das der Gleichheit, des Universalismus – hatten von Anfang an den Traum von einer Welt, in der die Geschlechter nicht länger Frauen und Männer sein müssen, sondern ganz einfach Menschen sein dürfen.
Selbstverständlich wissen wir auch spätestens seit Simone de Beauvoir (und in Wahrheit schon viel länger): „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“. Will sagen: Man wird dazu gemacht.
Schon weibliche Babys werden, das belegen Studien, anders behandelt als männliche, meist unbewusst. Sex, das biologische Geschlecht, ist nur ein Vorwand für Gender, das soziale Geschlecht. Und diese Zuweisung der „richtigen“ Rolle geht ein Leben lang und wird täglich erneuert.
Abweichungen werden gesellschaftlich sanktioniert, verstärkt beim weiblichen Geschlecht. Das ist einer der Gründe, warum auch die taffesten Polizistinnen so gerne ihren langen blonden Pferdeschwanz raushängen, und noch die coolsten Managerinnen die höchsten Highheels tragen. Keine Sorge, will uns das sagen, ich bin trotzalledem noch immer ganz Frau. Was immer das bedeuten mag.
Sie wollen die Schubladen wechseln - raus aus ihnen kommen sie aber nicht
Eine extreme Minderheit der Menschen, geschätzte 0,03 Prozent, fühlt sich aufgrund eines ernsthaften seelischen Konfliktes im „falschen Geschlecht“ und will in das „richtige“ wechseln, ist also transsexuell. Doch immer mehr Menschen, vor allem junge, denen nur die ihnen zugewiesene Geschlechterrolle nicht passt, halten sich heutzutage gleich für transsexuell. Dabei ist es kein Zufall, dass inzwischen acht von neun Menschen, die das Geschlecht wechseln wollen, Mädchen und Frauen sind. Denn die Frauenrolle ist enger als die Männerrolle. Doch diese biologisch weiblichen Menschen wollen aufgrund ihres berechtigten Unbehagens ihre Rolle nicht etwa erweitern oder gar sprengen, im Gegenteil: Sie wollen von einer Rolle bzw. Schublade in die andere wechseln. Raus aus den Schubladen sind sie deswegen dann noch lange nicht.
Sollte es stattdessen nicht unser Ziel werden, die Geschlechterrollen nicht etwa auszutauschen – sondern abzuschaffen?! Die Realität zu ändern statt nur den Überbau? Realität ist immer noch, dass im Patriarchat ein weiblicher Mensch eine „Frau“ ist und ein männlicher ein „Mann“. Das ist nicht durch Hormone und Operationen ungeschehen zu machen, nicht durch Wunschdenken zu ändern und schon gar nicht durch einen sogenannten „Sprechakt“.
Sprache ist zwar ein Teil der Realität, ist Spiegel und Instrument zugleich beim Geschlechtsrollendrill, und muss sich auch darum ändern. Aber Sprache ist kein Zauberstab, sie kann die Geschlechtsrolle nicht, Abrakadabra, abschaffen oder einfach umdrehen. Auch wenn immer mehr Menschen sich die Freiheit nehmen, dazwischen zu sein oder beides (Ich gehöre dazu).
Hinter dem bösen F-Wort lauert nicht mehr nur Fuck, sondern: Frau
Aus einschlägigen Kreisen, von Berkeley über Oxford bis Berlin-Mitte, ist nun zu hören, es gäbe keine „Frauen“ mehr. Ja, die sind regelrecht zum Unwort geworden. Hinter dem bösen F-Wort lauert nun nicht mehr Fuck, sondern: Frau.
Schade nur, dass die Männer dieser Welt – und die wenigen Frauen, die bei ihnen mitspielen – das noch nicht so richtig mitbekommen haben. Die kümmern sich weiterhin weniger um Sprache und Dekonstruktion, sondern eher um Rekonstruktion: von Macht, Profit und Gewalt. Was nicht nur für die Regionen der Welt gilt, in denen auch nur die kleinste Abweichung vom Frausein Richtung Menschsein – wie z.B. das Verrutschen der Verschleierung – tödlich sein kann. Es gilt auch für unsere Breitengrade.
Auch bei uns konnten 5.000 Jahre Patriarchat nicht in 50 Jahren aus den Angeln gehoben werden, und schon gar nicht durch ein realitätsfernes Gebaren wie diese Wortklaubereien. Das ist magisches Denken. Diese Art von einst ernstzunehmender Sprachkritik, die längst zu einer neckischen Spielerei in den Feuilletons verkommen ist, wird das Patriarchat eher festigen. Das kann über so etwas nur milde lächeln.
Werfen wir also einen Blick in den Wirtschaftsteil. Während Pinkstinks & Friends im Subjektiven ihrer Blase kreisen, analysiert die große Vordenkerin der Körperpolitik, Susie Orbach, die schon 1984 ihr erstes Buch über Körperpolitik veröffentlichte („Das Antidiätbuch“), fortschreitend die heutigen Dimensionen (EMMA 2/21). Sie berichtet u. a.: Allein in Großbritannien und nur im Jahr 2017 machte die Modeindustrie dort einen Umsatz von 36 Milliarden Euro, gegenüber 1,4 Milliarden Euro in der Stahlindustrie. Die Trendsetter des Schlankheitswahns erwirtschaften also das 26-fache der traditionell härtesten Branche der Wirtschaft.
Beim Thema Transsexualität kassiert die Pharma-Industrie kräftig mit
Von den steigenden Umsätzen der Schönheitsindustrie ganz zu schweigen. Allein der Umsatz beim Geschäft mit den Schönheits-OPs beläuft sich weltweit auf 27 Milliarden Dollar, im Jahr. Wir haben es hier also mit einem mächtigen Wirtschaftsfaktor und entsprechenden Interessen zu tun, auch in der Debatte um die Transsexualität. Die gilt Feministinnen schon seit Jahrzehnten als Test in Sachen „Schönheits“-OPs. Dabei kassiert auch die Pharmaindustrie kräftig mit.
Verlieren wir also nicht länger unsere Zeit mit Sprachspielereien. Kehren wir zurück zu einem umfassenden politischen Blick. Hier geht es nämlich nicht um durchaus ebenfalls konstruierte, subjektive Befindlichkeiten. Hier geht es um das objektive Erschließen neuer Märkte und einen harten Backlash gegen den Feminismus: nämlich die Negierung der Frauen.
Weiterlesen in Alice Schwarzers Buch: „Lebenswerk“