Schweiz: Nur Ja heißt Ja!
„Es war ja nicht meine Schuld, dass sie komplett betrunken war“, sagt der junge Mann in Video, während er auf dem Bett liegt und in einem Buch blättert. „Und ein Nein ist ja nicht wirklich ein Nein, wenn du betrunken bist, oder?“ Die Kamera zieht auf und die Zuschauerin sieht: Das Bett steht in einer Gefängniszelle. Und der Mann sagt bedauernd: „Wenn das die Schweiz wäre, säße ich jetzt nicht im Gefängnis.“
Dasselbe sagt auch der graubärtige Ehemann, der sich von seiner Frau „genommen hat, was ihm nun mal zusteht“. Und der Typ, der seiner Angestellten auf der Weihnachtsfeier gezeigt hat, dass „ich nun mal ihr Chef bin“. Alle drei sitzen jetzt wegen Vergewaltigung im Knast. Weil die (fiktiven) Männer in dem Video keine Schweizer sind, sondern Deutsche, Engländer, Franzosen. Weil sie also die Tat in einem europäischen Land begangen haben, in dem gilt: Nein heißt Nein! Denn: Nur Ja heißt Ja!
Zum Beispiel in Deutschland: Hier beschloss der Bundestag am 7. Juli 2016 einstimmig: Wer sexuelle Handlungen „gegen den erkennbaren Willen“ einer Person vornimmt, macht sich der Vergewaltigung oder sexuellen Nötigung strafbar. Berücksichtigt wird im Gesetz auch, dass Opfer manchmal nicht in der Lage sind, einen Willen zu äußern. Zum Beispiel, wenn sie stark betrunken sind oder wenn sie vor Angst erstarren und nicht mehr handlungsfähig sind.
Es war ein jahrzehntelanger Kampf, bis es in Deutschland endlich soweit war. Die Schweizerinnen sind gerade mitten im Gefecht. Denn hier gilt immer noch: Der Täter muss den Widerstand des Opfers mit Gewalt überwinden. Außerdem gilt bisher nur das vaginale Eindringen als Vergewaltigung, nicht aber das orale oder anale. Das muss sich ändern, fordern Schweizer Frauenorganisationen vom Dachverband Alliance F bis zur Frauenzentrale Zürich, die die Video- und Plakatkampagne gestartet hat.
„Unser Gesetz hinkt gehörig hinterher“, sagt Olivia Frei von der Frauenzentrale. „Wir fordern ein Sexualstrafrecht, in dem die Definition von Vergewaltigung nicht länger auf Gewalt, Nötigung und Widerstand basiert, sondern auf der fehlenden Einwilligung. Wenn eine Frau sich nicht physisch wehrt – zum Beispiel, weil sie in einem Schockzustand oder anderweitig reaktionsunfähig ist – wird das nicht als Vergewaltigung angesehen. Auch dann nicht, wenn sie zuvor ganz klar Nein gesagt hat.“
Die Filme mit den scheinbar "normalen" Geschichten tun weh. Das sollen sie auch.
Mit der Kampagne wolle man „den Menschen auf dramatische Art und Weise klarmachen, dass die Schweiz – im Gegensatz zu vielen europäischen Ländern – den Anforderungen der Istanbul-Konvention nicht Folge leistet“.
Das müssen vor allem der Nationalrat (= der Schweizer Bundestag), und der Ständerat (= das Kantons-Parlament) begreifen, denen aktuell zwei Gesetzentwürfe zur Reform des Sexualstrafrechts vorliegen. In der „Sommersession“, also der dreiwöchigen Sitzungszeit, hat das Parlament die Entwürfe jedenfalls noch nicht behandelt. Sie stehen nun für die Herbstsession im September auf dem Programm.
Vielleicht nützt die Kampagne der Frauenzentrale. Realisiert hat den Film die Regisseurin und Frauenrechtlerin Luisa Ricar. „Mit der Kampagne haben wir die Möglichkeit, das stereotype Bild eines Vergewaltigers aufzubrechen und der Realität anzupassen“, erklärt sie. „Die Filme und die scheinbar ‚normalen‘ Geschichten der Männer tun weh. Und das sollen sie auch. Es soll klar werden, dass Vergewaltigung etwas ist, das im Alltag geschieht und sich nicht auf dunkle Gassen und wildfremde Täter beschränkt.“
25. Juni, 19 Uhr: „Nur Ja heißt Ja“, Podiumsgespräch und Diskussion per Zoom