Eine Boxerin schlägt zurück

Foto: Katrin Wendel Fotografie
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Sarah, wie kam es zu Ihrem Ausschluss aus dem Boxsport-Verband?
Sarah Scheurich Ich habe der Verbandsspitze frauenfeindliche Strukturen vorgeworfen, plus Mobbing und Willkür in der Vergabe von Fördermitteln. Ich habe die Probleme des deutschen Boxsports beim Namen genannt. Das habe ich auch schon 2018 mit der Aktion „Coach, don’t touch me“ getan, um auf sexualisierte Gewalt im Boxen aufmerksam zu machen. Das passt den Funktionären nicht. Jetzt will der Verband mich loswerden. Jungen Boxerinnen wird gesagt: „Pass auf, dass dir nicht das Gleiche wie Sarah Scheurich passiert!“

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Und jetzt?
Ende Juni teilte mir der DBV mit, dass meine Sportförderung beendet wird, weil meine „boxerische Entwicklung stagniere“. Ich habe meinen Kaderplatz verloren. Auch macht Michael Müller, der Sportdirektor des Verbandes, keinen Hehl daraus, dass ihn meine öffentlichen Äußerungen stören. Meine Box-Kolleginnen und ich – und drei Männer – wir wenden uns nun mit einem Offenen Brief an die Öffentlichkeit, um endlich dringende Veränderungen im Verband herbeizuführen.

Was ist denn genau passiert?
Eine Frau, die boxt, das geht für viele noch immer nicht zusammen. Nicht für boxende Männer, nicht fürs Publikum, nicht für Sponsoren, nicht für Trainer. Es gibt Nationalmannschafts-Trainer, die sagen geraderaus: „Ich trainiere keine Frauen.“ Unsere Trainings laufen in Folge nicht auf dem Level wie zum Beispiel in Großbritannien oder Frankreich. Es werden weder wirklich gute Trainerinnen geholt, noch wird versucht, Nachwuchs aufzubauen. Wir hatten in Schwerin mal einen großen Wettkampf, bei dem die Männer vor rund 3.000 Leuten gekämpft haben. Der Wettkampf der Frauen wurde in die Nebenhalle gelegt und Publikum war nicht einmal zugelassen. Frauen, die boxen, kämpfen nicht nur gegen ihre Gegnerinnen, sondern auch um Respekt in diesem Sport.

Dabei sind die wenigen Boxerinnen sehr erfolgreich!
Absolut! Wir fünf Boxerinnen, die nun rausfliegen sollen, haben international viele Preise eingefahren. Und es steht auch in den Olympischen Leitlinien: Wer Fördergelder will, muss Gleichberechtigung in den Sportarten umsetzen. Ein Verband, der auf Bundesebene agiert und von Steuergeldern lebt, darf nicht einfach Frauen ignorieren, weil sie ihm nicht in den Kram passen. Dazu kommt noch der ganze Sexismus und Chauvinismus neben dem Ring.

Wie sieht der aus?
Eine Boxhalle ist kein Ort, an dem sich eine emanzipierte Frau wohlfühlt. Ich bin die erste Frau, die in Deutschland an einer Sportschule Boxen trainiert hat. Ich wurde auf fast jedem Wettkampf komisch beäugt, hatte oft nicht mal eine Frauen-Umkleide. Wie immer bei Frauen läuft es über den Körper. Ein Trainer sagte zu mir, da war ich schon Europameisterin: „Nimm mal ein bisschen ab, du bist echt fett geworden. So kriegst du keinen Kerl mehr ab!“ Sowas ist Standard bei Trainern. Aber das würden sie zu Männern nie sagen!

Bleibt es bei Sprüchen?
Nein. Boxen ist sehr körperlich. Boxer leiten ihre Männlichkeit über ihren Körper ab. Dazu gehört auch ein Frauenbild als Objekt. Dieser Alltagschauvinismus, anzügliche Kommentare – das ist der Nährboden, aus dem sexuelle Gewalt wächst. Es passiert oft, dass wir begrabscht werden. Das interessiert aber keinen. Unsere Frauenbeauftragte ist die Verbandsärztin. Die setzt sich null für irgendetwas ein. Vor ein paar Jahren wurde eine Boxerin, die sich das Hotelzimmer mit ihrem Trainer teilen musste, von dem mutmaßlich vergewaltigt, das Verfahren wurde eingestellt. Im letzten Jahr gab es ähnliche Fälle in Heidelberg. Weil die betroffenen Mädchen sich an die Polizei gewandt haben, wurden sie als Nestbeschmutzerinnen hingestellt, gemobbt und zum Teil bedroht.

Seit Regina Halmich, die abseits des Rings oft in Abendkleidern und Stöckelschuhen auftrat, werden gerade Boxerinnen auch gern sexualisiert dargestellt. Nach dem Motto: Seht her, ich boxe, trotzdem bin ich eine sexy Frau…
Über den sexualisierten Körper werden im Leistungssport ja immer noch die Sponsoren gewonnen – siehe Beachvolleyball. Ich denke, dass Regina sehr in diese Richtung gepuscht wurde. Aber: Sie ist auch mit Stefan Raab öffentlichkeitswirksam in den Ring gestiegen. Und diese kleine, blonde, eher zierliche Frau hat dem Raab die Nase gebrochen. Er hat noch Glück gehabt, bei einem Kampf in meiner Gewichtsklasse wäre es nicht bei einem Nasenbeinbruch geblieben. Ich laufe rum, wie ich möchte und lasse mich nicht inszenieren. Nicht nur bei Sportlerinnen, generell wird es ja bei Frauen sanktioniert, wenn sie Muskeln zeigen. Wenn ich mal ein Kleid trage, kommen schnell irgendwelche Facebook-Kommentare wie: „Mit solchen Muskeln kannst du doch kein Kleid tragen, wie sieht das denn aus …“

Nervt das?
Ja, tut es. Körperliche Bewertungen treffen alle Frauen. Und wir Boxerinnen nehmen uns auch noch raus, etwas Urmännliches zu machen. Dabei ist Boxen so ein toller Sport! Du lernst deine eigene Kraft, deinen Körper kennen, du kriegst Selbstbewusstsein, das festigt dich als Mensch. Und Spaß macht es natürlich auch.

Was muss jetzt passieren?
Es müssen klare Ansagen von den Geldgebern kommen. Wer Geld gibt, kann auch etwas tun. Es kann doch nicht sein, dass über Jahre in mich und meine Kolleginnen Fördermittel investiert wurden, wir gute Leistungen erbringen, und ein Verband dann einfach sagt: Euch wollen wir nicht mehr, ihr seid uns zu unbequem. Wir Boxerinnen treten jetzt geschlossen in die Öffentlichkeit und nennen die Missstände beim Namen. Wir lassen uns nicht mundtot machen. Wir schlagen zurück. Das liegt auch eher in der Natur einer Boxerin.

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