Vergewaltigung: Ja heißt Ja? - Nein!
Die gute Nachricht zuerst. Frauen werden in der Europäischen Union künftig besser vor Gewalt geschützt. Am 6. Februar (passenderweise am „Internationalen Tag gegen Genitalverstümmelung“) verabschiedete der Europäische Rat eine Richtlinie, die die Gesetzgebung der 27 Mitgliedsstaaten vereinheitlicht. So soll Genitalverstümmelung in allen EU-Ländern als Straftat gelten. Auch Zwangsheirat, Stalking oder Online-Anstiftung zum Frauenhass sollen demnächst EU-weit gleiche Straftatbestände werden.
Die schlechte Nachricht: Ausgerechnet die Vergewaltigung wurde aus der Richtlinie ausgeklammert. Warum? Weil mehrere Länder blockierten, darunter Frankreich und: Deutschland. Das sorgt für Empörung. „Die neue Richtlinie ist ein Meilenstein im Kampf gegen Gewalt an Frauen, sie bedeutet für Millionen Frauen eine Stärkung ihrer Rechte – außer wenn sie vergewaltigt werden“, klagt die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. Und der Deutsche Frauenrat erklärt: „Die Entscheidung des EU-Rats, die Aufnahme von Vergewaltigung in die Richtlinie abzulehnen, ist empörend.“
In der Tat hat diese Entscheidung dramatische Folgen. Denn in elf EU-Mitgliedsstaaten reicht ein „Nein“ immer noch nicht aus, damit der Tatbestand der Vergewaltigung erfüllt ist. Vor allem in osteuropäischen Ländern wie Tschechien, Rumänien oder Polen, aber auch in Frankreich und Italien muss der Täter immer noch körperliche Gewalt anwenden und das Opfer aktiv Widerstand leisten, damit die Tat als „Vergewaltigung“ gilt. Oft aber ist das Opfer zum Widerstand psychisch oder physisch gar nicht in der Lage.
EMMA hatte bereits 1981 zum ersten Mal über ein skandalöses Urteil des Bundesgerichtshofs berichtet. Ein Malermeister hatte seine Auszubildende mehrfach in seinem Lieferwagen vergewaltigt. Er war mit ihr in einen einsamen Waldweg gefahren und hatte so geparkt, dass sie die Tür nicht öffnen konnte. Dann hatte der Mann ihr erklärt, es habe ohnehin keinen Sinn, sich zu wehren.
Das Wuppertaler Landgericht verurteilte den Täter zu sechs Jahren Haft, doch der Bundesgerichtshof hob das Urteil wieder auf. Begründung: Es habe sich „nicht um Gewalt im Sinne des § 177 StGB“ gehandelt. EMMA entgegnete: „Wir nehmen die Kriegserklärung an!“
Allerdings dauerte es noch unerhörte 35 Jahre, bis nach hartnäckigem feministischem Kampf in Deutschland 2016 endlich ein neues Vergewaltigungs-Gesetz eingeführt wurde. Bestraft wird seitdem, wer „gegen den erkennbaren Willen“ einer Person sexuelle Handlungen an ihr vornimmt. Das „Nein“ einer Frau ist seither ausreichend – wenn sie denn beweisen kann, dass sie Nein gesagt hat.
Andere EU-Länder sind jedoch noch weiter. Bei ihnen gilt das Prinzip: „Nur Ja heißt Ja!“ Das heißt: Die Frau muss aktiv einwilligen. Kann sie das nicht, zum Beispiel weil sie eingeschüchtert ist, schläft, unter k.o.-Tropfen oder betrunken ist, gilt die Tat als Vergewaltigung. 13 EU-Länder haben diese Regelung schon, darunter Großbritannien, Schweden und Dänemark, aber auch Kroatien und Slowenien.
Die neue EU-Richtlinie sah nun vor, dass in allen EU-Ländern das Prinzip „Nur Ja heißt Ja“ gelten soll. Die EU-Kommission und das EU-Parlament hatten bereits zugestimmt. Nun fehlte nur noch der Europäische Rat, in dem die Staats-und Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer sitzen. Und hier stellte sich ausgerechnet Deutschland quer.
Justizminister Marco Buschmann (FDP) erklärte, die EU überschreite ihre Kompetenzen, sie sei für die Vergewaltigungs-Gesetzgebung nicht zuständig. Das allerdings haben hochrangige Juristinnen des Deutschen Juristinnenbundes in einem Gutachten bereits widerlegt. Sie erklären die Richtlinie als vereinbar mit dem Europarecht und die Blockade ausgerechnet durch die „Fortschrittskoalition“ für „unverständlich“.
Dennoch drohte nun die ganze Richtlinie auf EU-Ebene zu scheitern. Das rief 100 Frauen auf den Plan, die den Justizminister in einem Offenen Brief aufforderten: „Sehr geehrter Herr Minister Buschmann, sehr geehrte Bundesregierung, wir bitten Sie dringend, Ihre Blockade-Haltung zu Artikel 5 (Vergewaltigungsstraftatbestand) für einen umfassenden und zugleich effektiven und durchsetzbaren Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt in allen EU-Mitgliedsstaaten aufzugeben. Mit dieser Blockade-Haltung steht der Schutz von Millionen Frauen vor Gewalt in der EU auf dem Spiel.“
Unter den Unterzeichnerinnen sind Schauspielerin Natalia Wörner, Frauenrechts-Aktivistin Düzen Tekkal, Klimaschutz-Aktivistin Luisa Neubauer und die Ex-Siemens-Vorstandsfrau Janina Kugel. Initiiert hatte die Aktion Kristina Lunz, Gründerin des „Centre for Feminist Foreign Policy“. Die Verfasserinnen schreiben: „Aufgrund von Deutschlands und Frankreichs Blockadehaltung ist nun die komplette EU-Richtlinie in Gefahr, mit all den Neuerungen wie der Harmonisierung der Cyberdelikte.“
Am Ende steht ein Teilerfolg. Immerhin wurde die Richtlinie nicht komplett gekippt. Aber: Dass gerade die Ampel, die sich die Umsetzung der Istanbul-Konvention gegen Gewalt gegen Frauen in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, die Um-setzung von ‚Ja heißt Ja‘ verhindert, ist skandalös. Denn die Istanbul-Konvention formuliert klipp und klar, was eine Vergewaltigung ist: „Alle Formen von sexuellen Handlungen, die einem Dritten ohne dessen freiwillige Zustimmung vorsätzlich aufgezwungen werden“.
Das heißt: Auch das deutsche Vergewaltigungs-Gesetz, das keine „freiwillige Zustimmung“ einfordert, verstößt also schon gegen die Istanbul-Konvention – und hätte auch gegen die EU-Richtlinie verstoßen. Wäre die komplett in Kraft getreten, hätte auch Deutschland sein „Nein heißt Nein“-Gesetz zu „Nur Ja heißt Ja“ anpassen müssen. Ist das der wahre Grund für die Blockade des Justizministers? Das wäre eine wirklich schlechte Nachricht.
CHANTAL LOUIS