Gewalt gegen LehrerInnen
„Du hast mir gar nichts zu sagen, du Fotze. Ruf doch meinen Vater an! Der macht dich so richtig fertig. Wir machen euch alle fertig!“ So redete Hakim H. mit seiner Lehrerin, holte sein Springmesser aus der Hosentasche und rammte es in den Tisch. Der Sechzehnjährige bekam einen Schulverweis. Sabine F., seine Lehrerin an einer Gelsenkirchener Gesamtschule, hat seitdem Angst im Klassenzimmer.
Kein Einzelfall. Die Gewalt an Schulen steigt seit Jahren. Nicht nur unter den SchülerInnen, sondern auch gegen LehrerInnen. Verbale und körperliche Gewalt, Cybermobbing und psychische Gewalt sind an der Tagesordnung. Das zeigt eine aktuelle Umfrage vom Verband „Bildung und Erziehung“ (VBE), die über Forsa 1.311 Schulleitungen in ganz Deutschland befragen ließ.
Social Media macht die Kinder kaputt. Sie mobben sich gegenseitig und auch uns
Ergebnis: An 65 Prozent der Schulen gab es in den letzten fünf Jahren Fälle psychischer Gewalt gegen LehrerInnen, an 35 Prozent der Schulen sogar physische Gewalt, sprich körperliche Übergriffe. Seit 2018 befragt der Verband regelmäßig die Schulleitungen im Bund – und in jedem Jahr steigen die Zahlen. Seit 2018 ist die Gewalt um ein Drittel gestiegen, die via Cybermobbing hat sich nahezu verdoppelt. „Wir hatten gehofft, dass wir die Politik mit den bisherigen Daten wachrütteln können. Das ist leider nicht geschehen“, sagt Gerhard Brand, Bundesvorsitzender des Verbandes.
Viele SchulleiterInnen haben den Eindruck, dass die politisch Verantwortlichen die Gewaltvorfälle tabuisieren – um nicht in die rechte Ecke gestellt zu werden. „Natürlich haben nicht alle Täter einen Migrationshintergrund, es gibt auch genug deutsche unter ihnen“, sagt Sabine F. aus Gelsenkirchen. Aber zur Wahrheit gehöre auch, dass die Gewalt an Schulen mit Kindern aus vorwiegend migrantischen Milieus besonders hoch sei. „Viele unserer Schüler mit muslimischem Migrationshintergrund sehen Frauen nicht als gleichwertige Menschen an. Wir erleben eine migrantische Gewaltkultur. Und die beeinflusst natürlich auch alle anderen“, sagt sie ernüchtert. Besonders leid täten ihr migrantische SchülerInnen, die mit dem Islam nichts am Hut hätten und von ihren Mitschülern als „Ungläubige" drangsaliert würden, wie es auch jüngst im Ramadan geschehen sei.
Aber auch deutsche Schüler gehören zu den Tätern. Theresa W. ist Lehrerin an einem Hamburger Gymnasium. Ein Schüler von ihr, der sich ungerecht benotet fühlte, hat ihren Kopf in einen Deep-Fake-Porno geschnitten und das Video an der ganzen Schule verteilt. „Auf dem Schulhof wurden hinter mir über Wochen Stöhnlaute gemacht. Jemand hat Gleitgel auf mein Pult geschmiert“, sagt sie.
In der VBE-Umfrage unter den Gymnasien wurden Beleidigungen, Beschimpfungen und Onlinedelikte an erster Stelle genannt. Das sogenannte Cybermobbing steigt sowohl unter SchülerInnen als auch gegen LehrerInnen. „Social Media macht die Kinder kaputt“, klagt Theresa W. „Sie mobben sich gegenseitig auf Instagram und mobben auch uns Lehrerinnen.“ Wie Theresa W. sind viele LehrerInnen nicht nur für ein Handyverbot an Schulen, sondern auch für ein generelles Social-Media-Verbot für Kinder bis 16, wie Australien es umsetzen will. Europäische Länder wie Frankreich, Großbritannien oder die Niederlande erwägen dies ebenfalls. Auch Hessen und Bayern wollen mit einem Handyverbot an Schulen anfangen, die Gewalt einzudämmen.
Jeanette Deckers ist Lehrerin in Mönchengladbach und Initiatorin der Petition „Kein Zugang zu Sozialen Medien für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren“. „So wie jetzt, ohne jegliche Kontrolle, kann das nicht weitergehen“, sagt Deckers. Zu gefährlich seien die Sucht-Mechanismen Sozialer Medien und die daraus resultierende Abstumpfung. 84.896 Menschen haben bereits unterzeichnet.
Eltern wissen oft nichts von der Parallelwelt, in der Kinder unterwegs sind
Gegen Kanäle wie Instagram und TikTok als Treiber von Gewalt zieht bundesweit auch die Schulleiterin Silke Müller aus Oldenburg zu Felde. Mit ihrem Buch „Wir verlieren unsere Kinder“ hat sie die Diskussion über Gewalt an Schulen in den Medien in Gang gebracht. „Wenn ich Eltern darauf anspreche, was wir auf den Handys ihrer Kinder gefunden haben, sind sie geschockt“, sagt sie im EMMA-Interview.
Wie wenig Eltern von dieser Parallelwelt wissen, in der ihre Kinder jeden Tag unterwegs sind, zeigt auch die hochgelobte britische Netflix-Serie „Adolescence“. Darin ermordet ein 13-Jähriger eine Mitschülerin, die ihn gekränkt hat. Es geht um verlorene Jungs, um tief verwurzelten Frauenhass und die gefährliche Verbreitung von Incel-Ideologien auf Social Media. In Großbritannien ist die Serie seit Wochen Thema. Die britische Regierung unterstützt nun eine Initiative, die Serie gratis an weiterführenden Schulen im ganzen Land zu zeigen, um über die Social-Media-Radikalisierung von Kindern aufzuklären – und endlich gegenzusteuern.
Mehr zu diesem Thema auch in der neuen EMMA, die am 28. April erscheint!