Wie frei macht Pädophilie?

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Günter Amendt, der einst aus der Studentenbewegung kam und heute DKP-Mitglied ist, ist Sexualpädagoge und hat vor zehn Jahren das viel beachtete Buch "Sexfront" veröffentlicht. Jüngst erschien eine zeitgenössische Variante von Sexfront, das "Sexbuch", in dem es ihm um die Sexualität von Jugendlichen mit Jugendlichen geht. Kurzum: Günter steht wohl nicht im Verdacht, Kindern und Jugendlichen ihre Freude nehmen zu wollen... Außerdem ist er Vorstandsmitglied der "Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung", die bei einer eventuellen Gesetzesänderung der die Pädophilie betreffenden Strafparagraphen ein beratendes Wort mitzureden hätte. - Es wäre zu wünschen, dass dieses Gespräch und die Kolumne beitragen zur Sensibilisierung für die neuen Gefahren einer scheinbaren Liberalisierung. Wir hoffen, dass alle Betroffenen für eine Diskussion offen bleiben, und betrachten EMMA als eines der möglichen Foren dafür.

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Günter Wir sollten ganz offen über unsere Ängste sprechen, in dieser Diskussion nun plötzlich zu Hütern der bürgerlichen Moral zu werden. Ich empfinde dieses Gespräch auch nur als Annäherung ans Thema. Wir setzen uns damit aber gleichzeitig nicht nur Angriffen aus der "Szene" aus; mit meiner Position trete ich auch in Widerspruch zu dem, was einige Kollegen vertreten, die sexualwissenschaftlich arbeiten.

Alice Deine Skrupel ehren dich. Ich zögere da ehrlich gesagt weniger, eine Position zu vertreten, die von nicht wenigen sich als progressiv Verstehenden ganz sicherlich als "reaktionär" gescholten wird. Als Feministin habe ich mich in den letzten Jahren an diese Gradwanderung gewöhnen müssen. Gerade in moralischen und sexuellen Fragen müssen wir zunehmend einer allzu flotten Libertinage widersprechen, die von Männern proklamiert wird und meist doch nur auf Kosten von Frauen geht. Hier nun geht es um eine noch schwächere, eine noch schutzwürdigere Gruppe: es geht um Kinder.

Günter Als Sexualpädagoge beschäftige ich mich mit der Sexualität von Kindern und Jugendlichen, und bin dafür, dass sie ihre Sexualität frei leben können. Andererseits habe ich natürlich auch die Opfer im Auge - die ihrerseits damit wieder andere, nämlich die Kinder, zu Opfern machen - und das ist etwas, was mich bedrückt. Denn eines ist klar: Pädophilie ist für den betroffenen Menschen die "Lösung" eines schweren psychischen Konflikts. Wer diese Lösung nicht schafft, endet in der Schizophrenie oder im Selbstmord. Aus dieser Interessenkollision rührt meine besondere Verletzlichkeit: sowohl die Opfer, wie auch die Opfer der Opfer verteidigen zu wollen. Ich höre schon, wie man mir rät, solche Skrupel zu vergessen. Denn typisch für die aktuelle Diskussion ist ja gerade die Weigerung vieler Pädophiler, ihre sexuelle Fixierung auf Kinder als etwas zu begreifen, das sie selbst zu Opfern eines Zwanges macht.

Alice Auch ich stelle mir so manchen pädophilen Lebenslauf tragisch vor. Nur muss ich als Frau sagen: mich interessieren zunächst die Opfer der Opfer. Und genau von ihnen redet in dieser ganzen pseudo-pro-gressiven Diskussion niemand mehr. Da werden die Bedürfnisse von Erwachsenen einfach gleichgesetzt mit denen von Kindern. Da gebärden sich die Pädophilen-Gruppen ganz einfach als Kinderbefreier - und das ist das Verlogenste an der ganzen Debatte: hier geht es nicht um die Sexualität von Kindern, sondern um die Sexualität von Erwachsenen, die es gern mit Kindern machen.

Günter Ich glaube, wir treten beide als Erwachsene für das Recht der Kinder auf Sexualität ein. Das heißt aber nicht, dass wir für das Recht der Erwachsenen auf die Sexualität der Kinder eintreten. Wir haben es hier mit einem hochpolitischen Thema zu tun, meine ich, das völlig unpolitisch diskutiert wird. Und das ist das alarmierende.

Alice Alarmierend ist, dass bei dieser Debatte ganz einfach geleugnet wird, dass es sich hier um eine Herrschaftsbeziehung handelt - nämlich um die zwischen einem Erwachsenen und einem Kind - und dass sich bisher auch kaum jemand die Frage gestellt hat: Warum wird Pädophilie ausgerechnet jetzt so propagiert, von der taz bis zur Quick? Warum wird ausgerechnet in einer Phase, in der dank der feministischen Arbeit die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen auch in der Sexualität und die Sexualität als Herrschaftsinstrument immer bewusster wird, lapidar eine Gleichheit zwischen Erwachsenen und Kindern unterstellt? Flüchten die Männer jetzt aus den zunehmenden Komplikationen mit Frauen in die Einfachheit einer "Beziehung" zu einem Kind, in dessen Augen sie allemal noch der big boss sind?

Günter Eine These, die auch ich nahe liegend finde. Nur - lass uns erst mal genau definieren, was wir unter Pädophilie verstehen. Ich verstehe darunter die Sexualität von Erwachsenen mit vorpubertären Mädchen und Jungen. Noch deutlicher: Es handelt sich um eine zwanghafte und ausschließliche Fixierung auf kindliche Sexualobjekte. Wichtig ist auch, zu sagen, dass es sich hier nicht primär um ein Problem von Homosexuellen handelt...

Alice ...gewiss nicht. Aber die Debatte wird bisher fast ausschließlich von homosexuellen Pädophilen geführt.

Günter Weil der Druck auf homosexuelle Pädophile größer ist. Heterosexuelle Pädophilie läuft meist im Familien- und Bekanntenkreis ab. Ein Ehemann und Vater, der sich an der 12-jährigen Tochter vergangen hat, wird nicht so leicht angezeigt wie ein Fremder, der einen Trebegänger abgeschleppt hat. Homosexuelle Pädophile müssen mit ihrem Problem an die Öffentlichkeit, ob sie wollen oder nicht. Gehen sie aber an die Öffentlichkeit, bzw. verlassen sie den Schutz der Anonymität, verstärken sie eher den Leidensdruck, unter dem sie stehen. Mehr Öffentlichkeit heißt auch mehr Kontrolle.

Alice In der neu aufgeflammten Diskussion wird die Pädophilie oft verschleiernd "liebevoller Kontakt zu Kindern" genannt. Darum muss ganz deutlich gesagt werden, dass wir unter Pädophilie nicht etwa eine allgemein sinnliche Beziehung von Erwachsenen zu Kindern verstehen, keinen Schmuse- oder Hautkontakt und selbstverständlich auch nicht eine sexuelle Anziehung, die ein Erwachsener in Bezug auf ein Kind in sich spürt. Mit Pädophilie meinen wir die ausgeführte Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern.

Günter Genau. Der entscheidende Punkt ist da, wo die kindliche Autonomie, nämlich das etwas-ganz-anderes-Wollen, nicht mehr akzeptiert und der ganze Vorgang noch mit Erwachsenendenken interpretiert, nach Erwachsenen-Bedürfnissen durchgezogen wird. An der Stelle setzt meine Kritik an, weil es hier um Beziehungen von Ungleichen, um Herrschaft und letztlich um Ausbeutung geht. So haben wir vor zehn Jahren die Befreiung der Sexualität nicht gemeint. Sexualität heute war für uns immer das Verhältnis von Sexualität und Herrschaft. Das hatten wir damals kapiert - und hier wird genau das ausgeblendet. Insofern kann sich die Pädophilie auch nicht als logische Entwicklung einer einmal begonnenen Emanzipationsdiskussion begreifen. Da ist ein schwerer Bruch.

Alice Und genau darum — weil die Liberté, für die wir eingetreten sind und weiterhin eintreten werden, hier zur Libertinage degeneriert ist - scheint es mir so wichtig, dass wir uns kritisch und öffentlich zu dem Thema äußern ...

Günter Mit Einschränkungen. Ist es nicht besser, wenn ein total isolierter Junge oder ein isoliertes Mädchen, das emotional verarmt und verelendet und vom leiblichen Vater oder sogar von der Mutter (auch das gibt es) geprügelt wird, wenn ein solches Kind stattdessen einen Erwachsenen findet, der liebevoll zärtlich zu ihm ist, es fördert.

Alice Da machst du dir aber was vor... Zum einen scheint mir die Alternative - entweder prügelnde Eltern oder zärtlicher Liebhaber - doch sehr konstruiert. Das ist genau so aberwitzig wie das Gerede von den überfütterten Schoßhunden, denen es so gut geht, und den misshandelten Kindern, denen es so schlecht geht. Nur weil ein paar Schoßhunde weniger zu essen bekämen und ein paar Erwachsene sich für Sexualität mit Kindern interessieren, würden Kinder allgemein schließlich noch lange nicht misshandelt...Zum anderen steht der Beweis, dass Pädophile immer freundlich und behutsam mit Kindern sind, noch aus. Bisher spricht vieles eher für das Gegenteil! Bei der heterosexuellen Pädophilie wissen wir es, da erzählen die medizinischen und polizeilichen Annalen Erschreckendes über den körperlichen Zustand so mancher kleiner Mädchen, die von ihren eigenen Vätern missbraucht wurden. Vom seelischen ganz zu schweigen ...Außerdem: es hindert niemand diese angeblich so kinderfreundlichen Pädophilen daran, die lieben Kleinen zu fördern - aber ohne sich damit gleich das Recht auf die sexuelle Verfügbarkeit von Kindern erkaufen zu wollen.

Günter Viele Pädophile berufen sich auf die Antike und dieses ganze bildungsbürgerliche Brimborium. Aber die alten Griechen waren nicht Pädophile, sondern Päderasten, hatten also keine sexuellen Beziehungen zu Kindern vor der Geschlechtsreife, sondern zu geschlechtsreifen Knaben, heranwachsenden Männern. Und das aus eher suspekten Motiven. Reimut Reiche und Martin Dannecker zum Beispiel sagen, dass die Päderastie bei den alten Griechen nichts anderes war als der Versuch, das Herrschaftswissen der herrschenden Klasse unter sich zu halten - zu Lasten der Frauen und der Sklaven. Kriegshandwerk, Bildung und Wissen wurde vom erwachsenen Mann an den heranwachsenden Mann weitergegeben. Pädagoge: Knabenlenker. Hat man je was von Mädchenlenkern gehört... ?

Alice Pädophilie und Päderastie wird übrigens auch heute wieder in einen Topf geworfen. Und das ist so verwirrend wie verschleiernd. So spielt ja zum Beispiel das bei Trikont erschienene Buch von Peter Schult, "Besuche in Sackgassen", eine große Rolle in der augenblicklichen Diskussion. Schult hat allerdings keine, oder sollte man sagen: noch keine?, sexuellen Beziehungen zu vorpubertären Kindern, sondern zu Heranwachsenden. Nun ist das für mich eine ganz andere Diskussion, und ich bin grundsätzlich für die Straffreiheit von freiwilligen sexuellen Beziehungen Heranwachsender, egal mit wem. Nur finde ich ebenso grundsätzlich alle sexuellen Beziehungen in Abhängigkeit äußerst problematisch und überhaupt nicht propagierenswert. Und genau dieses Kriterium trifft voll auf Schult zu, der sich kokett einen "homosexuellen Anarchisten" nennt. Ich weiß nicht, was an seinen Geschichten anarchistisch ist, denn schließlich ist Anarchismus weiß Gott nicht einfach nur der Verstoß gegen bestehende Ordnungen um jeden Preis ...Schult beginnt seine Päderasten-Karriere als Heimleiter, der mit Zöglingen sexuelle Beziehungen hat: Setzt sie fort als Legionär, der sich Araber-Knaben kauft (im engsten Sinne des Wortes!); und ist heute ein "linker Held", der in München Trebegänger von der Straße auffischt, ihnen ein Bett und ein bisschen Emotionalität bietet und dafür Sex erwartet. Und dann ist er auch noch stolz darauf, dass er das nicht mit körperlicher Gewalt erzwingt. Als gäbe es nicht viel subtilere Formen der Nötigung ...Seine 15- bis 16-Jährigen hatten ihn immer in freundlicher Erinnerung, schreibt er zur Rechtfertigung. Ich glaub's sogar. Ich als Frau habe mich in diesem Buch sehr wieder gefunden. Allerdings nicht im Part von Schult, sondern in dem der Knaben. Dieses Nach-Liebe-Hungern, dieses Sich-freundlich-zur-Verfügung-Stellen, dieses Sich- auch-noch-Sagen: Er war doch eigentlich ganz nett mit mir ...Natürlich können diese Jugendlichen sich anschließend kaum eingestehen, dass sie missbraucht wurden! Das können wir Frauen auch nicht.

Günter Das ist richtig. Aber in welcher Rolle reden wir jetzt hier? Es gibt ja noch einen Nebenkriegsschauplatz, der für die Betroffenen der Hauptkriegsschauplatz ist, nämlich das Gericht. Stellen wir uns vor, wir wären Gutachter bei Gericht in folgendem Falle: Ein 40-jähriger Mann hatte eine sexuelle Beziehung zu einem zu Beginn 11-jährigen Jungen, die über drei, vier Jahre ging. Die Kriterien des Förderns waren objektiv gegeben. Veranschlagen wir nun die sexuellen Handlungen so hoch, dass wir dem üblichen Strafmaß zustimmen? Ich zitiere diesen Fall nicht zufällig. Es handelt sich um einen mir bekannten Fall, der bei den augenblicklichen Überlegungen eine exemplarische Rolle spielt. Der Junge ist heute 19 und hat sich übrigens homosexuell entwickelt. Die sexuellen Handlungen damals liefen meist darauf hinaus, dass der Junge dem Mann, ein 40-jähriger Arzt, einen runtergeholt hat. Weil er eben dachte, es macht dem Erwachsenen Spaß. Er selbst hat dabei kaum was empfunden. Aber die Beziehung an sich machte ihm Spaß. Warum ich das erzähle? Weil ich von diesem engen Sexualitätsbegriff wegkommen möchte, weil ich glaube, dass man die Sexualität überbetont, wenn man sie isoliert. Für mich liegt das Negative dieser Beziehung ganz woanders. Dieser Junge ist nämlich durch diesen Mann in eine Mädchenrolle reingedrängt worden und hat all diese typischen Mädchenverhaltensweisen produziert: hat kokettierend um den Mann geworben, war immer niedlich, ihm zu Gefallen und hat noch heute, als halbwegs Erwachsener, ein Identitätsproblem.

Alice Ja, das finde ich einen sehr wichtigen Aspekt: zu sehen, dass nicht nur die sexuelle Handlung an sich eine Rolle für das Kind spielt, sondern auch - und manchmal vor allem! — der emotionale und soziale Kontext, in dem sich das alles abspielt, und der immer nur auf eines hinausläuft: das Kind in seiner Kinderrolle zu fixieren! Denn genau das macht ja die Pädophilie aus: dass der Pädophile zwanghaft nur Kinder begehrt, das Kind also auch im Kindstatus halten will und muss.

Günter Und genau das, den Sozialcharakter dieser Beziehung, halte ich für das Gravierendste. An diesem Beispiel lässt sich zeigen, was das Schädigende für dieses Kind war. Nämlich in eine Rolle gedrängt zu werden, die ihm heute noch Schwierigkeiten macht und die außerdem korrumpiert. Das Kind wusste ja ganz genau: Er kann mir diesen oder jenen Wunsch überhaupt nicht abschlagen, sonst sage ich alles meiner Mutter, und die läuft vielleicht zum Kadi...Dieser Junge hat das alles nie gemacht, aber er hat immer gewusst, dass er es hätte machen können. Und da will noch einer erzählen, dies seien Beziehungen unter Gleichen...

Alice Wobei sich gerade die sozialen Schäden noch verschärfen, wenn das Kind weiblich ist.

Günter Wollte ich gerade einbringen. Ich behaupte, dass der rein sexuelle Vorgang sowieso beim Mann harmloser ist. Man stelle sich nur vor, welche Art von Sexualität man da praktizieren kann. Der Junge wird eine Erektion haben oder nicht, ist völlig egal. Der Mann wird meinetwegen sein Genital an dem Jungen reiben oder sich einen runterholen lassen. Das alles ist nicht so gravierend. Es gibt kaum Fälle, wo es zu einem analen Verkehr kommt. Zumindest kennt man kaum solche Fälle in der Literatur. Allerdings sollte man sich auch fragen, ob es sich bei den Beteuerungen vieler homosexueller Pädophiler, es komme in ihrer Sexualpraxis nie zu einer analen Penetration, nicht auch um eine Schutzbehauptung handeln kann. Penetration wären dann Vergewaltigungen, und wir gehen hier von einer wie immer gearteten Beziehung aus...

Alice In den Beziehungen zu kleinen Mädchen aber wird fast immer und quasi zwanghaft penetriert...

Günter Und selbst wenn nicht penetriert wird, hat dieses Mädchen ein Bewusstsein von der Möglichkeit, dass penetriert werden könnte. Das ist ja auch das Gravierende beim Vater-Tochter-Inzest - selbst wenn er nie realisiert wird, weiß doch das Mädchen genau, dass es im Ernstfall immer auf Penetration hinauslaufen würde. Und darum glaube ich, dass die Auswirkungen bei Mädchen traumatischer sind als bei Jungen.

Alice Ganz sicher. Ich selbst habe das am eigenen Leibe durch Begegnungen mit Exhibitionisten erfahren (für die die Pädophilengruppen übrigens auch Straffreiheit fordern). Diese Begegnungen sind eine solche Aggression und Erniedrigung für ein Mädchen, für eine Frau - das kann dir den ganzen Tag kaputt machen. Eine körperliche Attacke, eine Ohrfeige wäre längst nicht so schlimm ...Und was die Sexualität mit Kindern angeht, so wird da bei Mädchen fast immer der Koitus vollzogen. Das ist zwischen Mann und Frau traditionell quasi zwanghaft. Und zur Realisierung des Inzests kommt es leider auch viel öfter, als wir alle es zugeben wollen. Es gibt da ungeheure Dunkelziffern... Außerdem ist die Pädophilie mit kleinen Mädchen immer auch eine Potenzierung der Herrschaftsbeziehung: beim Jungen ist es der Erwachsene mit einem Kind, beim Mädchen ist es der Erwachsene mit einem Kind und zusätzlich der Mann mit einem Mädchen.

Günter Stimmt.

Alice Übrigens wird neuerdings ganz selbstverständlich so getan, als gäbe es auch pädophile Frauen. Das unterstellen manche für die Pädophilie eintretenden Sexualwissenschaftler — wie zum Beispiel der Holländer Benard — genauso wie die hiesigen Pädophilengruppen. Ich bezweifle das. Mehr noch: Ich behaupte, es stimmt nicht. In der gesamten wissenschaftlichen Literatur kenne ich keine Fälle weiblicher Pädophilie, aus der eigenen Erfahrung ebensowenig. Und in den Szene-Diskussionen wird als Beweis für weibliche Pädophilie immer wieder ein und derselbe Paradefall zitiert: Eine 19-Jährige, deren Freund nach eigenen Aussagen Pädophiler ist, und der sie sozusagen in die Geheimnisse der Kinderliebe eingewiesen hat. Nun treibt sie's wie er. Klassisches Frauenverhalten: die Freundin versucht nach Kräften, ihn in seinem sexuellen Verhalten zu folgen, ihn zu imitieren. Das findet man oft, und das scheint mir auch in diesem Fall so zu sein. Aber wie auch immer — eine einzelne Frau, die von sich behauptet, sie sei pädophil, macht das ganze deswegen noch lange nicht zu einem bei beiden Geschlechtern gleich auftauchenden Phänomen. Ich persönlich bezweifle sehr grundsätzlich, dass Frauen überhaupt pädophil, das heißt sexuell zwanghaft auf Kinder fixiert, sein können. Warum? Weil Sexualität für Frauen nicht Ausübung von Herrschaft ist. Das ist schon mal ein entscheidender Faktor.

Günter Das mit dieser 19-Jährigen finde ich einen interessanten Gedanken. Ich kenne den Fall auch, habe mir aber überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, dass sie sich ja dauernd darauf beruft, im Grund von ihrem Freund in die Geheimnisse der Pädophilie eingewiesen worden zu sein. - Was nun das Verhältnis von Frauen zu Kindern betrifft, meinst Du nicht, dass da auch die Konditionierung zur Mutterliebe eine Rolle spielt?

Alice Na klar.

Günter Wenn zum Beispiel ein 13-Jähriger von seiner Mutter nach dem Baden abgerubbelt wird, würde das unter Mutterliebe subsumiert, würde akzeptiert sein; wenn der Vater das gleichaltrige Mädchen abrubbelt - das entsprechend seiner Entwicklungsverschiebung körperlich sowieso reifer ist - würde zumindest der Verdacht, dass es sich hier um eine pädophile Handlung handelt, schneller auftauchen. Also wenn es überhaupt weibliche Pädophile gibt, wäre die integriert in das, was allgemein als Mutterliebe und -fürsorge bezeichnet wird.

Alice Stimmt grundsätzlich. Wobei zwei Dinge anzumerken wären: Erstens kann eine scheinbar gleiche Handlung durchaus Unterschiedliches implizieren, läuft im Kopf des Vaters und des Mädchens beim Abrubbeln nach dem Baden sicherlich was anderes ab, als in dem der Mutter und des Jungen - das hast du vorhin ja auch selbst gesagt, als du von dieser jederzeit präsenten Möglichkeit und Bedrohung durch die Penetration sprachst. Zweitens wäre das, darauf hatten wir uns ja geeinigt, nach unserer Definition keine Pädophilie. Uns geht es doch hier jetzt um die Ausführung sexueller Handlungen Erwachsener mit Kindern und um die Zwanghaftigkeit, um die sexuelle Fixierung von Erwachsenen ausschließlich auf Kinder. Oder? Denn ganz allgemein ist es ja eine sehr wünschenswerte Sache, dass man auch in der Liebe, auch in der Sexualität diese Altersgettos durchbricht. Dass man sich auch in jemanden verlieben könnte, der jünger ist - aber auch in jemanden, der älter ist.

Günter Genau. Wir müssen ja auch sehen, dass die meisten von uns nicht nur zwangshomo- oder zwangsheterosexuell sind, sondern auch zwanghaft auf ein bestimmtes Alter festgelegt. So wie ich in der Bisexualität ein wünschenswertes sexuelles Verhalten sehe, so bejahe ich auch eine altersüberschreitende Sexualität. Nur müssen wir uns dabei vor Augen halten, was Wunsch ist, und was Wirklichkeit ...

Alice Ja. Und so wenig wie eine freie Bisexualität heute möglich scheint - aufgrund der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern — so wenig ist eine freie Sexualität mit Kindern möglich, weil sie eben Abhängige sind.

Günter ...und ja auch eine ganz andere Sexualität haben. Liegt hier nicht eine Verwechslung von Sexualität und Sinnlichkeit vor? Wir Erwachsenen haben ein genitales Sexualitätsverständnis: es dreht sich alles unten rum. Wir beobachten Kinder, die von Schoß zu Schoß rutschen und schmusen - und interpretieren \ das Signal falsch. Das ist sinnlich, das ist erotisch, das ist auf Zärtlichkeit aus und wird auch von den Kindern subjektiv als sexuell empfunden. Wenn man sich zurückerinnert, weiß man, dass man damals orgasmusähnliche Zustände gehabt hat... Aber dass wir Erwachsenen nun glauben, unseren Sexualitätsbegriff einbringen, durchsetzen zu müssen, halte ich - gelinde gesagt - für ein Missverständnis.

Alice Wenn du dir die von Pädophilen oder Päderasten beschriebenen Erlebnisse genau anschaust, ist auch immer ganz klar, dass es sich um Abhängigkeitsverhältnisse handelt, und dass die Kinder oder Jugendlichen den Sex in Kauf nehmen, nur um anderes dafür zu bekommen. Ein Kind will einen Kumpel haben, ein warmes Essen, ein Dach überm Kopf, ein bisschen Liebe... Und dafür stellt es sich dann zur Verfügung. Die Erwachsenen reden immer nur von ihren sexuellen Gefühlen, was bei den Kindern los ist, steht in Wahrheit nicht zur Debatte. Das wird zum Beispiel bei Schult ganz deutlich. Günter: Die pädophile Beziehung ist der Mann/Frau-Beziehung ähnlich. Sie ist eine Machtbeziehung.

Alice Sogar noch extremer! Und dass diese Diskussion gerade in den letzten Jahren verschärft auftaucht, plötzlich öffentlich wird, hängt für mich ganz klar mit der Frauenemanzipation zusammen. Die Frauen funktionieren nicht mehr so, sind weniger verfügbar - und da sind jetzt die Kinder dran. Bei denen können Männer noch den Mann spielen.

Günter Es fehlt eine Zwischen-Argumentation. Die erste Reaktion war die Bisexualitäts-Diskussion. Angesichts der Frauenbewegung und angesichts der sich emanzipierenden Schwulen haben bestimmte Männer die Flucht in die Bisexualität angetreten, die ich allerdings nach meinen Beobachtungen für eine Pseudo-Bisexualität halte, die gar nicht ausgelebt wird. Sie ist mehr ein Postulat, mit dem sie sich einerseits dem neuen Frauentyp entziehen können, mit dem sie nicht fertig werden; und andererseits den Schwulen, gegenüber denen sie ja auch bestimmte Ambivalenzen haben. Zack, ziehen sie sich zurück in die Bisexualität und schaffen sich da einen Freiraum, in dem sie nicht mehr angreifbar sind. Nach beiden Seiten abblocken. Jetzt kommt deine Argumentation. Ich halte das auch für eine Reaktion auf das Nicht-mehr-so-zur-Verfügung-Stehen der Frauen. Schon ist man beim Kind gelandet.

Alice ... das übrigens auch rein sexuell keine Forderungen stellt. Was diesen in ihrer Potenz verunsicherten Männern nur recht sein kann.

Günter Soweit die Frauenbewegung zu bestimmten Potenzproblemen bei Männern einer bestimmten Generation führt - was ja unbestreitbar ist.

Alice ... und das mindeste, was wir erwarten können...

Günter Wenn du dir zum Beispiel die Beschreibung anguckst in dem Zitty-Heft. Da beschreibt ein Pädophiler genau, wie er sich denn so einen Knaben seines Begehrens vorstellt: das heiter-melancholische Wesen und kindliche Gemüt, das liebe Milchgesicht, die Augen, das Haar, der zartsamtene Schmelz der unbehaarten Knabenhaut... Das ist ein Fetischist - wie ein Wäschefetischist, der dir die Farbe einer Unterhose beschreibt, die er braucht, um sexuell erregt zu werden - einschließlich der Spitzen, die dran sein müssen, ohne die er's nicht kann. So werden traditionellerweise Frauen als Fetisch behandelt. Und eben das ist mit Frauen heute weniger möglich.

Alice Das Frappierende an dieser sich progressiv gebärdenden Pädophilie-Diskussion in linken Szene-Zeitungen wie Zitty oder TAZ ist, dass neben dieser ganz unverhüllten Beschreibung von Kindern als Objekten der total aufgesetzte Anspruch steht, Pädophile seien Kinderbefreier ...Und noch nicht einmal in Ansätzen fragen die Pädophilen selbst sich nach ihren Motiven für ihr zwanghaftes Fixiertsein auf Kinder.

Günter Das könnte man für einen Wesenszug jeder Emanzipationsbewegung in einer bestimmten Phase halten. In der Tat werden solche Fragen nicht gestellt. Die Homosexuellen haben ja auch die Frage nach der Entstehung der Homosexualität entschieden abgewehrt.

Alice Feiner Unterschied: bei den Homosexuellen gibt es auch keine Opfer. Da aber, wo man durch sein Verhalten Menschen zu Opfern macht, besteht für jede sich als emanzipatorisch begreifende Gruppe die moralische und politische Verpflichtung, auch sich in Frage zu stellen.

Günter Wobei du vergisst, dass rein emotional viele Pädophile selbst infantil sind. Mit "infantil" meine ich kindisch, nicht kindlich. Ich denke da zum Beispiel an die Indianerkommune, die irgendwo im fränkischen Raum lebt. Ich habe die bei den Diskussionen auf Homolulu, dem Schwulentreffen in Frankfurt, erlebt, Also, da verfallen 26-, 27-jährige total in ein Kindchenschema, stampfen mit den Füßen und sagen dir: Rede mit mir so, dass auch ein Kind das verstehen würde ...

Alice Da redest du vielleicht von den Neu-Pädophilen, wenn ich das mal so nennen darf. Der klassische Pädophile aber ist durchaus erwachsen!

Günter Das ist richtig. Ich rede jetzt von den Szenen-Pädophilen. Das sollten wir trennen, da hast du Recht. Nur geht ja gerade von denen diese ganze Pädophilen-Emanzipations-Diskussion aus.

Alice Scheinbar. In Wahrheit aber ist das doch nur die Spitze eines Eisberges. Pädophilie wird auch in der Boulevardpresse zunehmend salonfähig und als Kavaliersdelikt behandelt. Siehe Polanski...Und in Spiegel, Stern oder Quick ist sie längst ebenso ein Thema wie in TAZ oder Pflasterstrand. Wobei die Diskussion am parolenhaftesten, ja demagogischsten bisher in der linken Szene geführt wurde. Denn da werden nicht nur die Herrschaftsverhältnisse schlicht negiert, sondern es wird darüber hinaus ungeheuerlicherweise auch noch so getan, als ginge es hier um die Befreiung der Kinder, mehr noch: um die Befreiung von der Kindheit. Dazu ist zu sagen, dass die Kindheit ja wirklich relativ ist und das Kindheitsgetto tatsächlich kein natürliches, sondern ein kulturell gewordenes ist. Aber dieses Getto kann man nicht per Dekret aufheben. Dazu müßten sich fundamentale Dinge ändern, wäre die ökonomische Unabhängigkeit der Kinder eine Grundvoraussetzung (Sulamith Firestone hat dazu ein ganz ausgezeichnetes Kapitel in ihrem Buch geschrieben). Hier und heute aber sind Kinder Abhängige — die Negierung dieser Abhängigkeit ist eine Verschleierung und damit eine Verschärfung des Bestehenden. Das ist nicht anders als bei anderen abhängigen Gruppen, Schwarzen oder Frauen...

Günter Darum ist es auch so schief, wenn vergangene Jahrhunderte für diese sexuelle Libertinage Kindern gegenüber ran gezogen werden. Wir leben nicht mehr in der ersten Natur, wo wir einfach nur Kreatur sind, sondern wir leben in einer zweiten Natur, einer gesellschaftlich überformten und verformten. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Sexualität und Liebe, dieses Begriffspaar, ist etwas historisch Gewordenes. Wer da mittelalterliche Unbefangenheit preist, wo es alle vor allen in einem Raum trieben, der propagiert letztlich eine Sexualaufklärung, die es für wichtig hält, Kindern beizubringen, wie man rammelt .. . Für mich sind solche Ideologien eine Art Sexualdarwinismus: das Recht des Stärkeren über den Schwächeren! Keiner fragt mehr: Wie kommt das in mich rein? Was richte ich damit an? Da wird nur noch gefragt: Was tue ich mir an, wenn ich meinen Bedürfnissen nicht nachkomme? Wenn ich meinen Sado-Masochismus und meinen Fetischismus, meinen Exhibitionismus nicht ausagiere, oder meine Pädophilie. Das genau ist Sexualdarwinismus.

Alice Es ist ja überhaupt unendlich schwer, gleichberechtigte Beziehungen zu haben. Gerade auch in der Sexualität, die als elementarer Teil der Liebesbeziehung heute privilegiertestes Terrain menschlicher Beziehungen ist. Da sind Menschen so leicht missbrauchbar, und es ist gerade hier besonders wichtig, dazu beizutragen, dass jede/r eine Chance hat, eine gleichberechtigte, gegenseitige Sexualität zu leben. Wenn durch die objektiven Umstände Ungleichheiten und Abhängigkeiten reinspielen, wird es immer problematisch. Auch unter Erwachsenen, besonders zwischen den Geschlechtern, gibt es Abhängigkeitsbeziehungen. Aber es gibt Grade von Abhängigkeiten und dadurch Grade von Schutzwürdigkeit. Erwachsene sollten all das unter sich ausmachen - im Kontext der politischen Reflexion, versteht sich. Kinder aber, und das ist der entscheidende Punkt, scheinen mir aufgrund ihrer verstärkten Abhängigkeit schutzwürdig. Und wenn sich eine Gesellschaft da nicht von selbst reguliert - wie eine wahrhaft emanzipierte Gesellschaft das tun würde - müssen sie eben durch das Gesetz geschützt werden.

Günter Adorno hat einmal geschrieben, dass zweifellos auch die Unterstellung der Reinheit, der Naivität und Unschuld des Kindes das größte Tabu dieser Zeit ist. Und je stärker ein Tabu ist, umso größer ist das Bedürfnis, es zu durchbrechen. Gerade auch in einer Szene, die sich als Tabubrecher versteht. Wir sollten uns hüten, Pädophilie als ein Randgruppenproblem abzutun. Es handelt sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Der ganze Sexualtourismus, der zur Zeit läuft, ist ja auch tendenziell ein Kinderprostitutions-Tourismus. Das fängt an am Bahnhof Zoo, dem Kinderstrich von West-Berlin, und reicht bis zum Kinderhandel in der dritten Welt, bis zu dem Knabenhandel von Mexiko, die nach Kalifornien transportiert werden. Auch in Südostasien sind das ja kaum Frauen - was schlimm genug ist -, sondern fast ausschließlich Mädchen, deren der imperialistische Tourismus sich da bedient. Menschen werden hier in ihrer unmittelbaren Körperlichkeit ausgebeutet, vor allen Dingen Frauen. Und jetzt zunehmend auch weibliche Kinder.

Alice Darum geht das Thema Pädophilie gerade uns Frauen soviel an. Nicht nur, weil es hier um Kinder geht, denen wir traditionell besonders nahe stehen. Nicht nur, weil hier wieder einmal niemand die Sache der Opfer der Opfer vertritt. Sondern auch, weil die Pädophilie ein Ventil ist, dass sich auf den Druck der Frauenemanzipation nun verstärkt öffnet. Da dürfen Männer, die tatsächlich an emanzipatorischen Veränderungen interessiert sind oder denen zumindest aufgeschlossen gegenüberstehen, sich nichts vormachen. Hier darf es nicht darum gehen, die Pädophilie salon- oder WG-fähig zu machen: nicht darum, eine weitere Eskalation in den Herrschaftsbeziehungen zu sanktionieren; sondern es muss darum gehen, Herrschaftsbeziehungen transparent zu machen, Ausgelieferte zu schützen und Machtgelüste selbstkritisch anzugehen.

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