Alice Schwarzer schreibt

Konventionell unkonventionell

Eine prägende Juristin dieses Landes: Lore Maria Peschel-Gutzeit. - © Bettina Flitner
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Sie pflegt keine Zeit zu verlieren. Mit fünf konnte sie lesen, mit 27 wurde sie Richterin in Hamburg und bis heute fasst die inzwischen 80-Jährige als Anwältin in Berlin „keinen Vorgang zweimal an“: „Alles wird sofort erledigt.“

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Lore Maria Peschel-Gutzeit, geschiedene Peschel und geborene Gutzeit, war in den vergangenen fünfzig Jahren eine der prägenden Juristinnen dieses Landes. Ab 1956 engagierte sie sich im Juristinnenbund, dessen Vorsitzende sie später war. Und wenig später erreichte die Mutter von drei Kindern mit der nach ihr benannten „Lex Peschel“, dass Frauen im Öffentlichen Dienst nicht länger automatisch Berufsverbot bekamen, wenn sie heirateten und ein Recht auf Teilzeit wie Familienurlaub hatten. In den 1990er Jahren war die 1988 in die SPD Eingetretene dann zwei Mal Justizsenatorin: zunächst in Hamburg, dann in Berlin. Und es mangelte in dieser Zeit nicht an öffentlichen ­Auf­regern mit der konventionell aussehenden und so unkonventionell agierenden Frau Senatorin.

Ich habe Peschel-Gutzeit anno 1978 in der EMMA-Redaktion kennengelernt. Zusammen mit ihrer Kollegin, der Medienanwältin Gisela Wild, war sie nach einem Juristinnentreffen in Bonn nach Köln gekommen, um mit mir den so genannten „Stern-Prozess“ auszutüfteln. Wir drei saßen auf den zeitüblichen Blumenkissen auf dem Boden und bereiteten eine Klage vor, von der wir nur zu gut wussten, dass wir sie nicht gewinnen konnten. Denn das, was wir wollten, gab es ja noch nicht: ein zivilrechtliches Gesetz, das die Herstellung und Verbreitung von Pornografie verbietet und so Frauen und Kinder davor schützt. Wir verloren erwartungsgemäß den Prozess, gewannen ihn jedoch moralisch – und lösten eine Debatte aus, die über Monate die ganze Nation ­beschäftigte.

Der frühere Chef von Peschel-Gutzeit, Richter Engelschall, erklärte im Urteil unser Anliegen für berechtigt. Doch gäbe es leider kein Gesetz, auf dessen Grundlage solche Bilder verboten werden könnten. Das sei hoffentlich in 20, 30 Jahren anders, so der Vorsitzende Richter. Es gibt das ­Gesetz bis heute nicht.

Zehn Jahre später hockten Peschel-Gutzeit und ich uns wieder zusammen, diesmal auf ihrem Sofa in Hamburg. Hinter verschlossenen Türen brüteten wir einen Gesetzesvorschlag aus, der es erlaubt hätte, ­Porno­grafie endlich zu verbieten – Pornografie definiert als „die Verknüpfung sexueller Lust mit Lust an Erniedrigung und Gewalt“. Wir erreichten zwar, dass die SPD ein Hearing in Bonn zur Problematik veranstaltete – ­allerdings mit dem Resultat, dass alle Vorschläge in der Schublade verschwanden, ­inklusive unseres Gesetzesvorschlages.

Die Ironie der Geschichte wollte, dass ausgerechnet einige SPD-nahe Juristinnen unser „Anti-Porno-Gesetz“ herabwürdigten mit dem Argument, das sei „juristisch laienhaft und männerfeindlich“. Nun, mit unserer juristischen Kompetenz mussten wir leider hinterm Berg halten, da die ­Fami­lienrechtlerin Peschel-Gutzeit zu der Zeit Richterin war und sich nicht aktiv an solchen Kampagnen beteiligen konnte, sondern neutral sein musste. Und auch die „Männerfeindlichkeit“ war in dem Fall ­besonders absurd, reagiert doch bis heute niemand so empfindlich, wenn man, wie ich schon mal versehentlich, nur die zwei Töchter grüßen lässt und den Sohn vergisst! Nein, es geht Peschel-Gutzeit einfach nur um Gerechtigkeit. Auch für Frauen.

Warum und wie gerade sie zu mehr Rechten für Frauen beigetragen hat, lässt sich jetzt in ihrer Autobiografie ­nach­lesen: „Selbstverständlich gleichberechtigt“. Und selbstverständlich ­thema­tisiert die allzeit besonnene, aber unermüdliche Kämpferin darin auf ihren letzten, im Sommer 2012 geschriebenen Seiten auch ihr aktuellstes Anliegen: ihre große Sorge wegen der herannahenden dramatischen ­Alters­armut von Frauen und ihr uneingeschränktes Ja zur Quote! Und: Wir ­erfahren etwas, was selbst mir, der langjährigen politischen Weggefährtin, bisher unbekannt war. Erstens wäre Lore Maria beinahe Sängerin geworden (und hätte auch als solche zweifellos unüberhörbar ihre Stimme erhoben). Und zweitens fuhr sie jahrelang mit Freundinnen Autorallyes. Denn Gas hat sie immer schon gerne gegeben.

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Lore Maria Peschel-Gutzeit (mit Nele-Marie Brüdgam): Selbstverständlich gleichberechtigt. Eine autobiografische Zeitgeschichte (Hoffmann und Campe)

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