"Ihr habt mich radikalisiert!"
Ich hatte das Glück, sie kennenzulernen, ja über 15 Jahre, bis zu ihrem Tod, mit ihr befreundet zu sein. Das erste Mal traf ich sie im Mai 1970. Es war eine eher reservierte Begegnung. Ihrerseits. Und eine zufällige. Denn eigentlich war ich wegen Jean-Paul Sartre da. In dieser Zeit war ich freie Korrespondentin in Paris und zu einem Interview mit dem Philosophen zu der Frage der „revolutionären Gewalt“ verabredet: Hat man das Recht zum Widerstand, und wenn ja, wie weit darf die „Gegengewalt“ gehen?
Da saß ich nun in seiner Ein-Zimmer-Wohnung am Boulevard Raspail. Interviewzeit dreißig Minuten. Kurz vor Ende des Gesprächs dreht jemand den Schlüssel im Schloss und betritt die Wohnung: Simone de Beauvoir. Sie wirft einen kurzen, irritierten Blick auf mich (und meine halblangen blonden Haare plus Minikleid) und erinnert Sartre knapp, fast schroff daran, dass sie beide gleich eine Pressekonferenz hätten. Dann setzt sie sich an Sartres Schreibtisch im Hintergrund des Zimmers und arbeitet.
Noch heute
weiß ich, wie aufgeregt ich damals war.
Ich spüre ihre Verärgerung über die Verzögerung und werde verlegen. Erstmals lerne ich Beauvoirs „tête de chameau“ (Kamelkopf) kennen, das heißt ihre berüchtigt abweisende Miene, wenn ihr Situationen oder Menschen nicht passen. Sie ist, das begreife ich später, ein sehr absoluter Mensch. Kehrseite der Medaille: Wen sie einmal ins Herz geschlossen hat, der ist daraus auch nur schwer wieder zu entfernen.
Noch heute weiß ich, wie aufgeregt ich damals war. Schon wegen Sartre. Und dann auch noch Beauvoir … Mit ihr hatte ich doch eigentlich noch viel, viel mehr zu tun als mit Sartre. Hätte mir damals jemand gesagt, dass wir Freundinnen werden würden, ich hätte es wohl kaum geglaubt.
Und bis heute entdecke selbst ich, die ich relativ vertraut bin mit ihrem Werk, beim Lesen und Wiederlesen Neues, Überraschendes.
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