Der Ursprung der Macht
Am Anfang war die Sklavin. Der erste Sklave war weiblich. Niedergehalten durch Gewalt und Isolierung. Sexualität war dabei immer nur ein Mittel der Erniedrigung von Frauen durch Männer, geboren wurde unter Zwang. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist seit Jahrtausenden ein Gewaltverhältnis. Neu ist nicht, daß Frauen umsonst arbeiten, geprügelt und vergewaltigt werden. Neu ist, daß Frauen sich darüber empören.
Am Anfang war der Unterschied. Frauen unterscheiden sich von Männern. Ihre Gebärfähigkeit - und permanenten Schwangerschaften - legte eine Art natürlicher Arbeitsteilung nah. Mit der Zeit lernte der Mann, die Andere zu verachten und auszubeuten. Auf dem Unterschied zwischen Mann und Frau bauten die Männer alle späteren Unterscheidungen in Oben und Unten auf: die Unterscheidung nach Rassen und Klassen, nach Hautfarben und Alter, nach Norden und Süden.
Am Anfang war das abstrakte Denken. Der für das Patriarchat entscheidende Schritt zum Monotheismus, zum einen Gott, der die Göttinnen verdeckte, war nur durch die Abstraktion möglich. Abstraktion von der Realität: Nicht die Frau ist die Gebärerin des Menschen, sondern ein nicht faßbarer Gott ist unser Schöpfer. Glaube und abstraktes Denken wurden so zur geistigen Grundlage des Patriarchats. Kein Wunder also, daß Frauen in den heiligen Hallen des Denkens bis heute entweder fremd bleiben oder aber ihre Identität und Realität als Frau verleugnen müssen.
Diese Thesen sind der Kern des Buches "Die Entstehung des Patriarchats" von der amerikanischen Historikerin Gerda Lerner. Sie weiß, wovon sie redet. Sie selbst begann erst in der zweiten Lebensphase zu studieren, zu forschen, zu schreiben - in der ersten führte sie ein klassisches Frauenleben mit zwei Kindern. Gerda Lerner beherrscht die Denksysteme der Männer, aber sitzt ihnen nicht auf - sie ist nicht dogmengläubig, sie kennt das Leben.
Ihr Buch ist eines der wichtigsten und spannendsten der letzten Jahrzehnte. Wer Lerner gelesen hat, begreift das historische Ausmaß und den Abgrund weiblicher Ohnmacht unter männlicher Beherrschung. Hinter uns liegen Jahrtausende und aber Jahrtausende von Männergewalt über Frauen - aber nur 150 Jahre öffentlichen, kollektiven Widerstands von Frauen (in Deutschland unterbrochen durch einen Exzeß des Männlichkeitswahns, durch den Faschismus).
Unerhört ist also nicht die Herrschaft der Männer, sie ist das, was (fast) immer war. Unerhört ist der Anspruch der Frauen auf die Abschaffung dieser Herrschaft. Denn Frauen sind im 20. Jahrhundert keine ausgelieferten, dauerschwangeren Naturwesen, sondern Kulturwesen, deren Gleichheit theoretisch nichts mehr im Wege steht. Theoretisch. Praktisch haben die Herren dieser Welt ihre Überlegenheit und die Frauen ihre Unterlegenheit so verinnerlicht, daß die konsequente Forderung nach Gleichheit von Männern und Frauen revolutionär ist: Sie würde dieses ganze Gebäude von Oben/Unten in dieser Welt zum Einsturz bringen.
Lerner leistet ganz en passant eine fundierte Widerlegung der neufeministischen Träumereien von einstigen Matriarchaten und eine historische Abrechnung mit der Ideologie vom "Unterschied". Sie zeigt, daß das Kokettieren mit der "Differenz" nicht nur ahistorisch und gefährlich ist, sondern auch ganz schlicht Kollaboration: Kollaboration von Frauen mit Männern. Ein unentbehrliches, ein passionierendes Buch!