Feministisch Streiten
In diesem Buch wird das Wort Frauen ohne Sternchen geschrieben. Das ist bemerkenswert, denn in vielen Texten, die sich als feministisch verstehen, existieren sie neuerdings nicht mehr: die Frauen an sich. Der weibliche Mensch taucht nur noch als Frau* auf. Dieses so genannte Gender-Sternchen soll zum Ausdruck bringen, dass es die Frauen als solche eigentlich gar nicht gibt, sondern nur Wesen in unzähligen Varianten: cis, trans, genderfluid, whatever.
Frausein ist der
Queer-Feministin
peinlich.
Nicht selten sind die Frauen auch ganz verschwunden. Zum Beispiel, wenn das „Autonome Feministische Referat“ der Uni Oldenburg sich nicht mehr an „Frauen“ richtet, sondern an alle, die mit der „dyacisheteronormativen Norm in Konflikt stehen“. Für Uneingeweihte: Gemeint sind alle Menschen, die sich nicht einem der beiden gängigen Geschlechter zuordnen; alle, die sich nicht mit ihrem biologischen Geburtsgeschlecht identifizieren; alle, die nicht (nur) das andere Geschlecht begehren. Frauen? Firmieren im Feministischen Referat Oldenburg unter ferner liefen. Was auch für lesbisch lebende Frauen gilt, die nicht nur in Oldenburger Jungfeministinnenkreisen heutzutage nur noch als einer unter sehr vielen Buchstaben in der Großgruppe LSBTTIQA* firmieren.
In diesem Buch aber gibt es sie noch: die Frauen. Einfach so, ohne Sternchen. Und das ist Absicht: Denn die zentrale Forderung von Herausgeberin Koschka Linkerhand ist die Reetablierung der Frauen als „politisches Subjekt“, will meinen: als eine gesellschaftliche Gruppe mit realen gemeinsamen Erfahrungen und darum auch gemeinsamen „realpolitischen Interessen“.
Frauen, argumentiert Linkerhand, seien in den letzten 25 Jahren unter die queerfeministischen Räder geraten. Der Queerfeminismus, der ab den 1990er-Jahren zunehmend die Hoheit über die Hörsäle übernahm, habe „die Präsenz und den Kampfeswillen des politischen Subjekts Frau kassiert, das die Zweite Frauenbewegung in den Jahrzehnten zuvor in Stellung gebracht hatte. Gerade die Identitäten Frau und Lesbe werden häufig als kränkende Zuschreibungen zurückgewiesen und durch genderfluid oder non-binary bzw. queer ersetzt“. Kurzum: das Frausein ist der Queerfeministin peinlich. Mit der Folge, dass Frauen weder Gegenstand der Reflexion und Erkenntnis noch der politischen Forderungen sind.
Mit dieser These war Koschka Linkerhand, die in Leipzig Germanistik und Philosophie studiert hat, schon im Frühjahr 2017 in den Debatten-Ring gestiegen: als eine von 27 AutorInnen der Anthologie „Beißreflexe“. Das Buch war ein Generalangriff auf die Denk-, Sprech- und Erkenntnisverbote in der queeren Szene. Und es kritisierte die auffallende Abwesenheit von Kritik an der Frauenunterdrückung und Homofeindlichkeit im Namen des Islam. Die „Beißreflexe“ schlugen ein wie eine Bombe. Die AutorInnen wurden von der Queerszene beschimpft, Herausgeberin Patsy l’Amour LaLove gar Prügel angedroht.
Aber es passierte noch etwas: Sehr viele Menschen bedankten sich bei den AutorInnen. Denn die „Beißreflexe“ hatten ein Tabu und die Diskurshoheit des Queer- bzw. intersektionalen Feminismus gebrochen. Co-Autorin Koschka Linkerhand freut sich darüber, „dass die Debatte um die Queer-Kritik so eine breite Öffentlichkeit bekommen hat“ und „junge Feministinnen, die in die queere Weltsicht reingewachsen sind und gar nichts anderes kannten, endlich mal gesehen haben, dass es Alternativen gibt“.
Also liefert sie nun selber einen zweiten Debattenband. Titel: „Feministisch streiten.“ Denn: „Solange die Gesellschaft Menschen in Männer und Frauen unterteilt und Letztere benachteiligt, müssen Feministinnen als Frauen in den Kampf ziehen. Mit Wut, mit Lust, mit Stolz und einer Prise Arroganz, mit Sentimentalität, dem nötigen Selbstmitleid – aber auch mit Ironie und Selbstironie und dem Willen zum produktiven Streit.“ Denn während sich die unterschiedlichsten politischen Strömungen im Namen des Feminismus anfeinden, beklagt Linkerhand, griffen „zur selben Zeit das rechte und islamistische Barbarentum um sich“. In 25 Texten streiten darum hier 21 AutorInnen ums Eingemachte.
Intersektionaler Feminismus ist nicht neu.
Stichwort: intersektionaler Feminismus. Der rühmt sich des Verdienstes, neben der Kategorie Geschlecht auch alle anderen Diskriminierungsformen mitzudenken: Rassismus, Homo-, Trans- und Interphobie bis hin zur Diskriminierung behinderter Menschen. Das allerdings ist keineswegs neu – es war schon für die Neue Frauenbewegung selbstverständlich. So erschienen die ersten Texte gegen Diskriminierung behinderter und transsexueller Menschen zum Beispiel in EMMA Anfang der 1980er-Jahre. Die dreiste Behauptung der queeren Töchter der Frauenbewegung, die Neue Frauenbewegung habe sich „nur“ für die Frauen interessiert, ist erstaunlich geschichtslos. Denn die Neue Frauenbewegung hat, ganz im Gegenteil, den Geschlechterwiderspruch in einen Gesamtkontext – Klassen, Rassen, Juden – gestellt und als Grundraster von Ungleichheit und Machtverhältnissen analysiert, auf dem alle anderen Machtverhältnisse aufbauen.
Diese Geschichtslosigkeit wird zum Problem, wenn beim intersektionalen Diskurs „das Thema Frauen ins Unkenntliche diversifiziert“ wird. Linkerhand: „Darin zeigt sich auch die bemerkenswerte westliche Selbstverachtung queerfeministischer Aktivistinnen, die alle Marginalisierten bemuttern (ob die es nun wollen oder nicht), mit dem Ziel, damit die Schuld ihrer gesellschaftlichen Privilegien abzuarbeiten, die sich in heller Haut, deutschem Pass, Hochschulabschluss und der Nichtbetroffenheit von Behinderung und Transgeschlechtlichkeit äußern.“
Im Blick der Intersektionalistinnen wiegen gemeinhin alle anderen Diskriminierungsgründe schwerer als die Diskriminierung von Frauen (die sich ja am liebsten gar nicht mehr als Frauen definieren). Und stets gilt: Rassismus sticht Sexismus. „Jede Forderung nach Universalismus scheint dem antirassistischen Feminismus verdächtig“, klagen in ihrem Beitrag Kulturwissenschaftlerin Teresa Streiß und Soziologin Randi Becker, die „antirassistische Bildungsarbeit“ macht und ehrenamtlich als Asylverfahrensberaterin arbeitet. „Der sexistische Normalzustand gerät heute zum Nebenwiderspruch im antirassistischen Kampf“. Auch das ein alter Hut: Schon die 68er hatten den Geschlechterkonflikt zum „Nebenwiderspruch“ erklärt und den Klassenkampf zum „Hauptwiderspruch“.
Eine der Folgen des Nebenwiderspruchs Frau: Die massive Verletzung von Frauenrechten in islamischen Ländern oder muslimischen Communitys in Westeuropa sind ein queerer blinder Fleck. Unter dem Deckmantel des „Antirassismus“ werden „Musliminnen, die bestimmte religiöse Praktiken kritisieren oder aus Angst um Leib und Leben zeitlebens ihr lesbisches Liebesleben verheimlichen oder die Frauenfeindlichkeit der Community anprangern, von Queerfeministinnen ignoriert“, klagt Linkerhand und folgert: Beim Queerfeminismus handle es sich um eine Bewegung, „der die Rechte von Mädchen und Frauen, geschlechtlichen und sexuellen Minderheiten sowie Nichtmuslimen in muslimisch geprägten Ländern und Communitys gleichgültig sind“.
Stichwort Sprache: Ein weiteres Problem scheint diesen streitbaren Feministinnen der Versuch, „die Welt in Diskurse aufzulösen“. Sprich: Sprache und wer über was wie spricht, wird wichtiger als Realität. „Es geht nicht mehr darum, die gesellschaftlichen Zwangsverhältnisse zu kritisieren, sondern die Macht im Diskurs zu analysieren“, beklagt der „Antifaschistische Frauenblock Leipzig“ in seinem Beitrag „Das Unbehagen mit dem Sternchen“. Natürlich forme Sprache Wahrnehmung und Denken, aber: „Im postmodernen Ansatz wird die Sprache zum einzigen Feld der Auseinandersetzung. Es dreht sich alles um die so genannt diskriminierenden Sprachhandlungen und die Kritik erschöpft sich darin, falsche oder mangelnde Repräsentation zu beanstanden.“
Der Diskurs ist plötzlich
wichtiger als
die Realität.
Die Idee von Sprache als einzigem Handlungsfeld nimmt bisweilen absurde Züge an. So berichtet das Autorinnenkollektiv von Studentinnen an der Harvard Law School, die fordern, dass Vergewaltigung als Straftatbestand nicht mehr verpflichtend gelehrt werden dürfe, weil das Sprechen über Vergewaltigung selbst „eine Gewalterfahrung“ sei.
Stichwort Prostitution: Wer statt objektiver Unterdrückungsmechanismen nur noch scheinbar subjektive Identitätswahl, also „Freiwilligkeit“ sieht, neigt konsequenterweise dazu, „die patriarchale Ausbeutung von (…) Prostituierten im Sinne der Entscheidungsfreiheit schönzureden und die Überlebensstrategien dieser Frauen in selbstbewusstes und vielfältiges Empowerment umzumünzen“. Und nicht mehr zu sehen, dass „Prostitution ein patriarchales Ausbeutungsverhältnis darstellt, das sich zentral um die Verfügbarkeit von weiblicher Sexualität und Frauenkörpern dreht“. So schreiben diese jungen Feministinnen.
Vor allem von den Medien wird gern ein anderer „junger Feminismus“ in Stellung gegen die „Altfeministinnen“ gebracht: ein Feminismus à la Missy und #ausnahmslos mit seiner Propagierung pro Prostitution, pro Porno und seinem so genannten „Antirassismus“, bei dem der Rassismus allemal Priorität hat vor dem Sexismus.
Doch die in „Feministisch streiten“ versammelten AutorInnen zeigen: Die Fronten verlaufen anders – nicht entlang der Generationen, sondern entlang politischer Haltungen. Hier ist er, ein ebenfalls „junger Feminismus“. Ein Feminismus, der Frauen wirklich ernst nimmt.
Herausgeberin Koschka Linkerhand hat übrigens Mädchenarbeit gemacht und in zwei Frauenhäusern gearbeitet. Heute gibt sie Deutschkurse für Geflüchtete. Sie kennt offenbar das Leben, nicht nur den Diskurs darüber.
Weiterlesen:
Koschka Linkerhand (Hrsg.): Feministisch streiten. Texte zu Vernunft und Leidenschaft unter Frauen (Querverlag, 16.90 €)