Das Ende des Frauseins?
Der queere oder intersektionale Feminismus ist im Wesentlichen Identitätspolitik. Identitätspolitik bedeutet erst einmal: Aktivistinnen stellen in den Mittelpunkt ihres politischen Handelns, dass sie weiblich, lesbisch, bi- oder transsexuell sind – oder auch behindert, schwarz, arm oder wenig gebildet. Die Wut über die diskriminierende Gesellschaft und das Leiden an ihr werden zum Motor, diese Gesellschaft anzugreifen und die alltägliche Benachteiligung anzuprangern.
Das klingt nach einem guten Konzept. Feminismus hat immer darüber funktioniert, dass es Frauen trotz der patriarchalen Unterdrückung gelungen ist, sich gemeinsam mit der beschissenen Situation auseinanderzusetzen, in der sie sich als Frauen befanden. Kritisiert wurden etwa die rechtliche und ökonomische Benachteiligung von Frauen und ihre gesellschaftliche Funktion als Ehefrauen und Mütter, als Putzfrauen und Prostituierte. Die Zweite Frauenbewegung ging mit dem enthusiastischen Ruf „Wir Frauen!“ auf die Straße und schließlich in die Parlamente, um für die Rechte aller Frauen zu kämpfen.
Feministische Identitätspolitik bedeutete also zum einen, die gesellschaftliche Unterdrückung der Frauen als allen gemeinsame Erfahrung zu erkennen: Dieser Identitätspolitik ist es auch zu verdanken, dass Frauen untereinander die Kraft zum Aufstand und eine Menge Liebenswertes entdeckten. Auf der anderen Seite haben die Kämpfe, ob auch Lesben, women of color und Transfrauen auch Teil der feministischen Identität sein dürfen, immer wieder große Wunden geschlagen, die teils bis heute schmerzen.
Der Queerfeminismus hat sich nun auf die Fahnen geschrieben, dieser Vielfalt im Feminismus gerecht zu werden. Schon der erste Blick auf ein beliebiges queeres Flugblatt oder auf eine unter queeren Vorzeichen geführte Diskussion offenbart den Rausch der Identitäten. Dabei fällt auf, dass nicht nur Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Hautfarbe als diskriminierte Identitäten verstanden werden, sondern auch erotische Vorlieben wie Sadomasochismus oder Liebesbeziehungen mit mehreren PartnerInnen, Essgewohnheiten wie der Veganismus oder Religionen wie besonders der Islam.
Alle diese Merkmale, fordert der Queerfeminismus, sollen als Identitäten anerkannt und respektiert werden. Der Nachteil ist: Identitäten verfestigen sich sehr schnell zum Selbstverständnis eines Menschen – und machen daher äußerst anfällig für Kränkung. Sie überhaupt zu diskutieren und in eine feministische Gesellschaftskritik einzubetten, wird von Queerfeministinnen als unerträgliche Zumutung zurückgewiesen.
Das sabotiert zum Beispiel die feministische Diskussion über weibliche Sexualität: Denn diese führt zur schmerzhaften Selbsterkenntnis, dass im Patriarchat jedes weibliche Begehren von Einschränkung und Verstümmelung betroffen ist und Frauen immer wieder neu um eine selbstbestimmte Sexualität ringen müssen. Dass sich beispielsweise immer mehr Leute, darunter viele Frauen, als asexuell identifizieren, könnte eine wichtige Auseinandersetzung anstoßen, ob es heutzutage noch schwieriger geworden ist, Sexualität auf eine Weise auszuleben, die Frauen nicht völlig zum Objekt scheinbar freier, flexibilisierter Lust macht.
Aber eine solche Auseinandersetzung wird von queeren Asexuellen in ihrem Streben, ein ganz normales Blümchen im großen Strauß der Vielfalt zu sein, energisch zurückgewiesen (nachzulesen etwa auf dem Blog a sexy queer). Dieses Streben ist verständlich, denn abweichende Sexualitäten werden seit Jahrhunderten immer wieder als erklärungsbedürftige Krankheiten abgewertet. Auch kann es eine große Erleichterung sein, sich zu einer nicht-heterosexuellen Identität zu bekennen, die endlich ausdrückt, was man immer gefühlt hat. Dennoch ist es feministisch unfruchtbar, hier stehen zu bleiben.
Noch bedrückender erweist sich der Rausch der Identitäten im Fall des Islam. Die queerfeministische Kritik prangert zwar die rassistische Verfolgung von MuslimInnen an, versagt aber völlig darin, patriarchale Zustände im Islam zu benennen. Der intersektionale Ansatz, der alle Arten von Unterdrückung zusammendenken will, kann sich zum Beispiel eine Frau mit muslimischen Wurzeln nur in harmonischer Identität mit der muslimischen Community vorstellen, als Betroffene von mehrfacher Diskriminierung.
Feministinnen, die sich vom Islam losgesagt haben oder die Frauenfeindlichkeit in der Community kritisieren, werden als Nestbeschmutzerinnen oder vom Westen korrumpierte „Haustürken“ verunglimpft (wie Necla Kelek von Kübra Gümüșay).
Auffällig ist die queerfeministische Abneigung, sich als Frau zu identifizieren. Es ist still geworden um die Forderung, dass Frauen es sich herausnehmen müssen, dass es um sie und ihre Bedürfnisse geht. Die queerfeministische Theorie Judith Butlers gab Anfang der 90er den Anstoß, die politische Identität Frau aufzulösen. Aus der alten feministischen Erkenntnis, dass Frausein sozial konstruiert ist – Simone de Beauvoir 1949: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“ –, folgte nun der Versuch zum queeren Befreiungsschlag: Ich sage mich vom bloßen Frausein los und identifiziere mich als bi mit tschechischen Vorfahren, vegan mit einer Vorliebe für erotische Mangas, als muslimisch mit der persönlichen Entscheidung zum Kopftuch. Leider kümmert dieses Lossagen die patriarchale Gesellschaft nicht sonderlich. Relativ unbeeindruckt davon, wie sich die Leute identifizieren, produziert die herrschende Gesellschaft weiterhin zwei Geschlechter, Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus.
Die politischen Konsequenzen sind schwerwiegend: Weil sie an die Möglichkeit glauben, sich vom Frausein loszusagen, haben Queerfeministinnen mit Gleichberechtigung und Frauenrechten nicht mehr viel am Hut. Diese feministischen Kampfziele, die unterschiedslos alle Frauen in den Blick nehmen wollen, werden wahlweise für transfeindlich oder rassistisch erklärt: Denn können wir wissen, ob sich jede einzelne Frau, die wir ansprechen, als Frau identifiziert und nicht als Transmann oder als außerhalb der Zweigeschlechterordnung stehend? Können wir voraussetzen, dass eine schwarze Butch aus Hamburg-Billstedt ihr Frausein ähnlich empfindet wie eine weiße, heterosexuelle Akademikerin aus Altona? Wie können wir uns anmaßen, diesen Einzelnen eine Vorstellung von Frauenemanzipation aufzudrängen, formuliert von weißen Akademikerinnen, die sich einfach so als Frauen verstehen? Wie könnten wir aus dieser Perspektive etwa das Verschleierungsgebot im Iran kritisieren?
Das sind in der Tat brisante Fragen. Dumm ist nur, dass der Queerfeminismus an dieser Stelle nicht weiterdenkt. Aus der Angst heraus, die Unterdrückten weiter zu diskriminieren, scheuen sich Queerfeministinnen, über das Infragestellen von Weiblichkeit und Männlichkeit und das Anerkennen alternativer Identitäten hinauszugehen – und sie hindern auch andere daran, das patriarchale Geschlechterverhältnis zu kritisieren.
Die Queers verschließen vor Jahrzehnten feministischer Theoriebildung genauso die Augen wie vor realen politischen Verhältnissen und gucken lieber gar nicht mehr aus dem Mustopf ihrer queeren Szene heraus.
Ein weiterer Nachteil der Identitätenvielfalt ist, dass sie keine Distanz zu den selbstgewählten Zuschreibungen erlaubt. Frausein als gesellschaftlichen Zwang zu betrachten, mit dem die Hälfte der Menschheit konfrontiert ist, ist etwas grundsätzlich anderes als die queere Bezeichnung Cis-Frauen, die allen Frauen übergestülpt wird, die sich nicht als transsexuell verstehen. Während es in einem transpolitischen Zusammenhang durchaus Sinn macht, zwischen trans und cis zu unterscheiden, unterstellt die Rede von Cis-Frauen häufig, dass die Mehrheit der Frauen ihr Frausein problemlos akzeptieren und sich unkritisch damit identifizieren würde.
An der Abfälligkeit, mit der von Cis-Frauen gesprochen wird, zeigt sich: Über Weiblichkeit nachzudenken, bedeutet sich davon zu distanzieren und sich zumindest als genderfluid, agender oder, wenn man auf den Lippenstift nicht verzichten kann, als femme auszuweisen.
Tatsächlich entsteht Feminismus, wenn Frauen beginnen, über ihre Rolle als Frauen in dieser Gesellschaft zu diskutieren und sich dagegen zu wehren. Ein solidarischer, liebevoller Bezug auf andere Frauen und auf sich selbst als Frau bedeutet aber gerade nicht, mit der gesellschaftlichen Vorstellung von Weiblichkeit einverstanden zu sein. Eine angemessene feministische Identitätspolitik setzt frauenfeindlichen Zumutungen ein empörtes Nein entgegen.
Herta Nagl-Docekal bringt es wunderbar auf den Punkt: „Wir haben es nicht mit einem geteilten Wesen zu tun, sondern mit einem geteilten Problem.“ Das geteilte Problem betrifft Transfrauen ebenso wie Lesben, alleinerziehende Mütter, Migrantinnen, Schülerinnen, Prostituierte. Die Unterschiede zwischen diesen weiblichen Existenzen müssen auf der Basis einer starken feministischen Solidarität diskutiert werden – und mit dem Willen, sich politisch und theoretisch mit der patriarchalen Gesellschaft zu beschäftigen. Auf diese Weise können die unterschiedlichen Erfahrungen von Frauen aufeinander bezogen werden, und auch die feministische Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus und Kapitalismus kann daran anschließen.
Solange die Gesellschaft Menschen in Männer und Frauen unterteilt und Letztere benachteiligt, müssen Feministinnen als Frauen in den Kampf ziehen. Mit Wut, mit Lust, mit Stolz und einer Prise Arroganz, mit Sentimentalität, dem nötigen Selbstmitleid – aber auch mit Ironie und Selbstironie und dem Willen zum produktiven Streit.
Koschka Linkerhand kam aus Leipzig, studierte Gender Studies in Berlin und arbeitet heute als Deutsch-Lehrerin wieder in Leipzig.
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